nach langer Suche hat Deutschlands mächtigste Lobbyorganisation, der Verband der Automobilindustrie, eine neue Führungsfigur gefunden. Die Autobosse – angeführt von Daimler-Chef Ola Källenius – entschieden sich für Hildegard Müller.
Die 52-jährige Diplom-Kauffrau aus Rheine im Münsterland erfüllt alle drei Kriterien, die für die Branche derzeit wichtig sind:
► Müller ist der letzten verbliebenen Volkspartei entsprungen. Sie war Ende der neunziger Jahre Chefin der Jungen Union, stieg zur Staatsministerin im Bundeskanzleramt von Angela Merkel auf und ist bis heute in CSU und CDU gut vernetzt. Die Autoindustrie braucht das Ohr der Konservativen heute dringender denn je.
► Mittlerweile ist Müller auch eine schwarz-grüne Persönlichkeit. Als Vorstandsmitglied der RWE-Tochter Innogy war sie zuletzt für die Ladeinfrastruktur der E-Autos zuständig. Ihr Gesprächsfaden zu den Grünen ist intakt. Für sie ein Pluspunkt im Kandidaten-Poker: Die Autobosse setzen auf eine schwarz-grüne Koalition in Berlin.
► Sie ist Frau und Frohnatur. Beides erleichtert die gesellschaftliche Akzeptanz der Autoindustrie, deren Image durch Dieselskandal und PS-Kultur gelitten hat. Hildegard Müller kann, was in der Autoindustrie kaum einer kann: Humor. Beim rheinischen Karneval im Februar diesen Jahres warf sie Quietsche-Enten vom Rosenmontagswagen.
Damit hat der Verband einen neuen Kopf. Was jetzt noch fehlt ist eine neue Strategie. In den kommenden Monaten wird Hildegard Müller eine schonungslose Review starten müssen. Das sind die drei Herausforderungen:
Eine Infografik mit dem Titel: Tesla vs. Daimler
Marktkapitalisierung der beiden Autokonzerne, in Milliarden Euro
► Während Medien und Spekulanten auf Elektro-Pionier Tesla setzen, der in wenigen Jahren fast so wertvoll wie der Daimler-Konzern wurde (s. Grafik oben), ist die Frage nach dem Antrieb der Zukunft seriös nicht beantwortet. Die Boston Consulting Group geht davon aus, dass im Jahr 2030 noch immer jeder zweite Neuwagen ein Benziner oder ein Diesel ist (s. Grafik unten). Kommunikativ bleibt dieser Spagat zwischen Klimapolitik und Kundenwunsch eine Herausforderung.
Eine Infografik mit dem Titel: Der sanfte Rückzug des Verbrenners
Prognose der Anteile der Antriebsarten an der weltweiten Produktion von Automobilen, in Prozent
► Der Branche droht Disruption. Während die deutsche Autoindustrie Milliarden in Forschung und Entwicklung steckt, schicken Google und Apple autonome Fahrzeuge auf die Teststrecken. Die neuen Autofirmen sehen womöglich aus wie ein Digitalkonzern.
► Deutschland ist abhängig von China. Bei der Marke VW steht das Land für die Hälfte der Auslieferungen weltweit. Was einst wie ein Umsatz-Turbo wirkte, ist zur Gefahr geworden – auch politisch. Amerika strebt nach neuer Souveränität. Das Lieblingswort der konservativen Strategen heißt „decoupling“ (dt.: Entkoppelung) und bedeutet für VW eine Drohung.
© imagoFazit: Die Größe der Herausforderung bestimmt die Zahl der Nullen auf dem Gehaltscheck. Hildegard Müller hat bei den Vertragsverhandlungen Nervenstärke und Durchsetzungsvermögen bewiesen. Gegenüber dem Vorgänger Bernhard Mattes konnte sie das Jahresgehalt signifikant steigern. Erstmals verdient ein VDA-Präsident mehr als eine Million Euro.
Nochmal Autoindustrie: Audi leidet. Der Diesel-Skandal kostete Milliarden, das Geld fehlt an anderer Stelle, zum Beispiel bei der Umstellung auf die Elektromobilität. Nun will der Ingolstädter Autobauer mit einem massiven Stellenabbau (minus 9500 Jobs) reagieren. Der Nachteil: Die Krise, die man lösen will, wird so womöglich verschärft.
Im Zentrum der Haushaltswoche im Deutschen Bundestag steht die schwarze Null. Damit meint man die Tatsache, dass Einnahmen und Ausgaben identisch sind, dass der Staat also weder Vorräte für später zurücklegt noch Kredite aufnimmt, die von Kindern und Kindeskindern beglichen werden müssten. Ist das klug? Viele sagen: Im Prinzip ja, aber im Moment nein. Schließlich gibt es das Geld bei der Europäischen Zentralbank und auf dem Kapitalmarkt praktisch umsonst.
Selbst Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, ist umgekippt. Im Jahr 2015 sagte er noch über die schwarze Null:
Die Bundesregierung zeigt damit Verantwortung und Glaubwürdigkeit. Dies sind in der Politik wichtige Standort- und Investitionsbedingungen. Der Verzicht auf weitere unkontrollierte Kreditaufnahmen ist ein entscheidender Schritt, um künftig handlungsfähig zu sein.
Neuerdings klingt er so:
In einer Zeit, wo der Zins niedriger ist als die Wachstumsrate, wo der Bund sogar noch Geld hinzubekommt, wenn er seine Bundesanleihen ausreicht, also gar keine Lasten letztlich begründet, ist doch die Frage: Kann man nicht den öffentlichen Kredit hier nutzen und ich finde: Man sollte.
In einer Zeit, wo der Zins niedriger ist als die Wachstumsrate, wo der Bund sogar noch Geld hinzubekommt, wenn er seine Bundesanleihen ausreicht, also gar keine Lasten letztlich begründet, ist doch die Frage: Kann man nicht den öffentlichen Kredit hier nutzen und ich finde: Man sollte.
Damit hat der Populismus auch die Ökonomie erreicht. Die Position von Prof. Hüther ist zwar modern, aber nicht klug. In Wahrheit ist sie sogar gefährlich:
► Damit würde eine von Ludwig Erhard und Karl Schiller begründete deutsche Tradition suspendiert. Dem Land ging es immer dann am besten, wenn es auch in seiner Fiskalpolitik auf Maß und Mitte setzte. Was Schiller, einstiger Superminister für Finanzen und Wirtschaft, den Sozialdemokraten zurief, gilt heute auch für Hüther: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank.“
► Der Schuldenberg der Deutschen ist hoch. 1,9 Billionen Euro schulden wir den Kreditgebern auf der ganzen Welt. Der Bund muss allein in diesem Jahr rund 17 Milliarden an Zinsen an die Geldgeber überweisen.
► Und das wichtigste Argument zum Schluss: Die Regierenden von CDU, CSU und SPD haben keinen Plan, wo sie eine zusätzliche Milliardeninvestition tätigen sollten. Bildung, Digitalisierung und Infrastruktur? Klingt gut, aber die Schubladen der GroKo sind leer.
Den Verantwortlichen kann man also nur dringend empfehlen: Hände weg von der schwarzen Null. Diese staatliche Selbstbescheidung ist derzeit das Beste, was wir haben.
Das Durchhaltevermögen von Bosch ist noch geringer als die Reichweite ihrer E-Scooter: 2016 startete der Automobilzulieferer den digitalen Rollerverleih „Coup“. Man expandierte schnell – und stellt ihn nun wieder ein. In den nächsten Wochen sollen die schwarz-türkisen Elektroroller, die Kunden spontan via App anmieten konnten, von den Straßen in Berlin, Tübingen, Paris und Madrid verschwinden.
Aber wohin? Diese Roller sind in Deutschland unverkäuflich, weil die Infrastruktur zum Aufladen fehlt. Die Bosch-Geräte brauchen einen Starkstromanschluss.
Die Zeitungsverleger haben ein Eigentor geschossen. In den vergangenen Monaten betrieben sie konsequent und zunächst erfolgreich Lobbyarbeit. Sie forderten und bekamen eine staatliche Subvention für die Verteilung ihrer Druckerzeugnisse im ländlichen Raum. Die Haushälter von Union und SPD hatten sich schon auf 100 Millionen Euro für das kommende Jahr geeinigt.
Doch im Spitzengespräch zwischen den Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD) und Ralph Brinkhaus (CDU) schrumpfte der Geldregen auf einen Geldschauer. Der Christdemokrat hält eine Rettungstat für die Zeitung (und die in den guten Jahren reich gewordenen Verleger) nicht für zeitgemäß und stutzte die Summe auf 40 Millionen Euro. Das lehnten die Verleger brüsk ab – und nun kommt erstmal gar nichts. Das Geld steht im Haushalt des Arbeitsministers, ist aber vom Parlament gesperrt.
Fazit: Die gedruckte Zeitung auf dem Land ist für die Politik kein Gut der Grundversorgung mehr. Das Zauberwort heißt Digitalisierung. Die Verleger müssen umdenken: Ihre Nostalgie ist kein Geschäftsmodell.
Irgendwo in der langen Wertschöpfungskette vom Bauern über die Lebensmittelfabrik bis zum Handel ist der Wurm drin. Das weiß niemand besser als Yvonne Willicks. Sie ist staatlich geprüfte Hauswirtschaftsmeisterin, Verbraucherschützerin und Journalistin, die im WDR seit vielen Jahren wertvolle Aufklärungsarbeit leistet. Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit ihr über den Umgang mit Tieren und über den Umgang mit Verbrauchern.
Über die jüngste Meldung, dass in Deutschland jährlich bis zu 200.000 männliche Kälber getötet werden, sagt sie:
Das ist eine Dimension, die mich total umgehauen hat. Das ist ein Wahnsinn, das kann so nicht weitergehen. Ich habe das Gefühl, wir sind auf der Schwelle, dass alles anfängt zu kippen.
Der ganz große Wurf ist gerade beim Thema Tierwohl überhaupt noch nicht passiert.
Den anscheinend aussichtslosen Kampf der Behörden gegen die Lebensmittelindustrie schätzt sie folgendermaßen ein:
Der Staat kriegt das deswegen nicht auf die Reihe, weil dafür zu wenig Geld in die Hand genommen wird. Wenn ich mit Lebensmittelkontrolleuren spreche, dann sagen die mir: ,Wir sind zu wenige. Wir können das nicht leisten.‘
Alle Lebensmittelskandale gründen darauf, dass jemand das schnelle Geld machen möchte.
Es gibt nach wie vor viele Produkte mit Mogelpackungen: Eine Hühnersuppe, wo noch nicht mal ein Huhn dran vorbei geschwommen ist. Ein Erdbeerjoghurt, der auch noch nicht mal eine halbe Frucht Erdbeere sieht.
Fazit: Nirgendwo wird der Kundenwunsch so hartnäckig und so trickreich ignoriert wie bei der Lebensmittelproduktion. Der Verbraucher allein ist wehrlos. Er braucht den wehrhaften Staat an seiner Seite.
Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier ist ein Jurist der Kategorie fünf Sterne plus. Er ist tolerant, aber nicht naiv. Und er hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben. „Die Warnung“ heißt es – zurecht. Denn er warnt vor der Erosion der vom Grundgesetz gewollten liberalen Bürgergesellschaft. Zugleich ist dieses Buch eine versteckte Liebeserklärung an die gewaltfreie, weltoffene und auch religionsoffene Gesellschaft, die unser Grundgesetz begründet.
Für den Morning Briefing Podcast habe ich ausführlich mit Hans-Jürgen Papier gesprochen. Für den Samstagmorgen lade ich Sie zu einem Sonderpodcast des Morning Briefings ein. Heute Morgen möchte ich bereits einige seiner Aussagen mit Ihnen teilen.
Zur Diskussion über eine deutsche Leitkultur sagt er:
Unsere Gesellschaft wird nach unserer verfassungsrechtlichen Werteordnung nicht durch eine gemeinsame Religion oder eine kulturelle Vorstellung zusammengehalten, sondern die Leitkultur, wie vom Grundgesetz vorgezeichnet, ist auf Vielfalt ausgerichtet. Sie muss aber eben zusammengehalten werden durch die Akzeptanz einer Unterwerfung unter die Verfassung und das geltende Recht.
Auf die Frage, ob wir zu einer geordneten Form der Liberalität und Toleranz verpflichtet seien, sagt er:
Mir geht es nicht nur um Toleranz als eine Art Duldung, sondern es geht darum, dass die Menschen anerkennen müssen, dass andere - insbesondere Minderheiten - auch Rechte haben.
Die Menschenwürde ist unverbrüchlich und sie steht jedem zu, auch dem Verbrecher.
Ich wende mich insbesondere gegen Vorstellungen, die zum Teil im europäischen Ausland modern werden, die ganz offen die sogenannte illiberale Demokratie fordern und unterstützen.
Prädikat wertvoll. Mehr von Hans-Jürgen Papier am Samstagmorgen.
Immer mittwochs veröffentlicht meine Kollegin Chelsea Spieker ihren Podcast „The Americans“. Heute spricht sie mit John P. Carlin, der für den ehemaligen FBI-Chef Robert Mueller gearbeitet hat. In einer Sonderabteilung des US-Justizministeriums war er mit 400 Mitarbeitern verantwortlich dafür, die USA vor Hackerangriffen zu schützen. Er sagt:
Wir haben fast alles, was wir schätzen, von Büchern bis Zeitungen, vom analogen in den digitalen Raum verlagert und diesen dann durch das Internet verbunden, ein Medium, das nie mit Blick auf Sicherheit entworfen wurde.
In zunehmendem Maße haben wir Dinge digitalisiert, die Folgen für das Leben und Sterben von Menschen haben können – Herzschrittmacher zum Beispiel. Wir haben nicht darüber nachgedacht, ob all das auch funktioniert, wenn ein Bösewicht, ein Gauner, ein Terrorist oder ein Spion Schaden anrichten möchte.
Das gesamte Gespräch hören Sie in der neuen Folge von „The Americans“. Die gibt es unter www.the-americans.comund über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer.
Mit 77 Jahren zählt Frank Elstner nicht mehr zu den ganz Jungen. Als Entertainer aber gehört er zu den Pionieren. Im kommenden Jahr wird der „Wetten, dass..?“-Erfinder bei Netflix zu sehen sein. Der Streamingdienst soll seine neue Heimat werden. Das Talkformat heißt: „Wetten, das war’s?“ Elstner, der an Parkinson erkrankt ist, zeigt damit noch einmal seine Extraklasse.
Von Søren Kierkegaard stammt der Satz: „In unserer Zeit wird viel von Ironie und Humor geredet, besonders von Leuten, die nie vermocht haben, sie praktisch auszuüben.“ Frank Elstner muss sich hier nicht angesprochen fühlen.
Ich wünsche ihm und uns allen einen lebhaften Start in den neuen Tag. Herzlichst grüßt Sie