wenn Sie heute Morgen vor die Tür treten, fühlt sich alles ganz normal an. Der Bäcker backt. Der Kellner kellnert. Im Radio läuft Radiomusik.
Doch diese Normalität wirkt wie gespielt. Denn in wichtigen Teilen unseres Wirtschaftslebens gilt auf geheimnisvolle Art das Motto der frühen Arbeiterbewegung: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still.
Wir erleben einen Arbeiterstreik, den die Zeitungen nur deshalb nicht Streik nennen, weil die Streikenden stumm bleiben. Sie zünden keine Barrikade an. Sie tragen keine Trillerpfeife im Mund. Sie erheben nicht mal eine tollkühne Forderung.
© dpaSie erscheinen einfach nicht zur Arbeit. Sie meiden ganze Berufe, sie nehmen die Austrocknung ihrer bisherigen Branche in Kauf. Wir erleben einen stillen und daher hocheffizienten Streik, bei dem die Arbeitnehmer die Arbeit einfach nicht mehr nehmen:
Im Speditionsgewerbe fehlen 60.000 bis 80.000 LKW-Fahrer. Laut Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung fehlen so viele Fahrer, dass es schon in den kommenden zwei bis fünf Jahren zum Versorgungskollaps kommen könnte. Jährlich gehen weitere 30.000 Brummifahrer in Rente – allenfalls 15.000 Nachwuchskräfte melden sich zum Dienst.
In den Krankenhäusern das gleiche Bild: Stellenangebote für examinierte Altenpflegekräfte und andere Spezialisten hängen wie Sondermüll am Schwarzen Brett. Im Bundesdurchschnitt bleiben diese Stellen 212 Tage unbesetzt. Auf 100 offene Stellen melden sich 33 Menschen.
Eine Infografik mit dem Titel: Lehrermangel in Deutschland
Fehlende Lehrkräfte der Sekundarstufe 1 im Jahr 2020 und Prognose bis 2030
In den Schulen hat man mangels Lehrpersonal vielerorts auf Notbetrieb umgeschaltet. Der neue Pauker sieht aus wie eine Urlaubsvertretung. Vor allem in der Sekundarstufe I – also oberhalb der Grundschule – fehlen derzeit laut Kultusministerkonferenz 4770 Lehrer, an den Berufsschulen sind es 900 Lehrer. In Berlin werden in den Ferien Barkeeper, Bürokaufleute und Hausfrauen als Quereinsteiger geschult, um anschließend die Lehrerlücke zu füllen.
Ganze Handwerksberufe wirken wie ein Schweizer Käse, so löchrig ist der Bestand an Elektrikern, Fliesenlegern und Schlossern. Insgesamt, sagt das Kompetenzzentrum Fachkräfte am Institut der deutschen Wirtschaft, fehlen in Deutschland 65.000 Menschen allein in diesen Berufen.
Da die neuen Streiker ohne Transparente auskommen und nicht einmal ein Streikkomitee gebildet haben, kann man über ihre Forderungen nur spekulieren. Unzählige Studien sind mittlerweile verfasst worden, um die Störung auf dem Arbeitsmarkt besser verstehen zu können.
Doch vieles lässt sich auch ohne Studie begreifen: Der Brummifahrer leidet unter Lohndumping und miesen Arbeitszeiten. Lehrer haben mit einem massiven Ansehensverlust zu kämpfen, der nicht vom Staat, sondern von Schülern und Eltern ausgeht. Hier fehlt es nicht an Geld, sondern an Respekt. In vielen Handwerksberufen reflektiert der Tarifvertrag nicht den wahren Wert der Arbeit, weshalb viele Auszubildende in Richtung Büro oder – noch fataler – in Richtung Amtsstube abbiegen.
Fazit: Der stille Streik bedroht unseren Wohlstand. Die Spitzenpolitiker, die im Moment vor allem Trielle veranstalten, sollten sich am Tag nach der Wahl den ungelösten Sachfragen der Ära Merkel zuwenden. Sonst streiken irgendwann nicht nur die Lehrer, die Krankenschwestern und die Brummifahrer, sondern die Wähler.
Das britische Magazin „The Economist“ ist schneller als die deutschen Medien. Dort präsentiert man die Schlussbilanz von Angela Merkel. Sie hinterlasse ein Land, „das mit sich selbst zufriedener ist als jemals zuvor“, aber es sei „schwer, auch nur eine einzige weitreichende Reform zu finden, die von einer der vier von ihr geführten Regierungen beschlossen wurde“.
Problemfall öffentlicher Sektor. Investitionen in Infrastruktur und selbst die Energiewende scheiterten an „einem Flickenteppich an Planungs- und Bau-Regeln“. Deutschland im Bürokratiestau.
Problemfall Jobs. Mit der überhasteten Energiewende drohe eine hohe Arbeitslosigkeit vor allem für kleinere Unternehmen, die größere Autokonzerne beliefern. Auch die Dekarbonisierung der Stahlindustrie, bei der „umweltschädlicher Koks durch Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ersetzt wird, erfordert weit weniger Arbeitskräfte“.
Problemfall demografischer Wandel. Inzwischen drohe ein Engpass an Arbeitskräften, denn „die Geburtenrate erreichte 1964 ihren Höhepunkt, und die geburtenstarken Jahrgänge bereiten sich auf ihren Ruhestand vor“.
Problemfall Rente. Das Rentensystem sei so nicht zukunftsfähig. „Das System saugt schon heute rund 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt“. Die kommende Krise sei „clear as day“.
Problemfall Europa. Angela Merkel habe sich zwar als Vorzeige-Europäerin etabliert, aber: Eine kommende Regierung bekäme es mit „amerikanischer Unberechenbarkeit und chinesischer Aggression“ zu tun. Das heutige Brüssel-Europa mit seiner Ritualpolitik sei auf diese Welt im Wandel nicht vorbereitet.
Fazit: Kompliment nach London. Diese Analyse hätte in Deutschland mit den Briefwahlunterlagen verschickt werden müssen. Nach einem Wahlkampf der Nebensächlichkeiten findet der mündige Bürger hier jene Geistesnahrung, die ihm das Triell-Fernsehen verweigert hat.
Um die Perspektive auf die Bundestagswahl zu weiten, haben im heutigen Morning Briefing-Podcast zwei Outsider des politischen Betriebs in Deutschland das Sagen. Zum einen die BASF-Vorständin Saori Dubourg, die zusammen mit Prof. Ann-Kristin Achleitner und Ex-Gruner + Jahr-Chefin Julia Jäkel die Schrift „Für ein zukunftsfähiges Deutschland“ verfasst hat. Die studierte Betriebswirtin fordert die Bürger auf, die entscheidende Fragestellung bei allem Wahlkampfgetöse nicht zu übersehen:
Es geht vor allem darum: Gestalten wir die nun anstehende Transformation mehr marktwirtschaftlich oder mehr regulatorisch?
Die Konzentration der öffentlichen Debatte auf das Instrument der Umverteilung hält sie für einen Denkfehler, der Deutschlands Möglichkeiten verspielt:
Das ist wie bei einem Kuchen: Wenn Sie den anders schneiden, wird er dadurch nicht größer.
Der andere Zeitgenosse, der zu Wort kommt, ist Roger Köppel. Ex-Chefredakteur der „WELT“, heute Verleger der „Weltwoche“ in der Schweiz und Abgeordneter der Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Schweizer Nationalrat. Für ihn ist Scholz ein Trojanisches Pferd, in dessen Innerem sich die SPD-Linke versteckt hält:
Die getrauen sich nicht, einen authentischen Kandidaten auf den Schild zu heben. Also haben sie den universell anschlussfähigen Herrn Scholz, der so etwas Wählbares verkörpert, nominiert. Ich weiß nicht, was drin ist, wo Scholz draufsteht.
Den Niedergang der Union verknüpft er nicht mit der Nominierung von Armin Laschet, sondern mit der Koordinatenverschiebung der Merkel-Jahre:
Möglicherweise wäre es für die CDU besser, in der Opposition zu gesunden und sich selbst wiederzufinden.
Auch der ehemalige SPD-Chef, Außenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel äußerte sich zur politischen Situation kurz vor der Wahl. Eigentlich war er an Bord gekommen, um mit Chelsea Spieker vor Live-Publikum seinen Podcast „World Briefing“ aufzuzeichnen, der am Samstagvormittag ausgestrahlt wird. Aber immer wieder kamen die beiden wie von Zauberhand geführt auf die innenpolitische Situation zu sprechen. Zum Niedergang der Union sagte Gabriel:
© Anne HufnaglDass diese Partei nicht mehr so richtig weiß, wofür sie da ist, hat natürlich auch mit Folgendem zu tun: Wenn sie früher nachts um drei Uhr ein CDU-Mitglied angerufen und gefragt haben, was typisch konservativ ist, hat es ihnen vorgebetet: Wehrpflicht, Atomenergie, keine Schulden machen und gegen die Roten sein. Was antwortet der jetzt? Wehrpflicht ist nicht mehr da. Atomenergie ist nicht mehr da. Mit den Roten regieren sie die ganze Zeit. Und Schulden haben sie auch gemacht.
Auch zur überraschenden Führung seiner SPD äußerte er sich:
© Anne HufnaglDie SPD ist ja eine lustige Partei – alter Schröder-Satz: Alles was funktioniert, wird hinterher zur Strategie erklärt. Also die Umfrageergebnisse jetzt sind natürlich die Folge einer lang angelegten Strategie, die sich jetzt auszahlt. Die Wahrheit ist: Es ist schlicht und ergreifend das Ergebnis des Totalversagens der anderen.
Wenige Wochen vor Beginn der UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow kommt Bewegung in die Klimapolitik. Ausgerechnet zwei große CO2-Emittenten beginnen damit, sich in Bewegung zu setzen:
„China wird die Unterstützung anderer Entwicklungsländer bei der Entwicklung grüner und kohlenstoffarmer Energie verstärken und keine neuen Kohlekraftwerke im Ausland bauen“, kündigte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping auf der 76. Generaldebatte der Vereinten Nationen an. An jenen Kohlekraftwerken, die in der Volksrepublik im Bau befindlich sind, hält der Staatspräsident jedoch fest. Die Volksrepublik China ist für fast 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will nach Jahren der Blockade das türkische Parlament über einen Beitritt zum Pariser Klimaabkommen abstimmen lassen. Knapp zwei Jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen versucht er dadurch, der Opposition eines der Zukunftsthemen zu entwenden.
Die Handy-App „electricityMap“ bringt eine neue Transparenz in die Klimadebatte. VW-Chef Herbert Diess hat sie uns bei seinem Besuch auf der PioneerOne vorgeführt. Begeisterung allenthalben. Denn: Die App zeigt ihm – und künftig auch uns – inwieweit die Energiewende gelingt und welches Land zu welcher Uhrzeit welche Art von Strom produziert. 112 Regionen zählt die von der Kopenhagener Datenfirma Tomorrow programmierte App.
Mit einem Klick auf den entsprechenden Punkt auf der Karte öffnet sich der Zugang zu einer visuell übersichtlichen Datensammlung. Es wird nicht nur der Gesamtausstoß an CO2 angegeben, sondern auch, aus welchen Energiequellen sich dieser ergibt. Stündlich kann man den jeweiligen Anteil von erneuerbaren Energien im Strommix zurückverfolgen.
© electricityMap © electricityMap © electricityMapUnd wem bei dem Anblick der braun eingefärbten Deutschlandkarte mulmig wird, dem sei ein Blick zu unseren nordischen Nachbarn gegönnt.
© electricityMapKatastrophal gestaltet sich der Blick in Richtung Osten: Polen ist – wie viele andere Länder – in einer braunen CO2-Wolke gefangen, die den dortigen Kohlekraftwerken entweicht.
© electricityMapFazit: Ich dachte, das könnte Sie interessieren. Diese kostenlose App macht es möglich, die Fortschritte und Limitierungen der Dekarbonisierung besser zu verstehen. Diese App – anders als Twitter, Facebook und das Fernsehprogramm – trackt nicht die Worte der Politiker, sondern ausschließlich ihre Taten.
Der Discounter Lidl, der zu Europas größtem Händler – der Schwarz-Gruppe – gehört, hat im Bundesanzeiger Zahlen zu Umsatz und Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr publiziert. Demzufolge erwirtschaftet das Unternehmen beachtliche Umsätze und erhöht den Druck auf seinen größten Konkurrenten Aldi spürbar.
So stieg der Lidl-Umsatz im Geschäftsjahr 2020/2021 von 56,8 Milliarden Euro auf 62,3 Milliarden, was einem Wachstum von 9,7 Prozent entspricht. Zugleich konnte der Unternehmensteil, in dem ein Großteil des Auslandsgeschäfts von Lidl gebündelt ist, seinen Jahresüberschuss noch deutlich stärker steigern: Er legte um fast 30 Prozent von 1,57 auf 2,02 Milliarden Euro zu.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Lebensmittel-Riesen
Nettoumsatz in Deutschland 2020, in Milliarden Euro
Eine Infografik mit dem Titel: Das Discounter-Geschäft
Bruttoumsatz pro Quadratmeter Verkaufsfläche 2020 bei den größten Discountern in Deutschland, in Euro
Damit wächst der Umsatz von Lidl deutlich schneller als die Verkaufsfläche. Das hat zur Folge, dass Lidl den Rivalen Aldi Süd bei der Flächenproduktivität überholt. So kam Lidl im vergangenen Jahr auf einen Bruttoumsatz von 9570 Euro pro Quadratmeter, Aldi Süd hingegen nur auf 8964 Euro pro Quadratmeter. Das „Handelsblatt“ hat die Zahlen im Detail analysiert.
Robert Bosch wäre heute 160 Jahre alt geworden. Er war eine Fachkraft mit unternehmerischen Ambitionen, um die sich die heutigen Arbeitgeber reißen würden. Mit Pioniergeist und Geschick formte der Schwabe den heute größten Automobilzulieferer der Welt.
Seine Laufbahn begann im Alter von 18 Jahren mit einer Ausbildung zum Mechaniker. Zu seinen Mentoren gehörte unter anderem Wilhelm Emil Fein, der Erfinder der ersten elektrischen Handbohrmaschine.
Sieben Jahre später begab sich Robert Bosch in die Selbstständigkeit. Im Jahr 1886 legte er mit der „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ den Grundstein für die in Stuttgart ansässige Robert Bosch GmbH. Den ersten größeren Erfolg feierte der Schwabe mit der Verbesserung eines Magnetzünders der Firma Deutz.
© dpaDoch der Erfolg des Unternehmens gründete nicht nur auf Boschs gutem Gespür für Innovation, sondern auch auf einer für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Unternehmenskultur. Dass Bosch gute Löhne zahlte und freiwillig den Acht-Stunden-Tag einführte, brachte ihm damals den Namen „der rote Bosch“ ein.
Dabei war diese Art der Unternehmensführung nicht ganz uneigennützig. Bosch selbst sagte einmal:
Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.
Dass die Firma heute zu den erfolgreichsten Unternehmen Deutschlands gehört, dürfte auch daran liegen, dass der Industrielle schon früh erkannte, dass eine Firma nicht von kurzfristigen Erfolgen lebt, sondern von dem Vertrauen der Kunden, das durch raffinierte und qualitativ hochwertige Produkte gewonnen wird. Oder wie er es formulierte:
Lieber Geld verlieren als Vertrauen.
Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr