Der König von Bayern

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Guten Morgen,

auf dem bayerischen Schloss Herrenchiemsee trafen am Dienstag mit Markus Söder und Angela Merkel die Antipoden der politischen Inszenierung aufeinander. Auf der einen Seite Söder: der wohl einzige Politiker, den es auch schon mit Faschings-Kostümierung als Shrek, Homer Simpson oder Marilyn Monroe zu sehen gab.

Auf der anderen Seite Angela Merkel, die Zeit ihrer politischen Karriere dagegen ankämpft, auf unvorteilhafte Weise abgebildet zu werden. Merkels Inszenierung ist Nicht-Inszenierung, Fehlervermeidung durch vollkommene Erstarrung. Wer die Finger vor dem Oberkörper zur Raute zusammenpresst, dem können wenigstens die Arme nicht unkontrolliert davonschlackern.

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Am Dienstag gestaltete Söder den Rahmen des Zusammentreffens bei einer Kabinettssitzung der bayerischen Landesregierung. Die dominierenden Eindrücke waren: Gold, Kristall und die endlose Weite des Spiegelsaals des Schlosses Herrenchiemsee. Hier ging es scheinbar um den größtmöglichen Auftritt: die Vorbereitung der Übergabe der Amtsgeschäfte von Merkel auf den gefühlten König der Bayern. Söder thronte, Merkel blinzelte.

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Die Art der Inszenierung spiegelte in Markus Söders Karriere-Etappen stets die aktuellen Ambitionen:

► Als junger Minister kämpfte er um Aufmerksamkeit und Aufstieg um jeden Preis. Es war die Zeit schriller Faschingskostüme.

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► Als neu gewählter Ministerpräsident wollte Söder sich als konservativer Vordenker präsentieren – bebildert wurde der Kurs durch einen strengen Blick auf das Kruzifix.

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► Als er im Landtagswahlkampf die Kehrtwendung vom Hardliner zum gefühligen Landesvater vollzog, passten sich auch die Bilder an. Söder war nun mit Hundewelpen und Katzenbabys auf dem Arm zu bewundern.

 © Twitter/@Markus_Soeder

Fazit: So pompös die Bilder von Herrenchiemsee auch sind: Nichts repräsentiert die Arbeit eines Bundeskanzlers weniger als bayerischer Prunk. Ein Kanzler Söder müsste sich auch um verlassene westdeutsche Kohlereviere und ostdeutsche Plattenbauten kümmern. Söders königliche Bilder lassen deshalb erahnen, was er wirklich will: Die Debatte um ihn als möglichen Merkel-Nachfolger auskosten, um in Bayern tatsächlich zu dem starken Herrscher aufzusteigen, den er in sich schon immer gesehen hat. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.

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Der gestern von Grünen-Chef Robert Habeck im Morning Briefing Podcast eingebrachte Vorstoß für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen spaltet die Parteienlandschaft in verloren geglaubte Lager: SPD und Linke marschieren gemeinsam mit Grünen für die Geschwindigkeitsbegrenzung, Schwarz und Gelb dagegen. Auch die Kommentatoren sind sich uneins. „Stern“-Kolumnist Frank Schmiechen schreibt:

Warum denkt niemand über intelligente Lösungen nach? Warum muss es immer gleich ein Verbot oder kein Verbot sein?

Und sein Kollege Jens Tartler beim „Tagesspiegel“ kommentiert:

Das Tempolimit hat für die Grünen mehrere Vorteile. Es wäre ein Signal, dass sich nach mehr als zehn Jahren CSU-Verkehrsministern in einer neuen schwarz-grünen Regierung etwas ändern kann – vielleicht sogar mit einem Ressortchef Anton Hofreiter oder erstmals einer Frau in diesem Amt.

Noch deutlicher wird „Welt“-Chef Ulf Poschardt:

Ein einsamer Pferdeflüsterer aus Kiel hat sich entschieden, eine Tempolimit-Debatte vom Zaun zu brechen und zu versprechen, dass ein Tempolimit das Erste sein wird, wenn die Grünen an die Macht kommen. Dieses Projekt lieben die Grünen sehr, weil es den antimodernen Entschleunigungskult gut in ihre populistische Wattierung reinstopfen kann: Zwischen Anti-TTIP-Aktivismus (gemeinsam mit der AfD), dem Homöopathie-Fetisch und jenem gerade bei der Grünen Jugend sehr beliebten Degrowth-Nationalismus.

 © ThePioneer

Im Gespräch auf der Pioneer One signalisierte mir am Dienstag der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans Zustimmung zu einem möglichen Tempolimit auf Autobahnen nach einem Regierungswechsel:

Das wäre ein Angebot, da könnten wir uns zusammensetzen. Wir haben viele Länder, in denen viel Individual-Mobilität da ist. Die leben alle gut damit, dass man einen flüssigeren Verkehr auf den Autobahnen hat, weil man ein Tempolimit hat und damit auch mehr Sicherheit erzeugt. Ich denke, das lässt sich miteinander vereinbaren.

Er wolle sich notfalls auch mit der Autolobby anlegen, so der SPD-Politiker:

Wenn die deutsche Automobilindustrie meint, sie könne Autos nur verkaufen, weil man rasen kann, dann läuft was falsch. Dann müssen wir ein paar Korrekturen anbringen.

Im Podcast-Interview spricht Walter-Borjans über seinen Plan für Europa kurz vor dem EU-Gipfel, höhere Steuern nach der Bundestagswahl und die Frage, ob er sich mit einem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz anfreunden kann.

Der letzte Diktator Europas regiert seit 26 Jahren ungestört gerade einmal gut tausend Kilometer entfernt von Berlin: Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko. Am 9. August möchte sich der 65-Jährige seine sechste Amtszeit bestätigen lassen.

 © dpa

Es scheint seit gestern ein leichteres Unterfangen: Den aussichtsreichsten Oppositionskandidaten Viktor Babariko hat Lukaschenko von der Wahl kurzerhand ausgeschlossen. Am Dienstagabend gingen viele junge Minsker auf die Straße, protestierten, verschickten Videos von Zusammenstößen mit der Polizei. Es ist die Generation, für die der Westen so nah und doch so fern ist und die nur einen Herrscher kennt: Es ist Lukaschenko.

Dessen Blick richtet sich derweil nach Osten. 2019 bezog Weißrussland sein gesamtes Gas aus Russland, dazu 82 Prozent der Ölimporte. Die Abhängigkeit im Energiesektor ist die ewige Umklammerung durch den mächtigen Nachbarn.

Eine Infografik mit dem Titel: Ein Land schrumpft

Bevölkerung in Weißrussland während der Amtszeit von Präsident Alexander Lukaschenko, in Millionen, Rückgang in Prozent

Fazit: Die ökonomische Abhängigkeit macht es Weißrussland nahezu unmöglich, sich von Russland zu lösen und einen eigenen Weg Richtung EU einzuschlagen. Und Europa interessiert sich kaum für das Land und die zarten demokratischen Bemühungen, die immer wieder niedergeschlagen werden. Es ist eine Schande, die sich wiederholt. Gerade in diesen Tagen.

Die parlamentarische Sommerpause hat begonnen, bis September steht das politische Leben in Berlin (fast) still. In den kommenden Wochen wird unser Hauptstadt-Newsletter Sie jeden Freitag mit den News aus Berlin versorgen. In der Zwischenzeit möchte meine Kollegin Alev Doğan Sie immer montags und mittwochs durch die Woche führen. Sie wird Ihnen von den Reportagen und Analysen erzählen, die wir für Sie auf ThePioneer.de vorbereitet haben.

Heute zum Beispiel diese bewegende Begegnung mit dem palästinensischen Flüchtlingsmädchen Reem Sahwil, das einst die Bundeskanzlerin aus dem Konzept brachte.

Die Gehälter in den Chefetagen der 30 wichtigsten börsennotierten Unternehmen schrumpften im vergangenen Jahr um 0,3 Prozent. Die Vorstände können dennoch weiter sorgenfrei leben, wie eine Gehaltsstudie der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und der TU München zeigt. Im Schnitt verdienten die Topmanager noch immer das 49-fache ihrer Mitarbeiter.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Spitzenverdiener im Dax

Platz eins bis zehn der Dax-Vorstandschefs mit den höchsten Vergütungen im Jahr 2019, in Milliarden Euro

Spitzenreiter war im vergangenen Jahr ausgerechnet der zuletzt stark in die Kritik geratene VW-Vorstandschef Herbert Diess. Er verdiente 2019 9,9 Millionen Euro. Zuvor war noch der mittlerweile ausgeschiedene SAP-Chef Bill McDermott mit 15 Millionen Jahreseinkommen Spitzenverdiener.

► Den zweiten Platz sicherte sich Stefan Oschmann, Chef des Pharmakonzerns Merck, mit 8,5 Millionen Euro, gefolgt von Siemens-CEO Joe Kaeser, der auf ein Jahreseinkommen von 7,2 Millionen Euro kam.

► Deutsche Vorstandsgehälter dürften US-Manager bestenfalls müde zum Lächeln bringen. Elon Musk, Chef von Tesla, brachte es mit geschätzten Einnahmen von 595 Millionen Dollar auf Platz 1 der US-Spitzenverdiener, gefolgt von Apple-Chef Tim Cook (134 Millionen Dollar). Musk und Cook dürften sich kaum daran stören, dass der variable Anteil ihres Einkommens höher ist, als in Deutschland.

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Die großen Banken eröffnen traditionell den vierteljährlichen Bilanzreigen der US-Unternehmen. Sie sind wichtige Wegweiser dafür, wie hart die Pandemie die Konjunktur trifft. Dabei zeigt sich: Die Angst vor drohenden Kreditausfällen ist weiter enorm.

► Die größte US-Bank JPMorgan Chase hat im zweiten Quartal starke Abstriche wegen der Corona-Pandemie machen müssen. Trotzdem strich der US-Branchenführer noch einen Gewinn ein, von dem die meisten anderen Unternehmen nur träumen können. JPMorgan verdiente knapp 4,7 Milliarden Dollar (rund 4,1 Milliarden Euro) und damit etwa halb so viel wie im entsprechenden Vorjahreszeitraum.

Das Geldinstitut verbuchte zwar eine zweistellige Milliardenbelastung wegen drohender Kreditausfälle, konnte die Krise bislang aber insgesamt gut abfedern. Positiv überraschten die Erträge, die im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent auf fast 34 Milliarden Dollar zulegten.

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► Deutlich schlechter erging es dem Rivalen Wells Fargo, der wegen der Corona-Pandemie den ersten Quartalsverlust seit der Finanzkrise vor über zehn Jahren erlitt. Unterm Strich büßte Wells Fargo in den drei Monaten bis Ende Juni nach eigenen Angaben 2,4 Milliarden Dollar (2,1 Milliarden Euro) ein. Hohe Rückstellungen für Kreditausfälle drückten die Bilanz ins Minus. Die Erträge brachen insgesamt um über 17 Prozent auf 17,8 Milliarden Dollar ein.

Milliardenschwere Puffer gegen Kreditausfälle in der Krise haben auch die Citigroup erneut stark belastet. Dennoch schaffte die Großbank im zweiten Quartal erneut einen Milliardengewinn. Der Überschuss sackte im Vergleich zum Vorjahr zwar um 73 Prozent auf 1,3 Milliarden Dollar (1,1 Milliarden Euro) ab.

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Die Corona-Pandemie trifft Florida besonders hart. Mit mehr als 15.000 Neuinfektionen binnen eines Tages stellte der republikanisch regierte US-Bundesstaat zuletzt einen traurigen Rekord auf.

Als gäbe es kein Virus, will Donald Trump an seinem Nominierungsparteitag in der Corona-Krisenregion festhalten. Sein Wahlkampfkomitee hat eine Mehrzweckhalle in Jacksonville angemietet, wo er vom 24. bis 27. August erneut zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt werden soll.

Es ist ein absurder Plan: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter Tausenden oder gar Zehntausenden Besuchern auf engstem Raum das Corona-Virus ausbreitet, ist enorm hoch. Donald Trump hat die Ignoranz gegenüber der Pandemie zum politischen Markenzeichen gemacht – doch zunehmend überholt ihn die Realität von Millionen Infizierten und Zehntausenden Toten in den USA.

Eine Infografik mit dem Titel: Biden klar vor Trump

Wer sollte die Präsidentschaftswahl 2020 gewinnen? Durchschnittliche Werte von nationalen Umfragen, in Prozent

Lange Zeit schien Trump machen zu können, was er wollte – doch seine Wahlchancen sanken nicht. In der Corona-Krise, eigentlich die Zeit der Regierung, ändert sich das. Gegen die Realität einer Notlage kommt die Verschwörungstheorie eben nicht an – sie funktioniert am besten im sorgenfreien Wohlstand.

Trumps stümperhaftes Management der Krise könnte ihn am Ende die Präsidentschaft kosten. Oder, um es mit Thomas Jefferson, einem der Gründerväter der USA zu sagen:

Hochmut kostet mehr als Hunger, Durst und Kälte.

Donald Trump könnte schon bald ein Stück Geschichte sein, das sich selbst erledigt hat. Im demokratischen Wechsel stecken immer Chancen, aber gerade für die USA gilt das in dieser Zeit. Menschenrechte, Multilateralismus, politische Kultur: Auch aus europäischer Perspektive könnte 2020 etwas unerwartet zum Moment des US-amerikanischen Aufbruchs werden. Was für Nachrichten in einem Jahr, das wir womöglich zu früh als Krisenjahr abgeschrieben haben.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen, ruhigen Tag.

Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Ex-Stellvertretender Chefredakteur The Pioneer

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