die mediale Apokalypse-Industrie macht seit Wochen Überstunden. Täglich beliefert sie die Frühstückstische mit ihren Angstprodukten, bestehend aus den Halbfertigwaren Rezession und Handelskrieg. Die „Süddeutsche Zeitung“ weiß, wo wir stehen: „Einen Schritt näher am Abgrund“.
Doch es gibt gute Gründe, der seriellen Panikproduktion zu misstrauen. Die Weltwirtschaft kühlt zwar ab, aber sie gefriert nicht. Fünf Argumente für begründete Zuversicht:
Eine Infografik mit dem Titel: Motivationsfaktor Wohlstandsgefälle
Bruttonationaleinkommen pro Kopf nach Regionen in 2018, in US-Dollar
► Erstens: Der Hunger nach Wohlstand bleibt der wichtigste Treiber der Weltwirtschaft. In China, Indien und den Staaten Afrikas warten mehrere Milliarden Menschen darauf, an die Wertschöpfungsketten des Westens angeschlossen zu werden. Sie wandern zum produktiven Kern ihrer Volkswirtschaften, wo sich die Ware Arbeitskraft in der Sekunde ihrer Ankunft in Kaufkraft verwandelt. Unbefriedigte Bedürfnisse schützen besser vor Rezession als staatliche Konjunkturprogramme.
► Zweitens: Die Digitalisierung der Weltwirtschaft ist das größte Zukunftsprojekt der Menschheitsgeschichte, das schon deshalb keiner stoppen kann, weil es kein Einzelner gestartet hat. Investitionsgelder in Billionenhöhe warten auf ihren Einsatz.
► Drittens: Die heutigen Großkonzerne sind dank moderner Früherkennungsmethoden deutlich robuster und weniger fragil gebaut als die Unternehmen des vergangenen Jahrhunderts. Sie besitzen Schockabsorber, beispielsweise durch die weltweit verlegten Wertschöpfungsketten.
Eine Infografik mit dem Titel: Japan: Der Geldspeicher füllt sich
Höhe der Cash-Reserven japanischer Unternehmen, in Billionen Euro
► Viertens: Als eine Art Rückversicherung für den Fall der Fälle sitzen die Firmen auf riesigen Cash-Positionen. Die „cash piles“, also die schnell verfügbaren Mittel der Unternehmen, haben sich dem Ratingkonzern Moody’s zufolge allein bei Europas Konzernen außerhalb des Finanzsektors um 15 Prozent auf 1,1 Billionen Euro gesteigert. In Japan beträgt die aufgestaute Liquidität sogar 4,3 Billionen Euro; der Wert hat sich im Vergleich zum Jahr 2013, als Ministerpräsident Shinzō Abe sein Amt antrat, mehr als verdoppelt. Kommt es zu rezessiven Erschütterungen, wirken diese Geldpuffer wie ein großer Stoßdämpfer: Die Weltwirtschaft wackelt, aber sie stürzt nicht ab.
► Fünftens: Die Politik, die versprochen hatte, die Gesellschaft vor ökonomischem Druckabfall zu beschützen, tut genau das nicht. Überall sitzen Handelskrieger (US-Präsident Donald Trump und Chinas Staastchef Xi Jinping), Isolationisten (Großbritanniens Premier Boris Johnson) und Schuldenmacher. Der Glaube an die Kompetenz der politischen Führung schmilzt schneller als die Polkappen, was im dialektischen Umkehrschluss bedeutet: Die Wirtschaft hat weitgehend auf Eigenverantwortung umgeschaltet.
© imagoFazit: Eine Welt ohne Auf- und Abschwung wird es zwar nicht geben. Aber die Erfahrung einer ökonomischen Nahtoderfahrung dürfte den Gesellschaften des beginnenden 21. Jahrhunderts erspart bleiben. Der Schwarze Schwan, für den Philosophen Nassim Nicholas Taleb das Symboltier der drohenden Katastrophe, fliegt zwar direkt über uns. Aber er weiß nicht so recht, wo er landen soll.
Heute um Mitternacht ist Kanzlerin Angela Merkel in Peking aus ihrem Regierungsflieger gestiegen. Während in Hongkong weiter Demonstranten für ihre Freiheitsrechte kämpfen, wird Merkel in der etwa 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Staatspräsident Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang treffen.
Begleitet wird die Kanzlerin von einer prominent besetzten Wirtschaftsdelegation, darunter Siemens-Chef Joe Kaeser und der VW-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess. Als journalistischer Beobachter ist auch Robin Alexander dabei. Kurz nach der Landung habe ich mit dem Vize-Chefredakteur der „Welt“ für den Morning Briefing Podcast gesprochen:
Über die diplomatische Strategie der Kanzlerin sagt Alexander:
Ich glaube, dass die Kanzlerin vermeiden wird, laute Töne anzuschlagen, sondern versuchen wird, im Hintergrund zu wirken, weil sie das für aussichtsreicher hält.
Die Gefühlslage der mitgereisten Industrievertreter beschreibt er mit folgenden Worten:
Die deutschen Unternehmer haben große Sorgen, zum Beispiel wegen der Einführung des Social Credit Systems, mit dem die Chinesen bereits ihre eigene Bevölkerung überwachen.
Die Wirtschaft fürchtet, dass der Datenfluss von Deutschland nach China überwacht wird und damit wichtige interne Daten nicht nur dem Staat, sondern auch potenziellen Konkurrenten zugänglich sein werden.
Während die Merkel-Delegation problemlos einreisen durfte, ist Margarete Bause für die chinesische Führung eine Persona non grata. Vergangenen Monat wurde der Menschenrechts-Expertin der Grünen-Bundestagsfraktion die Einreise verweigert. Der Grund: Bause schaut seit Jahren genau hin, wenn in China zensiert, inhaftiert oder manipuliert wird:
► Im Jahr 2020 will der Staat das Social Credit System offiziell einführen, das heute in einigen Provinzen im Probebetrieb läuft. Jeder Schritt und vor allem jeder Klick im Netz wird überwacht und kategorisiert.
►Wer sich im Sinne des Regimes verhält, wird mit Sozialpunkten belohnt. Wer negativ auffällt, zum Beispiel durch den Besuch der falschen Seiten im Internet, wird abgestraft und gesellschaftlich schlechter gestellt.
►Das Scoring berücksichtigt auch Einträge in Polizeiakten sowie Finanz- und Behördendaten. Ziel ist eine allumfassende Beobachtung der Staatsbürger.
Eine Infografik mit dem Titel: Im Auge des Staates
Anzahl der Überwachungskameras in China
►Mit derzeit 180 Millionen öffentlichen Kameras überwacht China seine Bürger. Offiziell werden sie „Xue Liang“ genannt, was so viel wie „Adlerauge“ heißt. Im Jahr 2020 sollen im Land rund 600 Millionen Kameras in Betrieb sein. Bei derzeit 1,4 Milliarden Einwohnern käme dann eine Kamera auf 2,3 Bürger (siehe Grafik oben).
Im Morning Briefing Podcast warnt Bause vor einer chinesischen Regierung, die gar nicht daran denkt, mit den mittlerweile eingebauten marktwirtschaftlichen Elementen auch die Demokratie einzuführen:
Spätestens seit Xi Jinping an die Macht gekommen ist, ist der Zeitraum der Öffnung, der in China tatsächlich vorhanden war, zu Ende.
Ein selbstbewusst gewordenes China versuche mit seiner Technologie auch seine Ideologie zu exportieren, sagt Bause. Deshalb ist die Grüne – übrigens genauso wie US-Präsident Trump – der Ansicht, dass es leichtfertig sei, den chinesischen Technologiekonzern Huawei am Ausbau deutscher Telekommunikationsnetze zu beteiligen.
Wir dürfen China nicht erlauben, die Standards und die Normen in der digitalen Welt zu definieren.
Unter den Augen des Westens baue China seinen Überwachungsstaat aus, sagt sie:
George Orwell ist lächerlich gegen das, was in China passiert.
Der Westen sei gut beraten, appelliert Bause, eine aktive Rolle einzunehmen:
Da müssen wir ein klares Stoppschild aufstellen.
Die Krise der Demokratie gebiert die Sehnsucht nach einem „starken Führer“, sagt das Umfrageinstitut Ipsos aus Paris, das mehr als 18.000 Menschen aus 27 Länder befragte. Das Ergebnis: 49 Prozent, also jeder zweite Befragte, wünschen sich einen „starken Führer, der gewillt ist, die Regeln zu brechen“. 64 Prozent wollen, dass da einer kommt, der ihr Land vor den „Reichen und Mächtigen“ beschützt.
Auch in Deutschland ist der Frust über Parteien und Politiker spürbar gewachsen. 60 Prozent der Befragten sagen, dass die politische Führung sich nicht mehr um sie kümmere. Das sind sieben Prozentpunkte mehr als im Jahr 2016. Der Wunsch nach einem Führer, darin unterscheidet sich Deutschland von anderen Nationen, ist hierzulande allerdings nicht mehrheitsfähig. Geschichte vergeht nicht. Über die Ergebnisse der Studie spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Armgard Zindler vom Ipsos-Institut. Sie sagt:
Die Gesellschaften zerbrechen – und die Politiker sind nicht in der Lage, die Menschen abzuholen.
Fazit: Diese Studie sollte als Wochenendlektüre an alle europäischen Regierungs- und Parteichefs verteilt werden. Sie funktioniert als Spiegel der Gegenwart.
Die Trostlosigkeit der großen Koalition war gestern Abend bei „Maybrit Illner“ zu besichtigen. Unter dem schmissigen Titel „Getrieben, gespalten, geschrumpft – CDU und SPD ohne Plan?“ wurde genau das geliefert: die inhaltliche Schrumpfung der beiden Volksparteien. Am Ende blieb nur noch eine Sprechblase übrig. Kein Plan. Keine Leidenschaft. Keine Unterschiede.
Ideenlos lobten Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sich für die Teilabschaffung des Soli oder die noch kommende Digitalisierung des Landes. Man hatte das Gefühl, Scholz, der sich zurzeit als SPD-Vorsitzender bewirbt, will im Duo mit Kramp-Karrenbauer antreten.
Kurz und gut: Das war ein großartiger Fernsehabend, vor allem für Grünen-Chef Robert Habeck, den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner und die Führung der AfD. Scholz und seine Schwester im Geiste haben Lust gemacht auf die Zeit danach. Erkennbar tragen sie in sich nicht das Feuer ihrer großen Amtsvorgänger, sondern nur deren Asche.
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr