die Rücknahme der „Osterruhe“ und die persönliche Entschuldigung der Regierungschefin waren ein singulärer, aber kein stolzer Vorgang deutscher Kanzlergeschichte. Wir Zuschauer sollten respektvoll, aber nicht naiv sein: So sehen Rücktrittserklärungen aus, auch wenn das Wort Rücktritt gestern gar nicht gefallen ist.
Die Anerkennung von Merkels politischer Lebensleistung bleibt, aber die Autorität der Kanzlerin hat am gestrigen Tag gelitten. Ihre Führungsfähigkeit wurde vor aller Augen geschrumpft, denn Führung setzt Vertrauen und Gefolgschaft voraus. Aber kaum einer aus den Spitzen von Wirtschaft und Politik ist dazu noch bereit.
Ihr Vertrauenskapital, das sie im Laufe ihrer Karriere so fleißig akkumulierte, ist auf das Niveau eines Pennystocks gesunken. Das kommunikative Band zwischen ihr und den Bürgern, das schon in der Flüchtlingskrise porös geworden war, zeigt alle Zeichen der Überdehnung.
Der Energieabfluss, dessen Zeitzeuge wir gestern wurden, geht dem offiziellen Abgang voraus: Das Amtszimmer gehört ihr noch, draußen wartet weiter die gepanzerte Limousine, anderthalb Schritte hinter ihr stapft unverdrossen der Regierungssprecher. Aber die Kanzlerenergie, ein seit jeher fluides und leicht entflammbares Gemisch aus in Wahlen gewonnener Legitimation und dem komprimierten Vertrauen von Millionen Menschen, ist dabei zu entweichen.
Ihre Corona-Politik des Verbietens und Wegsperrens war spätestens mit der Zulassung verschiedener Impfstoffe und der Entwicklung moderner Schnelltests nicht mehr evidenzbasiert. Die Prinzipien deutscher Wertarbeit, das Gründliche und Solide, das unsere Autos, unsere Software und die deutschen Pharmaprodukte auszeichnet, hat diese Politik nicht reflektiert, sondern verraten.
Dem viel gescholtenen amerikanischen Gesundheitssystem gelang es im selben Zeitraum, 130,5 Millionen Dosen zu verimpfen, in dem Deutschland nicht einmal zehn Prozent dieser Menge schaffte. Wenn die Regierungspolitik ein Neubau wäre und Angela Merkel nicht Kanzlerin, sondern Polier, würde man von Pfusch am Bau sprechen. Irgendwo auf der Rückseite befände sich der Stempel mit der Aufschrift: Nicht „Made“, sondern „Murks in Germany“.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Absturz
Umfragewerte der Union an ausgewählten Daten seit der Bundestagswahl 2017, in Prozent
Die Beschlüsse zum Osterlockdown, für die sie sich entschuldigte, sind ein, aber nicht DAS Problem. Das Problem sind die vielen Toten. Das Problem ist das ideenlose Abschalten großer Teile der Volkswirtschaft. Das Problem ist ein lausiges Impfmanagement, das immer neue Grundrechtseingriffe provoziert. Merkels Flucht in die Entschuldigung war daher keine humanitäre Großtat, sondern eine Flucht vor der Verantwortung.
So transportierten denn die gestrigen Bilder eine Normalität, die für sie aufgehört hat zu existieren. Sie lächelt, aber nur gespielt. Sie steht, während sie taumelt. Sie habe einen Fehler gemacht, sagte sie, aber was sie daraus zu lernen gedenkt, das sagte sie nicht.
Wer so demütig auftritt, der bekommt selbstredend von der eigenen Fraktion Applaus. Aber diese Bilder der Geschlossenheit dürfen uns nicht täuschen. Diejenigen, die da klatschten, tragen den Dolch im Gewande. Noch gibt Brutus sich nicht zu erkennen.
Der Schlussakt einer Ära wurde gestern eingeläutet. Die Regie hat das Licht gedimmt. Nur schemenhaft erkennen wir die Umrisse der Akteure in der Kulisse. Im Publikum wartet man gespannt auf das Grande Finale.
Da liegt die Caesarin der Union, die einst selbst durch den Vatermord an Helmut Kohl an die Macht kam, in all ihrer Anmut. Sie hat ein großes Leben gelebt. Aber sie besitzt keinen Plan für die Zukunft. Nun wartet sie auf die letzte Heimsuchung. Sie weiß nicht, wer da kommt. Aber sie weiß, dass sie ihn kennt. Mit denselben Worten, mit denen Caesar der Überlieferung zufolge seinen Mörder und einstigen Günstling begrüßte, könnte auch sie es tun: „Auch du, Sohn?“
© dpaIn den Zeitungskommentaren wird die Kanzlerin heute Morgen wenig Trost empfangen:
Berthold Kohler, „FAZ“:
Das Osterdebakel
Stefan Reinecke, „taz“:
Merkels Ende rückt näher
Anke Dürr, „Der Spiegel“:
Mit Fehler und Tadel
Philipp Wittrock, „Der Spiegel“:
Gescheitert, aber ehrlich
Thomas Sigmund, „Handelsblatt“:
Die Fehlerkette ihrer Regierung ist einfach zu lang
Ulf Poschardt, „Welt“:
In einer idealen Welt wäre Merkels Umkehr der Turning Point der Geschichte
Jasper von Altenbockum, „FAZ“:
Das Kanzleramt kann es nicht
RTL:
Organisierte Verantwortungslosigkeit
Die spannende Frage lautet: Wenn Angela Merkels Stern sinkt, steigt dann der des potenziellen Nachfolgers Armin Laschet? Die vorläufige Antwort: Bisher nicht.
Deshalb will der allseits belauerte CDU-Vorsitzende nun in die Offensive kommen. Laschet hat sich für eine Zwei-Säulen-Strategie entschieden, wie meine Kollegen vom Hauptstadt-Team recherchiert haben: Eine für alle sichtbare Distanz zur Kanzlerin soll kombiniert werden mit dem Setzen eigener Themen. In der Sonder-Präsidiumssitzung am Montag will Laschet erste Ideen dazu präsentieren. Gestern nutzte er eine interne Sitzung der Mittelstandsunion zur Generalprobe.
© dpaLaschet kündigte eine Unternehmenssteuerreform an, will einen marktwirtschaftlichen Ansatz beim Klimaschutz verfolgen und ein Moratorium bei den Belastungen für die Wirtschaft ins Wahlprogramm schreiben.
In Richtung Grünen-Wähler war seine Ansage klar:
Wir dürfen nicht halbgrün werden, die Leute wählen das Original.
Und auf Friedrich Merz angesprochen, betonte Laschet, dass man ja auch nicht zu viele katholische Männer aus der NRW-CDU in Berlin positionieren könne.
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Der parteilose Rostocker Bürgermeister Claus Ruhe Madsen zeigt sich enttäuscht von der Corona-Strategie der Bundesregierung, die von einem Lockdown in den nächsten stolpert. Seine Stadt setzt seit drei Wochen auf Öffnung unter Berücksichtigung von Hygienekonzepten. Über seinen etwas anderen Umgang mit der Pandemie und die bereits gewonnen Erfahrungen habe ich mit ihm im Morning Briefing Podcast gesprochen.
Zu willkürlich anmutenden Regelungen sagt er:
Was nicht sinnvoll ist, setzen die Menschen nicht mehr mit voller Vernunft um.
Für die Zukunft formuliert er folgenden Wunsch:
Wir müssen diesen Riesentanker Deutschland irgendwann mal in die Werft bringen und umbauen zum Schnellboot.
Und:
Gebot und Verbot funktionieren nur eine gewisse Zeit. Wir müssen irgendwann die Leute mitnehmen und ihnen ein Angebot machen. Wir müssen in einer dunklen Zeit eine Kerze hochhalten. Wir dürfen den Menschen die Kerze nicht auspusten.
Fazit: Hier hält ein parteiloser Unternehmer, der es auf den Chefsessel im Rathaus geschafft hat, eine Rede wider die Alternativlosigkeit. Prädikat: Erfrischend.
Der ehemalige Commerzbank-Chef Martin Zielke geht, aber nicht umsonst. Er lässt sich 3,4 Millionen Euro an der Hauptkasse auszahlen. Zielke war von Mai 2016 bis Ende 2020 Vorstandsvorsitzender des Geldhauses. Aber er ist nicht der einzige Abgang, den die Commerzbank zu verkraften hat. Laut Geschäftsbericht zahlte sie insgesamt Abfindungen in Höhe von 7,6 Millionen Euro.
Das ist viel Geld für wenig Erfreuliches im vergangenen Jahr. Nach dem HGB-Bilanzierungsstandard hat die Commerzbank einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro ausgewiesen. Auch im Jahr 2021 wird mit einem Verlust gerechnet und ein Konzernumbau könnte 10.000 Stellen kosten.
Fazit: Zielke war ein ehrbarer Banker, aber der falsche Mann zur falschen Zeit. Seine Idee, das Filialnetz zu modernisieren und zu erhalten, hat das Bankhaus Reputation und Rendite gekostet.
Der Vertrag von Bahnchef Richard Lutz ist um fünf Jahre verlängert worden. Das teilte der Konzern nach einer Aufsichtsratssitzung am Mittwoch mit. Auch die Vorstände Ronald Pofalla (Infrastruktur) und Berthold Huber (Personenverkehr) bekommen Nachspielzeit.
Doch allzu große Gefühle der Dankbarkeit wollten bei Lutz nicht aufkommen. Er hatte sich mehr erhofft – mehr Geld vor allem. Eine zehnprozentige Gehaltserhöhung – also 90.000 Euro zusätzlich zum heutigen Basisgehalt von 900.000 Euro – waren laut „Business Insider“ gewünscht. Die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat hat Lutz & Co. demnach einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eine Reform der gesamten Vorstandsvergütungen wurde vertagt.
© dpaDie Arbeitnehmer haben die Zeichen der Zeit erkannt. An diesem Donnerstag wird der Bahnchef bei der Bilanzpressekonferenz ein Rekord-Minus für 2020 verkünden müssen: 5,6 Milliarden Euro. Die einzige Kennziffer seiner Bilanz, die Lutz nach oben gefahren hat, ist die Verschuldung: Von 18,6 Milliarden Euro bei Amtsantritt auf nunmehr über 30 Milliarden Euro.
Nichts geht mehr im Suez-Kanal, dem wichtigsten Nadelöhr der Weltwirtschaft. Ein 400 Meter langes Frachtschiff ist auf Grund gelaufen und das ärgerlicherweise genau dort, wo der Suez-Kanal besonders schmal ist. Vorbeikommen ist für die anderen Schiffe derzeit unmöglich. So stauen sich in beide Richtungen bereits mehr als 100 Frachter und über 50 weitere stellen sich täglich hinten an.
Ein Zehntel des täglichen Ölbedarfs kann deshalb nicht transportiert werden. Auch wenn noch mit keinem Engpass zu rechnen ist, reagierte der Ölpreis entsprechend – unter anderem der Preis der Nordsee-Ölsorte Brent legte um 84 US-Cent je Barrel zu.
© dpaNoch ist nicht klar, wann der Stau behoben werden kann. Da das Schiff selbst nicht beschädigt sein soll, wird aber mit einer Lösung innerhalb weniger Tage gerechnet. Ob der Unglückskapitän Schuld am Debakel hat, wird derzeit untersucht. Mit seinen 20.000 geladenen Containern bietet der Frachter ausreichend Angriffsfläche für einen kräftigen Windstoß, der das Schiff in die Querlage gedrückt haben könnte.
Die Lage am heutigen Morgen:
Die deutschen Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) in den vergangenen 24 Stunden 22.657 Corona-Neuinfektionen gemeldet, 5153 Fälle mehr als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt damit von 108,1 am Vortag auf 113,3. Zudem wurden 228 weitere Todesfälle registriert.
Nach dem überraschenden Fund von 29 Millionen AstraZeneca-Impfdosen in einem Kühllager in Italien kam die Frage auf, für wen der Impfstoff eigentlich bestimmt war. Die gefundene Menge entspricht fast der doppelten Zahl, die AstraZeneca bisher an die EU lieferte. Der Pharmakonzern ist gegenüber der EU mit seinen Lieferungen massiv im Rückstand.
Horst Seehofer distanziert sich von den Bund-Länder-Beschlüssen bezüglich der Ostergottesdienste. Ausdrücklich setzt er sich auch von der Bundeskanzlerin ab:
Es hat mich schon erstaunt, dass ausgerechnet Parteien, die das C im Namen führen, den Kirchen den Verzicht auf Gottesdienste nahelegen, noch dazu an Ostern.
Heute feiert einer der erstaunlichsten Sportler unserer Zeit seinen 45. Geburtstag: Wladimir Klitschko. Er wäre lieber Arzt geworden, wurde jedoch vorher Sparringspartner seines vier Jahre älteren Bruders Vitali, sprang für diesen bei Olympia ein und wurde schließlich Olympiasieger im Schwergewicht. Gegeneinander kämpfen durften die Brüder jedoch nie, die Mama hatte es verboten.
Wladimir Klitschko brachte neben unglaublicher Physis und Technik auch Köpfchen und respektvolle Haltung gegenüber dem Gegner mit in den Ring. So öffnete er den Boxsport für neue Zielgruppen abseits des Rotlichtmilieus. Der Ukrainer studierte Philosophie und Sportwissenschaften – nach seiner Promotion erhielt er den Spitznamen „Dr. Steelhammer“.
© dpaMit seinem Bruder organisierte und vermarktete er seine Kämpfe selbst; wurde Unternehmer, Werbetestimonial, Zuschauermagnet und einer der beliebtesten „Deutschen“. In seiner Profi-Karriere bestritt er 69 Kämpfe, von denen er 64 gewann – 53 durch ein K.o.
Wenn wir uns heute Morgen seiner erinnern, dann allerdings nicht nur wegen dieser Erfolge. Wladimir Klitschko war auch im Verlieren und schließlich selbst beim Aussteigen aus dem Profisport ein Großer. Kein Toben. Kein Grummeln. Keine Exzesse. Statt der Faust setzt er seither seinen Kopf ein. Und das verbindende Element zwischen diesen beiden Körperteilen bleibt das große Herz. Wladimir Klitschko ist das, was man einen feinen Kerl nennt. Alles erdenklich Gute zum Geburtstag!
Ich wünsche ihm und Ihnen einen kraftvollen Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr