wer hat Sie in diesem ablaufenden Jahr beeindruckt? Wer ist für Sie ein Mensch des Jahres 2021?
Schwierige Frage, oder? Armin Laschet war es schon mal nicht.
Wir haben in der Pioneer-Redaktion unsere Köpfe zusammen gesteckt – analog und digital – und überlegt, wer unsere Top 25 Persönlichkeiten des Jahres sind.
Und so bunt wie unser Team ist, sind auch die Namen: Menschen aus der Politik, Wissenschaftler, Wirtschafts-Bosse, Stars aus Pop und Sport, Frauen und Männer aller Herkünfte und Altersklassen. Eine Mischung, die ich Ihnen jetzt präsentieren möchte.
Ohne Einzel-Wertung, ohne Hervorhebung; es gibt keine Schulnoten, nicht die Beste oder den Besten. Aber: Jede und jeder auf dieser Liste hat es verdient, genannt zu werden.
„Game Changer“ – Die Kunst des Dankeschön
Das Gemälde des britischen Streetart-Künstlers Banksy aus dem Jahr 2020 wurde im März 2021 für 19,5 Millionen Euro versteigert und ist damit das bis dahin teuerste Werk Banksys. Es hängt im Foyer des Southampton General Hospital und zeigt einen Jungen im Spiel mit einer Krankenschwester-Puppe in der Flugpose von Supermann.
Banksy zollt den Pflegenden das, was die Gesellschaft ihnen oft verweigert: Bewunderung und Respekt.
Die Frauen von Afghanistan – Die Vergessenen
Der Westen hat ein Land verloren; sie ihre Freiheit. Die NATO überließ den Taliban die westlichen Waffen und die afghanischen Frauen.
Mütter und Töchter wurden in die religiöse Sklaverei zurückgestoßen. Die Tränen dieser Frauen klagen an. Ihr Blut klebt auch an den Händen von Joe Biden. Wenn er über Freiheit spricht, läuft im Kopf das Schicksal der afghanischen Frauen als Stummfilm mit. Man sieht ihre Augen. Ihre Schreie hört man nicht.
Frances Haugen – Die Enthüllerin
Die ehemalige Facebook-Managerin hat durch ihre Aussagen vor dem amerikanischen Kongress der Demokratie einen Dienst erwiesen. Ihre detailreiche Enthüllung über die bevorzugten Triggerpunkte von Facebook – Hass, Wut, Extrempositionen – bei der Programmierung der Algorithmen hat vielen Facebook-Nutzern die Augen geöffnet. Sie lernten: Die sozialen Medien sind in ihrer Wirkung nicht nur, aber auch das – unsozial.
Jens Weidmann – Der Aufrechte
Der Bundesbank-Präsident hat wie ein Gentleman zäh, aber dezent um eine stabilitätsorientierte Geldpolitik gekämpft – und verloren. Erst ging ihm die Kanzlerin von der Fahne, schließlich auch die europäische Öffentlichkeit. Nun zieht er sich zurück. Er geht wie er vor zehn Jahren gekommen ist: erhobenen Hauptes.
Swetlana Tichanowskaja – Die Mutige
Diese Frau scheint keine Angst zu haben. Swetlana Tichanowskaja wurde zum Gesicht der Opposition gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko.
Als ihr Ehemann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, bei der Präsidentschaftswahl nicht antreten durfte, kandidierte sie kurzerhand selbst. Die 39-Jährige demonstrierte laut gegen Lukaschenko. Ganz Europa schaute dabei zu, wie mutige Frauen sich unter dem Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Demokratie einsetzten. Lukaschenko erklärte sich selbst zum Sieger der Wahl. Tichanowskajas Mann wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt. Sie floh ins Exil. Aber bestimmt nicht, um zu schweigen.
Simone Biles – Die Wahrhaftige
Leistung ja, aber nicht um jeden Preis. Die Spitzenturnerin – die bei den Olympischen Spielen in Tokio auf den Einzel-Mehrkampf und auf drei von vier Gerätefinals bewusst verzichtete - erinnerte uns daran, dass der Körper keine Maschine und die Seele kein sich selbst steuerndes Kraftwerk ist.
Ihre Offenheit sollte als Vorbild für all jene dienen, die unter dem Druck der Leistungsgesellschaft leiden und für sich keinen Ausweg finden. Sie wies den Ausweg: Selbsterkenntnis und Offenheit. Jede Ambition muss enden, wo das Zerbrechen beginnt.
Karl Lauterbach – Der Professor
Er ist als Außenseiter gestartet und im Sturzflug auf dem Stuhl des Gesundheitsministers gelandet. Karl Lauterbach ist damit das neue Gesicht der Pandemie. Er muss nun erklären und entscheiden, mahnen und organisieren.
Der Professor und Mediziner steht für die neue Hochachtung der Politik vor der Wissenschaft: Follow the science. Nicht nur der Mann, das Prinzip ist die Hoffnung.
Zoe Wees – Die neue deutsche Stimme
Ihre Biografie verrät nicht den kommenden Weltstar. Aufgewachsen in einem der ärmeren Stadtteile von Hamburg, den Vater erst mit 16 Jahren kennengelernt. Kein Schulabschluss. An Epilepsie erkrankt. Die Sängerin Zoe Wees. Doch wenn sie den Mund öffnet und ihre Stimme sprechen lässt, dann berührt sie. Und das weltweit.
Auch in den USA ist sie seit diesem Jahr ein Star. Sie war zu Gast in den wichtigsten Talkshows und erreichte mit ihrer Single „Control“ den Goldstatus bei den verkauften Songs. Weltweit ist ihre Musik eine halbe Milliarde mal gestreamt worden.
Saori Dubourg – Der Beweis
Die BASF-Vorständin ist der lebende Beweis dafür, dass sich in der Wirtschaftswelt tatsächlich etwas bewegt. Mit ihrem Engagement für Nachhaltigkeit und eine zukunftsfähige Wirtschaft verändert sie den größten Chemieriesen der Welt – und Europa. Sie arbeitet mit an den Spielregeln für den European Green Deal. Sie hat mit anderen eine Value Balancing Alliance ins Leben gerufen, die den Firmenerfolg neu berechnen soll. Gewinn zählt, aber nicht nur.
Darnella Frazier – Die Bürgerjournalistin
Darnella Frazier hat zur richtigen Zeit am richtigen Ort das exakt Richtige getan: dokumentiert, was passiert. Eigentlich wollte die US-Amerikanerin nur ein paar Snacks in einem Lebensmittelladen kaufen. Doch dann sah sie, wie ein Polizist auf dem Hals von George Floyd kniete. Der japste nach Luft, da begann sie mit ihrem Mobiltelefon die Szene zu filmen. Zehn Minuten und neun Sekunden dauert ihr Video.
Am Ende liegt Floyds lebloser Körper auf dem Asphalt und wird auf einer Trage weggetragen. Die damals 17-Jährige postet das Video auf Facebook. Es diente der Überführung des Täters als Mörder von Floyd und war der Funke, der die Black Lives Matter-Bewegung zündete.
Juli Zeh – Die Edelfeder
Sie ist die deutsche Gegenwartsschriftstellerin. Ihre Romanhelden sind der Wirklichkeit abgelauscht. Ihre Prosa ankert in den realen Verhältnissen, auch in den realen Missverhältnissen, aber nicht in der Absicht, uns zu agitieren, sondern in dem Bemühen, uns zu erheben. Oder – falls wir Städter sind – uns zu erden. In jedem Fall wachsen wir mit ihr über unsere Probleme hinaus. Die Protagonistin in „Über Menschen“ macht als Alltagsheldin allen Mutlosen Mut: „Sie kann das: weitermachen, auch wenn es sich unmöglich anfühlt.“ Und: „In ihr wohnt etwas, das sich sträubt.” Wir lesen Juli Zeh – und erkennen uns selbst.
© ThePioneer / Henning Schmitter
Herbert Diess – Der Treiber
Er ist der Treiber, der immer wieder zum Getriebenen von Gewerkschaften und Sozialdemokraten wird. Aber: Der VW-Chef lässt sich von seiner Überzeugung nicht abbringen. Die Zukunft von Volkswagen ist für ihn elektrisch, oder gar nicht. Seine Schock-Strategie ist für VW nicht bequem, aber bisher effektiv.
Er hat verstanden, dass es nicht nur um einen neuen Antriebsstrang geht, sondern darum, das Automobil in Gänze neu zu denken. Natürlich bedeutet Herbert Diess für die Belegschaft des Traditionskonzerns eine Zumutung, aber eine notwendige.
Die Freiwilligen vom Ahrtal – Die Hilfreichen
Die Flut im Ahrtal in diesem Sommer hat uns gezeigt, wie Naturgewalten wüten können. Über 100 Tote, tausende Gebäude zerstört oder beschädigt. Die Menschen wurden nachts überrascht, am nächsten Morgen standen sie teilweise nur noch mit dem da, was sie am Leib trugen.
Aber – und das ist die andere Seite dieser Katastrophe – sie hat das Gemeinschaftliche, das Solidarische in den Menschen hervorgebracht. Geldspenden, Sachspenden und die unermüdlichen Arbeiten vor Ort – die bis heute andauern – haben uns gezeigt: Niemand ist in diesem Land allein, wenn es dicke kommt. Der kleine Bruder der Solidarität ist die Hilfsbereitschaft.
MacKenzie Scott – Die Großzügige
Die ehemalige Ehefrau von Jeff Bezos hat das Wort Großzügigkeit neu definiert. Von ihrer 36 Milliarden-Abfindung nach der vollzogenen Scheidung spendete sie insgesamt über alle 12 Monate verteilt 6 Milliarden Dollar für 500 gemeinnützige Organisationen.
Wir lernen: Der barmherzige Samariter, der seinen Mantel mit dem Erfrierenden teilt, ist nicht nur eine biblische Figur. Sein Nachfolger ist weiblich und sieht aus wie MacKenzie Scott. Sie ist damit die bedeutendste Einzelspenderin der Geschichte.
Sigmar Gabriel – Der Welten-Erklärer
Der ehemalige Vizekanzler und Außenminister hat nach der Politik seine zweite Berufung gefunden: Als Welten-Erklärer zieht der 62-Jährige die Zuhörer und Zuhörerinnen in seinen Bann. Der monatlich erscheinende Podcast „World Briefing“, in dem Gabriel gemeinsam mit meiner amerikanischen Kollegin Chelsea Spieker der Welt den Puls fühlt, entwickelte sich zum Publikumsliebling in unserer Pioneer-Familie. Der Grund: Gabriel kennt sich doppelt aus – mit der Politik und dem Erzählen darüber. So funktioniert Storytelling.
Martin Luther – Der Sprach-Papst
Keine Zukunft ohne Herkunft. Im Dezember 1521 – also vor genau 500 Jahren – begann der Mönch Martin Luther mit der Übersetzung der Bibel aus dem Griechischen in das Deutsche. Dabei ging es nicht nur um Religion. Es ging um Sprache. Um die Sprache des Volkes. Der Reformator schenkte dem später entstehenden Deutschland frühzeitig seine Sprache, die eine klare, volksnahe, oft deftige war.
Wenn es heute heißt, hier wird deutsch gesprochen, ist damit Luthers Klartextrede gemeint. Luther ging. Das Luther-Deutsch blieb.
Claudia Pechstein – Die Ewige
Sie scheint das Alter überwunden zu haben. Jedenfalls dient es ihr nicht als Ausrede. Wahrscheinlich eher als Ermutigung. Zum Weitermachen. Zur Anstrengung. Und zur eigenen Neuerfindung.
Mit drei Jahren flitzte Claudia Pechstein zum ersten Mal über das Eis. Zunächst als Eiskunstläuferin, wechselte dann zum Eisschnelllauf und war schneller als alle ihre Wettbewerberinnen. Sechsmal stellte sie einen Weltrekord auf, fünfmal gewann sie olympisches Gold.
Im Oktober erst gewann Claudia Pechstein die Deutsche Meisterschaft. Ihren 40. nationalen Titel. Mit 49 Jahren.
Ihr Ziel: Ein neuerlicher Titel bei den Olympischen Winterspielen im Februar 2022 in Peking. Wir wünschen ihr den ewigen Erfolg.
Uğur Şahin und Özlem Türeci – Die Pioniere
Das Forscherehepaar aus Mainz hat einen beeindruckenden Beitrag zur Weltrettung geleistet. Ihr mRNA-Impfstoff ist das Beste, was Deutschland in Zeiten der Pandemie passieren konnte. Wie nebenbei wurde das Narrativ von der per se den Wohlstand mindernden Migration widerlegt. Die Lehre ist eine andere: Wenn Migration und Integration sich zur Innovation vereinen, kann ein Land mit halbierter Geburtenrate auch im 21. Jahrhundert vorne mitspielen. Wir verneigen uns vor dem Forscherpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci.
Vitalik Buterin – Der Krypto-Papst
Der kanadisch-russische Software-Entwickler ist auf dem besten Weg, die ökonomische Welt auf den Kopf zu stellen. Seine Erfindung: Das Blockchain-Netzwerk namens „Ethereum“. Ethereum ist mit einer Marktkapitalisierung von 470 Milliarden Dollar das zweitwertvollste Kryptogeld.
Dieses Geld hat anders als der Bitcoin ein Gesicht, ein Konzept und damit Zukunft.
Robert Lewandowski – Der Gerd Müller 2.0
Er trifft. Und trifft. Und trifft. Wir erleben zurzeit in der Fußball-Bundesliga den wohl besten Stürmer aller Zeiten. Eine Tormaschine, ein Rekord-Brecher. Der polnische Nationalspieler Robert Lewandowski vom FC Bayern München hat zwei Mal in diesem zu Ende gehenden Jahr den großen Gerd Müller vom Thron gestoßen, den Weltmeister von 1974.
Lewandowski schoss 41 Tore in einer einzigen Bundesliga-Saison, eines mehr als der bisherige Rekordhalter Müller. Wir ziehen den Hut. Vor Robert Lewandowski, aber auch vor Gerd Müller, der 2021 verstorben ist – und dessen Rekorde immerhin 40 Jahre lang gehalten haben.
Anna-Lena von Hodenberg – Die Kämpferin gegen digitalen Hass
Anna-Lena von Hodenberg tritt in der echten Welt dem digitalen Hass entgegen. Die ausgebildete Fernsehjournalistin ist Chefin von HateAid – einer Organisation, die Opfern von Online-Hetze zur Seite steht.
Diese NGO bietet Betroffenen kostenlose Beratung und finanzielle Unterstützung, wenn es vor Gericht geht. So konnte HateAid zuletzt im Prozess von Luisa Neubauer helfen, die sich gegen einen grob beleidigenden Facebook-Post zur Wehr setzte. Der Klimaaktivistin wurde eine Entschädigung von 6000 Euro zugesprochen, die Neubauer wiederum an HateAid spendete. Denn: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.
Cem Özdemir – Das Comeback-Kid
Seit 40 Jahren ist Cem Özdemir Mitglied bei den Grünen und spätestens seit den 90er Jahren eines der bekanntesten Gesichter der Partei. Der „anatolische Schwabe“, wie er sich selbst bezeichnet, ist ein bodenständiger Realo, der bei der Bundestagswahl spektakulär das Direktmandat im Wahlkreis Stuttgart I gewann. In der Folge wurden Stimmen laut, die eine größere Rolle für ihn in der Regierung forderten – mit Erfolg: Er ist jetzt Minister für Ernährung und Landwirtschaft. Und der erste Bundesminister mit türkischem Migrationshintergrund ist er auch. Talent hat er selbst, weshalb wir ihm jetzt nur noch Fortune im neuen Amt wünschen müssen. Wohl an!
Cathie Wood – Die Spielerin
Sie hat die Spielregeln der Wall Street erst verstanden – und dann gebrochen. Statt auf Mainstream-Investments und das Kauf-Kartell der „fat cats“ setzt sie auf eigenständige Aktien-Analyse. Viele hielten Elon Musk für einen Mickey Mouse-Unternehmer. Sie erkannte in ihm als erste den neuen Henry Ford. Diese Entdeckung bescherte ihr (und ihren Kunden) großen Reichtum.
Mario Draghi – Der Italien-Retter
Italien erfährt durch ihn seine zweite Staatsgründung. Der ehemalige EZB-Präsident hat dem Land eine effektive Coronapolitik und die Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen gebracht. Damit löste er wirtschaftliche Prosperität aus. Italien wuchs 2021 deutlich schneller als Deutschland. Draghi hat damit nicht nur sein Land gerettet, sondern auch unsere Vision des vereinigten Europa.
Amanda Gorman – Die Poetin
Der pompösen, aber politisch bedeutungslosen Amtseinführung eines gutmütigen Greises, der vor allem deshalb gewählt wurde, weil sein Vorgänger ein giftiger Greis war, setzte sie ein literarisches Glanzlicht auf. Ihr poetischer Ton ist der Lockruf einer kommenden Generation. Ihre Gedichte künden von einer Zeit, wenn Zukunft wieder mit Zuversicht übersetzt werden darf. Im Schlussakkord ihres Gedichtes „The Hill We Climb“ ortet sie den knappsten Rohstoff dieser Tage, die Zuversicht, als eine uns innewohnende Kraft:
„When day comes, we step out of the shade of flame and unafraid.
The new dawn balloons as we free it.
For there is always light, if only we’re brave enough to see it.
If only we’re brave enough to be it.“
Und wenn Sie jetzt denken, den- oder diejenige haben diese Pioneers vergessen, dann schreiben Sie mir doch gerne, wen Sie auf unserer Liste der Heldinnen und Helden des Jahres 2021 vermisst haben: g.steingart@mediapioneer.com
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in das neue Jahr. Vergessen Sie das Beschwerliche aus 2021, aber vergessen Sie nicht Ihre guten Vorsätze. Und falls doch, dann nicht gleich in der ersten Woche.
Bleiben wir einander gewogen. Ich freue mich auf ein neues Jahr in Ihrer Begleitung.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr