Der italienische Patient

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

man könnte meinen, das Lieblingsgericht der italienischen Elite besteht aus frisch gedrucktem Geld, garniert mit einer Stange Dynamit. Dass diese Kost schon bisher nicht bekömmlich war, scheint den römischen Patienten nicht zu stören.

Er windet sich zwar vor Schmerzen – aber verlangt mit fiebrigen Augen Nachschlag. Buon appetito! Dieser Nachschlag, und hier nun kommt das Coronavirus ins Spiel, ist für die internationalen Kreditgeber keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Pandemie zwingt die italienische Volkswirtschaft, die schon vorher wackelig dastand, in die Knie. Die Kreditwürdigkeit leidet – und das zu recht:​​► Die Einnahmen des Staatshaushaltes schrumpfen, die Ausgaben explodieren. Italien atmet flach.

Eine Infografik mit dem Titel: Europas Schuldenstaaten

Staatsverschuldung in Relation zum BIP, in Prozent

► Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht von einem Rückgang des italienischen Bruttoinlandprodukts von 9,1 Prozent im Jahr 2020 aus.

► Die Arbeitslosigkeit liegt laut IWF bei zehn Prozent, Tendenz steigend.

► Italien, das nach den USA, Japan und China den größten Anteil an der weltweiten Staatsverschuldung verzeichnet, schuldet dem Weltfinanzmarkt über 130 Prozent seines eigenen Bruttoinlandsproduktes.

Eine Infografik mit dem Titel: Italien: Viertgrößter Schuldner der Welt

Anteil der Staatsverschuldung, nach Staaten, in Prozent

► Das bedeutet: 0,77 Prozent der Weltbevölkerung stehen für vier Prozent der weltweiten Schulden.

In den kommenden Jahren dürfte die Relation von Verschuldung zu Wirtschaftsleistung auf bis zu 180 Prozent steigen. Pro Kopf ist das Land schon heute mit 41.600 US-Dollar verschuldet, Griechenland mit 33.800 Dollar, Deutschland mit 24.800 Dollar.

Doch ungeachtet dieser Tristesse braucht das Gesundheitssystem Italiens dringend eine Geldinjektion; die größtenteils mittelständisch geprägte Wirtschaft ist auf Liquiditätshilfen und Stützungskredite angewiesen; die Sozialversicherungen sehen sich einer Flut von Ansprüchen gegenüber, was in den Tagen des Shutdown nicht überraschen kann. Das Land gerät damit in eine gefährliche Zangenbewegung, denn die weitere Kreditfinanzierung am Kapitalmarkt ist nicht gesichert. Die Zweifel an der Schuldentragfähigkeit des Landes mehren sich. Der frühere IWF-Chefökonom Olivier Blanchard sagte:

Wenn sich die Investoren Sorgen machen, werden sie höhere Zinssätze verlangen. Das würde es Italien erschweren, seine Schulden zu tragen, und könnte zum Teufelskreis einer neuen Schuldenkrise werden, weil sich die Sorgen der Investoren quasi selbst bestätigen würden.

Eine Infografik mit dem Titel: Italien: Das neue Griechenland

Entwicklung der Staatsverschuldung, indexiert in Prozent

Die Risikoaufschläge auf die italienische Staatsanleihe steigen. Lag die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihe Anfang März noch bei 0,93 Prozent, schoss sie zwischenzeitlich auf 2,6 Prozent hoch. Derzeit liegt sie mit rund 1,8 Prozent fast doppelt so hoch wie noch vor einem halben Jahr. Der Zinsabstand zu den sicheren deutschen Staatsanleihen weitet sich. Ashoka Mody, Wirtschaftsprofessor an der Princeton University ist sich sicher: „Italien steht an der Schwelle einer Finanzkrise.“ Die Politik müsse nun eine finanzielle „Brandmauer“ um das Land ziehen, sagte Mody dem „Spiegel“. Nichts bräuchte das Land jetzt dringlicher als eine Haftungsgemeinschaft mit den Deutschen, um den Geldfluss wieder von tropfend auf flüssig umzustellen. Und weil Außenminister Luigi Di Maio den Investoren schlecht zurufen kann „we are running out of cash“ beschwört er die europäische Idee, was weniger alarmistisch klingt:

Es ist unangebracht, in diesem Fall über Italien zu sprechen, denn hier geht es nicht um die Zukunft Italiens, sondern um die Zukunft ganz Europas.“

Die italienischen Populisten greifen Deutschland, das sich der Schuldenunion verweigert, mittlerweile frontal an. Vornweg die nationalistische Lega unter Führung von Matteo Salvini. Dessen wirtschaftspolitischer Berater, Claudio Borghi, veröffentlichte jetzt ein Plakat aus der Ära deutscher Besatzer, seinerzeit erstellt von Mussolinis „Repubblica Sociale Italiana“.

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Deutschland ist dein wahrer Freund“, heißt es da. Borghi, Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Parlament, kommentiert:

Die Zeit vergeht, aber die Taktik ist dieselbe.“

Die italienische Elite weiß, wie sie Druck auf Deutschland ausüben kann. Gerne wird in diesen Tagen die Hilfsbereitschaft von Chinesen und Russen angenommen – und anschließend medial zur Schau gestellt. Ein russischer Militärkonvoi rast mit Hilfsmaterial und medizinischem Equipment zur besten Fernsehzeit über die einsamen norditalienischen Autobahnen. Das Ziel der Moskauer Helfer ist Bergamo, wo das Hauptquartier für die italienisch-russische Zusammenarbeit im Kampf gegen die Pandemie aufgeschlagen wurde. Die Botschaft der Bilder: Putin ist unser Freund. Rom kann auch anders.

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Auch von der Volksrepublik China lässt man sich in Italien gern unter die Arme greifen. Im Rahmen des Projekts Seidenstraße finanzieren Chinesen die Modernisierung zahlreicher Häfen in Italien. In der Coronakrise wurde dieses Projekt um die „medizinische Seidenstraße“, wie Chinas Staatspräsident Xi Jinping es formuliert, erweitert. Italien wird im Machtpoker zwischen Peking und Washington zum Joker der Chinesen.

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Ein listiger Außenminister Luigi Di Maio sagt:

Wir müssen daran arbeiten, die EU zu stärken, nicht sie zu spalten. Ich bin sicher, das wollen auch die Deutschen.

Schützenhilfe kommt heute Morgen von Emmanuel Macron, der via „Financial Times“ die Deutschen zur Haftungsunion mit Frankreich und Italien überreden will:

Es ist Zeit, das Undenkbare zu denken.

Auch die Deutschen wollen Europa stärken. Aber sie wollen es, ohne die eigene Finanzkraft zu schwächen. „Italiens Schulden werden nicht dadurch kleiner, dass man sie vergemeinschaftet“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest. Jens Weidmann, Präsident der Bundesbank, fügt hinzu: „Man vertraut Anderen doch seine Kreditkarte nicht an, wenn man keine Möglichkeit hat, deren Ausgaben zu kontrollieren.“ Fazit: Eurobonds sind nicht die Lokomotive der europäischen Einigung, sondern deren Entgleisung. Gemeinsame Schulden zerstören die Sehnsucht, die sie zu erfüllen behaupten. Unser italienischer Freund ist kreditsüchtig und muss sein Leben ändern – spätestens nach der Krise. Deutschland muss vorher helfen – aber ohne Blankoscheck, der die Sucht nicht bekämpft, sondern verstärkt. Die Zugeknöpftheit der Deutschen in Sachen Eurobonds ist dabei nicht Ausdruck eines neuen Nationalismus, sondern Ausweis der politischen Reife. Die Bürger lassen sich nach all den Jahren der Anleihe-Aufkaufprogramme und der permanenten EU-Rettungsschirme keine Illusion mehr verkaufen, auch nicht wenn auf dem Etikett „Europa“ steht. Kein Prinzip lässt sich dadurch retten, dass man sich selbst verrät. Jede Leidenschaft wird ruiniert, wenn man sie gegen die Vernunft ausspielt. Oder um es mit den Worten von Albert Camus zu sagen:

Ich glaube an die Gerechtigkeit. Aber bevor ich die Gerechtigkeit verteidige, werde ich meine Mutter verteidigen

 © Media Pioneer

Der frühere Telekom-Chef René Obermann ist zum Verwaltungsratsvorsitzenden bei Airbus gewählt worden. Der lange geplante Wechsel wurde im Rahmen der Airbus-Hauptversammlung vollzogen. Der Deutsche, der bereits zuvor im Board of Directors saß und im Hauptberuf als Managing Director beim Private-Equity-Unternehmen Warburg Pincus arbeitet, löst den Franzosen Denis Ranque ab. Die Botschaft ist gerade in diesen schwierigen Tagen (siehe oben) eine tröstliche: Kerneuropa funktioniert. Der deutsch-französische Motor stottert nicht, er schnurrt.

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Mit seinen 15 Free- und Pay-TV Sendern muss sich ProSiebenSat.1 in einem sich stark wandelnden TV-Markt behaupten, was schon seit Längerem nicht mehr so recht gelingt. Der Umsatz im mit Abstand stärksten Geschäftsfeld Werbefernsehen schrumpft.

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Nun will sich ProSiebenSat.1 unabhängiger machen – und steigt in das Podcast-Geschäft ein. Am kommenden Donnerstag startet „For Your Ears Only“ (FYEO), die neue Podcast-App des Konzerns. Fünf Euro pro Monat sollen Kunden bezahlen. Im Gegenzug bekommen sie zu Beginn 15 „exklusive Hörangebote“. Nun wartet das Publikum gespannt auf Details. Wenn es einen Oscar für vollmundige Versprechen gäbe, hätte ProSiebenSat.1 ihn schon seit Jahren verdient.

Mit dem Start seines eigenen Streamingservice wollte Disney im lukrativen Digitalgeschäft mitverdienen – was bislang zu gelingen scheint. Seit Launch im November hat der Dienst bereits über 50 Millionen Abonnenten gewonnen und nähert sich bereits seinem Fünfjahresziel.

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Das neue Produkt sollte zulasten von Netflix gehen. Für das eigene Portal entzog Disney dem Konkurrenten alle Disneyproduktionen („Star Wars: The Clone Wars“, „Pirates Of The Caribbean“, die „Marvel“-Produktionen). Doch ausgerechnet an der Börse, wo die Zukunft gehandelt wird, sticht Netflix Disney nun aus. Mit einer Marktkapitalisierung von 193 Milliarden US-Dollar ist Netflix nun neun Milliarden Dollar mehr wert als Disney und damit der wertvollste Medienkonzern der Welt. Die neue Welt schiebt sich vor die alte. Daniel Düsentrieb ist weiter gezogen.

Im Morning Briefing Podcast begrüßt Sie heute „Welt“-Vize Robin Alexander mit folgenden Themen: Die Regierung hat einen Fahrplan für den Rückbau der Corona-Maßnahmen vorgelegt. Die FDP hadert damit, sie verlangt eine schnellere Normalisierung der Verhältnisse. Im Interview: die stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Liberalen, Katja Suding. Wir blicken auf einen der genialsten deutschen Maler der Gegenwart – auf Neo Rauch. Der Chefredakteur der Zeitschrift „art“, Tim Sommer spricht über Rauchs 60. Geburtstag – und dessen Kunstgenie.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in das Wochenende. Morgen früh biete ich Ihnen ein Morning Briefing Podcast Spezial an - ein Potpourri der Ideen aus dem Podcast-Format „Der achte Tag“. Denn für den Kopf gibt es bisher noch keine Kontaktsperre. Ich wünsche Ihnen ein Wochenende in heiterer Gelassenheit. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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