Der grüne Ruckel-Wahlkampf

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Annalena Baerbock © ThePioneer

Guten Morgen,

der Wahlkampf von Annalena Baerbock ruckelt weiter vor sich hin. Nach den biographischen Übertreibungen im Lebenslauf wirft man ihr nun vor, Passagen ihres Buches „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern” abgekupfert zu haben. Die Initiative „plagiatsgutachten.com”, die mit Hilfe von Suchalgorithmen nach Plagiaten fahndet, präsentiert der Öffentlichkeit einige Stellen, die zwar eher faktischer Natur sind, aber dennoch sehr nach „copy and paste” aussehen:

Je fragiler ein Staat ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird – also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Migration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland.

Eine Textstelle im Fachmagazin „Internationale Politik“ aus dem Jahr 2019 klingt verdammt ähnlich:

…desto wahrscheinlicher ist es, dass er besonders stark unter den Folgeerscheinungen der Erderwärmung leiden wird – also unter inneren Konflikten, humanitären Katastrophen und Massenmigration. Das daraus entstehende Chaos könnte wiederum zu neuen Herausforderungen für das US-Militär führen, sei es durch humanitäre Hilfseinsätze oder militärische Interventionen im Ausland.

Annalena Baerbock © imago

An anderer Stelle schreibt Baerbock über die EU-Osterweiterung:

Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei: die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürger*innen.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat ebenfalls schon 2019 einen Artikel veröffentlicht, in dem es heißt:

Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei: die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürgerinnen und -bürger.

Als Annalena Baerbock über das Hochwasser in Burma spricht, schreibt sie:

In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 2008 peitschte der Wirbelsturm mit Böen bis zu 240 Stundenkilometern hohe Wellen durch die weitverzweigten Flussarme des Irrawaddy tief ins Landesinnere hinein. Nargis riss 135.000 Menschen in den Tod, zerstörte Dörfer und flutete die Reisfelder mit Salzwasser.

Der Tagesspiegel hatte 2018 etwas sehr Ähnliches gesehen, gespürt und geschrieben:

In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 2008 peitschte der Wirbelsturm mit Böen bis zu 240 Stundenkilometern hohe Wellen durch die weitverzweigten Flussarme des Irrawaddy bis zu 40 Kilometer ins Landesinnere. Nargis riss 140.000 Menschen in den Tod, zerstörte Dörfer und flutete die Felder der Reiskammer des Landes mit Salzwasser.

Der Leiter von plagiatsgutachten.com, Dr. Stefan Weber, sagt selbst:

Die Stellen sind nichts Weltbewegendes.

Baerbock „hätte nichts verloren, wenn sie diese Stellen einfach als Zitate gekennzeichnet hätte“. Ihre Vorgehensweise bezeichnet er als „schlampig und dilettantisch”. Er will weitere Stellen präsentieren.

Christian Schertz © dpa

Die Betroffene selbst will sich diesmal nicht entschuldigen – wie sie es nach den nicht gemeldeten Nebeneinkünften und den Lebenslauf-Verschönerungen getan hatte. Sie engagierte den Medienanwalt Christian Schertz, um die Vorwürfe juristisch und politisch zurückzuweisen:

Ich kann nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen, da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt, als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten. Der Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. Es ist offenbar erneut der Versuch einer Kampagne zum Nachteil von Frau Baerbock.

Im Netz sorgt der Vorgang vor allem für Spott. Der Jura-Student Philipp Wehrmann auf Twitter:

Annalena Baerbock kommt eben aus dem Völkerrecht, nicht aus dem Urheberrecht.

Eine Infografik mit dem Titel: Twitter Analyse #Baerplag

Reichweite und Interaktionen auf Twitter zu Plagiatsvorwürfen gegen Annalena Baerbock am 29. Juni 2021

Wahltaktisch kommen die neuen Vorwürfe zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Erstens: Die Querelen um die Spitzenkandidatin lenken erneut ab vom ökologischen Kernanliegen der Grünen, dem Umsteuern in der Klimapolitik.

Zweitens: Das Narrativ ihrer Gegner, das von einer Kandidatin handelt, die nicht fit sei für das hohe Staatsamt und womöglich charakterliche Defizite aufweise, findet in den Vorgängen neue Nahrung.

Die entscheidende Frage für den weiteren Wahlkampf lautet: Ist damit der Kern vom Kern dieser Kandidatin derart beschädigt, dass sie ihrer Partei keinen Dienst wird erweisen können? Oder aber wird der Wähler mit den Informationen gnädiger verfahren als die Medien, weil die Spitzen-Grüne eine über Jahre gewachsene Integritätsvermutung schützt?

Eine von ThePioneer und der Medienbeobachtungsfirma Unicepta durchgeführte Medienauswertung – die sowohl die klassischen Medien als auch die sozialen Netzwerke in ihrer Tonalität berücksichtigt – legt Letzteres nahe:

1. Die negativen Bewertungen in Sachen Nebentätigkeiten und Biographie hatten ihren Höhepunkt mit der Entschuldigung erreicht. Das Interesse erlahmte. Die persönlichen Zuschreibungen in den sozialen Netzwerken drehten wieder von rot in den grünen Bereich. Annalena Baerbock trug Kratzer davon, aber die Substanz der Kandidatin war nicht angegriffen.

Eine Infografik mit dem Titel: Baerbock: Entschuldigung wirkt

Mediale Sichtbarkeit von Annalena Baerbock: Causa Lebenslauf im Vergleich zu anderen Themen seit 1. April 2021

2. Vor allem im direkten Vergleich mit den Vorwürfen gegen die mittlerweile zurückgetretene Familienministerin Franziska Giffey wird der Unterschied deutlich. Deren Plagiatsaffäre, die schließlich zur Aberkennung des Doktortitels führte, war langlebig. Sie hat die Berichterstattung über Giffey derart überlagert, dass die Flucht in den Rücktritt nahelag. Der Substanzverlust war unübersehbar.

Eine Infografik mit dem Titel: Giffey: Plagiat überschattet alles

Mediale Sichtbarkeit von Franziska Giffey: Plagiatsvorwurf im Vergleich zu anderen Themen seit 1. Juni 2020

Fazit: Die aktuellen Plagiatsvorwürfe – und die Reaktionen der Grünen darauf – konnten in dieser Medienresonanz-Analyse nicht berücksichtigt werden. Wir werden sie zeitnah nachliefern. Politik, das beweisen die Ereignisse im grünen Camp, ist die Wissenschaft des Unvorhersehbaren.

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Bei der Union beginnen, noch bevor der Wahlkampf so richtig gestartet ist, die Überlegungen für die Zeit nach der Bundestagswahl.

Und so wie es aussieht, könnte Fraktionschef Ralph Brinkhaus zu den ersten Verlierern der Neuaufstellung der Union gehören.

Im Lager von Armin Laschet wird fest damit gerechnet, dass der CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat unmittelbar nach der Wahl – sollte es keine herbe Niederlage für die Union geben – den Anspruch auf den Fraktionsvorsitz erheben wird.

Laschet will so seine Ausgangsposition in möglichen Koalitionsverhandlungen verbessern. Sollte er anschließend ins Kanzleramt einziehen, dürfte sich Brinkhaus wieder um die Fraktionsspitze bewerben – und mutmaßlich dann einem neuen Gegner gegenüber stehen: Gesundheitsminister Jens Spahn will an die Spitze der Fraktion aufrücken.

Laschets Weg zur Macht

Der Weg des CDU-Chefs ins Kanzleramt könnte eine Zwischenstation bekommen - die Fraktionsspitze.

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Christine Strobl © dpa

Mehr als 250 Drehbuchautoren haben sich in einem offenen Brief an die neue ARD-Programmdirektorin Christine Strobl gewandt. Sie werfen der öffentlich-rechtlichen Anstalt mangelnde Kreativität, fehlenden Mut und ausbleibende Modernisierung vor. Wörtlich heißt es in dem Schreiben:

Leider hat man in den entscheidenden ARD-Gremien den Schuss bis heute nicht gehört.

Die öffentlich-rechtlichen Sender werden zunehmend kulturvergessen.

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Für den Morning Briefing-Podcast habe ich mit einem der Unterzeichner gesprochen: Peter Henning ist preisgekrönter Drehbuchautor, erfolgreicher Regisseur und geschäftsführender Vorstand des Verbands Deutscher Drehbuchautoren. Bekannt ist er für seine Arbeit beim „Tatort” oder für Filme wie „Schande” und „Schattenkinder”. Er sagt:

Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen kommt nur ein Bruchteil der Gesellschaft vor. Das ist für neue Generationen und global denkende Menschen einfach nicht das, was man noch gucken will.

Vor Provokation scheue man vornehmlich zurück, so Henning:

Wir bringen keine gewagten politischen Inhalte zustande, weil es Rundfunkräte gibt, vieles politisch kontrolliert ist und ständig irgendwelche Verbände protestieren.

Braucht Marketing mehr Empathie?

Alev Doğan spricht mit Beraterin Anouk Ellen Susan

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Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Sahra Wagenknecht © dpa

Einige Mitglieder der Partei Die Linken wollen Sahra Wagenknecht aus der Partei ausschließen. Zwei anonym gestellte Anträge werden jetzt in einem Parteiausschlussverfahren gebündelt.

Wagenknecht, die Ex-Fraktionschefin der Linken, war jüngst durch die Veröffentlichung ihres Buches „Die Selbstgerechten” bei einigen Genossen in Ungnade gefallen.

In dem Buch wirft die Politikerin den sogenannten „Lifestyle-Linken” vor, wahre gesellschaftliche Missstände wie zum Beispiel schlecht verdienende Frauen, arme Zuwandererkinder und ausgebeutete Leiharbeiter zugunsten eines urbanen, kosmopolitischen Individualismus aus den Augen zu verlieren. Große Teile der Wählerschaft würden mit Gender-Sternchen, Bio-Lebensmittel-Debatten und Klimawandel-Aktivismus abgeschreckt.

So schreibt sie:

Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein.

Fazit: Sahra Wagenknecht hat kein Ausschlussverfahren, sondern eine Tapferkeitsmedaille verdient. Sie sagt, was ist. Sie rettet einer Partei das Leben, die in weiten Teilen lebensmüde wirkt.

Der Irrtum der Lifestyle-Linken

Sahra Wagenknecht über selbstgerechte Lifestyle-Linke.

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Veröffentlicht in The Pioneer Briefing Business Class Edition von Gabor Steingart.

Podcast mit der Laufzeit von

Thomas Müller nach seiner verpassten Torchance © dpa

Volkstrauertag im deutschen Fußball: Das Turnier, das mit einem Eigentor von Mats Hummels begann, ging gestern mit einem deutschen Torschuss zu Ende, der sein Ziel knapp verfehlte. Während die Engländer nunmehr im Viertelfinale stehen, muss die deutsche Nationalelf vorzeitig nach Hause reisen.

Dabei konnten beide Teams auf musikalische Unterstützung zurückgreifen. Im Lager der Briten tauchte Ed Sheeran auf, um mit seinen Songs „Shape of You“ und „Thinking Out Loud“ auf die Auseinandersetzung mit den Deutschen einzustimmen. Im deutschen Trainingslager versuchte Peter Maffay mit seinem Hit „Über sieben Brücken musst du gehn“ einen ähnlichen Motivationseffekt auszulösen.

Allerdings: Das Turnier-Reglement erlaubte im Stadion keine deutschen Schlachtenbummler und auch keine hiesigen Rockstars. Peter Maffay durfte nicht in die Arena, derweil ein sichtlich befeuerter Ed Sheeran im Wembley-Stadion saß. Die Hymne an die englischen Spieler für den Sieg hatte er mit „Perfect“ schon vorher geschrieben, dort heißt es:

You look perfect tonight.

Ed Sheeran © imago

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den neuen Tag. Und vergessen Sie nicht: Fußball ist unser Sport, aber nicht unser Leben. Es grüßt Sie herzlichst

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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