SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat die Jagdsaison auf die Besserverdiener eröffnet. Rechtzeitig vor Beginn des Bundestagswahlkampfes gibt er sich als Kandidat einer nach links gerückten Sozialdemokratie zu erkennen. Er sagt:
Ich weiß mich mit der überwiegenden Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger einig, dass wir unser Steuersystem gerechter gestalten müssen.
Dazu gehört, dass die, die sehr viel verdienen, einen etwas größeren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.
Er befürworte auch eine Vermögenssteuer, „damit Länder und Kommunen mehr Geld für die Infrastruktur, die Kitas, Schulen, öffentlichen Nahverkehr und Polizei zur Verfügung haben.“
Fest steht: Scholz, der Heutige, dementiert damit jene Werte, für die er einst an der Seite von Gerhard Schröder stritt. Der damalige Kanzler einer rot-grünen Regierung versprach 2003 in seiner Agenda-2010-Rede vor dem Deutschen Bundestag nicht mehr Staat und höhere Steuern, sondern warb für mehr Eigenverantwortung.
© imagoWir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.
Die neue Scholz-Rhetorik reflektiert die Machtverschiebung innerhalb der SPD. Dabei werden jene fünf Fakten ignoriert, die ein SPD-Wahlkämpfer, zumindest wenn er die Mitte der Gesellschaft erreichen will, besser nicht ignorieren sollte:
1. Dem Steuerstaat sind Grenzen gesetzt, weil das Grundgesetz in Artikel 14 und 15 das Eigentum schützt und das Bundesverfassungsgericht den Begehrlichkeiten der Politik immer wieder enge Limitationen setzt, insbesondere wenn in die Vermögenssubstanz von Betrieben und Personen eingegriffen werden soll. Oder anders formuliert: Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen können.
2. Als effektive Einnahmequelle des Staates funktionieren Steuererhöhungen nur im Mittelbau der Gesellschaft, weshalb die Kanzler aller Couleur in der Vergangenheit hier schon reichlich zugegriffen haben. Ab einem jährlichen Bruttoeinkommen von 57.919 Euro zählen Alleinverdienende und ab einem Bruttoeinkommen von 115.838 Ehepaare heute bereits zu den Besserverdienern. Sie zahlen den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. So wurde der klassische Facharbeiter zur Melkkuh, dem die Parteien regelmäßig ans Euter greifen.
3. Vermögens- und Erbschaftssteuer wiederum, die nicht beim Einkommen, sondern beim Besitz zulangen, haben sich im Land der Familienunternehmer als ökonomisch fatale Konstruktion erwiesen, weil sie Produktivvermögen besteuern würden, das erst veräußert werden müsste, damit die Steuerschuld beglichen werden kann. Das aber bedeutet: Mehr Geld für den Staat würde weniger Arbeitsplätze für alle bedeuten. Eine SPD, die nicht lebensmüde ist, wird dieses Versprechen daher niemals einlösen wollen.
4. Steuererhöhungsfantasien sind schon deshalb für die SPD gefährlich, weil sich auch jene Aufstiegswilligen angesprochen fühlen, die hart dafür arbeiten, eines Tages selbst zu den Reichen und Besserverdienern zu gehören. Aufstiegsmobilität würde bestraft. So treibt man schon die untere Mittelschicht in die Arme von CDU/CSU und FDP.
5. Olaf Scholz ist als Protagonist einer Steuererhöhungspolitik persönlich unglaubwürdig. Er war der SPD-Generalsekretär in den Jahren der Agenda 2010 und hat davor und danach ein Leben als Sozialdemokrat in der Tradition von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gelebt. Die eigene Biografie passt also nicht zur einstudierten Kevin-Kühnert-Pose, die er sich für den Wahlkampf offenbar vorgenommen hat.
Fazit: Es gibt viele Wege, eine Bundestagswahl zu verlieren. Mit dem Versprechen auf Steuererhöhung wählt Olaf Scholz den sichersten.
Meine Kollegen vom Hauptstadt-Team widmen sich in ihrer aktuellen Folge des Podcasts „Hauptstadt – Der Podcast“ ebenfalls der Steuerpolitik. ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker spricht mit dem 80-jährigen FDP-Bundestagsabgeordneten und Steuerexperten Hermann Otto Solms.
Es geht um die Pläne der FDP für ein wirtschaftliches Wiederaufbauprogramm nach der Pandemie und die ewige Sehnsucht nach einem „einfachen und gerechten“ Steuersystem.
