die drei Brüder Alexander, Oliver und Marc Samwer liefern den Beweis: Die Deutsche Börse ist krank und die mit ihrer Aufsicht betrauten Persönlichkeiten – der Finanzminister, der BaFin-Chef und die Vorstände der Deutschen Börse AG – scheinen von der Schlafkrankheit befallen. Nach dem Wirecard-Skandal, wo sich unter ihren Augen ein Dax-Konzern in Luft auflöste, werden die Anleger des einstigen MDax-Stars Rocket Internet nun ebenfalls einen Milliardenschaden erleiden.
Sechs Jahre nach dem glamourösen Börsengang der Brüder zieht sich das Berliner Start-up von der Börse zurück. Ein kaltschnäuziger CEO Oliver Samwer sagte gestern, man sei zu dem Schluss gekommen, dass Rocket Internet „den Kapitalmarkt nicht länger nötig“ habe.
© dpaDas bedeutet: Den Aktionären bietet man den Rückkauf ihrer Wertpapiere zum gesetzlichen Mindestkurs an, der nach Berechnungen des Unternehmens bei 18,57 Euro je Aktie liegt. Zur Erinnerung: Im Oktober 2014 haben J.P. Morgan, Morgan Stanley und Berenberg Bank die Aktie zu 42,50 Euro im Markt platziert. Der ursprünglich unterstellte Unternehmenswert von 6 Milliarden Euro ist nunmehr verdampft. Reich geworden sind die Banken und die Samwer-Brüder.
© dpaZwischenzeitlich hat man unter dem Dach von Rocket Internet noch Firmen wie Delivery Hero herangezüchtet und in die Eigenständigkeit entlassen. Der Pizza-Bestellservice, bei dem die Verluste schneller wachsen als die Umsätze, ist mittlerweile als würdiger Wirecard-Nachfolger im Dax platziert. Wenn es nicht die Wahrheit wäre, wäre es eine Posse.
Kurt Tucholsky hat den legalen Betrug der Samwer-Brüder nicht gekannt, aber gedanklich vorempfunden:
Nur der Unbegabte stiehlt, der Kluge macht Geldgeschäfte.
Das amerikanische Zeitalter geht in die Verlängerung. Es wird diesmal nicht militärisch oder politisch, sondern digital begründet. Im kalifornischen Silicon Valley und im weiter nördlich gelegenen Seattle sind monopolartige Unternehmen herangewachsen, die den Wettbewerb im Westen derart dominieren, dass sie ihn im Grunde verhindern. Vier Unternehmen manifestieren die amerikanische Überlegenheit:
Google ist zu einem Synonym für das Auffinden von Informationen im Internet geworden. Der US-Konzern dominiert den Markt der Suchmaschinen: Im Juli liefen rund 70 Prozent der Desktop-Anfragen über Google, bei den Smartphones waren es sogar über 94 Prozent.
Eine Infografik mit dem Titel: Amazon beliefert Deutschland
Anteil am Gesamtumsatz des deutschen Online-Handels im Jahr 2019, in Prozent
Amazon kontrollierte im vergangenen Jahr rund 52 Prozent des Online-Handels in den USA und 48 Prozent des Online-Handels in Deutschland. Durch die Corona-Pandemie sind Körperlichkeit und Nähe verpönt und zum Teil auch verboten, weshalb Amazon immer schneller wächst. Diese Firma sei wie gebaut für eine Pandemie, sagt Lloyd Walmsley, Analyst der Deutschen Bank.
Eine Infografik mit dem Titel: Facebook dominiert Social-Media-Welt
Marktanteile einzelner Plattformen nach Seitenabrufen weltweit von April 2019 bis Juni 2020, in Prozent
Das Online-Netzwerk Facebook hat sich durch Übernahmen von Instagram und WhatsApp im Social-Media-Geschäft zum kommunikativen Giganten einer Generation entwickelt. Gründer Mark Zuckerberg ist mit seinen weltweit rund 2,4 Milliarden monatlich aktiven Nutzern, die pro Tag rund 37 Minuten bei ihm verbringen, der Herrscher der Filterblase. Der Jahresgewinn 2019 betrug 18,5 Milliarden US-Dollar.
Auch Apple konnte das Coronavirus nichts anhaben. Nach dem krisenbedingten Tiefstand im März dieses Jahres hat die Aktie – zu Wochenbeginn gab es einen Aktiensplit im Verhältnis 4 zu 1 – um fast 140 Prozent auf 134 US-Dollar zugelegt. Der iPhone-Konzern wird von der Börse mit derzeit 2,3 Billionen Dollar bewertet.
Über die amerikanische Herausforderung, die für viele Unternehmen in Europa mittlerweile eine Bedrohung ist, hat sich mein Kollege Michael Bröcker mit der Vizepräsidentin der EU-Kommission und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager unterhalten.
Die Frau, die der „Economist“ wegen ihres scharfen Widerstands gegen die Steuerpraktiken der großen Tech-Konzerne mal als „Giant Killer“ bezeichnet, will auch weiterhin die Plattform-Giganten mit Regulierung bekämpfen. Vestagers Botschaft an die Tech-Giganten ist die einer überzeugten Ordoliberalen. Marktwirtschaft und Freiheit gehen einher mit Verantwortung.
Sie sind mehr als willkommen, um erfolgreich zu sein. Wir gratulieren ihnen. Aber wenn sie erfolgreich und groß werden, bekommen Sie natürlich auch eine besondere Verantwortung. Und das versuchen wir in der Gesetzgebung umzusetzen. Beginnend im nächsten Jahr mit dem sogenannten Digital Services Act.
Das Gesetz, das im kommenden Jahr beschlossen werden soll, soll eine Art europaweites Grundgesetz für Plattformen werden. Inhalte, Daten, Aufsicht. Einheitliche Regeln für den digitalen Binnenmarkt Europas.
Eine Zerschlagung, wie es US-Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris vorschlägt, sieht Vestager skeptisch.
Es kann sehr schwierig sein, dies zu tun. Und es kann sehr, sehr lange dauern.
Fazit: Auf diese Frau sollten die US-Tech-Konzerne achten. Margrethe Vestagers Feindbild ist eine „The-winner-takes-it-all-Society“. Die Plattformgiganten streben genau danach.
So routiniert wie die Damen bei Douglas Parfüm versprühen, versprüht Peter Altmaier seinen hauseigenen Optimismus. Er sagte Sätze, die positiv klingen und zugleich politisch risikofrei sind:
Die Talsohle ist durchschritten.
Angesichts des tiefen Falls der deutschen Volkswirtschaft im staatlich verfügten Lockdown – minus 10,1 Prozent im zweiten Quartal – ist ein weiterer Leistungsabfall in der Tat kaum vorstellbar.
Es ist uns gelungen, die Substanz unserer Wirtschaft und unserer Arbeitsplätze zu erhalten.
Alles andere wäre ein halbes Jahr nach Beginn der Pandemie auch verstörend. Die Firmen besitzen in Deutschland zum Teil beachtliche Kapitalpolster. Allerdings: Diese Aussage ist eine Momentaufnahme, die schon im kommenden Sommer für viele Einzelhändler, Gastronomen und Kulturbetriebe nicht mehr gelten dürfte. Ihre Liquiditätspolster schrumpfen derzeit schneller als ein erkaltendes Souffle.
Der Aufschwung geht schneller und dynamischer, als wir es zu hoffen gewagt hatten.
Die Bundesregierung geht nun davon aus, dass das BIP in diesem Jahr um 5,8 Prozent sinkt. Zuvor hatte man mit einem Minus von 6,3 Prozent gerechnet. Die Differenz ist eine Schätzgröße, die dem politischen und nicht dem ökonomischen Kalkül unterliegt.
© dpaWie brenzlig es um den Einzelhandel steht, zeigen die Wachstumskurven von Amazon, Otto, Zalando und DHL Group. Wie prekär es im Kulturbetrieb zugeht, zeigt die Insolvenz von Columbia Artists Management, 80 Jahre lang die wichtigste Agentur für klassische Künstler. In jüngster Vergangenheit koordinierte sie die Konzerte von Anne-Sophie Mutter, Maurizio Pollini und dem Leipziger Gewandhausorchester.
Eine Infografik mit dem Titel: Gravierende Verluste
Finanzielle Einbußen der Kulturbranche durch Corona, in Prozent
Auch in Deutschland steht die Branche bedenklich nah am Abgrund. Mit tränenerstickter Stimme schilderte der Schauspieler Jan Josef Liefers jüngst bei BILD TV die eigene Erfahrung. Dabei ging es um Christian Adameit, den Bassisten seiner Band Radio Doria:
© imagoEr hat wieder im Straßenbau angefangen zu arbeiten. Das finde ich irre. Er ist so ein guter Musiker. Er soll sein Instrument spielen können.
Fazit: Der Optimismus des Wirtschaftsministers ist Frohsinn auf Kredit. Er muss erst noch verdient werden.
Noch mal geht es um Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Er wird dieser Tage einen Mahnbrief von mehr als acht Wirtschaftsverbänden in seinem Eingangskörbchen finden. Darin beschweren sich die Vertreter von Handel, Industrie, Autowirtschaft und Maschinenbau über eine EU-Datenbank, die immensen bürokratischen Aufwand mit sich bringt.
