so paradox es klingt: Aber über die Frage „Wer wird Kanzler?“ entscheidet diesmal womöglich gar nicht das politische Angebot. Denn das weist kaum Unterschiede auf. Links und rechts sind diesmal keine Kategorien. Wer bei SPD oder CDU glaubt, ein Profil entdeckt zu haben, leidet an Halluzinationen. In Wahrheit tritt hier der Wackelpudding gegen den Badeschwamm an.
Wir sind Zeitzeuge eines Wahlkampfes ohne Kampf. Man redet, aber sagt nichts. Man zeigt sich, aber gibt sich nicht zu erkennen. Die Kontrahenten bevorzugen auch untereinander den Kammerton. Olaf Scholz gibt sich – wie Armin Laschet auch – als Merkel-Erbe aus. Das bedeutet zweierlei: keine Panik und keine Ambition.
Wenn aber die politischen Profile nicht die Wahl entscheiden, was dann? Darauf haben die Strategen der Parteien eine schlüssige Antwort, die sie aus den USA importiert haben. Diese Wahlen entscheidet der „Bandwagon-Effekt“.
Der Bandwagon ist im Englischen der bunt geschmückte Festwagen, der die Musikkapelle durch die Straßen fährt. Zu deren Klängen läuft das Volk nebenher, weshalb der hier in Rede stehende Mechanismus im Deutschen Mitläufereffekt genannt wird.
Und da die Musik derzeit bei der SPD spielt, deren Kandidat die einzige Aufsteigerstory dieser Saison bietet, hat sich eine bunte Schar von Mitläufern in Bewegung gesetzt. Mit jedem Tag wird der Mann auf dem Wagen schöner, klüger und markanter. Zumindest in den Augen der Mitläufer, die vor allem eines eint: Sie wollen da sein, wo die Musik spielt.
So erzählt denn der ARD-DeutschlandTrend die wundersame Geschichte einer Verwandlung. Nicht der Kandidat Olaf Scholz hat sich gewandelt. Wohl aber der öffentliche Blick auf ihn:
„Wer besitzt die größte Kompetenz, wenn Sie Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock miteinander vergleichen?“, lautete die Frage. Die Antwort des Volkes: Eine Mehrheit von 55 Prozent vermutet bei Scholz die geballte Kompetenz. Danach kommt lange nichts. Erst nach dem Nichts folgt Laschet mit 14 Prozent, Baerbock läuft mit sieben Prozent außer Konkurrenz.
Eine Infografik mit dem Titel: Scholz, der Kompetente
Antwort auf die Frage „Welcher Kandidat hat die größte Kompetenz?“, in Prozent (Vergleichszahlen liegen nicht vor)
Plötzlich wärmt der Mann auf dem Bandwagon, der gestern noch als kalt galt, den Deutschen sogar das Herz. 42 Prozent sagen, er ist von allen Kandidaten der sympathischste. Das sind 24 Punkte mehr als im Mai 2021.
Eine Infografik mit dem Titel: Scholz, der Sympathische
Antwort auf die Frage „Welcher Kandidat ist am sympathischsten?“ und Vergleich zu Mai 2021, in Prozent
Und siehe da: 43 Prozent finden den Mann jetzt auch am glaubwürdigsten, ein Plus von 21 Punkten. Kurz nach Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur im Mai hatte Baerbock noch den Glaubwürdigkeits-Contest für sich entschieden.
Und auch in der Königsdisziplin, der Zumessung von Führungsstärke, kann Scholz plötzlich punkten. 53 Prozent finden ihn jetzt so richtig führungsstark. Das waren im Frühjahr noch deutlich weniger.
Eine Infografik mit dem Titel: Scholz, der Führungsstarke
Antwort auf die Frage „Welcher Kandidat ist am führungsstärksten?“ und Vergleich zu Mai 2021, in Prozent
Fazit: Auf Laschet wartet in den kommenden Wochen die schwierigste aller Aufgaben. Er muss vom Politiker zum Schauspieler werden. Er darf sich seinen Frust nicht anmerken lassen. Der Philosoph Karl Jaspers wusste, warum:
Die Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage.
Heute unternimmt der Unions-Kandidat einen Ausbruchsversuch aus seiner misslichen Lage. Er stellt nachher im Adenauer-Haus acht Persönlichkeiten vor, die er „Zukunftsteam“ nennen wird. Aber vor allem sollen sie in der Gegenwart seine Kampagne retten.
© dpaMit dem Musikmanager Joe Chialo und dem Terrorismusexperten Peter R. Neumann bringt Laschet zwei spannende Seiteneinsteiger auf die politische Bühne, mit der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Silvia Breher eine zumindest ungewöhnliche Politikerin, die das Gegenteil eines Apparatschiks ist.
Unser Hauptstadt-Team konnte vorab einen Blick auf Laschets Besetzungsliste werfen. Pioniere wissen mehr.
Wer nach den Gründen für den betulichen Wahlkampf sucht, der muss nur ins Grundgesetz schauen. Der Parlamentarische Rat verordnete dem Land ein Verhältniswahlrecht, das die Macht parzelliert und die Koalitionsregierung zur Normalität erhebt. Das aber bedeutet: Die Wahlkämpfer von gestern sind oft die Kabinettskollegen von morgen.
© imagoDie Grobheiten des US-amerikanischen Wahlkampfes – Trump über Clinton: „Putin hat keinen Respekt vor dieser Person“; Biden über Trump: „Er ist ein Rassist“ – kann sich hierzulande keiner leisten. Armin Laschet darf die Grünen kritisieren, aber nicht beleidigen. Er wird ohne Annalena Baerbock niemals Kanzler. Auch Olaf Scholz kann es ohne die Grünen nicht schaffen. Und wenn es ganz dumm läuft – wie nach der Bundestagswahl 2017 – müssen sogar SPD und CDU wieder miteinander koalitionsfähig sein.
© imagoDie FDP bedarf in diesem Wahlkampf der besonderen Pflege. Parteichef Christian Lindner ist der Mann, den die abgemagerten Volksparteien rechts und links der Mitte gut werden brauchen können. Ohne die FDP ist nach jetzigem Stand keine Mehrheitsbildung möglich. Das bedeutet: Der Liberale wird nicht attackiert, sondern hofiert. Das muss für die Zeit, die vor uns liegt, keine schlechte Nachricht sein.
Eine Infografik mit dem Titel: Scholz als Kanzler
Die Ampel-Koalition mit Olaf Scholz als Kanzler nach aktuellen Umfragewerten*, in Prozent
Eine Infografik mit dem Titel: Laschet als Kanzler
Die Jamaika-Koalition mit Armin Laschet als Kanzler nach aktuellen Umfragewerten*, in Prozent
Fazit: Es wird nicht gekämpft, es wird taktiert. Aus Sicht der Medien ist das langweilig, aus Sicht der Wahlkämpfer klug.
Deutschlands unsinnigster Streik läuft seit gestern in der dritten Runde. Bis Dienstag, zwei Uhr morgens, werden die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihre Arbeit aller Voraussicht nach niederlegen. Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick:
Das am Mittwoch von der Bahn vorgebrachte Angebot hatte GDL-Chef Claus Weselsky erst als „das beste aller Zeiten“ gelobt und dann am gestrigen Morgen umgehend abgelehnt.
Dabei kam die Bahn den Streikenden beachtlich entgegen: 3,2 Prozent Lohnerhöhung und eine Corona-Prämie von bis zu 600 Euro soll es geben. Bahn-Personalvorstand Martin Seiler:
© dpaWir erfüllen zentrale Forderungen der GDL. Es gibt jetzt erst recht keinen Grund mehr für einen Streik. Kommen Sie nun endlich an den Verhandlungstisch!
Doch den meidet die GDL-Spitze und auch auf die angebotene Hilfe eines Schlichters wird verzichtet. Daher greift die Bahn-Führung jetzt zu rechtlichen Maßnahmen.
Gestern Abend entschied das Arbeitsgericht Frankfurt über die Rechtmäßigkeit der Arbeitsniederlegung – zu Gunsten der Gewerkschafter. Der Streik geht weiter. Die Bahn als Unternehmung bleibt verkehrt gereiht.
Bei der diesjährigen Bundestagswahl werden den Bürgern 47 unterschiedliche Parteien angeboten. Abhilfe bei der Navigation durch diesen Parteien-Dschungel liefert der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung. Ab heute können Sie auf wahl-o-mat.de 38 Thesen beantworten, anhand derer sich die Partei errechnet, die den eigenen politischen Meinungen am nächsten steht. Alles kann man heute offenbar outsourcen, auch das Nachdenken.
Der ehemalige Sicherheitsberater von Kanzlerin Angela Merkel, Brigadegeneral a. D. Erich Vad, hat zeitlebens im Hintergrund die Politik beeinflusst. Ins Rampenlicht drängte er nie.
Doch die Ereignisse von Afghanistan haben Vad aufgerüttelt. Zu viele Fehler, zu viele schwerwiegende Versäumnisse seien geschehen, sagt er. Welche, das hat der einst höchstrangige Militär im Kanzleramt in einem Gastbeitrag für ThePioneer aufgeschrieben. Prädikat: schonungslos.
Bei einem Treffen im Weißen Haus hat Joe Biden dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ein „Sicherheits-Hilfspaket“ zur Verteidigung gegen Russland in Höhe von 60 Millionen Dollar zugesichert. In dem Hilfspaket sind Panzerabwehrraketen und andere Rüstungsgüter enthalten. Laut Angaben des Weißen Hauses beläuft sich die Unterstützung der US-Amerikaner für die ukrainischen Sicherheitskräfte seit 2014 auf 2,5 Milliarden Dollar.
Jetzt kann man nur hoffen, dass diese Waffen nicht – wie in Afghanistan geschehen – eines Tages kampflos an den Gegner fallen. Putin könnte eine kleine Modernisierung seiner Arsenale gut gebrauchen.
Adrian Geiges kennt China nicht aus der Zeitung, sondern aus dem eigenen Erleben. Ab dem Jahr 2000 baute er das Bertelsmann-Geschäft in China mit auf. Von 2004 bis 2008 war er Asien-Korrespondent des „Stern“ mit Sitz in Peking. Er hat Chinesisch studiert und spricht daher Mandarin.
Über China hat er insgesamt sieben Bücher publiziert. Sein Neuestes entstand zusammen mit Stefan Aust. „Xi Jinping – der mächtigste Mann der Welt“ gilt als erste umfassende Biografie Xi Jinpings, dem Mann an der Spitze der wirkmächtigsten kommunistischen Diktatur der Weltgeschichte.
Welches Privatleben er führt, was ihn mit Mao verbindet, welche Ambition sich hinter seinen Handlungen verbirgt und wie er über Amerika und die westlichen Werte denkt: Das alles habe ich mit Adrian Geiges für den Morning-Briefing-Podcast besprochen. Für Geiges ist Xi Jinping nicht nur ein Präsident:
© dpaEr ist eindeutig ein Diktator.
Jedoch ein Diktator, der großen Rückhalt in der Bevölkerung genießt – auch weil er die Kunst der Propaganda perfektioniert:
Personenkult hat bei Xi Jinping eine ganz neue Dimension erlangt, weil er mit den heutigen digitalen Mitteln funktioniert. Es gibt zum Beispiel eine in China sehr verbreitete Xi Jinping App. Da wird genau notiert, wann man auf der App Texte von Xi Jinping studiert. Und man bekommt Pluspunkte, wenn man das in der Nacht macht.
Xi Jinpings Machtanspruch – sagt Geiges – endet nicht an den Grenzen Chinas:
Er hat sich vorgenommen, zu seinen Amtszeiten Taiwan für China zurückzuholen.
Fazit: Im besten Fall ist dies ein Interview. Im schlimmsten Fall eine düstere Prophezeiung.
ABBA ist wieder vereint. Die Schweden gelten als eine der erfolgreichsten Popgruppen der Geschichte: Über 400 Millionen Mal haben sich die Alben der Band verkauft, die Mitglieder besitzen Vermögen im dreistelligen Millionenbereich. Zu diesem Erfolg haben Mega-Hits wie „Mamma Mia“, „Dancing Queen“, „Fernando“ und „Waterloo“ beigetragen.
© dpaAm gestrigen Abend kündigten die Mitglieder von ABBA – die mittlerweile zusammen 296 Jahre alt sind – ihr Comeback an. Aber – und das ist der Clou – sie kommen als digitale Klone zurück, verjüngt und revitalisiert dank moderner Digitaltechnik. In einem eigens dafür gebauten Theater in London soll dann die neue Show anlaufen – mit einem zehnköpfigen Orchester und vor echtem Publikum. Nur ABBA fehlt. Ein Comeback ohne Come.
© imagoIch wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr