der „Green Deal“ der EU steckt schon wenige Tage nach dem Startschuss in der Etappe fest. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stößt mit ihren Plänen zum Umbau der europäischen Industriegesellschaften auf erbitterten Widerstand. Es sind im Wesentlichen fünf Widerstandsnester, die sich gebildet haben.
► Der Klub der Atomfreunde – allen voran Frankreich mit seinem Atomstrom-Anteil von fast 72 Prozent – sieht den „Green Deal“ als Chance zur Expansion seines Geschäftsmodells. Paris verlangt, dass die EU die Kernkraft als „grüne Technologie“ bewertet und fördert. Das würden die Grünen der Union, auch mit Blick auf eine schwarz-grüne Option, niemals verzeihen.
© picture alliance / Photoshot / Xinhua / Zheng Huansong► Die deutsche Industrie hat die Stacheln ausgefahren. Die Energiekosten sind jetzt schon Weltspitze. Angesichts der bevorstehenden Abschaltung von Atommeilern, Braun- und Steinkohlekraftwerken sei völlig unklar, schrieb Friedrich Merz in der „Welt am Sonntag“, woher in den nächsten drei Jahrzehnten der Strom kommen soll. Sein Fazit ist ein Frontalangriff auf die Parteifreundin in Brüssel:
© dpaNie war die Energieversorgung in Deutschland teurer und unsicherer als genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die EU-Kommission ihren ,Green Deal‘ ins Werk setzen will.
► Die Kohlestaaten in Osteuropa sehen partout nicht ein, warum sie den ohnehin spärlichen Wohlstand ihrer Gesellschaften für den Aktionismus der EU-Kommission opfern sollen. In Polen stammen rund 80 Prozent der Energie aus Kohlekraftwerken; in Tschechien 43 Prozent. Für den Ausstieg aus der Kohle soll Europa zahlen. Im „Just Transition Fund“ der EU liegen 100 Milliarden Euro bereit. Die Summe dürfte beim deutschen Steuerzahler eine gehörige Dosis politischer Bitterstoffe produzieren.
© imago► Ordnungspolitiker aller Nationen sind gegen eine Finanzierung des „Green Deal“ mit der Notenpresse. Das Direktorium der Europäischen Zentralbank wird vermutlich einer Bevorzugung grüner Investments nicht zustimmen. Das bisherige Prinzip der „Marktneutralität“ beim Aufkauf von Aktien und Staatsanleihen dürfe nicht gebrochen werden, sagt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Ohne das Geld aus der Notenpresse aber sind die Billionenbeträge des „Green Deal“ nicht finanzierbar.
► Überall regt sich demokratischer Widerstand, denn dem „Green Deal“ fehlt die Legitimation durch das Wahlvolk. Im neuen EU-Parlament stellen die Grünen mit 74 Abgeordneten nur die viertgrößte Fraktion. Aus Tschechien kommen lediglich vier grüne Parlamentarier, aus Ungarn und Polen gar keiner. Auch in Deutschland ist über den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bei der Europawahl nicht gesprochen worden, weshalb die Volksparteien so zögerlich sind. Kaum gesteht man den Grünen im Bundesrat die Erhöhung des CO2-Tonnenpreises zu, wird zum Trost die Pendlerpauschale erhöht. Der Klimaschutz genießt bei der EU Kommission höchste Priorität, beim Bürger (siehe Grafik) nicht.
Eine Infografik mit dem Titel: Sorge vor Armut größer als vor Klimawandel
Themen, die Deutschen die größten Sorgen bereiten, in Prozent
Fazit: Ursula von der Leyen hat in diesem unwegsamen Gelände kaum eine Chance. Ihr Man-on-the-Moon-Moment wird womöglich eine Vision bleiben. Die von ihr gestartete Mission erinnert auf fatale Weise jetzt schon an die Geschichte der Apollo 13. Nach der Explosion eines Sauerstofftanks blieb den Astronauten nur die Rückkehr zur Erde. Sie stehen bis heute im Geschichtsbuch – aber eben nicht als wahre, sondern als tragische Helden.
Der Linksruck an der Spitze hat viele Sozialdemokraten heimatlos gemacht. Hinter den Kulissen wird getuschelt, getextet und telefoniert. Ein Ex-Oberbürgermeister spürt in sich „eine tiefe Rat- und Heimatlosigkeit“, eine Landtagsabgeordnete spricht von „innerer Kündigung“, ein gestandener Sozialdemokrat aus NRW schlägt vor, eine Liberal-Sozialdemokratische Partei zu gründen, die LSPD.
