Erwerbsgesellschaft in Bewegung

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 © The Pioneer

Guten Morgen,

wie ein Nomade zieht der moderne Erwerbsmensch von einer Arbeitsstätte zur nächsten: Erst tauschte er die heimische Ackerfurche gegen die Fabrikhalle, bevor er in die Fluchten des Großraumbüros wechselte. Im Home-Office ist er nun dabei, auch die Weiten der virtuellen Welt zu besiedeln. Was in Zeiten der Pandemie als Ausnahme begann, wird bald schon zur neuen Teil-Normalität:

  • Die größte börsennotierte Hedgefonds-Firma der Welt, die Man Group PLC, will in Zukunft nicht mehr als 70% der Mitarbeiter im Büro arbeiten sehen.

  • Der CEO des Vermögensverwalters Schroders Peter Harrison sagt: Derzeit sind etwa 20% der Mitarbeiter im Büro und wenn diese Zahl in Zukunft auf 50% ansteigen sollte, wäre das „sehr positiv“.

Eine Infografik mit dem Titel: Home-Office verändert die Arbeitswelt

Befragung von Unternehmen, wie sie ihre Arbeitsweise künftig gestalten werden, in Prozent

  • UBS-CEO Sergio Ermotti teilte mit, dass auch nach der Pandemie 20% bis zu einem Drittel der Angestellten permanent im Home-Office bleiben könnten.

  • Blackrock-Chef Larry Fink geht davon aus, dass lediglich zwei Drittel der im Fondsgeschäft Beschäftigten langfristig wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren:

Ich glaube nicht, dass Blackrock jemals wieder eine Firma mit 100 Prozent Präsenzpflicht sein wird.

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Dass die Veränderung der Arbeitswelt tiefgreifender und nachhaltiger sein wird, als viele das derzeit wahrhaben wollen, zeigen die Produktentwicklungen digitaler Unternehmen und Forschungseinrichtungen:

  • Ein Forscherteam unter Beteiligung der Stuttgarter Universität entwickelte eine Softwareplattform, die es Mitarbeitern erlaubt, trotz Home-Office vor Ort tätig zu sein: Mit einer VR-Brille auf der Nase kann beispielsweise ein Maschinenbauer von zu Hause aus in seiner Werkshalle stehen.

  • Die Software COVISE ist ein modular aufgebautes Visualisierungssystem für wissenschaftliche Daten mit erweiterbarem Funktionsumfang. Es verbindet nahtlos Simulations-, Datenverarbeitungs- und Visualisierungstechniken. Die gemeinschaftlich nutzbaren Funktionen von COVISE erlauben die Zusammenarbeit von Ingenieuren und Wissenschaftlern über Computernetzwerke. Die Software wurde am Hochleistungsrechenzentrum in Stuttgart entwickelt.

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  • Auch Facebook setzt auf den Umbruch: Mit seinem Virtual-Reality-Projekt „horizon“ entwickelt die Firma mit dem gekauften VR-Brillen-Hersteller Oculus virtuelle Meetingräume, die je nach Bedarf von den Geschäftspartnern ausgestattet und gegen eine Gebühr gemietet werden können.

Die Entwicklung hat mindestens drei Folgewirkungen:

Erstens. Die betrieblichen Verabredungen von Betriebsrat und Firmenleitung müssen neu verhandelt werden. Leistungsmessung ist für die Arbeitgeber genauso wichtig wie für die Arbeitnehmervertreter das Schutz- und Ruhebedürfnis ihrer Klientel.

Zweitens. Der Flächenbedarf der Konzerne wird neu vermessen. Es kommt zu großen Einspareffekten oder zumindest zur Neuallokation der Finanzmittel.

Drittens. Die Stadtplanung – und in deren Gefolge der Immobilienmarkt – werden auf die Neujustierung zwischen Stadt und Land, Zentrum und Peripherie reagieren müssen. Die Transformation der Arbeitswelt hat Auswirkungen auf Bebauungspläne und Mobilitätskonzepte.

Fazit: Covid-19 ist nicht nur ein Krankmacher, sondern auch ein Neumacher. Die Welt von gestern verdampft, während wir noch auf ihr stehen. Vielleicht leiden wir als Gesellschaft deshalb so. Wir erleben jene Vergänglichkeit der Welt, die Heinrich Heine als die „Erschöpfung durch die Macht der Zeit“ bezeichnet hat.

Friedrich Merz © imago

Friedrich Merz ist sein ärgster Gegner: Bei BILD-TV wurde er gefragt, ob er Vorbehalte hätte, wenn heute ein Schwuler Bundeskanzler würde. „Nein”, antwortete Merz zunächst – und holte dann schwungvoll aus:

Über die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht – ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.

Dass Merz damit Homosexualität in die Nähe der Pädophilie gerückt hatte, scheint ihn nicht zu bekümmern. In einem Interview mit der „Welt“ erwidert er auf den entsprechenden Vorhalt:

Das ist ein bösartig konstruierter Zusammenhang, der in keiner meiner Äußerungen vorkommt.

Im „Tagesspiegel“ kommentiert Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff nicht bösartig, aber treffend:

Friedrich Merz wie er leibt und lebt.

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Was darf gesagt werden? Und was nicht? Der frühere Bundesverfassungsrichter und Rechtswissenschaftler Prof. Udo Di Fabio war auf unser Redaktionsschiff Pioneer One gekommen, um über die Meinungsfreiheit und ihre von der Verfassung bewusst großzügig bemessenen Grenzen zu sprechen.

Das Gespräch mit ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker war ein Feuerwerk der Inspiration. Über das polarisierte Diskussionsklima sagt Di Fabio:

Der politische Prozess besteht nicht aus Konformität.

Was wir heute erleben, ist eine Fragmentierung von Erlebnis- und Kommunikationsräumen. Das bedeutet: Wir reden gar nicht mehr mit den Anderen.

Über Sinn und Unsinn von Diskussionen mit Extremisten, zum Beispiel Reichsbürgern, sagt er einerseits:

Man kann die nicht erreichen.

Aber das bedeutet für ihn nicht, das Gespräch zu verweigern:

Ich würde trotzdem mit ihnen reden. Und zwar bis zu dem Punkt, wo es eben nicht mehr geht, wo das Gespräch abbricht.

Di Fabio warnt an dieser Stelle davor, über den Andersdenkenden „arrogant den Stab zu brechen.“ Denn:

Es gibt eine Konformitätssehnsucht, eine Sehnsucht zum Mainstream zu gehören. Das passt eher nicht zu einer Demokratie, das passt nicht zum Leitbild einer pluralistischen Gesellschaft. Wir brauchen die Oppositionsmöglichkeit und die Artikulation einer solchen.

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Das gesamte Gespräch können Sie als Pioneer kostenfrei auf unserer Webseite ThePioneer.de nachhören, was ich Ihnen nur empfehlen kann. Wer Udo Di Fabio hört, der hört, wie der Geist des Grundgesetzes zu uns spricht.

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Heute Nachmittag meldet sich der Kabarettist Dieter Nuhr zu Wort. Wieder geht es um die Möglichkeiten und Limitierungen der Meinungsfreiheit. Dieter Nuhr weiß, was ein Shitstorm ist, nachdem er vor einem Jahr es gewagt hatte, in seinem Bühnenprogramm Greta Thunberg und ihre Unterstützer zu verspotten.

Die Veranstaltung auf unserem Redaktionsschiff ist ausverkauft, wird aber live ab 18 Uhr auf thepioneer.de gestreamt.

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Der Gründer des Weltwirtschaftsforum Klaus Schwab fordert im Interview mit der „Zeit“ eine Neuausrichtung des globalen Kapitalismus.

Wir dürfen nicht nur das Finanzkapital berücksichtigen, sondern auch das Sozialkapital, das Naturkapital und das menschliche Kapital.

Es müsse dringend ein Umdenken erfolgen, mahnt der 82-Jährige. Und nimmt sogleich allen radikalen Kapitalismuskritikern den Wind aus den Segeln:

Ich plädiere nicht für eine Systemänderung. Ich plädiere für eine Systemverbesserung.

Konkret arbeite er „an einem System, in dem jedes Unternehmen verpflichtet wird, über seine Umweltleistung und seine soziale Leistung genauso zu berichten wie jetzt schon über seine finanzielle Bilanz. Das Gleiche sollte man auch vom Staat verlangen.“

Sein Veränderungswille, der sich vor allem auf die soziale Ungleichheit sowie den Klimawandel bezieht, resultiert aus der Befürchtung, dass der Wandel „irgendwann auf anderem Wege kommt, durch gewalttätige Konflikte oder Revolutionen etwa. Das lehrt uns die Geschichte.“

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Beim Lesen dieser Sätze kam mir unweigerlich ein Willy-Brandt-Plakat aus dem Jahr 1972 in den Sinn:

Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.

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Kehrtwende in der Politik: Die Bundesregierung erkennt die Währung des 21. Jahrhunderts als Währung an: die Daten. In ihrer neuen Digitalkonzeption bezeichnet sie die wirtschaftliche Nutzung der Daten als Chance für eine nachhaltige Wachstumsstrategie. Eine neue Datenkultur soll etabliert werden, heißt es in einem noch unveröffentlichten Arbeitspapier des Bundeskanzleramts, das den Kollegen vom Hauptstadt-Newsletter vorliegt.

Die ganze Geschichte lesen Pioneers im Briefing aus der Hauptstadt. Anmelden unter thepioneer.de/hauptstadt.

Lufthansa-Maschinen © dpa

Jedes fünfte Flugzeug der Lufthansa-Flotte wird künftig eines nicht mehr tun: fliegen. Grund ist die anhaltende Corona-Pandemie, die zu immer neuen Reisewarnungen führt und eine Erholung des Reiseverkehrs auf absehbare Zeit unmöglich macht. Gestern beschloss der Vorstand weitere Einschnitte:

  • Die Flotte wird um rund 150 Maschinen verkleinert. Statt 760 wird sie künftig nur noch 610 Flugzeuge umfassen.

 © dpa
  • Zusätzlich zum bereits bekannten Abbau von 22.000 Arbeitsplätzen werden weitere 5000 Jobs gestrichen.

Eine Infografik mit dem Titel: Harter Einschnitt

Angekündigter Stellenabbau bei Airlines inklusive temporäre Freistellung in absoluten Zahlen und Prozent

Langfristig strebt das Management eine Kostenneutralität bei nur 50 Prozent Auslastung an. Konkret schwebt dem Management folgendes Modell vor: Bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit sollen alle einen Lohnverzicht leisten, um so möglichst viele Jobs der aktuell 128.000 Mitarbeiter zu retten. Doch dazu müsste der Verzicht bei mindestens 20 Prozent liegen.

Die Lufthanseaten haben nun die Wahl: Schnelle Einsicht oder zäher Arbeitskampf. Letzteres stärkt das Selbstbewusstsein des Einzelnen, ersteres die Überlebenschance der Firma.

 © IIVS/ Airbus © Credit: IIVS/ Airbus

Airbus wiederum will erst gar nicht in Gefahr geraten, die Zukunft zu verpassen: Der europäische Luftfahrtkonzern plant, in 15 Jahren ein Passagierflugzeug mit Wasserstoffantrieb herzustellen. Konzernchef Guillaume Faury sagte der französischen Tageszeitung „Le Parisien“:

Unser Ehrgeiz ist es, eine solche Maschine als erster Hersteller 2035 in Betrieb zu nehmen.

Nötig seien dazu Investitionen im zweistelligen Milliardenbereich. Faury sagte, es gebe drei Konzepte für das künftige Flugzeug. Eines sei ein Passagierjet mit bis zu 200 Plätzen und einer Reichweite von rund 3500 Kilometern:

 © Credit: IIVS/ Airbus

Zudem sei ein kleineres Propellerflugzeug mit rund 100 Plätzen möglich:

 © IIVS/ Airbus

Die dritte Studie ist ein futuristisch anmutender „fliegender Flügel“ mit rund 200 Plätzen:

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Staatschef Emmanuel Macron vergaß für eine Sekunde, dass Airbus ein europäisches Gemeinschaftsunternehmen ist. Er kommentierte via Twitter:

Frankreich - Land der Innovation!

 © Anne Hufnagl

In den kommenden Tagen finden auf unserem Redaktionsschiff spannende Gespräche statt. Auf drei Veranstaltungen möchte ich Sie heute aufmerksam machen:

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Am morgigen Mittwoch, dem 23. September, zwischen 17 und 20.15 Uhr, werden unter dem Titel „Deutschland startet durch“ die Digitalexpertin Verena Pausder und der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann über die Zukunft unseres Landes diskutieren. Für diesen Abend, der in Kooperation mit der Initiative „Deutschland: Land der Ideen“ stattfindet, habe ich einige Tickets für Sie zur Seite gelegt: events@mediapioneer.com

 © ThePioneer

Die Künstlerin Mia Florentine Weiss wird am 26. September von 19.30 bis 21.30 Uhr über einen Live-Stream ihr Atelier an Bord der PioneerOne transformieren. Nachdem die Nachmittags-Performance bereits innerhalb weniger Stunden ausverkauft war, haben wir diesen zusätzlichen Auftritt ins Programm genommen. Zur Anmeldung geht es hier.

 © dpa

Ist Politik auch Theater? Und wie viel Politik steckt im Schauspiel? Kaum einer kann das Verhältnis zwischen diesen beiden Gewerken so gut beschreiben wie der politisch engagierte Schauspieler Ulrich Matthes („Der Untergang“). ThePioneer-Vize-Chefredakteur Gordon Repinski spricht am 28. September von 13 bis 14 Uhr mit Matthes. Zur Anmeldung geht es hier. Wir sehen uns.

Ich wünsche Ihnen einen beherzten Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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