Disruption, 2-mal

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

die Corona-Politik der diensthabenden Oberärztin und ihres Assistenzarztes versucht den Patienten Deutschland mit einer Extradosis staatlicher Liquidität gesund zu spritzen. Diese Therapie basiert auf drei Prämissen:

Erstens: Das große Nachfrageloch, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Lieferketten und die Schließung der Verkaufsstellen, lässt sich durch einen Angebotsschock vergessen machen.

Zweitens: Nach der Krise werde ökonomisch alles wie vor der Krise sein.

Drittens: Die aufgetürmten Staatsdefizite könne man – wie nach früheren Krisen – durch Wirtschaftswachstum neutralisieren.

Gemäß der keynesianischen Wirtschaftstheorie wäre das auch so. Helmut Schmidt hätte in seiner Zeit so gehandelt, wie Scholz und Merkel es heute tun. Viel hilft viel. Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit.

Helmut Schmidt © imago

Aber: Die Helmut Schmidt-Welt ist untergegangen. Der Film, der vor unser aller Augen abläuft, besteht aus zwei Handlungssträngen. Vordergründig bestimmt die Coronakrise das Geschehen. Im Hintergrund aber laufen die Prozesse einer globalen Transformation.

Die alte Welt – die jetzt mit einer Injektion von Steuerzahlergeld gerettet werden soll – verliert ihre Dominanz. Am Ende des Films, den wir unser Leben nennen, liquidieren die jungen digitalen Helden, die sich zunächst im Hintergrund aufhielten, die Cowboys der frühen Jahre. Corona hilft ihnen dabei. Alles sieht nach einem tragischen Unfall aus.

Die großen Digitalkonzerne aus Amerika, China und Indien – das lässt sich in einer Art Halbzeitbilanz bereits jetzt schon erkennen – spielen ihre Vorteile derzeit perfekt aus. Im stark wachsenden App-Geschäft beispielsweise – im vergangenen Jahr wurden weltweit in den App-Stores von Google und Apple 84 Milliarden US-Dollar umgesetzt (fast eine Verdopplung zu 2016) – kommt ihnen kein deutsches Unternehmen in die Quere. Die Analyseplattform Sensor Tower bilanziert:

► Die Top 20 der weltweit am meisten heruntergeladenen Apps wird dominiert von US-amerikanischen und asiatischen Anbietern. Die Top 5 bestehen aus vier Facebook-Apps und dem chinesischen Netzwerk Tiktok

Der Medienkonsum der Corona-Wochen wird nahezu in Echtzeit vermessen. Derweil die Nutzung von Auto, Flugzeug, Einzelhandel, Kino, Diskothek und Livekonzert abnimmt beziehungsweise ruht, gewinnen die digitalen Freizeitprodukte weiter an Dominanz. Vor allem die Generation Z (16 bis 23 Jahre) und die Jahrgänge der Millennials (24 bis 37 Jahre) führen mittlerweile ein Leben im Universum des Digitalen.

Der Global Web Index, für den in Großbritannien und in den USA rund 4000 Menschen nach ihrem veränderten Medienkonsumverhalten durch die Coronakrise befragt worden sind, ergibt:

Bei den Millennials wie auch in der Generation Z schaut man Filme und Serien verstärkt über das World Wide Web, das lineare Fernsehen verliert. Netflix und Nintendo triumphieren.

Eine Infografik mit dem Titel: Digital First

Verändertes Medienverhalten der Millenials (24-24 Jahre) in der Corona Krise, in Prozent

► Insgesamt sind die jüngeren Generationen neugieriger und informieren sich über eine Vielzahl unterschiedlicher Kanäle. In der Krise wachsen aber vor allem digitale „Bleib-zu-Hause-Angebote wie Videos, TV- und Musik-Streaming sowie Online-Medien.

Eine Infografik mit dem Titel: Zwischen den Welten

Verändertes Medienverhalten der Generation X(35 bis 54 Jahre) in der Corona-Krise, in Prozent

► Aber auch in der Generation X (38 bis 54 Jahre alt) hat die Nutzung von Online-Medien in der Krise erheblich zugenommen: 31 Prozent konsumieren verstärkt Online-Portale, 35 Prozent auch mehr Videos.

► Bei den älteren Jahrgängen, der Generation der Babyboomer (55 bis 64 Jahre alt) hat sich auf den meisten Alternativkanälen kaum etwas bewegt. Ihr Medienkonsum verläuft statisch, was in den Aktienbewertungen für RTL (minus 60 Prozent seit 2015) und ProSiebenSat.1 (minus 77 Prozent seit 2015) reflektiert wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Lineares Leben

Verändertes Medienverhalten der Boomer-Generation (55 bis 64 Jahre) in der Corona-Krise, in Prozent

Wer denkt, die neue Welt bezieht sich allein auf den Medienkonsum, der irrt. Der Aufstieg der Digitalwirtschaft wirkt auf breiter Front wie ein Brandbeschleuniger für die alten Geschäftsmodelle des 20. Jahrhunderts: Gestern beantragte der Gründer von Virgin-Atlantic Richard Branson (Motto: „Geht nicht, gibt’s nicht“) eine Staatshilfe. Er weiß, warum: Seine Airline wird auch nach der Krise den Flügel nicht mehr hochbekommen.

Die großen, haptischen Marken des 20. Jahrhunderts – Coca Cola, Pepsi, McDonalds, Reebok, Wrigley's Spearmint, Mercedes, Marriott, Hilton, Sony und Levis spielen heute als sogenannte Love Brands keine Rolle mehr. Laut der Brand Intimacy Study einer amerikanischen Werbeagentur, für die 6200 Konsumenten vor allem in den USA, befragt wurden, sind es schwerpunktmäßig digitale Marken, denen heute eine intime Beziehung mit dem Konsumenten gelingt.

Eine Infografik mit dem Titel: Generation Z & Millenials

Die Lieblingsmarken der 18- bis 34-Jährigen in den USA

Eine Infografik mit dem Titel: Generation X

Die Lieblingsmarken der 35- bis 54-Jährigen in den USA

Eine Infografik mit dem Titel: Boomer-Generation

Die Lieblingsmarken der 55- bis 64-Jährigen in den USA

Die großen Gewinner der vergangenen Jahre sind demnach Marken wie Amazon, Apple, Netflix, Samsung und Nintendo. Aus der alten Welt schaffen es vor allem solche Marken auf die vorderen Plätze der Marken-Hitparade, die Modernität ausstrahlen, indem sie zum Beispiel Hybrid- oder Elektromobile anbieten wie Toyota.

Fazit: Die Corona-Politik stabilisiert, aber heilt nicht. Eine Welt, die schon vor dem Virus wackelig geworden war, verschwindet im Nebel der Geschichte. Die Fundamente des deutschen Hauses stehen auf tektonischen Platten, die weltweit in Bewegung geraten sind. Vom Dach purzeln die Ziegel. Die Glasscheiben vibrieren. Der moderne Bungalow steht gegenüber – auf der anderen Seite der Welt.

Das spricht nicht gegen die deutsche Rettungspolitik, aber es spricht gegen die zu hohen Erwartungen an diese. Nach der Krise sieht die Welt anders aus als vor der Krise. Das einzig verlässliche sind die Kosten der deutschen Weltrettung: An die werden wir uns noch erinnern, wenn Assistenzarzt Scholz sich im Ruhestand befindet und die diensthabende Kanzlerin im Geschichtsbuch verschwunden sein wird. Ihre Geldinjektionen können eine Schwächephase der deutschen Volkswirtschaft bekämpfen, aber nicht den historischen Gezeitenwechsel verzögern. Die Flut ist pünktlich.

In einem vertraulichen Papier des gemeinsamen Corona-Krisenstabes von Gesundheits- und Innenminister werden Veränderungen in der Kriminalitätslage untersucht und klar benannt. „Insgesamt ist die Sicherheitslage weitgehend ruhig“, heißt es zwar in dem 17-seitigen „Lagebild“, jedoch werden im Anschluss zahlreiche Punkte aufgeführt, die eine durchaus veränderte Kriminalitätslage erkennen lassen. So heißt es:

Es kommt zum Anstieg einzelner Deliktsarten, insb. von Betrugsdelikten und Cyberkriminalität. Mittelfristig sind Auswirkungen auf den Menschen- und Drogenhandel, langfristig auf Steuerstraftaten, Korruption und Subventionsbetrug wahrscheinlich.“ Aufgelistet werden im Anschluss beispielsweise:

► Bei Betrugsdelikten wird die Angst vor dem Coronavirus auf vielfältige Weise ausgenutzt. Täter geben sich als Amtspersonen aus und verlangen für angebliche Amtshandlungen hohe Geldsummen.

► Im Internet werden vermehrt gefälschte Medikamente und Medizinprodukte (unter anderem Schutzmasken und Handdesinfektionsmittel) gegen Covid-19 und angebliche Tests angeboten

 © dpa

► Die Cyberkriminalität steigt an. Sie richtet sich sowohl gegen natürliche Personen als auch gegen Unternehmen aus dem Bereich der kritischen Infrastrukturen und Behörden sowie gegen Videokonferenz-Anwendungen.

► Extremistische Gruppen nutzen die Krise zur weiteren Verbreitung ihrer „ideologischen Narrative“: Die linke Szene empfindet die Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie als Repression und ruft zum Widerstand auf. Die rechte Szene gibt Minderheiten die Schuld an der Ausbreitung des Virus.

