Energie: Staat heizt soziales Klima auf

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

was passiert, wenn der Staat in die Wirtschaft eingreift, kann man derzeit am Energiemarkt studieren. Wir erleben den Anfang einer staatlich gewollten Preis-Orgie:

Alle Menschen in Europa werden in diesem Winter deutlich mehr fürs Heizen und Tanken bezahlen. Millionen Menschen werden sogar frieren. Der Hauptgrund: Der Staat verteuert die fossilen Energieträger. Er schwingt die Preispeitsche, um so Innovation zu erzwingen. Die Wohlstandsverluste der Bürger nimmt er billigend in Kauf.

Beginnen wir bei den Frierenden. Knapp zwei Millionen Menschen konnten, sagt das Statistische Bundesamt, bereits im Jahr 2019 – bei deutlich reduzierten Energiepreisen – ihre Wohnungen nicht ausreichend heizen.

  • Laut Statistischem Bundesamt sind diese Menschen zu arm, um ihre Heizung aufzudrehen.

  • Die Lage ist in anderen Staaten der EU deutlich gravierender. In Bulgarien gehen die Statistiker davon aus, dass sich 30,1 Prozent der Menschen keine warme Wohnung leisten können. In Kürze wird sich ein EU-Gipfel damit befassen.

Eine Infografik mit dem Titel: Kein Geld zum Heizen

Anteil der Bevölkerung, der aus Geldmangel seine Wohnung nicht angemessen heizen kann, in Prozent

Die Energiepreise sind in diesem Jahr bereits enorm gestiegen, bewegen sich auf Rekordniveau und sollen planmäßig weiter zulegen:

  • Seit Jahresbeginn ist der Preis für Steinkohle um mehr als 200 Prozent gestiegen und steht derzeit bei 230 Dollar je Tonne.

Eine Infografik mit dem Titel: Steinkohle: Rapider Anstieg

Preis für Steinkohle seit Oktober 2020, in US-Dollar pro Tonne

  • Auch der Gaspreis schießt in die Höhe und mit ihm der Strompreis. Erdgas ist am niederländischen Referenzmarkt TTF rund zehnmal so teuer wie im Sommer 2020.

Eine Infografik mit dem Titel: Heizen wird teuer

Gas-Großhandelspreis (Dutch TTF) in Europa seit Januar 2020, in Euro pro Megawattstunde

Eine Infografik mit dem Titel: Erdgas: Die Preisrakete

Preis für Erdgas seit Oktober 2020, in US-Dollar MMBtu*

  • Elektrizität notiert an der Strombörse so hoch wie noch nie seit der Liberalisierung der Energiebranche. Seit der Jahrtausendwende hat sich der Strompreis in Deutschland mehr als verdoppelt.

Der Staat ist nicht der einzige, aber der wichtigste Preistreiber. Die Strom- und Benzinpreise sind seit jeher vom Staat geschaffene Preise (siehe Grafik), da er die diversen Preisaufschläge als sichere Einnahmequelle schätzt. Als Kämpfer wider den Klimawandel verschärft er nun mutwillig die Situation:

Eine Infografik mit dem Titel: Superteurer Kraftstoff

Verbraucherpreis für Eurosuper-Benzin in Deutschland mit und ohne Steuern im Januar 2021, in Euro je 1000 Liter

  • Ein wichtiger Faktor ist die CO2-Bepreisung: Industrieunternehmen und Kraftwerksbetreiber in der EU müssen für ihren CO2-Ausstoß sogenannte Emissionszertifikate vorhalten. Diese EU-Emissionsrechte haben sich binnen Jahresfrist deutlich verteuert.

  • Jahrelang lagen die Kosten für sie bei unter 10 Euro pro Tonne CO2, in diesem Jahr sind sie auf mehr als 60 Euro geklettert. Dadurch ist auch die Energieproduktion teurer geworden – vor allem die aus Kohle, bei der vergleichsweise viel CO2 ausgestoßen wird.

  • Durch den Green-Deal der Europäischen Union wird die Menge an CO2, die ausgestoßen werden darf, noch einmal reduziert, was sich weiter preistreibend auf die Emissionsrechte auswirkt. Der Staat will die Klimasünder bestrafen.

Eine Infografik mit dem Titel: Was kostet nur der Strom?

Zusammensetzung des Strompreises für Haushaltskunden 2021 auf einen Euro gerechnet, in Cent

  • Für den Mobilitäts- und Wärmemarkt hat sich die Bundesregierung auf einen nationalen CO2-Preis verständigt. 25 Euro werden seit diesem Jahr auf jede Tonne CO2 fällig. Bis 2025 sollen es bis zu 55 Euro je Tonne sein. Das „Handelsblatt“ bilanziert:

Was abstrakt klingt, bedeutet nichts anders als: Die Preise werden in die Höhe schießen.

  • Der Benzinpreis wird allein im Jahr 2022 um rund 70 Cent steigen müssen, um das staatliche Klimaziel im Verkehrssektor erreichen zu können. Für eine Familie mit zwei Autos auf dem Land steigen die Ausgaben für Mobilität um 1.800 Euro im Jahr, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet. Für viele Familien mit kleinerem Haushaltsbudget kommt das einem Fahrverbot gleich.

 © dpa
  • Die gestiegenen Energiepreise kriechen ausnahmslos in alle Produkte und Dienstleistungen hinein und führen so zu einem Preisschub – oder im Umkehrschluss – zu einer spürbaren Geldentwertung. Das Ergebnis: Weniger netto vom brutto.

Die Alternative zu Gas, Kohle und Öl wären die Erneuerbaren Energien, von denen die Politiker in ihren Reden so schwärmen. Die Sonne stellt keine Rechnung, heißt es immer wieder. Doch die Sonne scheint in Europa zu selten (nachts liefert sie gar nicht) und sie trifft auf zu wenige Photovoltaikanlagen, um ihre Wärme in Strom verwandeln zu können. In Deutschland, Frankreich und Polen (siehe Grafiken) ist ihr Beitrag zum Strommix denkbar gering.

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Auch die Windenergie kann die Lücke nicht füllen, zumal 2021 die Windernte bislang gering ausfiel. Minus sieben Prozentpunkte verzeichnet der Anteil der Windenergie am deutschen Strommix im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Die bedeutsamste CO2-freie Energie der Bundesrepublik – die Kernenergie – wird in Kürze abgeschaltet. Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle:

Unser Strommix ist nicht nur besonders teuer, er ist auch besonders schmutzig. Und er wird für lange Zeit noch schmutziger.

Da die wenigsten Politiker den Zusammenhang zwischen ihrem Idealismus in der Klimapolitik, den realen Energiepreisen und dem Boom der Rohstoff-Spekulationen via Optionsschein und Terminkontrakt durchschauen, hat die Stunde der Spekulanten geschlagen. Viele Einkaufsabteilungen der großen Konzerne arbeiten wie Wettbüros, weil sie ihre Energiebezüge über die Börse und nicht durch langfristige Lieferbeziehungen absichern.

Die Hedgefonds-Industrie lebt gut von den Preisturbulenzen am Energiemarkt. Wie Bloomberg berichtete, haben einige Hedgefonds die steigenden Energiekosten in Europa „in die größte zeitgenössische Geldvermehrung“ verwandelt. Vorneweg der Fonds Gresham Investment Management, dessen Chefstratege Scott Kerson auf einen möglichst harten Winter setzt:

Das ist der perfekte Sturm.

Fazit: Die Aussöhnung von Ökonomie und Ökologie war im Wahlkampf versprochen. Doch in Wahrheit lässt man zwei Züge aufeinander rasen. Der ökologische Imperativ und die soziale Frage werden sich geradezu vorsätzlich ineinander verkeilen. Die neuzubildende Regierung sollte diese Fakten nicht als Schmähung ihrer guten Absichten, sondern als Weckruf begreifen.

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Armin Laschet © dpa

Ende einer Episode: In einer kurzfristig einberufenen Fraktionssitzung hat CDU-Chef Armin Laschet gestern Nachmittag seinen Rückzug angekündigt.

Unser Hauptstadt-Team hat die Details einer historischen Sitzung rekonstruiert, in der Laschet zunächst die Chancen für eine Jamaika-Koalition betonte und von einem „Modernisierungsbündnis“ sprach, das besser für das Land wäre als eine Ampel.

Dann erklärte er für die Abgeordneten überraschend, dass eine solche Koalition auch ohne ihn gebildet werden könnte.

Es müsse das Prinzip gelten, so Laschet:

Erst das Land, dann die Partei, dann die Person.

Die Personalfrage werde einem möglichen Bündnis nicht im Wege stehen.

Wenn es mit anderen Personen geht, gerne.

Schon im Dezember könnte ein Bundesparteitag einen Nachfolger wählen.

Laschets Bitte an die Partei, „keine Personalschlacht zu veranstalten“, wird von seinen Parteifreunden längst dementiert. Hinter den Kulissen sondieren Carsten Linnemann, Jens Spahn, Ralph Brinkhaus, Norbert Röttgen und Friedrich Merz ihre Chancen.

Mein Kollege Michael Bröcker hat den Aufstieg und Fall von Armin Laschet fast 15 Jahre lang beobachtet.

Michael Bröcker © Anne Hufnagl

Er kommentiert:

Armin Laschet war noch im Januar der große Versöhner und Integrator. Der Maßvolle, der die Lager in der Partei und im Land zusammenführen könnte. Jetzt verlässt er als Martin Schulz der CDU die erste Reihe der Politik. Dazwischen liegt ein beispielloser Abstieg. Der CDU-Mann aus Aachen scheiterte an der Kanzlerin, an den Heckenschützen und an der eigenen Tollpatschigkeit. Was bleibt ist eine CDU, die am Boden liegt wie ein zerplatzter Luftballon.“

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  • In Reaktion auf den Rückzug von Armin Laschet hat Friedrich Merz auf Twitter angekündigt, sich an der Neuausrichtung der CDU beteiligen zu wollen:

Armin Laschet macht heute den Weg frei für den Neuanfang der CDU. Ich werde mich nach Kräften daran beteiligen, dafür einen einvernehmlichen Weg zu finden, der auch die Zustimmung unserer Mitglieder findet.

  • Derweil übt Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann massive Kritik am Umgang mit seinem Noch-Chef. „Es widert mich an“, sagte Laumann im WDR-Magazin Westpol über die „politische Vernichtung“ Laschets.

  • Auch FDP-Vize Johannes Vogel kritisiert auf Twitter:

Der Umgang mit Armin Laschet hat in den letzten Monaten oft jedes Maß verloren – für mich ein Beispiel dafür, dass die politische Kultur entgiftet werden muss.

Johannes Vogel © dpa
  • Erstmals haben SPD, Grüne und FDP über eine Ampel-Koalition auf Bundesebene sondiert. Im Anschluss an siebenstündige Gespräche traten drei gut gelaunte Generalsekretäre von SPD, FDP und Grünen vor die Presse. Es sei ein „besonderer Tag“ gewesen, sagte Lars Klingbeil (SPD). Volker Wissing (FDP) sah eine Bereitschaft, gemeinsam größere Hürden zu nehmen.

Isabel Schnabel © dpa

EZB-Direktorin Isabel Schnabel legt den Rückwärtsgang ein. Die Frau, die behauptet hatte, die Inflation würde nur unwesentlich über zwei Prozent steigen und die Aufregung der Medien sei wissenschaftlich unbegründet, räumt nun ein, dass der Preisdruck auch ins kommende Jahr überlaufen könnte:

Es wäre voreilig zu behaupten, dass die derzeitige Preisdynamik nächstes Jahr völlig abklingen wird.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Inflationsgeschichte

Inflationsrate im Euroraum, jährliche Veränderung in Prozent

Chip Kaye © Warburg Pincus

Chip Kaye gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Wall Street. Der gebürtige Texaner ist Vorstandschef der Private-Equity-Firma Warburg Pincus, mit einem gemanagten Vermögenswert von 64 Milliarden US-Dollar weltweit eine der größten Firmen der Branche. Für den einstigen SPD-Chef Franz Müntefering eine Riesen-Heuschrecke.

Meine Kollegin Chelsea Spieker und ich haben mit Chip Kaye über den schlechten Ruf der Private-Equity-Industrie, seine Philosophie für einen erfolgreichen Deal und „the power of luck“ gesprochen, die Kraft der glücklichen Fügung. Pioneers hören das knapp 40-minütige Interview morgen ab 9 Uhr auf unserer Webseite oder in der Pioneer-App.

Rolf Buch © imago

Der Zusammenschluss von Deutschlands größten Immobilienkonzernen ist vollbracht: Für 53 Euro je Aktie hat die Nummer eins, Vonovia, 60,3 Prozent an der Nummer zwei, Deutsche Wohnen, übernommen. In einer zweiwöchigen Nachfrist vom 8. bis zum 21. Oktober ist es Anlegern erlaubt, ihre Anteile an Vonovia zu übertragen. Unter Experten wird deshalb eine Beteiligung von bis zu 70 Prozent diskutiert.

Somit ist jetzt der größte europäische Immobilienkonzern entstanden. Beide Unternehmen besitzen zusammen 550.000 Wohnungen im Wert von mehr als 80 Milliarden Euro. Dies stößt vor allem in Berlin auf Kritik, wo sich ein Großteil der Deutsche-Wohnen-Immobilien befindet. In einem nicht-rechtsverbindlichen Volksentscheid hatte sich Ende September die Mehrheit der Wählenden in Berlin für eine Enteignung der Wohnungskonzerne ausgesprochen.

Wohnungen der Deutsche Wohnen und Vonovia in Berlin-Neukölln © dpa

Dieser Kritik wollen beide Unternehmen nun entgegentreten: Im Zuge ihrer Fusion haben sie bereits 14.750 Wohnungen an kommunale Wohnungsunternehmen verkauft. Darüber hinaus wollen sie ihre Mieten in Berlin für die nächsten fünf Jahre begrenzen. Außerdem sind sie laut Vonovia-Chef Rolf Buch bereit, rund 13.000 neue Wohnungen in der Hauptstadt zu bauen.

Damit hisst der Vorstandschef die weiße Fahne: Er will die Berliner Szene empörter Mieter beruhigen, nicht aufpeitschen. Er weiß, was Niccolò Machiavelli auch wusste:

Wenn der Teufel Menschen in Verwirrung bringen will, bedient er sich dazu der Idealisten.

ICE in Hochgeschwindigkeit © dpa

Auch die Deutsche Bahn möchte ihren Kunden ein Angebot machen, das sie nicht ausschlagen können: eine bessere Alternative zu Kurzstreckenflügen durch mehr und vor allem schnellere Zugverbindungen.

Zwischen Berlin und Köln etwa sollen dann ab Mitte Dezember Sprinter-Züge dreimal täglich verkehren, die laut Konzern mit unter vier Stunden bis zu eine halbe Stunde schneller wären als die bisherigen Züge. Ein ICE mit 13 Wagen kann fünfmal so viele Passagiere transportieren wie ein Mittelstreckenflugzeug und ist obendrein umweltfreundlicher.

Aber: Mit dem Fahrplanwechsel hebt die Bahn auch die Preise an. Im Schnitt sollen Tickets im kommenden Jahr um 1,9 Prozent teurer werden. Das wäre deutlich unterhalb der Inflation und damit moderat.

Was bedeutet Schönheit heute?

Alev Doğan spricht mit Managerin Tina Müller

Podcast hören

Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Abdulrazak Gurnah © dpa

Der Literaturnobelpreis ehrt Menschen, die unseren Horizont weiten. Oder wie Goethe es formulierte:

Wer Bücher liest, schaut nicht nur bis zum Zaun.

Gestern wurde eben jener Literaturnobelpreis an Abdulrazak Gurnah aus Tansania verliehen. Er öffne, begründet die Jury ihre Entscheidung, dem Leser eine Welt, die für viele unvorstellbar ist. Das Komitee lobte Gurnah dafür, dass er „konsequent und mit großem Mitgefühl die Auswirkungen des Kolonialismus in Ostafrika und seine Folgen für das Leben entwurzelter und migrierender Menschen durchdrungen“ habe.

Gurnah selbst kennt das Leid, das Flucht und Vertreibung auslösen, aus eigenem Erleben. Der Autor wurde 1948 im heute zu Tansania gehörenden Sansibar geboren. In den sechziger Jahren kam er als Flüchtling nach England, nachdem in seiner Heimat die Regierung nach einem Aufstand vom Militär gestürzt wurde. Seine Bücher verfasste er fortan nicht auf Swahili, seiner Muttersprache, sondern auf Englisch. Erst nach fast 20 Jahren konnte er das erste Mal wieder in sein Heimatland reisen.

Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah lebt in England. © dpa

Der literarische Durchbruch gelang Gurnah mit dem Roman „Das verlorene Paradies“, das von einem jungen Mann in Afrika erzählt, der mit den Folgen des Kolonialismus zu kämpfen hat. In „Donnernde Stille“ beschreibt der Autor die Innenwelt eines Menschen, der auch er selbst sein könnte:

​​Ich hatte manchmal das Gefühl, mein ganzes Leben sei eine Geschichte, und ich spielte meine Rolle bei Ereignissen, die sich nicht von mir beeinflussen ließen.

Ich wünsche Ihnen einen entspannten Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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