Energie: Das Öko-Märchen

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Guten Morgen,

Vorsicht Wunschdenken! In Energiefragen ist in Deutschland eine Alice-im-Wunderland-Situation entstanden: Unwidersprochen von Politik und Medien gehen weite Teile der Bevölkerung davon aus, dass mit dem Klimawandel den fossilen Brennstoffen weltweit das Totenglöckchen gebimmelt wird.

Politiker aller Couleur nähren diesen Eindruck, offenbar in der Absicht, als besonders modern zu gelten. Bayerns Ministerpräsident Söder nennt den Ausstieg aus der Kohle, der in Deutschland für das Jahr 2038 verabredet wurde, „unambitioniert“. „Deutschland muss beim Klimaschutz nachbessern“, fordert heute allen Ernstes das „Handelsblatt“. Der sächsische Umweltminister Wolfram Günther behauptet, „Investoren, Großunternehmen und Versicherer“ würden geradezu fluchtartig die Energiebasis des Industriezeitalters verlassen:

Da ist eine irre Dynamik drin.

Irre ist vor allem die Selbsttäuschung der Deutschen. Hierzulande wird links geblinkt und weltweit wird rechts abgebogen. Das zur Schau gestellte Klimabewusstsein von Politikern und Medien kontrastiert mit der Tatsache, dass die Förderung, der Verkauf und der industrielle Verbrauch fossiler Brennstoffe einem neuen Allzeithoch entgegenstrebt:

  • Die Prognose für den Strommix des Jahres 2040 sieht für Öl, Gas und Kohle einen Anteil von 62 Prozent vor. Die Erneuerbaren kommen demnach – ohne Kernenergie – auf 23 Prozent.

  • Weltweit subventionieren die Regierungen weiterhin direkt und indirekt die fossilen Energieträger, wie unlängst das von Michael Bloomberg finanzierte Forschungsinstitut BloombergNEF publizierte.

Eine Infografik mit dem Titel: Kohle im Vormarsch

Kohleförderung seit 1981, in Millionen Tonnen

  • Die chinesische Volkswirtschaft ist im ersten Halbjahr dieses Jahres um gut zwölf Prozent gewachsen und kann den eigenen Hunger nach Steinkohle kaum stillen. Dabei verbraucht China schon heute mehr Steinkohle als alle Länder weltweit zusammen.

  • Aufgrund von Versorgungsengpässen kam es in einigen Provinzen des Landes bereits zu Stromausfällen. Um die Versorgung der Kohlekraftwerke sicherzustellen, gab die Zentralregierung mehrere Millionen Tonnen Kohle aus der staatlichen Reserve frei.

Eine Infografik mit dem Titel: Kohle: China vorn

Anteil der führenden Länder an der weltweiten Kohleförderung im Jahr 2020, in Prozent

  • Die derzeit für die chinesischen Energiekonzerne diskutierte Obergrenze für die installierte Leistung der Kohlekraftwerke ist derart hoch, dass weitere 290 Gigawatt neu ans Netz kommen könnten. Zur Einordnung: Das wären mehr als sämtliche am Netz befindlichen Kohlekraftwerke der USA.

  • Chinesische Finanzinstitutionen investieren weiterhin weltweit in Kohlekraftwerke. Rund ein Viertel aller weltweiten Investitionen in die Kohle-Infrastruktur wird von ihnen finanziert.

  • Auch die Preissignale vom Kohlemarkt deuten auf eine große Nachfrage und keineswegs auf das Ende einer Ära hin: Mit rund 160 Dollar je Tonne ist der Preis für australische Standardsteinkohle so hoch wie seit 2008 nicht mehr und hat sich binnen eines Jahres verdreifacht.

Eine Infografik mit dem Titel: Langwierige Energiewende

Verwendete Energieträger zur Stromerzeugung weltweit im Jahr 2020 und Prognose für 2040, in Prozent

  • Selbst in Deutschland wurde im ersten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahr rund ein Drittel weniger Windstrom erzeugt. Dementsprechend stieg der Verbrauch von Kohle um gut 27 Prozent, wie das Statistische Bundesamt ermittelte.

Eine Infografik mit dem Titel: Wandelnder Strommix

Im Inland produzierter und ins Netz eingespeister Strom in Deutschland nach Energieträger, in Prozent

Auch die Hoffnung, der Welt würden die fossilen Brennstoffe bald ausgehen, ist durch die Forschung nicht gedeckt. Die Menschheit verbraucht derzeit laut einer Studie von Siemens und der TU München jährlich rund ein Prozent der weltweit förderbaren fossilen Energieträger. Das bedeutet: Erst in hundert Jahren wäre die letzte Ölquelle versiegt.

Fazit: Die Wirklichkeit ist politisch nicht korrekt. Wir erleben das, was Peter Sloterdijk „die Übersteigerung des Unbehagens durch seine Erklärung“ nennt. Sein Rat ist klug, aber spendet keinen Trost:

Verzichtest du auf weitere Fragen, bist du in Sicherheit.

"Die letzte Chance, die wir haben"

Für die Stahlkocher im Ruhrgebiet geht es im Wahlkampf nicht um Banales, sondern um ihre Existenz.

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Veröffentlicht von Rasmus Buchsteiner.

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Markus Söder © dpa

Einmal mehr mischt sich Markus Söder in die Wahlkampagne von Armin Laschet ein. Dies geschah in einer nicht-öffentlichen CSU-Präsidiumssitzung, die so nicht-öffentlich nicht gewesen sein kann, denn „Bild“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichten und zitieren wörtlich:

„Ich helfe gern und bekomme starke Aufforderungen aus ganz Deutschland, mehr zu machen“, sagte demnach Söder.

Und dann der Satz, der für Laschet wie ein Kantenschlag wirkt:

Sechs Wochen vor der Wahl über einen möglichen Austausch von Kandidaten zu reden, zeigt, wie schwer die Lage ist.

Armin Laschet © dpa

Eine derartige, öffentlich zelebrierte Zerrissenheit der Unionsführung hat es – zumindest in der heißen Wahlkampfphase – nicht mal zwischen Franz Josef Strauß und Helmut Kohl gegeben. Auch Angela Merkel und Friedrich Merz wussten sich in Wahlkampfzeiten zu benehmen. Der Politikchef des „Handelsblatt“ drückt in seinem Kommentar aus, was viele in der CDU-Spitze heute Morgen denken:

Während SPD-Chefin Saskia Esken die Schlummertaste gedrückt hält und Kanzlerkandidat Olaf Scholz freie Hand lässt, macht Söder das Gegenteil: Wenn er weiterhin jeden zweiten Tag einen Weckruf startet, landet die Union noch in der Opposition.

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Wolfgang Ischinger © imago

Wolfgang Ischinger ist einer der erfahrensten und bekanntesten Diplomaten unseres Landes. Als Botschafter vertrat er die Bundesrepublik von 2001 bis 2006 zunächst in den USA, von 2006 bis 2008 dann im Vereinigten Königreich. Auf Wunsch der Regierung Merkel leitet der Jurist seit 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz. Im Gespräch mit „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld legt er im Morning Briefing-Podcast seine Ansichten und Einschätzungen zur Lage in Afghanistan dar.

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Auf die Frage, ob es Naivität oder Arroganz des Westens gewesen sei, zu glauben, ein anderes Land aus Afghanistan machen zu können, antwortet er:

Zu sagen, wir würden am liebsten nicht kämpfen, sondern Schulen für Mädchen bauen, Brunnen bohren und das Land schrittweise demokratisieren, war natürlich in einer eher pazifistisch denkenden deutschen Gesellschaft populärer als die Vorstellung, wir jagen Terroristen in den Bergen von Nordafghanistan und erschießen sie alle einen nach dem anderen.

Mit anderen Worten: Aus der ursprünglichen Mission, die Terroristen zu vertreiben und ihnen den Nährboden zu entziehen, wurde eine immer größer angelegte Demokratisierungsaktion, die von idealistischen Vorstellungen getrieben wurde.

Sein Fazit:

Das Ganze ist ein Debakel erster Klasse für den Versuch des Westens, seine Werte nicht nur zu verteidigen, sondern durchzusetzen.

Wolfgang Ischinger © imago

Die aktuelle Lage am heutigen Morgen:

  • Joe Biden gibt seinen Landsleuten eine Überlebensgarantie: Er versicherte, amerikanische Soldaten werden so lange auf afghanischem Boden bleiben, bis alle US-Bürger das Land verlassen konnten.

  • Deutsche Flugzeuge haben seit Montag nach Angaben der Bundeswehr über 1.200 Menschen aus Kabul evakuiert.

  • Allein zwischen 2015 und 2020 wurden Rüstungsexporte im Wert von rund 56 Millionen Euro aus Deutschland nach Afghanistan genehmigt. Zum Verbleib dieser Waffen und Fahrzeuge – etwa wie viele davon sich nun in den Händen der Taliban befinden – „liegen dem Bundesverteidigungsministerium zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Erkenntnisse vor“, erklärte das Ministerium der „Welt“.

Deutsche Soldaten in Afghanistan (2011) © dpa
"Die töten dich!"

Sie halfen den Deutschen, dann mussten sie fliehen: Begegnung mit zwei Ortskräften aus Afghanistan

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Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Christian Schweppe.

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Werner Baumann © dpa

Wer sich an die Hochphase der Bayer-Aktie erinnert, muss ein gutes Gedächtnis haben. Seit dem Allzeithoch von 146,45 Euro im Frühjahr 2015 zeigt der Aktienkurs Richtung Südpol. Im Jahresverlauf liegt die Aktie 14,6 Prozent im Minus. In der Dreijahresbilanz steht ein Minus von 47,4 Prozent.

Doch an der Börse wird die Zukunft bewertet und nicht die Vergangenheit. Deshalb empfehlen 13 von 18 Analysehäusern den Titel zum Kauf, die anderen fünf raten dazu, die Aktie aus Leverkusen zu halten. Das Hauptargument für die überraschend positive Bewertung ist der integrierte Pharma- und Agrar-Chemiekonzern, den Vorstandschef Werner Baumann durch die Übernahme von Monsanto geschmiedet hat.

Monsanto-Hauptsitz in Missouri © dpa
  • Die Menschheit wächst und damit wächst auch der Bedarf an Grundnahrungsmitteln.

  • Durch die Produktion von Saatgut und Unkrautvernichtungsmitteln befindet sich dieser Teil der Produktpalette von Bayer strategisch im Aufwind. Auf das Bayer-Motto „Health for All, Hunger for None“ kann sich die politische Elite der Welt in wenigen Minuten verständigen.

  • Der Absatz der Traditionsprodukte des Hauses, von Aspirin bis Ibuprofen, ist ebenfalls ein Derivat der wachsenden Weltbevölkerung. Und: Dieses Kerngeschäft ist renditestark.

Fazit: Die Risiken des Monsanto-Deals, die aus der Rechtssituation in den USA resultieren, sind weiter enorm. Doch der Markt hat, und das unterscheidet ihn von den politischen Beobachtern, wieder verstärkt die Chancen in den Blick genommen.

 © smb

Die aktuelle Corona-Lage am Morgen:

  • In Deutschland liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 44,2; in einigen Städten bereits über 100: Leverkusen führt mit 124,6, gefolgt von Flensburg mit 123,1 und Wuppertal mit 121,9.

Eine Infografik mit dem Titel: Kommt die vierte Welle?

Bestätigte Neuinfektionen je 100.000 Einwohner der vergangenen sieben Tage in deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten

  • Prof. Christian Drosten sagt, dass für den Großteil der Bevölkerung im Herbst keine Auffrischungsimpfung nötig sei. Lediglich bei alten Menschen sowie bestimmten Risikopatienten hält er diese für geboten.

Christian Drosten © dpa
  • Seit der Empfehlung der unabhängigen Kommission für die Impfung ab zwölf Jahren ist der Andrang groß: Laut RKI haben inzwischen 25,7 Prozent dieser Kinder mindestens eine Impfung erhalten, vollständig geimpft sind 16,5 Prozent.

Lofoten © imago

Alle wollen alt werden, aber keiner will es sein. Rein finanziell ist dieser Widerspruch am besten in Norwegen auszuhalten. Denn dieser Staat hat, im Gegensatz zum deutschen, seit 1998 konsequent vorgesorgt:

  • Jeder Norweger hat Anspruch auf eine Mindestrente von circa 20.000 Euro im Jahr. Auch, wenn er nie gearbeitet hat.

  • Das Renteneintrittsalter liegt bei 67 Jahren – mit Kürzungen sogar bei 62 Jahren.

  • Norweger, die sich um den Haushalt kümmern und beispielsweise Kinder oder pflegebedürftige Familienmitglieder umsorgen, können ihre Grundrente zusätzlich aufstocken.

Norwegens Absicherung im Alter ist ein Staatsfonds. Der Zusammenschluss aus einem staatlichen Pensionsfonds, der die Mittel der Sozialversicherung verwaltet, und dem staatlichen Pensionsfonds Ausland, in den Gewinne aus der Öl- und Gasförderung fließen, kommt auf einen Gesamtwert von rund 1,1 Billionen Euro und ist somit weltweit der größte Fonds seiner Art. Im Auftrag des Finanzministeriums verwaltet der Fonds Beteiligungen an mehr als 9.100 Unternehmen, darunter 199 deutsche.

Ölplattform vor Norwegen © dpa

Im ersten Halbjahr 2021 konnte der Ölfonds eine königliche Rendite von 9,4 Prozent erwirtschaften, was umgerechnet einem Plus von 94,9 Milliarden Euro entspricht – oder rund 17.000 Euro für jeden Norweger. Somit wurde zwischen Januar und Juni fast so viel wie im gesamten Vorjahr verdient. 2020 konnte ein Gewinn von umgerechnet etwa 102 Milliarden Euro erzielt werden – trotz Corona.

Der 8. Tag - mündig: Wie wir wählen und handeln

Alev Doğan spricht mit Ferdinand von Schirach, Jagoda Marinić, Nora Bossong und Kerstin Decker.

Podcast hören

Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Greta Thunberg © dpa

Greta Thunberg hat noch nicht überall auf der Welt die Realität verändert (siehe oben), aber den Diskurs schon. Sie ist der Prototyp für die These des Essays von Knut Cordsen, dass der Aktivist die Sozialfigur unserer Zeit ist.

  • Heute vor drei Jahren begann die damals 15-jährige Greta Thunberg aus Stockholm ihren Schulstreik für das Klima. Mutterseelenallein stand sie zunächst vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm und legte damit den Grundstein für die größte Jugendbewegung aller Zeiten.

Greta Thunberg vor dem schwedischen Reichstag © Kindernetz
  • Am 15. März 2019 gingen beim ersten weltweiten Klimastreik über 1,8 Millionen junge Menschen auf die Straße, beim nächsten im September waren es allein in Deutschland 1,4 Millionen Menschen.

In der Hitparade der Aktivisten liegt der Klimaaktivist heute weit vorne. Der Kampf gegen Armut und Hunger, der als „War on Poverty“ im Amerika des Präsidenten Lyndon B. Johnson eine ganze Jugendgeneration vom Konsumismus in den Aktivismus trieb, ist zur Sache der Kirchen und der Entwicklungshelfer geworden. Und auch die schwarze Bürgerrechtsbewegung des Martin Luther King, die in „Black Lives Matter“ ihre Fortsetzung fand, kann es mit der Klimabewegung nicht aufnehmen.

Fridays for Future: Demonstration in Frankfurt © dpa

Doch das Problem, das hat der Kulturjournalist Knut Cordsen in seinem Essay „Der Aktivist ist die Sozialfigur unserer Zeit“ beschrieben, ist, dass Lautstärke und Ohnmacht sich zuweilen bedingen. Man hört Greta, aber folgt ihr nicht. Man nickt ihr wohlwollend zu, um danach nach Mallorca zu fliegen.

Cordsen sieht darin das Schicksal der neuzeitlichen Aktivisten: Der Aktivist – gerade in seiner Ausprägung als Weltenretter – verfüge zwar „als Bewusstseinsgroßindustrieller über ein enormes aufmerksamkeitsökonomisches Kapital“, könne daraus aber vergleichsweise wenig machen. Das wiederum empört den Aktivisten:

Der Aktivist ist aus schierer Notwendigkeit Alarmist und also Übertreibungskünstler.

Deswegen hat Greta trotzdem nicht umsonst protestiert. Ihre Sätze haben überall auf der Welt kleine Anker geworfen. Ihr zum Trost sei Sigmund Freud in den Zeugenstand gerufen:

Das Unterbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.

Die Verhaltensänderung wird eintreten – aber weit nach Greta Thunberg. Das Sein folgt dem Bewusstsein – auch wenn Karl Marx vom Gegenteil überzeugt war.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in das Wochenende. Herzlichst grüßt Sie

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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