Besonders alarmierend ist die Passage über Gewalt in Familien und Beziehungen. Eine Zunahme lasse sich nicht erkennen, jedoch könnte das daran liegen, dass durch die Einschränkung des sozialen Lebens das Entdeckungsrisiko deutlich abgenommen habe. Beleg dafür:

Die Telefon- und Online-Beratung des Bundesfamilienministeriums verzeichnete für den Monat März zweistellige Zuwächse im Vergleich zu den Vormonaten.

Fazit: Die Pandemie hat Folgen weit über den medizinischen Bereich hinaus. Die beste Gefahrenabwehr bietet: erhöhte Wachsamkeit.

 © imago

Vor sechs Jahren schaffte es der Bund erstmals, ohne neue Schulden auszukommen. Doch mit der Corona-Pandemie und dem Zusatz-Haushalt von 156 Milliarden Euro ist die „schwarze Null“ erneut dicken roten Zahlen gewichen. Finanzstaatssekretär Werner Gatzer, Rheinländer von Geburt und Gemüt, hatte die „schwarze Null“ stets verteidigt. Selbst CDU-Minister Wolfgang Schäuble lobte den SPD-Mann als „bewährt, solide und seriös“.

Wie geht es dem Chef-Haushälter des Bundes nun mit der neuen Schuldenlast? Im Morning Briefing Podcast hat ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker den 61-Jährigen befragt. Gatzer sagt:

Ich weine nicht. Ich bin froh, dass wir in den vergangenen Jahren den Haushalt so konsolidiert haben, dass wir jetzt in einer derartigen Krise in der Lage sind die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren.

Wir setzen die Schuldenregel nicht außer Kraft, sondern wenden sie mit dem Ausnahmetatbestand an.

Die europaweit diskutierten Corona-Bonds, gemeinsame von den EU-Staaten ausgegebene Anleihen, will der Top-Beamte nicht grundsätzlich verwerfen:

Europa hat in der Vergangenheit bei der Lösung von Problemen nicht alle überzeugt. Solidarität ist ein wichtiges Gut in Europa. Sie bringt vielleicht noch Instrumente mit, an die wir jetzt nicht denken.

Politik paradox: Deutschlands Kassenwart hält mit der einen Hand die Kasse geschlossen. Mit der anderen greift er beherzt hinein.

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Rückschlag für die Frauenbewegung bei SAP: Die bisherige Co-Chefin Jennifer Morgan wird Ende des Monats das Unternehmen verlassen – nach nur sechs Monaten an der Spitze. Grund sei die „aktuelle Situation“, die „schnelles, entschlossenes Handeln“ und eine klare Führungsstruktur verlange. Christian Klein, der gemeinsam mit Morgan das Unternehmen seit Mitte Oktober führte, wird zukünftig alleiniger CEO.

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Erstens: Ausnahmezustand im Ölmarkt: Der Preis für einen Kontrakt, der eine physische Öllieferung im Mai vorsieht, notierte erstmals seit Aufnahme des Future-Handels im Jahr 1983 im negativen Bereich – zuletzt bei minus 37,63 US-Dollar je Barrel (159 Liter). Das bedeutet, dass Käufer bei Abnahme Geld erhalten.

Zweitens: Der Softwarekonzern SAP veröffentlicht am heutigen Morgen seine detaillierten Geschäftszahlen für das erste Jahresquartal. Der Dax-Konzern hatte seine Aussichten aufgrund der Gesundheitskrise und den daraus folgenden Aufschüben von Neuabschlüssen im Lizenzgeschäft bereits im Vorfeld gedämpft. Im Telefon-Call des Vorstandes dürfte sich heute Morgen aber alles um die Hintergründe für das jähe Ende der Doppelspitze drehen.

Drittens: Unter strengen Hygieneregeln beginnen die schriftlichen Abiturprüfungen in Hamburg und Schleswig-Holstein. In der Hansestadt gehören beispielsweise Abstände zwischen den Schülern und Desinfektionsmittel zum Standard.

 © imagoKönigin Elisabeth II. © imago

Fünftens: Königin Elisabeth II. und ihr Ehemann Prinz Philip trotzen der aktuellen Gesundheitskrise auf Schloss Windsor. Dort verbringt das britische Staatsoberhaupt auch seinen 94. Geburtstag – auf leise Art und Weise. Es wird weder einen Stoßtrupp der Gratulanten noch Salutschüsse geben. Nur die Stille des Schlosses und die Weite der Parkanlage: Quarantäne leicht gemacht!

Ich wünsche Ihnen einen humorvollen Start in den neuen Tag.

Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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