Jedes Werkstück, jede Schraube, die Schadstoffe enthält und die ein Unternehmen für seine Produktion weltweit einsetzt, muss ab 2021 detailliert in eine europaweite Datenbank eingetragen werden. Das soll ein ordnungsgemäßes Recycling der Produkte ermöglichen. Das Problem ist nur: Der Aufwand ist hoch, die Befürchtung ist, dass die Konkurrenz Einblick in Produktionsstrukturen und Lieferketten bekommt. Die in der Krise gebeutelten Unternehmen werden gegängelt.
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US-Präsident Donald Trump hat seinen demokratischen Rivalen Joe Biden scharf angegriffen und ihm vorgeworfen, er werde von dunklen Mächten kontrolliert. In einem Interview mit Fox News sagte Trump:
Er ist ein schwacher Mensch, er war sein ganzes Leben lang schwach (...). Er sollte nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren.
In dem Gespräch brachte Trump verschwörerische Verbindungen ins Spiel. Biden und die Protestbewegung würden von Menschen manipuliert, die im Verborgenen agierten. Auf die Frage, wen er damit meine, antwortete er:
Leute, von denen man noch nie gehört hat. Leute in einer dunklen Schattenwelt.
Fazit: Der amerikanische Wahlkampf tritt in seine düstere Phase.
Nach der Sondersitzung des Finanzausschusses sprechen sich nun auch die Grünen für einen Wirecard-Untersuchungsausschuss aus. Meine Kollegin Franziska von Haaren hat mit Lisa Paus, der finanzpolitischen Sprecherin der Grünen, gesprochen. Ihre Begründung für den Kurswechsel:
© dpaDie Bundesregierung hat blockiert, sie hat uns nur scheibchenweise Informationen gegeben. Mit den bisherigen Instrumenten kommen wir nicht wirklich voran.
Neben Olaf Scholz dürfte auch ein potenzieller Kanzlerkandidat der Union auf der Befragungsliste stehen. „Ich will auch Herrn Söder hier sehen“, sagte Fabio De Masi, Finanzpolitiker der Linken. Der Hintergrund: Eine Verdachtsmeldung der Anti-Geldwäsche-Einheit des Zolls zu Wirecard ist bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in München versandet. Auch Lisa Paus spricht sich für einen Söder-Auftritt aus:
Im Zusammenhang mit Wirecard hat die Situation in Bayern eine relevante Rolle gespielt. Da ist definitiv nicht alles rund gelaufen, zum Beispiel beim Thema Geldwäsche. Deshalb wird die Rolle Bayerns Teil des Untersuchungsausschusses sein.
Heute Morgen können alle Pioneers auf unserer Webseite kostenlos einen neuen Text aus meinem Buch „Die unbequeme Wahrheit. Rede zur Lage unserer Nation“ lesen. Dieses Mal geht es um die Rolle der Medien bei der Entkräftung der Gesellschaft:
Die heutigen Medien funktionieren als apokalyptische Reiter, sie erregen dich, sie kuratieren deine Gefühle, sie beuten deinen Hoffnungsvorrat aus, bis nur noch Spurenelemente davon vorhanden sind.
Die Tatsache, dass Schlagzeilen und Wirklichkeit seit jeher in einem Spannungsverhältnis zueinander gestanden haben, relativiert das Unwohlsein, aber hebt es nicht auf.
Die für dein künftiges Leben relevanten Parameter, mein Freund, werden im öffentlichen Diskurs hingegen kaum berührt. Es ist leichter, den Metzger Tönnies ans Kreuz zu schlagen, als unser Bildungssystem neu zu denken. Komplexität hat sich für den medialen Verdauungsvorgang als nicht förderlich erwiesen, weshalb die Botenstoffe der Nachdenklichkeit im Vorweg ausgeschieden werden.
Heute früh hat das Pioneer-Team übrigens den Trailer zum Buch auf YouTube hochgeladen. Sie finden den rund vier Minuten langen Film nach einem Klick auf diesen Link.
Und die gute Nachricht zum Schluss: Aufgrund der hohen Nachfrage für unser Leser-Event zum Buch, bei dem wir bisher nicht alle Interessenten berücksichtigen konnten, haben wir einen Zusatztermin für die Pioneers organisiert. Am Freitag, den 25. September um 17 Uhr fahren wir los. Boarding Pässe erhalten Sie über unseren Ticket-Shop auf ThePioneer.de. Und wenn das immer noch nicht reicht, fahren wir bis zur Vereisung der Spree weiter. Versprochen!
© The PioneerIch wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr