eine der großen Erfolgsgeschichten der Menschheit ist die Globalisierung:
► Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum stimuliert – um 43 Prozent legte das weltweite BIP seit 2009 zu – vor allem in den Schwellenländern.
► Sie hat neue Jobs geschaffen, Menschen in den Arbeitsmarkt integriert und so für mehr Wohlstand gesorgt. Allein in der Europäischen Union existieren heute mehr als 36 Millionen Arbeitsplätze, die von Exporten in Drittländer leben.
► Sie hat die Unternehmensgewinne stark wachsen lassen. Allein seit 2010 konnten die Dax-30-Konzerne ihre operativen Gewinne (Ebit) um mehr als ein Drittel steigern – und so wiederum den Aktienmarkt beflügeln.
Und dennoch herrscht weltweit eine Globalisierungsmüdigkeit, die schon vor Corona begann. Nach den steilen Wachstumsraten im globalen Handel in den 1990er-Jahren trübte sich die Entwicklung ab dem Jahr 2000 vorübergehend ein und stagniert seit dem Jahr 2011. Das Platzen der Dotcom-Blase, die Lehman-Pleite und der Brexit, schließlich der Handelskrieg USA vs. China waren die Ouvertüre, Corona das Requiem. Harvard-Professorin Carmen Reinhart, die neue Chefvolkswirtin der Weltbank, sagte zu Bloomberg TV:
Ohne melodramatisch zu sein, aber Covid-19 ist der letzte Sargnagel für die Globalisierung.
Doch die Globalisierungspause ist keine Laune des Augenblicks. Hier sind die fünf handfesten Gründe einer globalen Neuorientierung, die von den Strategen unter den Firmenchefs ernst genommen werden sollten:
Eine Infografik mit dem Titel: Die Globalisierungspause
Internationales Handelsvolumen von Waren und Dienstleistungen in Relation zum weltweiten BIP, in Prozent
Erstens. Der Siegeszug der globalen Wertschöpfungsketten war vom Börsenkapitalismus und seiner Suche nach maximaler Rendite getrieben. Der Rückzug hingegen – und sei es nur der partielle Rückzug – wird von den politischen Eliten getrieben, die verloren gegangenen Herrschaftsraum zurückerobern möchten. Viele Konzerne nutzen die Globalisierung schamlos, um Steuern zu vermeiden und Umweltgesetze zu umgehen. Damit kann man keine Wahlen gewinnen.
© imagoUS-Präsident Donald Trump sagte im September vergangenen Jahres vor der UNO-Vollversammlung:
Die Zukunft gehört nicht den Globalisten. Die Zukunft gehört den Patrioten.
Eine Infografik mit dem Titel: Handelsbilanz: Gewinner und Verlierer
Länder mit den höchsten Handelsbilanzüberschüssen (blau) und -defiziten (rot) in 2019, in Milliarden US-Dollar
Zweitens. Die Bürger ziehen mit, weil sie als Beschäftigte und als Konsumenten die Limitierungen der Globalisierung spüren; das Gefühl der Abhängigkeit von amerikanischer Hochtechnologie und chinesischer Pharmazeutik hinterlässt auch im Exportland Deutschland einen faden Beigeschmack. China ist heute nicht mehr nur der Abnehmer unserer Produkte, sondern strategischer Rivale.
© dpaDrittens. Die zunächst überall im Westen geteilte Hoffnung, im Zuge der Globalisierung werde es eine Konvergenz der politischen Systeme geben, ging nicht in Erfüllung. China nutzt die Verflechtung in die globalen Wertschöpfungsketten, um seine politische, militärische und kulturelle Hegemonie im asiatischen Raum und darüber hinaus auszubauen. Globalisierung ist zuweilen auch nur ein anderes Wort für Naivität.
Viertens. Die schöne Idee, ein weltweiter Austausch von Waren und Dienstleistungen würde die sozialen Ungleichgewichte auf der Welt ausbalancieren, hat sich nicht bewahrheitet. Zwar sind viele Entwicklungsländer, zum Beispiel China und Indien, aus bitterer Armut auferstanden. Doch die Armutsmigration erreicht derzeit ein neues Allzeithoch. Nach Information der Vereinten Nationen sind derzeit weltweit 272 Millionen Menschen auf Wanderschaft.
Fünftens. Die Globalisierungspause ist auch das Echo einer kulturellen Überforderung, die in den globalisierten Ländern selbst zu Spaltungstendenzen führt. Das hohe Tempo der großstädtischen Kultur und die dort bevorzugte multikulturelle Lebensweise hat in vielen ländlichen Regionen Gefühle der Entwurzelung und der Überforderung genährt. Die Lieblingsworte im mittleren Westen der USA aber auch in den ländlichen Regionen Deutschlands sind nicht Gender und Diversität, sondern Regionalität und Heimat. Man isst hier nicht Tofuburger mit Kichererbsenmus, sondern Nackensteak mit Pommes.
Fazit: Es wäre am klügsten, die Eliten würden die Globalisierungspause für eine neue Nachdenklichkeit nutzen. Vielleicht lässt sich ja das Höher-Weiter-Schneller in ein Besser-Tiefer-Gerechter verwandeln. Die nächste Phase der Globalisierung kommt – aber anders.
Der weltweite Schuldenberg wächst aufgrund der Covid-19-Pandemie deutlich schneller als zuvor. Auf 7,8 Billionen US-Dollar addieren sich laut IWF die Rettungspakete weltweit. Die Staatsverschuldung sollte laut einer noch vor der Corona-Krise erfolgten Schätzung der Ratingagentur S&P in diesem Jahr auf 53 Billionen US-Dollar steigen – und damit um fünf Prozent im Vergleich zu Ende 2019. Der Internationale Währungsfonds geht mittlerweile von einem Zuwachs von 13% für die Eurozone aus.
Zur wirtschaftlichen Rettung Europas soll sich, so sieht es der Plan von Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron vor, auch die Europäische Kommission verschulden. Bislang hat sie das nicht getan.
Für den 500 Milliarden Euro schweren Pakt hagelt es Kritik, denn rechtlich ist diese Verschuldung der Kommission gar nicht vorgesehen. Über die ständige Geldmengenexpansion in der Eurozone spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Prof. Hans-Werner Sinn. Woher kommen eigentlich diese zusätzlichen Billionen von Euro, will ich von ihm wissen. Seine Antwort:
Ein erheblicher Teil dieser Summen, die die Staaten ausgeben, kommt direkt aus der Druckerpresse. Das Geld macht einen kleinen Umweg über die Märkte, über die Staatspapiere, aber kommt dann eben aus der Druckerpresse und gelangt von dort in die Taschen der Bürger, die kompensiert werden für Lohneinkommen, das sie nicht mehr haben – Stichwort Kurzarbeitergeld – und es geht an Firmen, die kompensiert werden für Erlöse, die sie nicht mehr haben.
Die Dimension dieser wundersamen Geldvermehrung hat ein historisch einmaliges Niveau erreicht und damit ein Ausmaß, das den erfahrenen Ökonomen besorgt:
Die Europäische Zentralbank hat für dieses Jahr angekündigt, für 1100 Milliarden Euro neues Geld zu drucken. Und man munkelt, dass bereits im Juni ein neues Programm mit weiteren 500 Milliarden aufgelegt werden soll. Das sind astronomische Summen, wenn man bedenkt, dass die Zentralbankgeldmenge am Beginn der Eurokrise, wo die Wirtschaft auch nicht kleiner war als jetzt, insgesamt nur 1200 Milliarden Euro groß war.
Diese Expansion der Zentralbankgeldmenge, sagt Sinn, könnte sich schließlich in einer großflächigen Geldentwertung entladen, auch wenn die Preisstatistik des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden derzeit nicht darauf hindeutet:
Das erinnert mich sehr stark an die Finanzierung nach dem Ersten Weltkrieg und auch im Ersten Weltkrieg, wo die Staatsausgaben für den Krieg aus der Druckerpresse finanziert wurden, nicht über die Märkte. Und auch in der Nachkriegszeit, als wir zufälligerweise damals die Spanische Grippe hatten, hat der Staat das gemacht. Mit der Folge, dass dann eine Hyperinflation zustande kam.
Dass Zentralbanken über Instrumente verfügten, diese Summen wieder einzusammeln und zu „sterilisieren“, wie sie selber sagen, bestreitet Sinn:
Das ist einfach nicht wahr.
Der 500 Milliarden Euro schwere Rettungspakt der EU, konzipiert von Angela Merkel und Emmanuel Macron, sei nichts anderes als die Einführung von Eurobonds durch die Hintertür:
Stellen sich vor, die EU-Kommission verschuldet sich gemeinschaftlich, und ein Land wie Italien ist pleite und kann nicht zurückzahlen. Soll man dann den Konkurs der EU anmelden? Oder soll Deutschland dann etwas tiefer in die Tasche greifen, um das zu verhindern? Faktisch kommt diese Konstruktion den Eurobonds sehr, sehr nahe.
Fazit: In ihrer europapolitischen Euphorie bauen wichtige Akteure das europäische Haus immer höher. Aus kritischer Distanz betrachtet, sieht es zuweilen aus wie ein Kartenhaus.
Aktuell leben eine Viertelmillion Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland, nur wenige verlassen tatsächlich die Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr reisten rund 13.000 Personen freiwillig aus; etwa 22.000 Menschen wurden abgeschoben. Jede zweite Abschiebung scheitert. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) analysiert in einer neuen Studie, warum so wenige ausreisepflichtige Menschen Deutschland verlassen. Hier die Kernaussagen der Studie:
► Die Betroffenen verweigern sich oder verletzen sich selbst, auch kann der Zielstaat es ablehnen, die Person aufzunehmen. In den meisten Fällen sei jedoch eine „Stornierung“ oder „nicht erfolgte Zuführung“ seitens der deutschen Staatlichkeit der Grund.
Eine Infografik mit dem Titel: Problematische Rückreise
Gründe für das Scheitern von Abschiebungen in 2019, in Prozent
► Die Zahlen der freiwilligen Rückkehrer bleiben niedrig: Das liegt an oft fehlender Beratung und an der unsicheren Lage in wichtigen Herkunftsländern wie beispielsweise Irak und Afghanistan.
► Föderale Unstimmigkeiten und fehlende Absprachen zwischen staatlichen Akteuren verhindern ein einheitliches Vorgehen. Dazu kommt, dass vier von fünf Ausreisepflichtigen im Besitz einer Duldung sind – „die Ausreisepflicht ist also eher theoretische Pflicht als praktische Verpflichtung“.
Eine Infografik mit dem Titel: Hotspot NRW
Anzahl der Ausreisepflichtigen nach Bundesländern in 2019
Die DGAP-Autorinnen haben Vorschläge für eine bessere Rückkehrpolitik:
► eine strukturelle Reform der Verantwortlichkeiten in der Rückkehrpolitik,
► öffentlich zugängliche und aktuelle Daten zu Rückkehrern,
► weniger und kürzere Duldungen,
► ein effektiveres System zur Beobachtung von Abschiebungen,
► strategische Zusammenarbeit mit Herkunftsländern.
Heute lesen Sie in unserem Briefing aus der Hauptstadt folgende Exklusiv-Themen:
► Soli-Abbau sofort, steuerliche Erleichterungen für mittelständische Unternehmen in Corona-Zeiten – 17 Wirtschaftspolitiker der Unionsfraktion haben ein wuchtiges Wachstumsprogramm erstellt, das sie in die Verhandlungen zum Konjunkturpaket einbringen wollen. Meine Kollegen Michael Bröcker und Gordon Repinski kennen die Details.
► Die Corona-Rechnung wird länger. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet nach Jahren der Überschüsse für das laufende Jahr mit einem Defizit von 30,5 Milliarden Euro.
► Die letzte Branche, die noch weitgehende Beschränkungen auferlegt bekommt, ist die Gastronomie. Der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß, hat sich Gedanken gemacht, wie die Gastronomen trotz der Restriktionen überleben können.
Die Corona-Krise trifft auch Daimler mit voller Wucht. Im ersten Quartal dieses Jahres setzte der Autobauer rund 17 Prozent weniger Fahrzeuge ab als im Vorjahr, der Gewinn brach um 92 Prozent auf 168 Millionen Euro ein, was den Druck zusätzlich erhöht. Konzernchef Ola Källenius will in der Krise aber nicht am falschen Ende sparen, wie er heute im „Handelsblatt“ erklärt.
In Elektromobilität und Digitalisierung investieren wir Milliardenbeträge.
Källenius nimmt auch den US-Rivalen Tesla ins Visier: Neben der klimaneutralen Mobilität, die man bis Ende 2022 erreichen wolle, sei es für die Wettbewerbsfähigkeit „unabdingbar, das Hirn und das zentrale Nervensystem der Fahrzeuge der Zukunft zu steuern.“
Autos werden zu Smartphones auf Rädern.
Damit das auch für Daimlers Fahrzeuge gelten kann, entwickle man ein eigenes „Windows fürs Auto“, mit dem die Kommunikation „von Bremssystemen über die Ansteuerung des Antriebsstrangs und der Airbags bis hin zu Infotainment“ gesteuert werde. Zwar werde das eigene Programm auch mit Software von Google und Apple kommunizieren, aber:
Die Schnittstelle zum Kunden besetzen ultimativ wir. Wir wollen die neuen, softwarebasierten Geschäftschancen selbst wahrnehmen.
Es ist das erste höchstrichterliche Urteil aus Karlsruhe zum VW-Dieselskandal und hat eine klare Botschaft: Zehntausenden Diesel-Fahrern steht Schadenersatz von Volkswagen zu. Die obersten Zivilrichter des Bundesgerichtshofs stellten gestern fest, dass der Einsatz illegaler Abgastechnik in Millionen Fahrzeugen „sittenwidrig“ war und den Käufern auf diese Weise ein Schaden entstanden ist.
Autobesitzer, die noch mit VW vor Gericht streiten, können ihren Wagen zurückgeben und das Geld dafür einfordern. Das gilt sowohl für Neu- als auch für Gebrauchtwagen. Auf den Kaufpreis müssen sie sich aber die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen. Die Entscheidung ist wegweisend für viele noch laufende Gerichtsverfahren. Bundesweit sind noch rund 60.000 Verfahren offen.
Die Reaktion von Volkswagen zeigt, dass der Konzern dieses Kapitel seiner Firmenhistorie möglichst schnell beenden möchte: Vielleicht ist dieses Urteil die bessere Abwrackprämie.
Erstens. Bei den angepeilten Staatshilfen für die Lufthansa bahnt sich ein offener Konflikt zwischen Regierung und EU-Kommission an. Kanzlerin Angela Merkel kündigte im CDU-Präsidium einen „harten Kampf“ an, weil Brüssel die milliardenschwere Rettung nur unter hohen Auflagen genehmigen wolle.
Zweitens. Die Konsumforscher des Nürnberger Unternehmens GfK geben am heutigen Dienstag ihre Daten zum Konsumklima bekannt.
Drittens. In schwierigen Zeiten findet beim Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport ab 10 Uhr die erste Online-Hauptversammlung der Unternehmensgeschichte statt.
Viertens. Der Prozess um die tödliche Messerattacke gegen den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker wird ab 9.30 Uhr am Landgericht der Hauptstadt fortgesetzt. Am zweiten Verhandlungstag soll der Angeklagte Gregor S. aussagen.
Fünftens. Altkanzler Gerd Schröder hat unter der Überschrift „Agenda“ eine eigene Podcast-Serie gestartet: rasant und humorvoll im Ton, deutlich in der Sache. Der letzte deutsche Reformkanzler hat den Ruhestand offenbar für sich selbst nicht nur hinausgezögert, sondern abgeschafft.
Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr