Der Internet-Feudalismus

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Guten Morgen,

derweil Europa noch immer mit sich und der Pandemie kämpft, melden die amerikanischen Internetgiganten weitere Geländegewinne. Jenseits des Atlantiks ist eine Gesellschaft nach dem Motto The Winner Takes It All entstanden, die aus Europa Werbeerlöse, intime Nutzerdaten und Lebenschancen für die jüngere Generation absaugt.

Gestern streckte auch Verizon, US-Konzern im Bereich Telekommunikation, die Waffen. Das Unternehmen aus New York City hatte sich die Internet-Pioniere AOL und Yahoo für insgesamt rund neun Milliarden Dollar einverleibt. Doch gegen Google, Facebook und Co. sah das Management schließlich keine Chance mehr. Verizon verlässt nun das Online-Mediengeschäft (und muss vier Milliarden Dollar abschreiben) – mit dem Ergebnis, dass die Großen größer und die Mächtigen mächtiger werden.

 © imago

Die vier führenden Konzerne des digitalen Zeitalters – Amazon, Apple, Facebook und Alphabet – haben über das vergangene Jahrzehnt erfolgreich Daten in Geld – und Geld in Macht transformiert. Eine Kaste der Unberührbaren ist entstanden, die bisher keine Aufsichtsbehörde und kein Staat hat in die Schranken weisen können:

  • Die addierte Börsenkapitalisierung der vier Digitalkonzerne entspricht nahezu dem Fünffachen der Kapitalisierung des deutschen DAX.

Eine Infografik mit dem Titel: Das wertvolle Quartett

Marktkapitalisierung der weltweit größten Tech-Konzerne, in Billionen US-Dollar

  • Der Gewinn, welchen Apple für die ersten zwölf Wochen des Jahres 2021 ausgewiesen hat, entspricht den addierten Gewinnen von BMW aus den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2020.

Eine Infografik mit dem Titel: Die vier Großverdiener

Nettogewinn der weltweit größten Tech-Konzerne im ersten Quartal 2021, in Milliarden US-Dollar

  • Der Datenschatz von 1,9 Milliarden Nutzerprofilen allein bei Facebook dürfte das gesammelte Wissen von KGB, CIA und Mossad übersteigen.

Eine Infografik mit dem Titel: Apple rast davon

Marktkapitalisierung von Apple und Volkswagen am 31. März 2009 sowie am 3. Mai 2021, in Milliarden US-Dollar

  • Alle vier Konzerne saßen 2020 auf einem Bargeldbestand in Höhe von rund 450 Milliarden Dollar, mit dem sich die deutschen Automobilkonzerne Daimler, VW und BMW an der Börse kaufen ließen.

  • Dank des schier unbegrenzten Zugangs zu immer neuen Investorengeldern dringen die vier Konzerne in immer weitere benachbarte Geschäftsfelder vor – zum Beispiel in das der deutschen Automobilindustrie. Diese stemmt sich neuerdings mit aufwendigen Investitionsprogrammen gegen die branchenfremden US-Angreifer, wissend, dass das Auto der Zukunft ein fahrendes Softwareprogramm sein wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Software-Revolution

Anteil der Kosten elektronischer Bauteile im Auto an den Gesamtkosten weltweit, in Prozent

  • Der Ausgang der deutschen Kraftanstrengung ist ungewiss. Womöglich wird man später feststellen: too late and too little. Begründung: Alle deutschen Firmen steckten im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 76 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung – ein neuer deutscher Rekord. Doch dieser Rekord verliert international seine Relevanz, wenn man ihn in Bezug zu den Unberührbaren setzt: Allein die vier Unternehmen Apple, Facebook, Amazon und Alphabet steckten im gleichen Jahr die gleiche Summe in ihre Innovation wie Europa in seine größte Volkswirtschaft.

Fazit: Die Marktwirtschaft benötigt zu ihrer Existenz Bedingungen, die sie selbst nicht hervorbringen kann. Dazu gehören der Schutz des Wettbewerbs, das Verhindern monopolartiger Strukturen und die permanente Senkung von Markteintrittsbarrieren, damit neue Unternehmer ihr Glück versuchen können. Nichts davon geschieht in Europa. Auch deshalb frisst die amerikanische Internetrevolution ihre deutschen Kinder.

 © The Pioneer

Wie haben die Politiker, Berater und Virologen im Rahmen dieser Pandemie gedacht und gehandelt? Was lief gut und was lief schief? Diese Bestandsaufnahme haben Georg Mascolo und Katja Gloger unternommen. Mascolo war einst Chefredakteur des „Spiegels“ und ist heute Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“. Gloger war politische Korrespondentin für den „STERN“ in Washington und Moskau. Sie ist Bestsellerautorin und auch das: Putin-Biografin.

Gemeinsam haben sie nun ein Buch geschrieben: „Ausbruch: Innenansichten einer Pandemie – Die Corona-Protokolle“. Es ist die bisher detailreichste und politisch präziseste Schilderung dessen, was hinter den Kulissen von Corona-Kabinett, Partei-Vorstand und TV-Talkshow passierte. Die Geschichte der Pandemie als Geschichte von Pannen, Fehleinschätzungen und schwerem Missmanagment. Über ihre Rechercheergebnisse sprechen Katja Gloger und Georg Mascolo im Morning Briefing Podcast. Katja Gloger beginnt mit dem Positiven:

Innerhalb von zehn Monaten haben es Wissenschaftler zustande gebracht, einen Impfstoff zu entwickeln, der uns helfen wird, aus dieser Pandemie herauszukommen. Für mich grenzt es immer noch an ein Wunder.

Die Staatlichkeit allerdings hat nicht in gleicher Weise segensreich gewirkt. Mascolo erinnert daran, dass der Verweis auf das Versagen der EU nicht viel mehr als eine Ausrede ist:

Man darf nicht vergessen, wer in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehatte – das war Deutschland. Man darf nicht vergessen, dass der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn auch unter den Gesundheitsministern der EU den Vorsitz gehabt hat.

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Deshalb trage Deutschland laut Katja Gloger eine Mitschuld am verpatzten Start der Impfkampagne:

Es hätte politische Kraft und politische Führung gebraucht zu sagen, wenn in der Pandemie Geschwindigkeit die wichtigste Währung ist, dann ist es eine zentrale politische Aufgabe, und zwar im Zweifel für das Land, das die EU-Präsidentschaft innehat, und die höchsten wirtschaftlichen Ressourcen besitzt, dafür zu sorgen, dass dieser Prozess innerhalb der EU erheblich an Geschwindigkeit aufnimmt.

Die Corona-Pandemie wirke wie ein Brennglas für gesellschaftliche Missstände. Georg Mascolo sagt:

Vieles von dem, was wir jetzt erleben, was in diesem Land nicht funktioniert, hat auch etwas mit der Frage zu tun: Wer hat dieses Land eigentlich die letzten 16 Jahre regiert.

Das Fazit der beiden über Angela Merkel fällt niederschmetternd aus:

Sie ist gut in der Analyse und schlecht im Abliefern. Deutschland ist unter seinem Potenzial geblieben.

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Armin Laschet © dpa

Einer, der die Marktwirtschaft revitalisieren will, ist Armin Laschet. Der CDU-Chef und Unionskanzlerkandidat hat dem „Handelsblatt“ sein 100-Tage-Programm verraten, und es dürfte die Wirtschaft freuen.

Laschet will Unternehmensgründungen in 24 Stunden ermöglichen, Bürokratie abbauen und die Planungs- und Verfahren zur Genehmigung deutlich vereinfachen:

Wir müssen schneller, unbürokratischer und besser werden: mit einem Digitalministerium, mit Impulsen für eine digitalisierte Verwaltung und Wirtschaft und einer Grundhaltung, dass wir den Menschen wieder mehr zutrauen, sie die Dinge selbst entscheiden lassen.

Und weiter:

Politik muss sich zurücknehmen und darauf beschränken, den Rahmen zu setzen.

Armin Laschet © dpa

Laschet will nicht den Grünen hinterherlaufen, sondern marktwirtschaftliche Wege finden, um das Pariser Klimaschutzziel zu erreichen. Dazu soll der CO2-Preis schrittweise steigen, zugleich aber die EEG-Umlage abgeschafft werden.

Ich schätze das Instrument der CO2-Bepreisung, weil es den Geist der Marktwirtschaft atmet und jeder mit seinem Verhalten seine Kosten senken kann.

Sein erster inhaltlicher Testfall als Kanzlerkandidat steht ihm jetzt bei der Neufassung des Klimaschutzgesetzes bevor. Laschet hat im Präsidium der CDU gestern klargemacht, dass er eine schnelle Korrektur des Gesetzes mit ambitionierten Zielen will. Doch manch einer in der Unionsfraktion legt dem neuen Chef bereits Steine in den Weg. Die Hauptstadt-Kollegen wissen mehr.

Der Klimastreit

Die Koalition steht beim Klimaschutzgesetz vor einem Streit: Soll Energie teurer werden oder nicht?

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

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 © imago

Das israelische Start-up „Deepdub“ könnte die Film- und Fernsehbranche revolutionieren. Durch Künstliche Intelligenz soll es zukünftig möglich sein, die Originalstimmen von Schauspielern in andere Sprachen zu übertragen; die Grammatik wechselt, die individuelle Tonlage bleibt.

Mithilfe der Synchronisations-Plattform „Deep-Learning“ wird die Stimme digital bearbeitet. Die Software arbeitet mit Videoclips der Originalstimme, um diese bestmöglich zu imitieren. Auch Akzente und Dialekte können wahlweise übernommen und künstlich erzeugt werden. Dadurch wird es möglich, Sprachbarrieren zu überwinden und fremde Inhalte in der Unterhaltungsbranche für ein internationales Publikum zugänglich zu machen.

Ein wesentlicher Vorteil der Technologie ist die Einsparung langwieriger und teurer Synchronisation. Doch eben diese Innovation birgt auch eine Schattenseite: Allein in Deutschland würden mindestens 1000 Synchronsprecher ihren Arbeitsplatz verlieren.

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Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 7534 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 315 weitere Todesfälle registriert.

  • Die EU-Kommission schlägt vor, die Einschränkungen bei touristischen Reisen in die Europäische Union für vollständig Geimpfte zu lockern. Voraussetzung sei eine gute epidemiologische Lage im Herkunftsland.

  • Pfizer möchte Indien Medikamente im Wert von 70 Millionen Dollar spendieren. Gleichzeitig verhandelt das Unternehmen mit der dortigen Regierung über ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für den mit BioNTech entwickelten Impfstoff.

  • Markus Söder (CSU) gab gestern bekannt, dass auch 2021 das Oktoberfest wegen der Pandemie abgesagt wird.

Markus Söder © dpa
  • Deutschland holt die Vorreiter-Staaten beim Impftempo ein: Laut der Plattform „Our World in Data“ der Universität Oxford wurden in Deutschland in den vergangenen sieben Tagen mit 0,78 Impfdosen pro 100 Einwohner mehr Menschen als in den USA und Großbritannien geimpft.

  • Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft derzeit für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 15 Jahren die Zulassung des Corona-Impfstoffes von BioNTech. Bis Juni soll die Entscheidung bekannt gegeben werden.

Das Zusammenspiel von Geopolitik und Klimawandel

Josep Borell und Frans Timmermans über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Geopolitik.

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Veröffentlicht in The Pioneer Expert von Josep BorrellFrans Timmermans.

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Melinda und Bill Gates © imago

Das Philanthropen-Paar Bill und Melinda Gates trennt sich. Nach 27 Jahren Ehe wollen Microsoft-Gründer Gates und seine Frau nun getrennte Wege gehen, wie sie am gestrigen Abend in einem Statement auf Twitter verkündeten.

Dennoch planen sie die Arbeit der gemeinsamen Stiftung fortzusetzen – die „Bill and Melinda Gates Foundation“ verfügt über knapp 50 Milliarden US-Dollar und gehört zu den einflussreichsten Hilfsorganisationen im Bereich Entwicklungsarbeit und Gesundheitsvorsorge. In der Erklärung der beiden heißt es:

Nach einer Menge Gedanken und viel Arbeit an unserer Beziehung haben wir uns entschlossen, unsere Ehe zu beenden. Über die vergangenen 27 Jahre haben wir drei unglaubliche Kinder aufgezogen und eine Stiftung aufgebaut, die in der ganzen Welt daran arbeitet, Menschen ein gesundes, produktives Leben zu ermöglichen.

Fazit: Auch im Moment des Scheiterns wird im Hause Gates transparent kommuniziert. Trotzdem traurig.

Florian Illies © dpa

Heute feiert Florian Illies seinen 50. Geburtstag. Er hat mit der „Generation Golf“ das prägende Buch seiner Alterskohorte verfasst. Es war jene harmlose Generation, als das Wort „Klimakatastrophe“ noch nicht erfunden und der Blondinenwitz noch erlaubt war. Die „Zigeunersoße“ war noch keine rassistische Wortmeldung, sondern ein Lebensmittel, das sich auf das Vorzüglichste mit, man traut es sich heute kaum zu sagen, einem panierten Schweineschnitzel kombinieren ließ.

Der Westen war noch unter sich. Die Welt war zwar voller Atomsprengköpfe, aber es waren Atomsprengköpfe, die zwischen Ost und West in schönster Ordnung Spalier standen.

Thomas Gottschalk © dpa

Der heimliche Kanzler dieser Jahre hieß Thomas Gottschalk. Er war der einzige Kanzler, der keine Regierungserklärungen verlas, sondern Wetten veranstaltete. Wie viele Menschen passen auf ein Foto im Fotoautomaten? Wer kann ein Papierboot in vier Minuten falten und darin auch noch paddeln? Wer kann in zwei Minuten drei Kondome mit der Nase aufblasen bis sie platzen? Wer spürt mit verbundenen Augen die Unterschiede zwischen den Klopapier-Qualitäten?

Das waren die Fragen, die die Nation bewegten. 20,95 Millionen Menschen schauten am 6. Januar 1990 bei „Wetten, dass..?“ zu – doppelt so viele wie heutzutage bei Anne Will, Sandra Maischberger, Maybrit Illner und Frank Plasberg zusammen.

Petra Kelly © dpa

Das wichtigste Anliegen der Generation Golf war nicht politisch, sondern privat: Es ging darum, den Wohlstand der Elterngeneration möglichst geräuschvoll zu verprassen. Petra Kelly und Jutta Ditfurth waren geboren, aber noch nicht erfunden. Man liebte den Konsum mehr als den Protest. Illies beschreibt die erste Generation, die dem Hedonismus verfallen war und ihr Markenbewusstsein pflegte wie der Vater den Rollrasen vorm Eigenheim.

Wichtiger als die richtige Meinung zu haben, war es, die richtige Marke zu tragen. Entsprechend, so Illies, fiel die „Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD“. In der Freizeit wurde nicht demonstriert, sondern konsumiert. Am liebsten bei IKEA:

Zu IKEA rückt man vorzugsweise paarweise an, um den Anblick der tausend anderen jungen Paare besser zu ertragen, die wahrscheinlich verliebt bis über beide Ohren über die notwendige Matratzengröße debattieren und darüber, ob sie nun das Bett GUTVIK kaufen sollen oder doch eher den NARVIK.

An der Komplexität der Welt ist diese Generation – laut Illies – nicht verzweifelt, sondern gewachsen:

Man denke nur an den Zauberwürfel, der uns die Zeit in den Pausen vertrieb. Alles war schön bunt, aber wir wussten doch, dass es für jedes Klötzchen auch das richtige Plätzchen gab. Es braucht zwar seine Zeit, aber wenn man sich ordentlich bemüht, ist am Ende wieder alles so, wie es sich gehört: Blau bei Blau, Rot bei Rot und die Welt ist wieder ein kleines Stück übersichtlicher geworden.

Zauberwürfel © dpa

Dieser Florian Illies, der als junger Redakteur an der Seite des unsterblichen Frank Schirrmacher gestartet war und sich zwischenzeitlich als Magazin-Verleger („Monopol“) und Kunstauktionator (Villa Griesebach) probierte, gehört heute zum kulturellen Inventar dieser Bundesrepublik. Wir wünschen ihm einen beschwingten Tag. Und uns wünschen wir ein neues, ein humorvolles Buch über die „Generation Lockdown“ aus seiner Feder.

Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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