Solms besitzt keine politische Durchsetzungsmacht, aber er hat Ideen. Welche? Das hören Sie ab 12 Uhr in Ihrer Podcast-App oder auf thepionieer.de
Im Kalender von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) ist der 3. März rot markiert. Denn dann schalten sich die Kanzlerin und seine Kollegen aus den anderen Bundesländern wieder zusammen, um das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie zu beraten.
Vor gut zwei Wochen forderte Haseloff eine Öffnungsperspektive – wenn schon nicht auf Bundesebene, dann zumindest im eigenen Bundesland. Ab kommendem Montag öffnen in Sachsen-Anhalt Baumärkte, Gärtnereien, Blumenläden und Fahrschulen wieder.
Dieses Gespräch – das „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld für den Morning Briefing Podcast geführt hat – macht Hoffnung. Der Ministerpräsident geht von einem Ende des bisherigen Lockdowns aus:
Ich glaube, dass wir ein wesentlich differenzierteres Ergebnis erzielen werden, weil bestimmte Trends einfach nicht aufzuhalten sind.
Der Wirecard-Skandal fordert den nächsten Rücktritt: Der Deutschland-Chef von EY Hubert Barth räumt seinen Posten. Grund sind die Unternehmensprüfungen von Wirecard, die viele Jahre in der Verantwortung von EY lagen. Die gefälschten Bilanzen sind dort niemandem aufgefallen.
Barth darf allerdings noch sein Gnadenbrot in der Firma fristen. Er soll bei der Reorganisation des Europageschäfts eine neue Führungsposition erhalten, heißt es. Ihm folgt eine Doppelspitze, bestehend aus Jean-Yves Jégourel und Henrik Ahlers.
© dpaFür die Glaubwürdigkeit der Aktion soll Theo Waigel sorgen: Der mittlerweile 81-jährige Ex-Finanzminister wird Vorsitzender einer neuen „unabhängigen“ Expertenkommission. Sie soll die Fortschritte beim Qualitäts- und Vertrauensaufbau von EY Deutschland überwachen. Ihm zur Seite steht die ehemalige Bundeswirtschafts- und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.
Fazit: Alles kann man heute offenbar kaufen – auch einen Heiligenschein. Den Preis dafür allerdings nannten die Beteiligten vorsichtshalber nicht.
Es sollte ein Coup werden und entpuppte sich für Bayer als Desaster: Die Übernahme des US-Saatgutriesen Monsanto. Für 63 Milliarden Euro kaufte der Pharma- und Agrarkonzern im Jahr 2018 den amerikanischen Glyphosat-Hersteller. Firmenchef Werner Baumann sagte damals:
Mit dieser Transaktion schaffen wir erheblichen Wert für die Aktionäre, unsere Kunden, Mitarbeiter und für die Gesellschaft insgesamt.
Nach der Übernahme von Monsanto rollte eine Welle von Schadensersatzklagen auf Bayer los: Zehntausende von Krebskranken machen Glyphosat für ihr Leiden verantwortlich, die WHO stuft das Mittel als wahrscheinlich krebserregend ein. Die Folgen: Die Bayer-Aktie halbierte sich innerhalb von drei Jahren. 2020 verbuchte der Konzern mit 10,5 Milliarden Euro den höchsten Verlust der Unternehmensgeschichte. Dieses Minus ist vor allem auf milliardenschwere Abschreibungen zurückzuführen.
Eine Infografik mit dem Titel: Monsanto-Übernahme als Kurs-Killer
Kursentwicklung der Bayer-Aktie seit dem 25. Februar 2018, in Euro
Die gute Nachricht für Aktionäre und Mitarbeiter: Das eigentliche Kerngeschäft bei Bayer funktioniert. Der Umsatz schrumpfte im Corona-Jahr lediglich um rund fünf Prozent auf 41,1 Milliarden Euro, der bereinigte Betriebsgewinn (EBITDA) konnte bei 11,46 Milliarden Euro stabilisiert werden. Das Unternehmen wankt, aber es fällt nicht.
Die Lage am heutigen Morgen:
Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) 9997 Corona-Neuinfektionen innerhalb der vergangenen 24 Stunden gemeldet. Zudem wurden 394 neue Todesfälle registriert.
Das RKI gibt Entwarnung: Schulen sind nicht so starke Corona-Verteilstationen wie bislang befürchtet.
Merkel stimmt bei ihrer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel die Bevölkerung auf Impfungen über viele Jahre ein. Man überlege außerdem die Testkapazitäten auszuweiten, um einen höheren Richtinzidenzwert als bislang 35 für Öffnungen zu verwenden.
Sebastian Kurz wirbt beim EU-Gipfel für einen internationalen Impfpass nach israelischem Vorbild. Auf diese Weise sollen Freiheiten für Geimpfte schneller wieder möglich sein.
Düsseldorf verbietet das Verweilen in der Altstadt und am Rheinufer an Wochenenden. Damit sollen die Folgen des frühlingshaften Wetters bekämpft werden.
Die drittgrößte Handelsplattform für Kyptowährungen wie beispielsweise Bitcoin geht an die Börse: Im vergangenen Jahr machte Coinbase erstmals schmale Gewinne. Nun sollen unter dem Kürzel „COIN“ über eine Direktplatzierung an der US-Tech-Börse Nasdaq die Aktien der Plattform gelistet werden. Das Analyse-Unternehmen Messari gibt den Wert mit 28 Milliarden Dollar an. Oder wie William Shakespeare zu sagen pflegte: „Und ist es doch Wahnsinn, so hat es Methode.“
Er will die Grünen bei der Bundestagswahl in Richtung der 30-Prozent-Marke katapultieren. Vielleicht wird er in diesen Wahlkampf sogar als erster Kanzlerkandidat in der Geschichte der Grünen starten.
Robert Habeck ist für manche die Inkarnation einer modernen Politikwende, für andere das Schreckgespenst einer leistungsfeindlichen Politik. Eines allerdings ist gesichert: Robert Habeck ist anders.
Deshalb lag es nahe, dass Jagoda Marinić und Michael Bröcker ihn für das Pioneer-Podcast-Format „Die Überstunde – ein Gast, ein Thema, eine Stunde“ eingeladen hatten. Das Thema: Der Wandel. Heute Abend ab 18:00 Uhr hören Sie das Gespräch in ihrer Podcast App oder direkt hier thepioneer.de/ueberstunde.
Gegen den CSU-Bundestagsabgeordneten und Fraktionsvize Georg Nüßlein wird wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt. Der Gesundheitspolitiker soll einen Maskenhersteller an die Bundesregierung und die bayrische Landesregierung vermittelt haben. Als Gegenleistung habe Nüßlein ein Beraterhonorar von ca. 660.000 Euro erhalten und diese Transaktion über seine Firma mit großer Diskretion gegenüber der Steuerbehörde behandelt. Diese Diskretion war offenbar größer als vom Gesetzgeber vorgesehen.
Der Bundestag hob die Immunität des Abgeordneten vorerst auf und ermöglichte dadurch Durchsuchungen von 13 Objekten in Deutschland und Liechtenstein inklusive seines Büros im Bundestag.
Vor seiner Tätigkeit im Bundestag arbeitete Nüßlein im Finanz- und Bankwesen, darunter auch bei der Münchner Privatbank Reuschel & Co. Die Vorwürfe gegen ihn kommentierte er gestern mit nur einem Wort: „Haltlos“.
Heute vor 120 Jahren erschien im S. Fischer Verlag der Roman „Buddenbrooks. Verfall einer Familie“. Der 26-jährige Autor Thomas Mann erhielt dafür 28 Jahre später den Literaturnobelpreis. Das Werk, das vom Lübecker Bürgertum zunächst als Nestbeschmutzung empfunden wurde, war zwischenzeitlich zum Klassiker der Weltliteratur gereift.
© imagoAm Beispiel einer reichen Kaufmannsfamilie schildert Thomas Mann den sich über vier Generationen erstreckenden Verfall des Großbürgertums. Schein und Sein geraten außer Sichtweite zueinander, Bewunderung und Neid fressen sich in die Familie hinein, im Hintergrund peitscht die rasante Entwicklung der Industrialisierung.
Abgehängt von der eigenen Gegenwart taumelt die Familie dem Niedergang entgegen. Einer der hellsichtigeren Protagonisten begreift früh schon, das der Niedergang sich nicht erst im Niedergang zeigt:
Ich weiß etwas, woran du noch nicht gedacht hast, ich weiß es aus Leben und Geschichte. Ich weiß, dass oft die äußeren, sichtbarlichen und greifbaren Zeichen und Symbole des Glückes und Aufstieges erst erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes da oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen ist, wenn er am hellsten strahlt.
Thomas Mann ist gestorben. Aber sein Werk lebt, und zwar auch als literarisches Mahnmal für die Wohlstandsnation heutigen Typs. Lübeck ist überall.
Ich wünsche Ihnen – trotz aller Widrigkeiten – einen beschwingten Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr