es ist der womöglich größte Verrat der Neuzeit, begangen am helllichten Tage von einem amerikanischen Präsidenten. Vor einem Jahr noch lobte Donald Trump die Kooperation zwischen US-Armee und kurdischen Milizen im Anti-Terror-Kampf mit einfühlsamen Worten:
Sie haben mit uns gekämpft, sie sind mit uns gestorben, sie sind großartige Menschen. Wir vergessen das nicht, ich vergesse das nicht!
Das war nicht einfach nur ein Lob. Das war ein Treueschwur. Und jetzt? Amerika hat die syrischen Kurden politisch abgeschoben. Trump verfolgt nun andere Prioritäten: Er will die US-Truppen – derzeit rund 1000 Soldaten – aus dem Norden Syriens zurückziehen. Gefühlskalt wird der Vollzug eines Wahlversprechens exekutiert, das Trump nicht den Kurden, wohl aber seinen Anhängern gegeben hatte:
© imagoWir sind seit vielen Jahren in Syrien. Syrien sollte nur ein kurzfristiger Einsatz sein. Wir wollen unsere Truppen nun nach Hause holen.
Die Kurden stehen plötzlich als die nützlichen Idioten der Amerikaner da. Ihr Lohn ist sein Verrat. Die Währung, in der sie womöglich in den nächsten Wochen und Monaten für ihren Einsatz bezahlen werden, ist das eigene Leben. Sie haben nichts Geringeres als ihren Bodyguard verloren.
Eine Infografik mit dem Titel: Die kritische Zone
Bislang von US-Truppen gesichertes Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien
Auf der anderen Seite der Grenze steht das türkische Militär und lauert nur darauf, den Platz der Ordnungsmacht im syrischen Grenzgebiet einzunehmen. Für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sind die Kurden keine Verbündeten, sondern Terroristen. Den Wunsch nach einem separaten Kurden-Staat versucht er ihnen seit langem schon mit Gefängnis und Krieg auszutreiben. Über die Situation in der mehrheitlich von Kurden bewohnten Region im Nordosten Syriens habe ich für den Morning Briefing Podcast mit Thomas McClure gesprochen, einem ehemaligen Grundschullehrer aus Manchester. Seit eineinhalb Jahren lebt der 25-Jährige in der Region und arbeitet für das Rojava Information Center. Dessen Mission ist es, im Propagandakrieg zwischen den Krieg führenden Mächten der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen – oder zumindest die Annäherung an sie zu versuchen. Er sagt:
Die Menschen hier sind sehr verunsichert von der amerikanischen Entscheidung, die über ihre Köpfe hinweg getroffen worden ist.
McClure berichtet von Protesten vor der Repräsentanz der Vereinten Nationen und den amerikanischen Stützpunkten:
Die Menschen gehen auf die Straßen, um sich Gehör zu verschaffen. Sie wollen den amerikanischen Soldaten zeigen, dass sie sich im Stich gelassen fühlen.
In Sorge seien nicht nur die in der Region lebenden Kurden, sondern auch jene Menschen, die aus ganz Syrien in den von den USA bewachten Teil des Landes geflohen sind, um Schutz zu suchen:
Das sind Menschen, die jetzt vielleicht zum zweiten oder sogar dritten Mal in ihrem Leben vom Krieg aus ihren Häusern vertrieben werden.
Der engagierte junge Mann findet das, was da in Nordsyrien passiert, „moralisch, politisch, ethisch und strategisch falsch.“ Man wünschte, man könnte ihm widersprechen.
Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, hat die SPD in Aufregung versetzt. In großer Düsternis beschrieb er die Situation von Deutschlands ältester Partei gegenüber der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ so:
Die SPD ist in der Auflösung begriffen. Ein neuer Vorsitzender wird das nicht ändern.
Sein Beleg: Seit 1998 sind den Sozialdemokraten rund 13 Millionen Wähler von der Fahne gegangen. Die SPD, so Güllner, habe die politische Mitte freigegeben.
Ralf Stegner, SPD-Vize und Kandidat für den Vorsitz, widerspricht – und keilt deftig zurück. Im Morning Briefing Podcast sagt er:
Ich glaube, was sich auflöst, sind die Reste von demoskopischem Sachverstand bei Herrn Güllner, der nun schon lange SPD-Mitglied ist und noch viel länger unser Ende prognostiziert. Auch die Analyse, die dahintersteckt – er sagt ja, wir würden einen Linkskurs fahren, der verheerend sei – ist großer Unfug.
Eine Infografik mit dem Titel: Die halbierte Partei
Entwicklung der Mietgliederanzahl der SPD
Vielleicht ist jetzt, in der heißen Phase des SPD-internen Wahlkampfes, nicht die richtige Zeit für eine kühle Analyse. Aber danach lohnt der Blick auf die Vielzahl sozialdemokratischer Niedergänge in Europa. Die Schmerzen der SPD sind keine singuläre Erscheinung. Hier schon vorab die Fakten:
Eine Infografik mit dem Titel: Der Niedergang der Sozialdemokratie
Höchste Wahlergebnisse seit 1945 sozialdemokratischer Parteien in ausgewählten Ländern und bei jüngsten Parlamentswahlen, in Prozent
► Holten die spanischen Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl 1982 noch 48 Prozent, blieben Parteichef Pedro Sánchez nach den jüngsten Parlamentswahlen in diesem Jahr noch 28,7 Prozent. Resultat: Regierungsbildung offen, Neuwahlen wahrscheinlich. ► Ein ähnliches Bild in Italien: 2008 holte die Partito Democratico (PD) noch 33 Prozent der Stimmen, zehn Jahre später waren es nicht einmal mehr 19 Prozent. Davor hatte sich der linke Flügel in die Partei „Artikel 1, Bewegung der Demokraten und Progessiven“ abgespalten. Im März 2018 kündigte Matteo Renzi seinen Rücktritt als Parteichef an. Jüngst teilte er mit, seine eigene Partei Italia Viva zu gründen. ► Die Sozialdemokratie in Frankreich traf es noch härter: Holte die französische Parti Socialiste (PS) bei den Parlamentswahlen 1981 noch 36 Prozent, waren es 2017 nur noch 7,4 Prozent. Mit Nostalgie schaut man auf den legendären sozialistischen Präsidenten François Mitterrand. ► Die niederländische Arbeiterpartei PvdA – die unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wim Kok Reformgeschichte schrieb – fiel von 33,8 Prozent in 1977 auf 5,7 Prozent in 2017 und rangierte zwischenzeitlich auf der Höhe der Tierschutzpartei. ►In Österreich war die Misere der SPÖ gerade erst zu verfolgen: Bei den jüngsten Parlamentswahlen im September holten die Sozialdemokraten nur noch 21,1 Prozent – 1979 waren es noch 51 Prozent. Die Ära des legendären Kanzlers Bruno Kreisky wirkt wie der Gruß einer untergegangen Zeit. Was da wegbricht, sind nicht nur die Stimmen am Wahltag. Dem Wählerschwund sind strukturelle ökonomische Umbrüche vorausgegangen, die der Sozialdemokratie ihrer angestammten Klientel beraubten. Der Partei der kleinen Leute gingen die kleinen Leute verloren. ► Seit 1991 ist der Anteil der klassischen Industrie am BIP der EU von fast einem Drittel auf ein Fünftel zurückgegangen. ►Der Anteil der Industriearbeiter an der Gesamtbeschäftigung ist im selben Zeitraum von 33,2 auf 23,9 Prozent geschrumpft. Absolut betrachtet arbeiten in der EU heute fünf Millionen weniger Industriearbeiter als noch vor 20 Jahren. Doch was ist mit ihnen geschehen? Viele stiegen auf in das gehobene Bildungsbürgertum, wo sie die Nähe zu den Grünen suchten. Noch mehr stiegen allerdings ab in das moderne Dienstleistungsproletariat, was sie der SPD bis heute übelnehmen. Güllners vereinsamte Mitte und Stegners verlorengegangener Traditions-Sozi sind womöglich enge Verwandte. In Deutschland arbeiteten 2018 fast vier Millionen Menschen weniger in Vollzeit als noch 1992. Dafür sind im selben Zeitraum rund zwölf Millionen Teilzeitkräfte, Minijobber und Leiharbeiter dazugekommen, deren Einkommen für ein würdevolles Leben kaum reichen. Die bösen Worte Hartzer, Aufstocker und Schonvermögen trugen nicht zur Beliebtheit der SPD bei. Der kleine Mann fühlt sich verraten – nicht nur von der SPD, sondern von der Moderne. Globalisierung, Technisierung und Akademisierung haben ihn weiter geschrumpft.
Das ständige Funkloch kostet Deutschland einen Spitzenplatz im neuesten Standortranking des Weltwirtschaftsforums (WEF). Weil die Bundesrepublik bei Internetverbindungen und Glasfaserkabel abgeschlagen auf Platz 72 aller Nationen weltweit liegt, fällt Deutschland in der Rangliste von Platz drei auf Platz sieben zurück. Hongkong, die Niederlande, die Schweiz und Japan zogen vorbei. Das von Klaus Schwab gegründete und geleitete WEF, bekannt durch seine Jahreskonferenz in Davos, untersucht unter anderem, wie zukunftsfähig Finanzsystem, Infrastruktur und Arbeitsmarktbedingungen sind. Die WEF-Ökonomen geben Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit nur noch mittelprächtige Noten: ► Unternehmensgründungen sind zu teuer und dauern zu lange. ► Beim Anlegerschutz bestehe Handlungsbedarf. ► Im Vergleich zum Vorjahr habe die Lebenserwartung abgenommen. Die Deutschen müssten besser vorsorgen. Fazit: Solche Untersuchungen beschreiben den materiellen Grund, warum Deutschland einen Wechsel braucht. Wir leben in disruptiven Zeiten. Eine Stillstand-Regierung ist für viele bequem und für alle verheerend.
18.000 Stellen will Konzernchef Christian Sewing in den kommenden drei Jahren streichen, um die Deutsche Bank zu sanieren. Das ist jeder fünfte Mitarbeiter. Wie „Bloomberg“ gestern herausgefunden hat, liegt von den 18.000 Stellen die Hälfte in Deutschland. 9000 Mitarbeiter wird die Deutsche Bank in ihrem Heimatmarkt demnach weniger brauchen. Die Aktie notierte gestern zwei Prozent im Minus und hat seit Mitte September fast 20 Prozent an Wert verloren. Die Börse glaubt: Dieser Aderlass ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine Gesundung der Bank.
Es wäre die Krönung der Klimagöttin. Kommenden Freitag wird parallel zu den weltweiten Klima-Demonstrationen bekannt gegeben, wer den Friedensnobelpreis erhält. Die Buchmacher sehen Greta Thunberg vorn. Viele Greta-Fans haben im Eifer des Gefechts wichtiges verloren: Gelassenheit und Humor zum Beispiel. Das hat Kabarettist Dieter Nuhr schmerzhaft erfahren müssen. Er machte sich neulich in seiner ARD-Sendung über Thunberg lustig, der er einen CO2-freien Winter ohne Heizung empfahl, und erntete prompt einen Shitstorm im Netz.
Mein Kollege Michael Bröcker hat Dieter Nuhr ins Morning-Briefing-Podcast-Studio eingeladen und mit ihm über politische Korrektheit, den Hass im Netz und das vorsätzliche Missverstehen der Satire gesprochen. Seine Kernaussage:
Eigentlich drückt der Witz genau das aus, was das Problem der Bewegung ist. Nämlich, dass den jungen Menschen meist gar nicht klar ist, dass das, was auf sie zukommt, wenn ihre Forderungen erfüllt würden, ungemütlich werden könnte. Zum Beispiel im Winter kalt. Insofern ist der Witz eigentlich eine gute Form von Satire gewesen. Das ist aber niemandem aufgefallen außer mir.
Ich habe mich in der nächsten Sendung entschuldigt, da ich nicht wusste, dass ich einen Gottesdienst mache und keine Satiresendung.
Der Vorwurf, er habe sich an einem 16-jährigen Mädchen vergriffen, sei „völlig idiotisch“, sagt Nuhr. Er habe sich die „mächtigste Frau der Welt“ ausgesucht, die Staatschefs trifft und maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen wolle.
Es kann doch nicht sein, dass ich diejenige, die die Welt umkrempeln möchte, nicht satirisch angreifen darf, weil sie noch nicht volljährig ist. Wenn sie noch nicht volljährig ist und nicht angegriffen werden möchte, dann soll sie zu Hause bleiben, bis sie volljährig ist.
Auch Fußballgötter gehen in Rente: Gestern gab Bastian Schweinsteiger sein Karriereende bekannt. Der 35-Jährige geht als einer, der in seiner Karriere fast alles gewonnen hat – acht Mal Deutscher Meister, sieben Mal Pokalsieger, Champions-League-Gewinner und Weltmeister. Selbst die Kanzlerin zählt zu seinen Groupies, wie gestern auf Instagram zu besichtigen war. Angela Merkel schwärmte:
Was für eine große Karriere! Bastian #Schweinsteiger bleibt ein Vorbild – als Sportler und Sportsmann.
Bevor so ein talentierter junger Mann, der mit seinem Erfolg immer auch die Werbeindustrie anzog, an die deutsche Automatenwirtschaft verloren geht, sollte beim DFB doch noch mal einer in der Personalabteilung nachschauen: Wie lange laufen eigentlich die Verträge von Jogi Löw und Oliver Bierhoff? Auch der deutsche Spitzenfußball könnte einen Neustart wieder einmal gut gebrauchen. Ich wünsche Ihnen einen beherzten Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr