Die neue Einsamkeit

Teilen
Merken

Guten Morgen,

es wird Zeit, über die wirklichen Verlierer dieser weltweiten Pandemie zu sprechen. Denn nicht alle Geschäftsmodelle lassen sich amazonisieren. Firmen beispielsweise, die sich mit Messen, Live-Events und Sportveranstaltungen beschäftigen, werden das Vor-Corona-Niveau vielleicht nie mehr erleben.

Nach einem Jahr COVID-19 stellt sich der Befund wie folgt dar:

  • Die Marktkapitalisierung der börsennotierten Anbieter von Großveranstaltungen ist laut dem „Economist“ seit Januar 2020 deutlich zurückgegangen. Ende November 2020 betrug sie 183 Milliarden Dollar im Vergleich zu 235 Milliarden zum Jahresanfang. Das entspricht einem Rückgang von 22,13 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Die stille Schrumpfung

Marktkapitalisierung der Anbieter von Großveranstaltungen nach Branchen, in Milliarden US-Dollar

  • Die Messewirtschaft setzte 2019 weltweit noch rund 29 Milliarden Dollar um. Laut Berechnungen der Consulting-Firma „AMR International“ blieben davon im vergangenen Jahr nur noch rund neun Milliarden Dollar übrig. Auch 2022, so die Prognose, wird das Vor-Krisen-Niveau verfehlt.

Eine Infografik mit dem Titel: Keine Messen in der Pandemie

Umsatzentwicklung von Messen weltweit*, in Milliarden US-Dollar

  • Online-Konzerte machen den Besuchern wenig Spaß und bringen den Konzertveranstaltern deutlich weniger Geld. 2019 erzielte der Ticketdienstleister CTS Eventim noch einen Umsatz von 1,44 Milliarden Euro. Von Januar bis September 2020 fiel der Konzernumsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 78,7 Prozent auf 228,7 Millionen Euro.

Diana Kinnert auf der ThePioneer One © Anne Hufnagl

Womit wir bei Corona-Verlierer Nummer 2 wären: Im Falle des einzelnen Menschen ist der entstandene Schaden nicht in Millionen oder Milliarden zu berechnen. Gefühle haben einen Wert, aber keinen Preis. Nähe bringt uns einen spürbaren Gewinn, aber keinen Profit, der sich in der Jahresbilanz ausweisen lässt.

Diana Kinnert, die in Großbritannien half, das dortige Einsamkeitsministerium zu konzipieren, hat soeben ein Buch namens „Die neue Einsamkeit“ vorgelegt. Ihre Kernthesen:

Der Homo Singularis wird den Zustand verschärfter Vereinzelung irgendwann irgendwie kompensieren müssen. Durch Krankheit. Durch Sucht. Durch Macht.

Am eigenen Beispiel beschreibt sie, dass diese neue Vereinsamung für den Außenstehenden durchaus nach Hyperaktivität und Geselligkeit aussehen kann. Die sozialen Medien helfen bei der Schmerzbekämpfung durch Maskerade:

Ich begegnete meinem Schmerz nicht. Ich hörte ihm nicht zu und wollte diese Diana Kinnert nicht fortsetzen. Stattdessen erfand ich mich als neue Person.

Ich züchtete mir einen Freundeskreis heran, dem ich mein dauerhaftes Muntersein als Charakter verkaufte. Ich wurde gemein, hinterließ verbrannte Erde. Suchte nach Lärm und Ablenkung, war richtig süchtig danach. Und dabei boykottierte ich alle Ruhe und Intimität. Erstickte die Wiege des Eigenen, den Ort der reflexiven Begegnung.

Die tiefe Einsamkeit, die mich in diesem Prozedere der Selbstignoranz überfiel, war allerdings sehr gut getarnt. Denn meine Einsamkeit war keine, bei der ich die Anwesenheit anderer vermisste. Meine Einsamkeit war eine, bei der ich mich selbst vermisste.

Diana Kinnert © Anne Hufnagl

Im Gespräch für den heutigen Morning Briefing Podcast spricht sie über die gesundheitlichen Folgen der neuen Einsamkeit:

Der einsame Mensch entwickelt Angstzustände, hat ein größeres Risiko für Paranoia, für Demenz, für Depression, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und in internationalen Metastudien fand man heraus, dass sich das Risiko für einen frühzeitigen Tod um 25 Prozent erhöht. Damit ist Einsamkeit schlimmer als Fettleibigkeit.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge

Wir sprechen auch über die Profiteure der Einsamkeit:

Ich habe lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, das sind keine zufälligen Bedingungen der Moderne, sondern es gibt Menschen und Firmen, die daran ein Interesse haben. Es gibt einen technologischen Totalitarismus, der dafür sorgt, dass wir uns in einer homogenen Selbstbegegnung befinden, von der die Tech-Unternehmen profitieren.

Und auch wenn das sehr anti-kapitalistisch klingt, sucht die bekennende CDU-Frau Diana Kinnert nach einem marktwirtschaftlichen Ausweg, der nicht mehr Staat, mehr Bevormundung und mehr Paternalismus bedeutet. Ich möchte Sie einladen, hier und heute Morgen im Podcast an dieser Suchbewegung teilzunehmen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Folge
FDP-Bundesvorsitzender Christian Lindner © dpa

Der Gewinner dieser Tage ist die FDP. In der jüngsten Insa-Umfrage landet sie bei 10,5 Prozent, nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz könnte sie in beiden Ländern womöglich regieren.

In einem 170-seitigen Text skizzieren die Freidemokraten nun ihre Ideen für das bundespolitische Wahlprogramm. Liberale Evergreens wie Steuersenkungen für die Mittelschicht sind dabei, auch Firmeninhaber, Selbstständige und Häuslebauer sollen profitieren. Aber das Programm geht weiter.

Die zehn radikalsten Reformideen der Liberalen:

  • Die Amtszeit der Kanzlerin/des Kanzlers soll auf zwei Legislaturperioden begrenzt werden.

  • Der Anteil der Sozialausgaben am Bundesetat soll auf 50 Prozent gedeckelt werden.

  • Der Staat muss einen Fahrplan vorlegen, wie er die Stabilitätskriterien von Maastricht wieder erreichen und die Staatsverschuldung damit begrenzen will.

  • Digitale Botschafter aus der Bundesregierung sollen in den Tech-Zentren der Welt von Shenzen bis Tel Aviv nach neuen Technologien und Trends fahnden.

  • Die EU-Kommission soll auf 18 Kommissare verkleinert werden, das Europäische Parlament nur noch an einem Ort tagen.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing © dpa
  • Schulen und Kitas bekommen einen „German Dream“-Zuschuss für Kinder aus prekären Verhältnissen.

  • Ein „Midlife-BAföG“ von 1000 Euro pro Jahr soll älteren Arbeitnehmern die Weiterbildung schmackhaft machen.

  • Der normale Arbeitnehmer soll vom Finanzamt eine komplett vorausgefüllte Steuererklärung bekommen, die er nur bestätigen muss („easy tax“).

  • Auch Vorstände sollen bis zu sechs Monate in Elternzeit gehen können.

  • Ein Prozent des Mehrwertsteueraufkommens soll zusätzlich in die Bildung fließen. Die FDP rechnet mit 2,5 Milliarden Euro.

Alle Details dieser bisher unveröffentlichten liberalen Ideensammlung finden Sie in unserem Hauptstadt-Newsletter:

Der Deutschlandplan der FDP

Einfach, niedrig, gerecht? Die FDP-Programmkommission legt Ideen für den Wahlkampf vor.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Angela Merkel © dpa

Die Beschlusslage war eigentlich eindeutig: Künftig sollen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter einmal pro Woche auf Corona testen lassen. Das entschieden Bundesregierung und Ministerpräsidenten am vergangenen Mittwoch. Verabredet war, diesen Beschluss vor seiner Inkraftsetzung mit den Arbeitgeberverbänden zu klären.

Die Klärung ist mittlerweile erfolgt und fiel so aus, wie es sich die Arbeitgeber gewünscht hatten: Es wird keine verpflichtenden Tests für die Mitarbeiter geben, sondern lediglich eine Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Der BDI und weitere Wirtschaftsverbände lobten anschließend die „unternehmerische Herangehensweise“.

Kanzlerin Angela Merkel versuchte die Niederlage der Staatlichkeit zu kaschieren, indem sie sagte: „Wir werden uns in der Regierung ganz genau angucken, was dabei herausgekommen ist.“ Tagesschau.de applaudierte mit der schön gefärbten Zeile „Merkel nimmt Firmen in die Pflicht“.

Fakt ist: Genau dieses In-Die-Pflicht-Nehmen unterbleibt. Eine verbindliche Testung aller Mitarbeiter wird es nicht geben. Damit sind die Machtverhältnisse zwischen Regierung und Wirtschaft mal wieder geklärt. Der Schwanz hat mit dem Hund gewedelt.

Die Lage am heutigen Morgen:

  • Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 9146 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Zudem wurden 300 weitere Todesfälle gemeldet.

  • Seit Ausbruch der Pandemie wurden somit laut RKI in Deutschland insgesamt 2.518.591 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 72.489 starben in Verbindung mit Covid-19.

  • In Deutschland ging die Zahl der Beschäftigten in der Pflege zwischen Anfang April und Ende Juli 2020 um mehr als 9000 Beschäftigte zurück, was einem Rückgang von 0,5 Prozent entspricht.

  • Eine kleine Anfrage der FDP ergab, dass Einreisende zwischen Januar und Februar trotz Aufenthalt in einem Risikogebiet kaum auf negative Coronatests geprüft wurden. Demnach wurden von den über 1,5 Millionen Einreisenden gerade einmal 176.000 bei ihrer Einreise kontrolliert.

  • Norwegische Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass Pollenflug zu einem Anstieg der Infektionsrate führen kann. Der Grund hierfür ist das Immunsystem, das bei Allergikern empfangsbereiter auf Infektionen reagiert.

  • Eine neue Corona-Mutation wurde in Deutschland entdeckt. B.1.525 ist die Bezeichnung der Variante, die Eigenschaften der schon bekannten britischen, brasilianischen und südafrikanischen Virusart kombiniert. Die Mutation weist zudem eine Form des Spike-Proteins auf, wodurch das menschliche Immunsystem größere Probleme haben dürfte, sich gegen den Erreger zu verteidigen.

Klick aufs Bild führt zur Homepage
Kasper Rorsted © dpa

Adidas stellt heute die Ergebnisse für das Geschäftsjahr 2020 vor. Alle bislang vorliegenden Kennziffern deuten darauf hin, dass Vorstandschef Kasper Rorsted inmitten der Pandemie seinen Status als Ausnahme-Manager verteidigen kann. Bei coronabedingtem Umsatzrückgang im niedrigen einstelligen Bereich ist mit einer deutlichen Verbesserung des Betriebsergebnisses zu rechnen.

Denn: Bereits im dritten Quartal hatte sich der Sportartikelhersteller wieder gefangen und das Betriebsergebnis im Vergleich zum zweiten Quartal um mehr als 1,1 Milliarden Euro gesteigert. Eine operative Marge von 13,3 Prozent sorgte über das Unternehmen hinaus für Aufmerksamkeit.

Der wichtigste Gewinntreiber: Die zumeist junge Kundschaft und das altehrwürdige Unternehmen aus Bayern sind gemeinsam in Richtung digitales Neuland abgebogen. Der einstige CSU-Slogan von „Laptop und Lederhose“ wurde zeitgemäß übersetzt: Smartphone und Sportschuhe.

Die neuen Elektroautos von Volkswagen © dpa

In Deutschland sind im vergangenen Jahr knapp 395.000 Elektroautos und Plug-in-Hybride zugelassen worden – das entspricht einem Anstieg von 264 Prozent. Damit gab es in Deutschland erstmals mehr Neuzulassungen von E-Autos und Hybriden als in den USA. Nur in China kamen im zurückliegenden Jahr mehr Stromer neu auf die Straße.

Eine Infografik mit dem Titel: Der deutsche Markt für E-Autos nimmt Fahrt auf

Neuzulassungen von E-Autos und Plug-in-Hybriden in ausgewählten Ländern, von 2017 bis 2020, in Tausend

Der weltweite Bestand an Elektroautos ist insgesamt auf 10,9 Millionen gestiegen. Klimaschützer allerdings jubeln nur sehr verhalten: Viele Hybrid-Autos, die sich besonders in Deutschland großer Beliebtheit erfreuen, entpuppen sich als Mogelpackung. Laut dem ADAC stoßen sie je nach Fahrweise und Motorisierung mehr CO2 aus als konventionelle Verbrenner.

Joachim Löw © dpa

Neben der K-Frage stellt sich Deutschland heute auch die B-Fragewer kann Bundestrainer? Die Glanzzeiten des Joachim Löw sind Geschichte. Nun wird der Bundestrainer, der die deutsche Fußballnationalmannschaft 2014 zum Weltmeistertitel führte, in Bälde zurücktreten – auch weil ihm danach nicht mehr viel gelang:

  • Die EM 2018 begann mit einem ersten Turniersieg gegen Italien hoffnungsvoll – doch schon im Halbfinale gegen Frankreich war Schluss.

  • Bei der WM 2018 in Russland musste Deutschland nach der Vorrunde wieder nach Hause fahren.

  • Zuletzt blamierte sich die Bundes-Elf im vergangenen November mit einer 0:6-Niederlage gegen Spanien.

Philipp Köster © imago

Über die Chancen des deutschen Fußballs und mögliche Nachfolger für Joachim Löw sprechen wir im Morning Briefing Podcast mit Philipp Köster, dem Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins „11 Freunde“. Er sagt:

Ich glaube, es gibt einen Überraschungskandidaten, nämlich den Nachwuchstrainer Stefan Kuntz. Der ist bei der U21 bisher gut aufgehoben gewesen, ist ein pflegeleichter Kandidat und es gibt die Tradition, dass man aus dem eigenen Stall jemanden holt.

mutmaßliches Banksy-Graffiti in Großbritannien © picture alliance/dpa/PA Wire | Claire Hayhurst

Der britische Künstler Banksy, dessen wahre Identität bis heute nicht bekannt ist, gilt als der erfolgreichste Streetart-Künstler der Welt. Der Name ist dabei nur ein Pseudonym, zu seiner wahren Identität gibt es bislang nur Gerüchte. Womöglich verbirgt sich hinter dem Namen auch ein Künstler-Kollektiv.

Bekannt sind vor allem seine zahlreichen Graffitis, die erstmals Anfang der 2000er Jahre in Bristol und London auftauchten. Inzwischen rangeln Galerien und Sammler um seine Werke – egal ob auf der Leinwand oder an einer Hauswand.

Das Banksy-Bild „Game Changer“ im General Hospital Southampton © dpa

Nun wird ein Werk des renommierten Künstlers versteigert, das eine Hommage an das britische Pflegepersonal in Pandemiezeiten darstellt. Das Bild „Game Changer“ zeigt einen Jungen, der eine Krankenschwester-Puppe mit Superhelden-Cape durch die Luft fliegen lässt. Es wurde von Banksy mit der Notiz „Danke für all das, was ihr tut“ versehen und mutmaßlich vom Künstler selbst im Foyer eines Krankenhauses im englischen Southampton aufgehängt.

Der geschätzte Wert des Bildes liegt zwischen 2,9 und 4,1 Millionen Euro. Der Erlös der Versteigerung, die nun geplant ist, geht an den britischen Gesundheitsdienst.

Die Idee ist bestechend und übertragbar. Vielleicht können die deutschen Spitzenkönner des Gewerbes, als da wären Günther Uecker, Neo Rauch, Georg Baselitz, Gerhard Richter und Markus Lüpertz, über eine ähnliche Mildtätigkeit nachdenken. Oder um es mit Antoine de Saint-Exupéry, dem Schöpfer des „Kleinen Prinzen“, zu sagen:

Schenken ist ein Brückenschlag über den Abgrund deiner Einsamkeit.

Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing