Die große Putinshow

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Guten Morgen,

unerwartete Konkurrenz für Donald Trump – die Produktion großformatiger Schlagzeilen will man in Moskau offenbar nicht allein dem Amerikaner überlassen:

► Um 14.37 Uhr deutscher Zeit schickten erste Nachrichtenagenturen ihre Eilmeldungen um die Welt: Die Regierung von Dimitrij Medwedew trat geschlossen zurück.

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► Wenig später ernannte Putin den Chef der russischen Steuerbehörde, Michail Mischustin, zum neuen Regierungschef. Der Mann machte sich in seinem bisherigen Job einen Namen als Unternehmerfreund. Er reduzierte die Zahl der Steuerprüfungen von mehr als 75.000 im Jahr 2011 auf knapp 11.000 im Jahr 2018.

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► Medwedew landet nicht in der Verbannung, sondern soll nun gemeinsam mit dem Kremlchef den Nationalen Sicherheitsrat leiten. In diesem Gremium werden außen- und sicherheitspolitische Fragen erörtert. Medwedew bleibt das, was er immer war: der kleine Putin.

► Der Präsident kündigte eine Verfassungsreform an. Das Parlament soll mächtiger und der nächste Präsident – also der Putin-Nachfolger – machtloser werden.

► Über die Verfassungsänderungen wird ein Referendum der Bevölkerung entscheiden.

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Die wichtigste Botschaft an die ökonomisch darbende Bevölkerung aber lautet: Putin ist weiter der starke Mann. Medwedew übernimmt die Verantwortung für die schlechte ökonomische Situation. Wir, die Führung des Landes, haben verstanden!

Denn der außenpolitische Glanz der späten Putin-Jahre kontrastiert mit der mageren Bilanz in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Seit dem Verfall der Weltmarktpreise für Öl und Gas, der 2014 einsetzte, läuft es unrund:

► Im Rekordjahr 2013 erwirtschaftete Russland noch ein Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 2,3 Billionen US-Dollar – die Prognosen für 2019 liegen um 29 Prozent darunter. Der Wohlstand pro Kopf schrumpfte damit spürbar.

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► Nach Angaben der russischen Statistikbehörde sank der monatliche Durchschnittslohn von 708 Euro in 2013 auf 499 Euro in 2015. Die durchschnittliche Rente fiel im selben Zeitraum von 234 Euro auf 176 – und im Jahr darauf sogar auf 167 Euro. Erst 2017 setzte eine Gegenbewegung ein.

► Die Armut in Russland grassiert. 18,6 Millionen Menschen lebten zuletzt von weniger als 150 Euro im Monat – das sind 12,7 Prozent der Bevölkerung.

Eine Infografik mit dem Titel: Russland schwächelt

Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, in US-Dollar

► Wer in Russland lebt, ist von der dritten Welt nicht mehr weit entfernt. Laut Better Life Index der OECD stehen in Russland pro Person im Schnitt 0,9 Räume zur Verfügung – im OECD-Ranking (Durchschnitt: 1,8 Räume) bedeutet das den letzten Platz.

► Fast 15 Prozent der Russen leben in Wohnungen ohne eigene Toilette mit Wasserspülung (OECD-Schnitt: 4,4 Prozent).

Fazit: Putin und sein Paladin produzieren Schlagzeilen, aber keinen Wohlstand. Die Putin-Jahre waren ökonomisch verlorene Jahre. Und jetzt: Das Land bekommt kein Brot, aber Spiele. Medwedew geht, Putin bleibt.

Das Diktum des Helmut Schmidt aus dem Jahr 2004 gilt damit noch immer:

Russland ist, mit Blick auf den Lebensstandard der breiten Massen und mit westlichen Maßstäben gemessen, ein Entwicklungsland.

Sein damaliger Wunsch jedoch bleibt unerfüllt:

Es bleiben noch ungeheure Umgestaltungen zu leisten.

Über die Entwicklungen in Russland unterhält sich mein Kollege Stefan Rupp im Morning Briefing Podcast mit Udo Lielischkies. Der war bis September 2018 Leiter des ARD-Studios in Moskau und zuvor Korrespondent in Washington. Vor Kurzem hat er sein Buch „Im Schatten des Kreml: Unterwegs in Putins Russland“ veröffentlicht. Sein Urteil zählt.

Zum Rücktritt Medwedews sagt er:

Klar ist er der Prügelknabe. Ihm wird all das zur Last gelegt, was nicht funktioniert im Lande.

Die Unzufriedenheit ist gewaltig und das hat den Kreml auch sehr nervös gemacht. Ein großes Legitimationsproblem ist entstanden.

Wird der jetzt verkündete Wechsel von Personen und die Reform von Strukturen für Linderung sorgen? Lielischkies sagt:

Man muss dem Volk etwas bieten, man muss ein Signal aussenden: Wir verstehen, euch geht’s nicht gut, ihr seid unzufrieden, wir müssen was tun, und seht her, wir tun auch was. Aber das sind die Kulissen, die da verschoben werden, das hat nichts mit der realen Macht zu tun.

Auch das russische Demokratiedefizit werde durch die Verfassungsreform nicht adressiert:

Demokratie beinhaltet nach unserem Verständnis ja auch die Möglichkeit eines Machtwechsels. Das ist in Russland zu keiner Sekunde angedacht worden. Das Parlament ist völlig bereinigt von jedweder realer Opposition.

Das alles bedeutet: Wir erleben heute Morgen ein physikalisch interessantes Experiment. In den Zeitungen ein Schlagzeilengewitter, aber auf die Straßen von Moskau fällt kein erlösender Tropfen. Die Dürre hält an.

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Heute geht es im Bundestag um Ihre Niere, meine Leber und unser aller Herz. Das Thema: Die Organspende. Rund 10.000 Deutsche warten jedes Jahr auf ein Spenderorgan. Viele vergeblich. Seit Jahren versuchen deshalb Medizinethiker und Politiker die Zahl der Organspender zu erhöhen, meist ohne Erfolg.

Jetzt soll die Radikallösung helfen. Die Initiative von Gesundheitsminister Jens Spahn heißt Widerspruchslösung und bedeutet im Kern: Alle sind Organspender, außer sie haben sich explizit dagegen ausgesprochen. Die Gegner sehen darin einen unangemessenen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. Theologen sprechen vom „menschlichen Körper als Objekt staatlicher Sozialpflichtigkeit“. Heute will der Deutsche Bundestag über den Antrag Spahns entscheiden.

Wir haben für den Morning Briefing Podcast mit Befürwortern und Gegnern gesprochen, um im Sinne eines Journalismus, der nicht predigt, sondern aufklärt, beide Seiten der Medaille zu beleuchten:

Jutta Falke-Ischinger, Vorsitzende der Initiative „Leben Spenden“, hofft, dass durch die Widerspruchslösung die Organspende der Normalfall wird:

In 40 Prozent aller Fälle ist nach dem Tod eines Menschen nicht klar, wie er sich entscheiden würde. Und die Angehörigen stimmen dann meistens mit Nein.

Eine Zwangsentscheidung ist die Widerspruchslösung für sie nicht:

Es geht einfach nur darum, dass der Staat zu einer Entscheidung anregen möchte. Was soll nach meinem Tod mit meinen Organen passieren? Möchte ich Spender sein oder nicht? Jeder kann ohne Probleme sagen: ‘Ich möchte das nicht.’ Aber indem er sich entscheidet, schafft er Klarheit. Übrigens Klarheit auch für seine Angehörigen.

Prälat Dr. Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe in Berlin, widerspricht ihr. Im Gespräch mit meinem Kollegen Michael Bröcker bewertet er den Gesetzentwurf des Gesundheitsministers als unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.

Bei der Organspende handelt es sich um eine Liebestat. Der Gesetzgeber kann den Menschen nicht dazu verpflichten, eine altruistische Tat zu begehen.

Und er macht klar:

Das ist ein Paradigmenwechsel unserer Rechtsordnung.

Die Argumente liegen damit auf dem Tisch. Jetzt müssen Sie sich nur noch ihre eigene Meinung bilden.

Die Aktivistin Luisa Neubauer ist das Gesicht der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung © dpa

„Fridays for Future“ ist derzeit der politisch aktivste Spieler in Deutschland. Im Gegensatz zum Kabinett der eingeschlafenen Füße, das sich verharmlosend Große Koalition nennt, setzen die Aktivisten ihre Akzente. Mit der Deutschen Umwelthilfe, Greenpeace, Germanwatch und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland will man Klimaschutz nun vom Bundesverfassungsgericht erzwingen lassen. In Karlsruhe sind drei Beschwerden eingereicht worden:

► Das im Herbst von Bundesregierung und Bundestag verabschiedete Klimaschutzgesetz ist den Klägern zufolge nicht ausreichend für den Klimaschutz und verletze damit das Grundgesetz. Klimaschutz sei ein Grundrecht. Die Beschwerdeführer berufen sich auf ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – Artikel 2 des Grundgesetzes.

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► Zwei weitere Verfassungsbeschwerden berufen sich auf den Schutz ihres Eigentums – Artikel 14 Grundgesetz – und sagen, dass der Klimawandel schon jetzt ihren Lebens- und Wohnraum bedrohe und zerstöre.

Fazit: Das Vakuum, das eine ambitionslose Groko hinterlässt, füllt die Klimaschutzbewegung. Sie treibt die Agenda. Sie verändert die strategische Ausrichtung der Weltkonzerne – siehe die neue Blackrock-Direktive. Sie setzt mit Hilfe des Rechtsstaats die Parteien unter Druck. Und falls das nicht klappt, hält sie zumindest die Öffentlichkeit auf Trab.

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In der britischen Labour-Partei gehen fünf Unterhausmitglieder ins Rennen um die Nachfolge des scheidenden Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Und dabei zeigt sich, wie die neue politische Realität aussieht: jung, divers und weiblich.

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Die Business-Development-Managerin Jess Phillips (38), die Politikwissenschaftlerin, Soziologin und ehemalige Angestellte in einer Anwaltskanzlei Rebecca Long-Bailey (40), die als Tochter eines Inders und einer Britin geborene Lisa Nandy (40), die Anwältin Emily Thornberry (59) und Keir Starmer (57), ebenfalls Jurist, haben jeweils die erforderliche Unterstützung von mindestens 22 Abgeordneten erhalten. Starmer schnitt mit 89 Unterschriften am stärksten ab, Corbyn-Schützling Long-Bailey kam auf 33 Unterstützer.

Labour hatte bei der Wahl im Dezember nur noch 203 Sitze erhalten und damit so schlecht abgeschnitten wie seit 1935 nicht. Die Partei streitet darüber, was der Hauptgrund dafür war: Corbyns scharfer Linkskurs, die unklare Haltung der Partei zum EU-Austritt oder der latente Antisemitismus unter den Mitgliedern, den Corbyn nicht in den Griff bekam. Schon 2015 sagte der Parteichef: „Ich gebe zu, dass es ein echtes Problem gibt, an dessen Lösung Labour arbeitet.“

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Auf die potenziellen Corbyn-Nachfolger wartet nun die Basisdemokratie: Vom 21. Februar bis zum 2. April stimmen die rund 500.000 Mitglieder und registrierten Anhänger der Partei ab. Die Nachfolge Corbyns soll am 4. April feststehen. Auch daran kann man die Tapferkeit der Briten erkennen: Das Vorbild des SPD-Spektakels, das den im Volk beliebten Bundesfinanzminister Olaf Scholz seine Parteikarriere kostet und ein skurriles Duo nach oben spülte, konnte sie nicht schrecken.

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Die zwei größten Volkswirtschaften der Welt haben sich im Handelskrieg auf einen Waffenstillstand verständigt. Die Unterzeichnung des ersten Handelsabkommens zwischen den USA und China am Mittwoch kommt für US-Präsident Donald Trump rechtzeitig zum Auftakt des US-Wahljahres. Bis zur Präsidentenwahl im November dürfte die Handelsbeziehung der beiden Länder nun stabil und ohne Überraschungen bleiben:

► China verpflichtet sich in dem Abkommen, seine Importe aus den USA deutlich zu erhöhen. Trump frohlockt.

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► Zudem soll der Vertrag Probleme beim Schutz von geistigem Eigentum, dem Export von Produktfälschungen und den von China erzwungenen Technologietransfers lösen. Auch damit konnte Trump punkten.

► US-Finanzdienstleister erhalten besseren Zugang zum chinesischen Markt. An der Wall Street herrschte Freude: Sowohl der Dow-Jones- als auch der S&P-500-Index schlossen im Plus.

Eine Infografik mit dem Titel: Wie China die Welt erobert

Entwicklung von USA und China als wichtigste Handelspartner nach Ländern

Chinas Präsident Xi Jinping gibt sich als guter Verlierer. Er sagte:

Der Abschluss ist gut für China, für die Vereinigten Staaten und die ganze Welt.

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BMW ist der beliebteste Arbeitgeber Deutschlands. Das hat eine groß angelegte Umfrage des Magazins „Stern“ ergeben. Dafür wurden mehr als 45.000 Beschäftigte aus 24 Branchen befragt. Der Autokonzern aus München überzeugt – zumindest seine Mitarbeiter.

Womöglich liegt das auch an der Stadt München, der „nördlichsten Stadt Italiens“, wie man gern sagt. Nach der Schicht am Freitag können die BMW-Beschäftigten im flotten Jahreswagen in die Alpen oder über den Brenner Richtung Süden entschwinden: Das bedeutet nicht nur „Freude am Fahren“ – so der offizielle BMW-Slogan – sondern auch Freude am Leben. Firmen, die in Düsseldorf (Henkel), Leverkusen (Bayer) oder in Hannover (Continental) zu Hause sind, haben da keine Chance. Ihre Naherholungsgebiete heißen Phantasialand, Balkonien oder Maschsee.

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Am heutigen Donnerstag startet der Film „Lindenberg! Mach dein Ding“ in den deutschen Kinos. Mit Hermine Huntgeburth („Die weiße Massai“) übernahm eine Frau die Regie, die die „poetische Kraft“ des Panikrockers zu schätzen weiß. Den Macho Lindenberg nahm sie billigend in Kauf. Der mittlerweile 73-Jährige über die für ihn wichtigste Veränderung im Laufe der Jahre:

Die Höschen, die sie auf die Bühne werfen, werden etwas breiter.“

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Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Start in den neuen Tag. Herzlichst grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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