Europa: Der Geldautomat

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

für viele Mitgliedsstaaten ist Europa vor allem ein großer Geldautomat. Mit routinierter Kaltschnäuzigkeit werden Förderanträge gestellt und Subventionen eingefordert. Den mit 750 Milliarden Euro ausgestatteten EU-Wiederaufbaufonds verstehen nicht alle, aber viele als Einladung zur Selbstbedienung – zumal ein Gutteil der Gelder nicht zurückgezahlt werden muss.

Die Chefin der europäischen Grünen-Fraktion heißt Franziska Maria „Ska” Keller. Sie hat mit einem Team von Abgeordneten und Experten recherchiert, in welche Projekte denn diese Milliarden fließen sollen und ob denn alles so umwelt- und klimafreundlich ist, wie in den Statuten des Fonds verlangt.

Eine Infografik mit dem Titel: EU: Die großzügige Spenderin

Top-Empfänger des EU-Wiederaufbaufonds, in Milliarden Euro

Das Ergebnis fiel ernüchternd aus. Unglücklicherweise habe ihre Recherche „zu ernsten Zweifeln” an der ordnungsgemäßen Durchführung des Plans geführt, schreibt Keller. Vieles verstoße gegen „Geist und Buchstaben” des Aufbaufonds. Nicht wenige Mitgliedsstaaten würden die ökologischen Vorgaben „umgehen oder einfach ignorieren”, wie Ska Keller in einem Schreiben an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formuliert. Im Detail listet sie Projekte auf, die dem Anspruch einer grünen Investition nicht genügen:

  • In Italien, Polen und Tschechien wurden mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel als „grün” deklariert und für die hundertprozentige Förderung angemeldet.

  • Tschechien, aber auch Deutschland und Frankreich, haben Unterstützungen für Hybridautos als Teil der klimafreundlichen Subventionen ausgewiesen. Die genannten Länder wollen ihre ohnehin schon beschlossenen Kaufanreiz-Programme von der EU fördern lassen. Das europäische Geld würde das nationale Geld substituieren.

  • In Italien sollen klimafreundliche Hausrenovierungen mit 110 Prozent gefördert werden, was bedeuten würde, dass der Empfänger noch Geld geschenkt bekommt. Doch es fehlen jegliche Regelungen, die festlegen, wie klimafreundliche Renovierungen aussehen.

  • Ebenfalls in Italien möchte man die Anschaffung von Diesel-Traktoren für die Landwirtschaft als klimafreundliche Investition deklarieren, um sie aus dem EU-Topf finanzieren zu können. Die EU würde „damit den Gebrauch fossiler Brennstoffe incentivieren”, heißt es in dem Schreiben.

  • In verschiedenen Ländern (Deutschland, Tschechien, Slowakei, Italien und Polen) sollen Gasheizungen für private Häuslebauer aus dem EU-Aufbauprogramm finanziert werden.

  • In Tschechien, Polen, Italien, Slowenien, Lettland und Ungarn will man Bewässerungssysteme für eine extensiv betriebene Landwirtschaft durch Brüssel finanzieren lassen.

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Im Morning Briefing Podcast erklärt Ska Keller ihre Unterstützung für die Idee eines Aufbaufonds und ihre Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung. Fazit: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

EU-Rechnungshof in Luxemburg © imago

Gleiches Thema, anderer Absender: Der EU-Rechnungshof stellt in einem neuen Bericht fest, dass auch die Budgets für eine klimagerechte Agrarpolitik ihre Wirkung in weiten Teilen verfehlen. Der Bericht kommt zu dem ernüchternden Ergebnis:

Insgesamt haben wir festgestellt, dass die 100 Milliarden Euro an Mitteln, die im Zeitraum 2014-2020 für Klimamaßnahmen bereitgestellt wurden, kaum Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Emissionen hatten, die sich seit 2010 nicht wesentlich verändert haben.

Laut EU-Rechnungshof liegt das Scheitern der Klima-Investitionen an fehlender Regulatorik:

Die Kommission hat kein spezifisches Ziel in Bezug auf die Emissionsreduzierung festgelegt, die mit den 100 Milliarden Euro für Klimamaßnahmen im Zeitraum 2014-2020 erreicht werden sollte. Die Mitgliedstaaten waren nicht verpflichtet, ihre eigenen Klimaschutzziele festzulegen, die mit den Mitteln erreicht werden sollten, und haben dies auch nicht getan.

Fazit: Diese Geldverschwendung der EU bleibt auch dann ein Skandal, wenn sie alltäglich geworden ist. Nirgendwo ist man weiter von Europa entfernt als in Brüssel.

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Düzen Tekkal © imago

Der Menschenrechtsausschuss des Bundestages befasst sich heute mit der Menschenrechtssituation in der Türkei. Düzen Tekkal, die Journalisten-Kollegin und Aktivistin, die sich mit ihrer Initiative German Dream um die Integration verdient macht, ist als Expertin geladen. In ihrer Stellungnahme, die uns vorliegt, skizziert sie die Lage schonungslos:

Die Demokratie in der Türkei existiert nur noch auf dem Papier. De facto ist die Gewaltenteilung aufgehoben. Die Gerichte agieren nicht länger unabhängig.

Die Freiheit der Presse ist nicht mehr gegeben. Derzeit sind 37 der Regierung missliebige JournalistInnen in Haft. Inzwischen berichten 95 Prozent der Medien in der Türkei im Sinne der AKP/MHP-Regierung.

An die deutsche Politik richtet Tekkal folgende Forderungen:

  • Die rechtsextreme, antisemitische, völkisch-nationalistische Gruppierung „Graue Wölfe“ hat auch in Deutschland rund 18.500 Mitglieder. Dem Beschluss des Deutschen Bundestages zum Verbot der Bewegung müssen nun Taten folgen!

  • Auch die Zusammenarbeit mit Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) bei der Ausgestaltung des islamischen Religionsunterrichts in NRW gehört auf den Prüfstand: Denn die Organisation ist der türkischen, AKP-gesteuerten Religionsbehörde Diyanet unterstellt. Das ist Erdoğans langer Arm in die deutschen Klassenzimmer.

  • Die Bundesregierung muss sich klar auf die Seite der demokratisch gesinnten Zivilbevölkerung in der Türkei stellen.

Mein Kollege Gordon Repinski hat im Morning Briefing Podcast vorab mit Düzen Tekkal über ihren heutigen Auftritt im Ausschuss sowie ihre Anliegen gesprochen. Das Gespräch, dass Sie in der heutigen Podcast-Ausgabe hören, ist klarer als klar.

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Heiko Maas © dpa

Die internationale Politik schaut heute nach Berlin, wo Außenminister Heiko Maas zur zweiten Libyen-Konferenz lädt und US-Außenminister Antony Blinken zu Gast ist.

In der neuen Ausgabe unseres Security Briefings beleuchten wir die bisherige Bilanz der deutschen Bemühungen, Gewalt und Chaos in dem Bürgerkriegsland zu beenden.

Außerdem in unserem neuen Newsletter zu Geopolitik, Verteidigung und Diplomatie:

  • China: Wie Peking Einfluss auf Deutschlands Bildungssystem nimmt

  • Cyberhacks: Warum Amerikas oberste Wahlsicherheitsbeauftragte zurzeit in Berlin ist

  • Luftkampfsystem FCAS: Warum Haushaltspolitiker der Koalition weniger Geld freigeben wollen, als von der Regierung gewünscht

  • Afrika: Wie Entwicklungsminister Gerd Müller die Impfstoffproduktion ankurbeln will

Friedrich Merz  © dpa

Friedrich Merz ist der unermüdlichste Verfasser von Bewerbungsschreiben. Nach seinen beiden erfolglosen Bewerbungstourneen um den Parteivorsitz 2018 und 2021 bewirbt er sich in der „FAZ“ – auch das erneut – um einen Ministerposten. Im Interview sagt er:

Ich möchte gerne zu der Mannschaft gehören, die mit diesem Modernisierungsanspruch am 26. September die Bundestagswahl gewinnt.

Hintergrund der Wortmeldung: Merz spürt und weiß, dass er in den Planspielen von Armin Laschet nicht zwingend eine bedeutende Rolle spielt. Aus den Rivalen sind Partner geworden – aber keine Freunde.

In einer repräsentativen Befragung unter den Lesern und Leserinnen des Morning Briefings hat das von Professor Manfred Güllner gegründete Forsa-Institut folgendes ermittelt:

Darauf kommt es im Wahljahr an

Wir haben die Pioneers gefragt, welche Themen sie bewegen. Die Ergebnisse des Pioneer Panels.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Annalena Baerbock © dpa

Beim gestrigen „Tag der Industrie” des BDI fand das übliche Schaulaufen der Spitzenpolitiker statt. Neben Kanzlerin Merkel, die per Video zugeschaltet war, sprachen mit Laschet, Baerbock und Scholz die drei Kanzlerkandidaten von Union, Grünen und SPD.

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, warb um die Gunst der versammelten Konzernbosse. „Wir werden es nur gemeinsam schaffen können.“ Sie versuchte, sich vom Klischee einer Verbotspartei zu befreien:

Es geht mir doch nicht darum, zu sagen, wir brauchen 100.000 neue Regeln mehr.

Der Kanzlerkandidat der SPD, Olaf Scholz, – der vor Klimafreunden anders spricht als vor der Industrie – gab eine für viele Ökologen fragwürdige Parole aus:

Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent.

Armin Laschet skizzierte in seiner Rede seine Vorstellungen von „Entfesselungspaketen“, die durch den Abbau von Bürokratie und überbordender Regulierung neue Kräfte freisetzen sollen. Steuersenkungen zählen laut Laschet wegen der schwierigen Haushaltslage nicht zu den Entfesselungspaketen – mit einer Ausnahme: Die Unternehmensteuern sollen sinken.

Armin Laschet  © dpa

Der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm hatte in seiner Eröffnungsrede der großen Distanz Ausdruck verliehen, die er gegenüber dem politischen Betrieb empfindet. Er stellte die rhetorische Frage:

Besteht im Deutschland des Jahres 2021 noch der Grundkonsens, dass dieses Land Industrieland, Exportland und Innovationsland sein muss?

Volkswagen-Logo © dpa

Unterbrochene Lieferketten, stillstehende Bänder und Mitarbeiter in Kurzarbeit: VW hat mal wieder ein Chip-Problem.

Wie die Nachrichtenseite „Business Insider“ berichtet, prognostiziert der Autokonzern Volkswagen für dieses Jahr einen Produktionsausfall von mehr als 800.000 Fahrzeugen.

Schon im ersten Quartal dieses Jahres konnte der Automobilkonzern rund 100.000 eingeplante Fahrzeuge nicht produzieren. Laut VW ist die Belieferung mit Halbleiterteilen „extrem volatil“. Die Situation könnte sich weiter verschlimmern, denn auch der deutsche Halbleiterhersteller Infineon soll aufgrund einer neuen Corona-Welle in Malaysia und Taiwan die Produktion von Chips heruntergefahren haben. Grund dafür sollen strengere Hygienebestimmungen in den Werken sein.

Trotz des ernüchternden Blicks in die Zukunft hält der Konzern, zu dem neben der Kernmarke Volkswagen auch die Marken Audi, Porsche, Skoda und Bentley gehören, an seiner angekündigten operativen Marge von 5,5 bis sieben Prozent fest. Auch die wichtigste Marke, Volkswagen PKW, rechnet weiterhin mit drei bis vier Prozent operativer Rendite für das aktuelle Jahr.

 © Sophie Epton Fine Art Photography

Die Münchner Allianz-Arena darf beim heutigen EM-Spiel der deutschen und ungarischen Nationalmannschaften nicht in den Regenbogenfarben aufleuchten. Der europäische Fußballverband UEFA hat es verboten. Man sei eine „politisch und religiös neutrale Organisation“, so die Begründung. Noch 2019 aber warb die UEFA für die EM 2020 mit einem „Turnier für alle“ – inklusive eines Regenbogens – auf Twitter.

 © Twitter / @UEFA

Das Symbol der Regenbogenflagge – auch Pride-Flagge – steht als Zeichen für die Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensweisen. Sie repräsentiert Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transpersonen – jene Menschen, die sich zur LGBTQ-Gemeinschaft zählen.

Diese werden unter anderem in Ungarn in ihren Rechten eingeschränkt. Erst vergangene Woche verbot ein neuer Beschluss der Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán die Weitergabe von harmlosen Inhalten, wie das Händchenhalten zweier Männer in einer Werbung, an Minderjährige. Dagegen wollte nun der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter durch die Regenbogen-Beleuchtung ein Zeichen setzen.

Das Verbot der UEFA hat eine Solidaritätswelle ausgelöst.

 © Twitter / @browserballett

Auch in der Fußballwelt zeigt man sich dort, wo die UEFA nicht mitentscheidet, solidarisch mit der LGBTQ-Community. Die Bundesliga-Stadien der Mannschaften unter anderem in Berlin, Wolfsburg, Frankfurt und Köln werden heute Abend in den Regenbogenfarben leuchten – wenn auch vor leeren Rängen.

Möge der heutige Tag – und insbesondere die große Welle der Solidarität – allen denen behilflich sein, denen sonst niemand behilflich ist. Pioneers schauen hin und nicht weg; schalten ihr Mitgefühl ein, nicht aus. Oder um es mit dem Philosophen Karl Jaspers zu sagen:

Gleichgültigkeit ist die mildeste Form der Intoleranz.

 © ThePioneer

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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