Eine Infografik mit dem Titel: Die geschrumpfte Partei
Entwicklung der Mitgliederanzahl der SPD
Die Niedersachsen-SPD gilt inmitten des sozialdemokratischen Wahnsinns als gallisches Dorf der Widerspenstigen. Hier leben so stolze Parteirecken wie Stephan Weil, Sigmar Gabriel, Gerhard Schröder, Boris Pistorius und Doris Schröder-Köpf, die gänzlich immun sind gegen Enteignungsfantasien. Sie taxieren die Chancen eines Neubeginns.
© imagoManfred Güllner von Forsa ermuntert sie im Gespräch mit dem Morning Briefing-Team zur Aktion:
Die Partei hat seit 1998 rund 13 Millionen Wähler verloren. Es gibt ein riesiges Potenzial für eine Partei der Schiller-, Schmidt- und Schröder-Wähler. Warum kümmert sich die SPD nicht um die durch ihre Hilfe groß gewordenen kleinen Leute?
Dem Unternehmer Harald Christ reicht es jetzt. Der frühere Mittelstandsbeauftragte beim SPD-Parteivorstand will die Partei nach 31 Jahren verlassen. Wenn einer wie er geht, dann geht er nicht leise. Im Morning Briefing Podcast nennt er seine Gründe:
Bei mir haben sich in den vergangenen Monaten so viele Eindrücke verdichtet, dass die SPD sowohl inhaltlich als auch personell einen Kurs geht, den ich nicht mehr mitgehen wollte.
Die Sozialdemokratie biegt immer stärker nach links ab. Vor allem die Diskussionen über die Große Koalition, mal rein, mal raus, mal weitermachen, mal weitermachen und nachverhandeln: Das ist nicht mein Stil und meine Form von Politik.
Eine Infografik mit dem Titel: SPD: Die Partei in der Krise
Zweitstimmenergebnisse der SPD bei Bundestagswahlen seit Wahl von Willy Brandt 1969, in Prozent
Für mich war Olaf Scholz der einzige aussichtsreiche Kandidat, dem ich zugetraut hätte, in dieser Phase die Partei zu führen.
Er bringt auch eine Abspaltung von der bisherigen SPD ins Gespräch:
Es gibt eine enorme Unruhe in der Partei. Die kann am Ende dazu führen, dass es eine Abspaltung oder Neugründung gibt.
Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik, kennt seine Pappenheimer: viel Frust, kein Plan. Er glaubt nicht an eine Spaltung der SPD:
Diejenigen, die aus der SPD abgehen, werden ihren Platz in der CDU, einige sicherlich auch in der FDP finden. Aber wo sollte dort noch eine weitere SPD Platz haben?
Auch die von Oskar Lafontaine ins Spiel gebrachte Idee einer Fusion der Linkspartei mit der SPD hält er für ein Hirngespinst:
© dpaDas ist eine ganz ironische Volte, weil natürlich Oskar Lafontaine der eigentliche Spalter und Mitzerstörer der SPD gewesen ist. Mit seiner späteren Frau Sahra Wagenknecht hat er letztlich keine Gelegenheit ausgelassen, um gegen die SPD zu schießen.
Fazit: Die im Machtpoker mit Kevin Kühnert unterlegenen SPD-Politiker hadern, toben, wüten, sie fluchen, sie lästern und lamentieren, sie intrigieren und paktieren. Sie träumen des Nachts von der Revolte gegen den Revoluzzer, um danach schweißgebadet aufzuwachen. Ihre knappste Ressource ist der Mut. Oder, um es mit dem Kabarettisten Wolfgang Neuss zu sagen: „Stell Dir vor, es geht, und keiner kriegt es hin.“
Die vorweihnachtliche Rally am deutschen Aktienmarkt hat zum Wochenstart an Schwung gewonnen. Die Kurse profitierten dabei vom US-chinesischen Handelsdeal und dem klaren Wahlsieg des britischen Premiers Boris Johnson. Eine festere Eröffnung an der New Yorker Wall Street sorgte für zusätzliche Impulse.
Der Dax stieg auf den höchsten Stand seit Januar 2018 und schloss bei rund 13.408 Punkten. Der MDax als Indikator für die Aktien der mittelgroßen Unternehmen erklomm ein Rekordhoch von 28.307. Für die Aktieninhaber ist dank der wundersamen Geldvermehrung eine Alice-Im-Wunderland-Welt entstanden.
Die Finanzaufsicht Bafin erwartet von deutschen Banken für 2019 eine Kürzung der Boni. Bafin-Exekutivdirektor Raimund Röseler sagte der „Börsen-Zeitung“:
Eine unserer Erwartungen ist, dass sich in den Boni die Ertragslage der Banken widerspiegelt.
In Schwierigkeiten geratene Kreditinstitute müssten „sehr gut begründen, wenn und warum sie die Boni nicht verringern“.
Das sind neue und zugleich notwendige Töne der Bankenaufsicht. Gehaltsexzesse im Finanzsektor sind erstmals begründungspflichtig.
Eine Infografik mit dem Titel: Republik der Funklöcher
Regionen in Deutschland mit 2G und 3G als häufigste Empfangsart und schnellem 4G-Standard
Ob der chinesische Mobilfunkgigant Huawei beim Aufbau schneller 5G-Netze in Deutschland beteiligt werden darf, ist weiter ungewiss. Seit Monaten gibt es darüber Streit zwischen Deutschland und den USA.
Umso überraschender fällt der Kommentar von Bloomberg-Kolumnist Alex Webb aus. Der fragt: „Kann Deutschland es sich wirklich leisten, Huawei zu verbieten?“ Seine Antwort auf die selbstgestellte Frage:
Da Deutschland Nachholbedarf bei der mobilen Konnektivität hat, ist ein solches Embargo auch ohne Berücksichtigung der Vergeltungsmaßnahmen von Peking spürbar von Nachteil.
Die Deutsche Telekom AG, Deutschlands größter Mobilfunkanbieter, schätzt, dass ein Verbot der Chinesen den Aufbau des 5G-Netzes um mindestens 2 Jahre verzögern würde.
Fazit: Deutschland droht Huawei - und schadet damit womöglich sich selbst.
Hängepartie für die großen US-Sender: Amerikas beliebtester Serienheld, im Hauptberuf Präsident der Vereinigten Staaten, lässt offen, ob er an den „Presidential Debates“ des Jahres 2020 teilnehmen werde.
Ohne den Amtsinhaber aber fehlt den Sendern die Hauptattraktion eines jeden Wahljahres. CNN und Fox News leben gut davon, Trump entweder als Helden (Fox News) oder Schurken (CNN) zu inszenieren. Das Schlimmste, was der Protagonist ihnen antun kann, wäre die Arbeitsverweigerung.
In eigener Sache: Das Team von Media Pioneer, das diesen Newsletter und den dazugehörigen Podcast produziert, verzeichnet Zuwachs, wie auf unserer Weihnachtsfeier zu sehen und zu spüren war. So viel Aufbruchstimmung habe ich im Journalismus selten erlebt. Für 2020 – wenn im Mai das Medienschiff „Pioneer One“ in der Hauptstadt seinen Betrieb aufnimmt – haben wir uns viel vorgenommen: Live-Journalismus, neue Podcast-Formate, TV-Streaming.
Vier Mitarbeiter möchte ich Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen.
© Media PioneerAlev Doğan, 30, liebt deutsche Prosa und türkische Lyrik. Die Politikwissenschaftlerin hat als Korrespondentin für verschiedene Regionalzeitungen („General-Anzeiger“, „Kieler Nachrichten“, „Rheinische Post“) gearbeitet und wird ab Frühjahr 2020 als Chefreporterin das Team von Michael Bröcker verstärken. Ich freue mich sehr auf sie.
© Michael SetzpfandtGordon Repinski, 42, arbeitete als „Spiegel“-Korrespondent in Washington und Berlin und war zuletzt der Leiter des Hauptstadtbüros beim Redaktionsnetzwerk Deutschland. Als Vize-Chefredakteur wird er bei ThePioneer.de die Parlamentsberichterstattung und das Investigative koordinieren. Willkommen an Bord!
© Michael SetzpfandtSophie Schimansky ist unsere Stimme von der Wall Street.
Die 30-jährige Volkswirtin berichtete schon zuvor für die „Deutsche Welle“ und die „Neue Zürcher Zeitung“ aus der Finanzwirtschaft. Im neuen „Wall Street Weekly“-Podcast beleuchtet sie künftig – immer montags – das zentrale Finanzthema der Woche und lässt die Zuhörer teilhaben an den Telefonschalten – den sogenannten Earning Calls – mit Analysten und Wirtschaftsführern. We are excited!
© Michael SetzpfandtHeidi Thurner, 41, ist die freundliche Stimme, die mit unseren engagierten Leserinnen und Lesern, Hörerinnen und Hörern spricht. Die Marketingexpertin aus Düsseldorf nahm seit dem Neustart des Newsletters als freie Mitarbeiterin von Media Pioneer mehr als 18.000 Briefe und E-Mails aus allen Teilen der Welt entgegen, die sie allesamt persönlich beantwortete. Allein dafür hat Heidi ein Tapferkeitsmedaille verdient.
Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr