das alte Drama in neuer Besetzung: Die Virusvariante Omikron erobert von Südafrika aus die Welt. Die Weltgesundheitsorganisation hat diese Variante als „besorgniserregend“ eingestuft, als wenn es dieser Klassifizierung noch bedurft hätte.
Die neue Variante – das sagen die Virologen – ist die Mutation der Mutation der Mutation und enthält 30 signifikante Veränderungen am sogenannten Spike-Protein, also der nach außen ragenden Virushülle, die sich mit den menschlichen Körperzellen verbindet.
Die Aufregung in der deutschen Innenpolitik ist auch deshalb so groß, weil die neuerliche Steigerung der pandemischen Tragödie auf eine Regierung trifft, die erst kürzlich abgewählt wurde. Die neue Regierung aber wurde bisher nicht vereidigt. Die vierte Welle des Infektionsgeschehens geht also einher mit einem rasenden Stillstand in Berlin. Die politischen Lieferketten sind unterbrochen.
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Ein großes Gesause und Gebrause ist die Folge, in das sich gestern auch der Bundespräsident einmischte – mit dem wohlfeilen Rat, die Bürger mögen trotz der Verlockungen von geöffneten Clubs, duftenden Weihnachtsmärkten, Fußballspielen, Konzerten und Warenhäusern die Kontakte untereinander herunterfahren. Der private Lockdown, davon träumt man in Schloss Bellevue, möge die fehlende staatliche Vorgabe ersetzen.
Eine apathisch gewordene Merkel-Regierung schaut auf das Armaturenbrett der Pandemie. Und was sie da sieht, scheint die Apathie zur Lähmung zu steigern. Ungebremst durch die Politik und befeuert durch die neue Variante rast die vierte Welle durchs Land. Das sind die Fakten:
Eine Infografik mit dem Titel: Infektionen: Die vierte Welle
Täglich gemeldete Neuinfektionen mit dem Coronavirus (COVID-19) in Deutschland seit März 2020
Die Zahl der täglichen Fälle einer Omikron-Infektion hat sich in Südafrika seit Dienstag mehr als verdreifacht; am Freitag wurden 2.828 Fälle registriert.
Eine Infografik mit dem Titel: Omikron: Die neue Variante
Anteil der Covid-19 Infektionen nach Varianten in Südafrika seit Auftauchen der jeweiligen Variante, in Prozent
In Europa wurden bislang etwa in den Niederlanden 13 Omikron-Fälle nachgewiesen, in Deutschland haben drei Personen den Virus aus Südafrika mitgebracht. Die Dunkelziffer kennt kein Mensch, da die Labors von sich aus gar nicht danach suchen.
Für die Übertragbarkeit und den Krankheitsverlauf von Omikron liegen noch keine verlässlichen Erkenntnisse vor. Die gute Nachricht: Die neue Variante wurde früher entdeckt als Delta am Anfang des Jahres. Wissenschaftler und Impfstoffentwickler sind daher zuversichtlich, effizienter reagieren zu können.
Allerdings: Die Wirksamkeit des bisherigen Impfstoffes schwindet, mit und ohne Omikron. Laut der vom RKI geschätzten Impfeffektivität – das ist der Anteil vollständig Geimpfter unter den COVID-19-Fällen, verrechnet mit dem Anteil vollständig Geimpfter in der Bevölkerung – schützte die Impfung in den vergangenen vier Wochen die Altersgruppe 18-59 Jahre nur noch zu rund 68 Prozent und in der Altersgruppe ab 60 Jahre zu etwa 65 Prozent vor einer symptomatischen Erkrankung.
Eine Infografik mit dem Titel: Impfeffektivität: Schutz schwindet
Impfeffektivität* beim Schutz vor symptomatischen Erkrankungen mit COVID-19 nach Altersgruppen, in Prozent
Das Geschehen auf den Intensivstationen ist aus zwei Gründen besorgniserregend: Erstens haben viele Beschäftigte den Krankenhausbetrieb verlassen – die bayerische Landesregierung ruft nun Medizinstudenten zum Einsatz in den Kliniken auf – sodass weniger Intensivbetten zur Verfügung stehen als zuvor. Und zweitens werden – siehe oben – immer neue Impfdurchbrüche verzeichnet, sodass mittlerweile 15,3 Prozent (Altersgruppe 18 bis 59 Jahre) der Intensivbetten mit bereits doppelt Geimpften belegt sind.
Fazit: Der nächste Lockdown steht vor der Tür, aber er hört diesmal auf den Namen „Bundesnotbremse“. Und die Impfpflicht heißt aus Gründen der Camouflage fürs Erste 2-G-Regel, womit nur noch Genesene und Geimpfte im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz willkommen sind.
Wir lernen: Alles kann mutieren, das Virus und auch die Sprache der Politik.
Diskursverweigerung führt zur Erosion demokratischer Praxis, sagt der Philosoph und ehemalige SPD-Kulturstaatsminister Prof. Julian Nida-Rümelin. Er legt in seinem Essay „Die gefährdete Rationalität der Demokratie“ Wert auf die Feststellung, dass Demokratie sich nicht durch das Abstimmungsverfahren, also nicht durch die ritualisierte Erhebung einer Mehrheit über die Minderheit, definieren lässt.
Demokratie setze vielmehr eine „kollektive Form der Rationalität“ voraus:
„Demokratie beruht im Kern nicht auf einer Abstimmungsregel, sondern auf einem Konsens höherer Ordnung“, schreibt er. Und fügt hinzu:
Demokratische Herrschaft ist nur dann legitim, wenn sie mit der individuellen Autonomie der Bürgerinnen und Bürger verträglich ist.
Im heutigen Morning-Briefing Podcast spreche ich mit Prof. Julian Nida-Rümelin – Publizist, Hochschullehrer, Ex-Minister und derzeit stellvertretender Vorsitzende des Deutschen Ethikrats – über den Stresstest für den Liberalismus, sowie die allgemeine Impfpflicht. Nida-Rümelin sagt:
Ich vertrete die kühne Vermutung, dass eine Impfpflicht die gesellschaftliche Lage eher befrieden würde.
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Angesprochen auf das Dilemma, in dem sich die Politik durch ihre frühere Verneinung einer Impfpflicht befindet, zeichnet der Philosoph einen Ausweg:
Ich würde für die Wahrhaftigkeit werben und zu der Wahrhaftigkeit gehört: Wir haben uns geirrt. Wir haben das falsch eingeschätzt.
Zu diesem Eingeständnis gebe es keine Alternative:
Eine 5, 6, 7 Welle hält diese Gesellschaft nicht aus.
Darüber hinaus sprechen wir auch über die philosophische Idee hinter der neuen Dreier-Koalition von Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten, eine Idee, die für Nida-Rümelin erst noch erarbeitet werden muss. Er rät davon ab, das weitere Geschehen einem regierungsamtlichen Pragmatismus zu überlassen.
© dpaDas sei schon bei Gerhard Schröder und seiner „Agenda 2010“ schief gegangen, die politisch-konzeptionell nicht vorbereitet war und von Schröder und der Partei auch nicht nachbereitet wurde.
Die fehlende politisch-philosophische Grundierung jenseits der Tagespolitik habe auch das derzeitige Leiden von CDU und CSU verursacht, das mit der Wahlniederlage nur schmerzhafter geworden sei.
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Als positive Beispiele für eine Koalitionsbildung mit Fundament beschreibt der Philosoph das sozialliberale Bündnis der Jahre 1969 bis 1982, das mit den Partnern Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher stilbildend gewirkt habe.
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Aber es waren nicht die Köpfe allein, sondern die gedanklich-konzeptionelle, man kann auch sagen, die ideologisch-philosophische Vorarbeit, die im Godesberger Programm der SPD (Abschied vom Klassenkampf) und den Freiburger Thesen der FDP (Abkehr vom reinen Wirtschaftsliberalismus) ihren Niederschlag fanden.
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Dahingehend sieht Nida-Rümelin nun in der Ampel-Koalition eine Chance:
Alle Seiten wissen, dass da ein Problem besteht, das nur dadurch behoben werden kann, das man sich über das Verhältnis von Wirtschaft und Sozialem, von Markt und Staat neu austauscht und dieses Verhältnis anschließend neu begründet.
Fazit: Falls die verantwortlichen Politiker in diesen hektischen Tagen Zeit haben, sei ihnen dieser Podcast unbedingt empfohlen. Denn gerade für Gespräche mit Nida-Rümelin gilt: Wer jetzt nicht hören will, muss später fühlen.
Erste innerparteiliche Bewährungsprobe für Olaf Scholz. Am Samstag war der designierte Kanzler beim Bundeskongress der Jusos zu Gast. Mehrere Redner des Parteinachwuchses kritisierten, dass die FDP den finanziellen Spielraum der Regierung durch „die gelbe Null im Finanzministerium“ beschneide.
Olaf Scholz reagierte freundlich, aber klar:
Wenn man sich jemanden sucht, mit dem man skeptisch umgehen will, wäre es ganz gut, wenn es nicht die Leute sind, mit denen ich jetzt gemeinsam auf der Regierungsbank Platz nehmen will.
Mit anderen Worten: Die Jusos sollten sich lieber an CDU, CSU und AfD abarbeiten als an den Koalitionspartnern.
Derweil stellten sich die drei Kandidaten für den CDU-Vorsitz – als da wären die alten Bekannten Friedrich Merz und Norbert Röttgen plus der amtierende Kanzleramtschef Helge Braun – den Fragen des CDU-Parteinachwuchses.
Beim Kräftemessen konnten Mitglieder der Jungen Union entweder vorab oder im Livestream ihre Kritikpunkte und/oder Fragen loswerden.
Friedrich Merz schwörte die Partei auf einen Oppositionskurs ein und stellte sich – diesmal unbeschlipst – den jungen Zuhörern als „Anwalt der jungen Generation“ vor.
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Norbert Röttgen ließ sich von der Eigen-Etikettierung des 66-jährigen Merz aber nicht beeindrucken. Sein Konter:
Status quo oder Nostalgie reichen jetzt nicht. Wir brauchen Erneuerung.
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Der dritte im Bunde, der zuverlässige Merkel-Follower Helge Braun, hofft, sich in der Abendsonne der Kanzlerin wärmen zu können. Dass diese Sonne angesichts von 100.000 Corona-Toten derzeit nicht so richtig wärmt, ist ihm während seiner Vorstellungsrunde auch gedämmert. Er sagte:
Wir müssen schnell wieder auf die Beine kommen.
Fazit: Das breitere Publikum hat beim immerwährenden CDU-Beauty-Contest noch nicht das Bild, wohl aber den Ton abgeschaltet. Schon die Untertitel erzählen die Geschichte einer seriellen Erneuerung. Nur der Hauptdarsteller – Friedrich M. – scheint gesetzt. Gespannt wartet man auf einen Regie-Einfall, der die Routine dieser Vorabendserie bricht.
Die Ampel-Partner loben sich in diversen Interviews gegenseitig. In der Wirtschaft ist das Echo differenzierter. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) hat den Koalitionsvertrag in einer 60-seitigen Analyse kritisch analysiert. Das vertrauliche Papier – für die Mitglieder des Verbands bestimmt – liegt unserem Hauptstadt-Team vor.
Zentraler Kritikpunkt ist das schrittweise Ausweiten der Staatlichkeit. Wörtlich heißt es:
Der Begriff Eigenverantwortung taucht auf 177 Seiten kein einziges Mal auf.
Insgesamt fehle der Ampel „die Konsequenz, über den Status quo hinaus neue Freiheiten für die Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen und Eigenverantwortung zu stärken“.
Die Strukturreformen in der sozialen Sicherung würden vertagt, die Begrenzung der Sozialbeiträge auf 40 Prozent und das Versprechen, keine Steuern zu erhöhen, findet sich im Koalitionsvertrag nicht wieder, kritisiert die BDA.
Die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro bezeichnet der Verband als „schwerer Eingriff in die Arbeit der Sozialpartner“.
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Im Begleitschreiben an die Mitgliederfasst BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter zusammen:
Auf den großen Aufbruch haben sich die drei Parteien aus Sicht der BDA nicht geeinigt.
Alle Details lesen Sie in der neuen Ausgabe des Hauptstadt-Newsletters, für den Sie sich hier anmelden können.
Vielleicht sollten Sie bei dieser Gelegenheit ihre Lesegewohnheiten überdenken. Oder vereinfacht ausgedrückt: Mehr Politikteil braucht kein Mensch.
Folgende Termine könnten in dieser Woche für Sie wichtig sein:
Montag
Heute präsentiert der Spezialist für Gewehre und Pistolen Heckler & Koch, seine Zahlen für das 3. Quartal 2021.
In der Hauptstadt wird indessen der rot-grün-Rote-Koalitionsvertrag für das Land Berlin vorgestellt. Dabei geht es auch um das Clan-Milieu, das zur Kundschaft des oben genannten Herstellers von Handfeuerwaffen gehört.
Dienstag
Am Dienstag präsentiert der SAP-Konkurrent Salesforce sein Zahlenwerk für das dritte Quartal. EasyJet legt bereits seine Jahreszahlen für die zwölf Monate bis Ende September 2021 vor.
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Mittwoch
Am Mittwoch feiert das von der Daimler AG in die Daimler Truck AG abgespaltene Geschäft mit LKWs und Bussen sein Börsendebüt.
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Außerdem entscheidet sich auf einem Online-Parteitag der französischen Republikaner, ob der Brexit-Chef-Unterhändler der EU, Michel Barnier, bei den französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gegen Emmanuel Macron ins Rennen gehen wird.
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Donnerstag
Am Abend verabschiedet sich die Bundeswehr mit einem großen Zapfenstreich von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wie auch ihre Vorgänger durfte Merkel drei Musikwünsche äußern, die nun vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr einstudiert und am Donnerstag gespielt werden. Dazu zählen:
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„Du hast den Farbfilm vergessen“ der Ostberliner Punk-Sängerin Nina Hagen.
„Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef.
Und das Kirchenlied „Großer Gott, wir loben dich“ von Jochen Rieger.
Freitag
Am Freitagabend nach US-Börsenschluss überprüft die Deutsche Börse die Zusammensetzung der Börsen-Indizes Dax, MDax und SDax. Experten rechnen unter anderem damit, dass die weitgehend von Vonovia übernommene Deutsche Wohnen kurz vor Weihnachten einen Platz im MDax einnehmen wird.
George Harrison war der stille und schüchterne Lead-Gitarrist der Beatles. Zeit seines Lebens stand er im Schatten von John Lennon und Paul McCartney. Heute vor 20 Jahren starb er, gerade erst 58 Jahre alt.
Harrison wuchs als Sohn eines Matrosen in Liverpool auf und lernte schon in der Schulzeit Paul McCartney kennen. Als er 15 Jahre alt war, wurde er von seinem Freund McCartney mitgenommen und durfte in der Band „The Quarrymen“, aus der später „The Beatles“ entstand, vorspielen. Nach Schätzungen der Plattenfirma EMI gelten die „Fab Four“ mit mehr als einer Milliarde verkauften Tonträgern als erfolgreichste Band der Musikgeschichte.
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Harrison komponierte 22-Musikstücke der Beatles und unter anderem den Klassiker „Here Comes The Sun“ – seine Band-Kollegen tauften die Harrison-Werke die „Harrisongs“. Doch zumeist konnte er sich mit seinen Ideen nicht gegen die Frontmänner McCartney und Lennon durchsetzen. Harrison war genial, aber eben schüchtern und still. Kein Machtpolitiker.
Die Solokarriere gestaltete sich denn auch zunächst schwierig. In einem Interview beklagte er:
Die Leute wollen nur Beatles-Lieder hören.
In den 90er-Jahren zog sich Harrison aus dem Musikgeschäft zurück. Bei ihm wurde ein unheilbarer Lungenkrebs diagnostiziert. Die tragische Krankheit bedeutete ein neues, ein abschließendes Kapitel in der Beatles-Geschichte, denn sie brachte die drei noch lebenden Bandmitglieder Paul McCartney, Ringo Starr und den erkrankten Harrison noch ein letztes Mal am 12. November am Krankenbett in einem New Yorker Krankenhaus zusammen, ehe Harrison sich für seine letzten Tage in das Anwesen seines Schulfreundes Paul McCartney in der Heather Road in Beverly Hills begab.
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Am 29. November 2001 starb Harrison schließlich. Sein Körper ging, seine Lieder blieben. Ein Auszug aus „Here Comes The Sun“ könnte uns den Start in diese Woche erleichtern:
Little darling, it's been a long cold lonely winter
Little darling, it seems like years since it's been here
Here comes the sun
Here comes the sun
And I say it's all right
Little darling, the smiles returning to the faces
Little darling, it feels like years since it's been here
Here comes the sun
Here comes the sun
And I say it's all right
Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in die neue Woche.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr