die Horoskope der Zeitschriften sind treffsicherer als die Prognosen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Immer wieder wird der Post-Corona-Aufschwung annonciert und korrigiert, die wechselnden Zahlen wirken wie retuschiert. Im September 2020 wahrsagte der Minister ein modernes Märchen, das vom Aufschwung kündete. Um 4,4 Prozent sollte die deutsche Wirtschaft 2021 wachsen:
Wir werden am Ende stärker dastehen als vor Beginn der Krise.
Im Januar steuerte der Minister überraschend nach, und zwar Richtung Süden:
© imagoWir erwarten für das laufende Jahr 2021 ein Wachstum von insgesamt drei Prozent.
Der Wohlstandsverlust zwischen der Septemberschätzung und der Januarschätzung bedeutet in absoluten Zahlen ein Minus von 53 Milliarden Euro.
Im April durchströmte den Wirtschaftsminister erneut ein wohliger Optimismus:
Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr um 3,5 Prozent wachsen. Unsere Wirtschaft ist stark, robust und startklar für den Neustart.
Gestern dann erfolgte die Korrektur der Korrektur der Korrektur: Nur noch um 2,6 Prozent würde das Bruttoinlandsprodukt 2021 zulegen. Aber für 2022, da bleibt der Minister, der bald Ex-Minister ist, fröhlich gestimmt:
2022 kommt es zu deutlichen Aufholeffekten.
Altmaier ist mit seinen Wackel-Prognosen nicht allein. Die meisten Politiker und auch viele Chefvolkswirte großer Konzerne haben den bösartigen Charakter dieser Pandemie unterschätzt. Erst wenn man die Weltfinanzkrise mit der Corona-Pandemie vergleicht, erkennt man die Wucht der Erschütterung und die Tiefe des Einschnitts.
Eine Infografik mit dem Titel: BIP: Große Schwankung
Bruttoinlandsprodukt: Veränderung zum Vorquartal (preis-, saison- und kalenderbereinigt), in Prozent
Fünf Dinge sind es, die diesmal anders sind, und zwar so anders, dass sie sich auf kurze Sicht nicht beheben lassen:
Der Weltarbeitsmarkt wurde an seinem unteren Ende regelrecht aus den Angeln gehoben. Das Arbeitsvolumen nach Stunden brach zum Höhepunkt der Krise 2020 um 8,8 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau ein. Laut Internationaler Arbeitsorganisation bedeutet dies auf Personen umgerechnet: 255 Millionen Menschen verloren ihren Job. Insgesamt waren die Arbeitszeitverluste im Jahr 2020 etwa viermal so hoch wie während der Finanzkrise 2009.
Eine Infografik mit dem Titel: Erwerbstätige: Die Erholung
Erwerbstätige: Veränderung zum Vorquartal (saisonbereinigt), in Prozent
Fabriken in Fernost und Lateinamerika, die sich am unteren Ende der Nahrungskette befinden, wurden von den vielen Lockdowns hart getroffen, denn der Handel handelte plötzlich nicht mehr. Allein in Malaysia haben seit dem Ausbruch der Pandemie mindestens 150.000 kleine und mittelgroße Unternehmen geschlossen, was zu einem Verlust an Zulieferfirmen und zur Verzögerung von Lieferungen führt.
Die Kette vom Rohstofflieferanten über den Zulieferbetrieb bis zur Endmontage gerät immer wieder ins Stocken, weil die Corona-Politik der Staaten einem Jo-Jo-Spiel gleicht: Mal gehen die Rollläden der Geschäfte, die Schlagbäume der Grenzer und die Container-Verladestationen der Hafenbetreiber hoch, dann wieder runter. Und zwischendurch herrscht jede Menge Verunsicherung, die mit grenzüberschreitender Bürokratie bekämpft wird.
Eine Infografik mit dem Titel: Importpreise: Im Aufschwung
Importpreise: Veränderung zum Vorjahresmonat, in Prozent
Die wackeligen Lieferketten trafen im Bereich von Computer- und Übertragungstechnik auf eine rasant gestiegene Nachfrage, die bis heute nicht befriedigt werden kann. Im Automobilbau sieht man die Folgen: VW-Chef Herbert Diess rechnet mit 600.000 Autos, die sein Konzern aufgrund des Chipmangels nicht bauen kann.
Auch die Energiegewinnung, die von der Finanzkrise kaum nennenswert betroffen war, stockt diesmal. Das vergangene Jahr war geprägt von Förderausfällen durch Starkwetter in den USA oder den in der Pandemie nicht durchgeführten Wartungsarbeiten. Außerdem müssen Experten jetzt eingestehen, dass man die schnell ansteigende Nachfrage nach Kraftstoffen unterschätzt hatte – die Fördermengen lassen sich nur langsam hochfahren. Russlands Präsident Putin und die Ölscheichs, das kommt verschärfend hinzu, spielen mit dem Mangel, weil er hilft, die Preise hochzuhalten.
Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: Eine neue Krise?
Verbraucherpreisindex: Veränderung zum Vorjahresmonat, in Prozent
Fazit: Wir sind die Pandemie zwar leid, aber nicht los. Die ökonomischen Folgen werden erst dann abklingen, wenn das Virus besiegt ist. Es gibt für die Globalwirtschaft keine Booster-Impfung.
Und Altmaiers Fehlprognosen? Sind nicht die Ursache der Probleme, sondern lediglich ihr Ausdruck. Winston Churchill:
Ein Experte ist ein Mann, der hinterher genau sagen kann, warum seine Prognose nicht gestimmt hat.
Es war kein leichter Termin für die Haushaltspolitiker der Ampel-Koalition. Die Fachpolitiker trafen sich mit SPD-Staatssekretär Werner Gatzer – seit 2005 zuständig für den Haushaltsplan der Bundesrepublik – um Finanzierungswege für die geplanten Investitionen auszuloten.
Das Ergebnis: keine Spielräume.
Zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie wird der Bund bis Ende 2022 mehr als 400 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen haben.
Zeitgleich lassen die erwarteten Steuermindereinnahmen von 40 Milliarden Euro und die leeren Sozialkassen keine großen Sprünge zu.
In der Auftaktsitzung der Arbeitsgruppe Haushalt der Koalition ging es am Mittwoch deshalb um Finanzierungsideen und den Subventionsabbau. Man wolle eine „Koalition der Investitionen“ schmieden, hieß es aus der Gruppe.
Unser Hauptstadt-Team hat mit einigen Chefunterhändlern gesprochen und erste Initiativen und Pläne einsehen können.
Tag der Abrechnung: Heute treffen sich mehr als 300 CDU-Kreisvorsitzende zur Generaldebatte über die historische Niederlage bei der Bundestagswahl.
Sie wollen entscheiden, ob die Basis bei der Führungsfrage einbezogen werden sollte oder nicht. Unser Hauptstadt-Team hat knapp 55 Kreisvorsitzende um ihre Einschätzung gebeten.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Abstieg der Union
Wahlergebnis der Union, in Prozent
Thomas Heilmann, Bundestagsabgeordneter und Chef des Kreisverbands Steglitz-Zehlendorf, hat mit der stellvertretenden Fraktionschefin Katja Leikert und weiteren CDU-Politikern in einem Gastbeitrag für ThePioneer.de die Aufarbeitung begonnen.
Die Autoren sehen erhebliche Defizite bei der Programmatik und wünschen sich einen Ruck der Union in die Mitte der Gesellschaft. Ein neuer Vorsitzender oder eine neue Vorsitzende könnte auch den Übergang moderieren, sagen sie. Inhalte first.
Die Wahlergebnisse hätten gezeigt, dass der Anteil der Wechselwähler gestiegen und die Milieus und Loyalitäten sich nahezu vollständig aufgelöst hätten. Die Autoren schreiben:
Die neuen Alten sind zunehmend 68er und nicht mehr die berühmte (Nach-)Kriegsgeneration. Die Wechselwählerschaft steigt.
Fast jeder zweite Wahlberechtigte hat 2021 eine andere Partei als 2017 gewählt, darauf müsse man reagieren.
Eine Infografik mit dem Titel: CDU: Die Kanzlergeschichte
Zweitstimmenergebnisse der CDU/CSU bei Bundestagswahlen, nach denen die Union den Kanzler stellte, in Prozent
Die Kernwählerschaft der Union, die aus Menschen besteht, die keine andere Partei auf dem Wahlzettel ankreuzen würden, liege bei unter zehn Prozent. Zum Vergleich:
Die Queer-Community – das ist die neue Sammelbezeichnung für alle, die sich nicht als heterosexuell verstehen – umfasst je nach Umfrage in Deutschland etwa acht Prozent der Bevölkerung.
Die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger in Deutschland liegt bei gut einem Prozent der Bürger.
Derweil geht jeder zehnte deutsche Mann ins Bordell, sagt eine repräsentative Umfrage des „Playboy“.
Die Politiker plädieren für einen Übergangsvorsitzenden, der die Programmarbeit in den Vordergrund stellt und nicht die eigenen Ambitionen.
© dpaDie Autoren haben historische Recherchen betrieben. Ihr Ergebnis fällt für alle, die sich nachts auf den Chefsessel der CDU träumen, ernüchternd aus:
Bislang sind die ersten Vorsitzenden einer Volkspartei nach dem Verlust einer langen Regierungsführung stets gescheitert – sowohl bei der CDU wie bei der SPD.
Was heute auf der Konferenz diskutiert wird, lesen Sie hier.
Der Volkswagen-Konzern hat gestern sein Zahlenwerk für das dritte Quartal vorgelegt: Der operative Gewinn des Autobauers ging um zwölf Prozent auf 2,8 Milliarden Euro zurück. Beim Umsatz büßte VW im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 4,1 Prozent ein und erlöste im vergangenen Quartal damit 56,9 Milliarden Euro.
Grund für die Rückgänge sind vor allem die Versorgungsengpässe bei Halbleitern, die einen Absatzrückgang von fast 30 Prozent zur Folge hatten. Allerdings bekräftigt VW die Gewinnprognose für das Gesamtjahr.
© dpaDurchwachsene Quartalszahlen bilden nicht die einzige Herausforderung für Volkswagen-Chef Herbert Diess:
Herausforderung 1: Die Entscheidung über das Investitionsvolumen des Konzerns bis 2025 ist weiterhin offen. Die Verhandlungspartner – also Betriebsräte, Aufsichtsräte und Vorstände – benötigen offenbar weitere Bedenkzeit. Konkret geht es um rund 150 Milliarden Euro, die weltweit auf rund 120 Produktionsstätten verteilt werden sollen.
Herausforderung 2: Die geringen Produktions- und Personalkosten in China verleiten das VW-Management dazu, in den kommenden Jahren Fahrzeuge des Elektromodells ID.6 in der Volksrepublik zu produzieren, um sie danach in Europa zu verkaufen. Zeitgleich kündigte Diess „etwas Personalabbau“ an. Angesichts der niedrigen Auslastung deutscher Werke ist die Nachricht neuer Zündstoff für den Streit zwischen Konzernvorstand und Arbeitnehmervertretung.
Herausforderung 3: Volkswagen hat der Forderung zweier Umweltverbände, ab 2030 keine Verbrennerfahrzeuge mehr zu verkaufen, eine Absage erteilt. Nun droht dem Hersteller das gleiche Schicksal wie BMW und Mercedes, gegen die bereits vor den Landgerichten München und Stuttgart Klage erhoben wurde.
Fazit: Herbert Diess muss nicht nur arbeiten. Er muss kämpfen.
Es geht auch anders: Linde erhöht zum dritten Mal in Folge seine Gewinnprognose. Der Hersteller industrieller Gase erwartet ein Nettoergebnis von 5,5 Milliarden Dollar für das Jahr 2021.
Ein halbes Jahr vor dem Führungswechsel legte Linde-CEO Steve Angel, der zum 1. März 2022 an die Spitze des Verwaltungsrats wechselt, erneut starke Quartalszahlen vor. Der Umsatz stieg im Vergleich zum Vorjahresquartal um zwölf Prozent auf 7,67 Milliarden Dollar. Der operative Gewinn kletterte dabei sogar um 19 Prozent auf 1,81 Milliarden Dollar.
© imagoSteve Angel, 65, steht seit der Fusion mit Praxair 2018 an der Spitze von Linde. Er hat das Unternehmen erfolgreich durch die Fusion gebracht und dabei kontinuierlich die Profitabilität gesteigert. Er löst Wolfgang Reitzle, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Linde und Architekten der Fusion, an der Spitze des Verwaltungsrats ab. In der von 2003 bis 2021 dauernden Ära Reitzle – zuerst im Vorstand, dann im Verwaltungsrat – hat Linde seinen Börsenwert auf 141 Milliarden Euro gesteigert. Für dieses Geld könnte man BMW, die Deutsche Bank und die UBS kaufen.
Eine Infografik mit dem Titel: Linde: Die Erfolgsgeschichte
Kursverlauf der Aktie der Linde plc seit der Übernahme von Praxair, in Euro
Fazit: Wer Wolfgang Reitzle als ein Urgestein der deutschen Volkswirtschaft bezeichnet, der irrt. Jegliches Urgestein gilt als erloschen. Reitzle aber ist ein aktiver Vulkan, in dessen Inneren es brodelt. Von Zeit zu Zeit sieht man am Himmel den Funkenflug.
© dpaIn den USA liefern die nächsten zwei Tech-Giganten Amazon und Apple ihre Zahlen für das dritte Quartal:
Amazon konnte seinen Umsatz weiter steigern. 110,8 Milliarden Dollar verbuchte der Konzern im abgelaufenen Quartal – 15 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Nettogewinn ist mit 3,2 Milliarden Dollar jedoch stark gesunken.
Apple hat einen heftigen Gewinnsprung verkündet: Mit 20,6 Milliarden Dollar stieg der Nettogewinn um 62 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Auch der Umsatz kletterte um 29 Prozent auf 83,4 Milliarden Dollar.
Facebook bringt seinen Imagewechsel in die nächste Runde: Am gestrigen Abend gab das Unternehmen den neuen Konzernnamen bekannt: „Meta“ soll die Dachgesellschaft für Facebook und Instagram künftig heißen.
Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums sagen 63 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer, dass sie bei anderen geschlechtsspezifische Übergriffe wahrgenommen haben oder selbst Opfer waren.
Diesem Missstand hat die Schauspielerin Ursula Karven den Kampf angesagt. Sie will mit einer Petition das Schweigen brechen und Arbeitgebern und Arbeitnehmern Mut zur Veränderung machen. Sie schreibt:
Mit dieser Petition möchten wir eine Brücke bauen zwischen betroffenen Menschen und den Entscheidungsträger*innen und Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft.
Im Gespräch mit meiner Kollegin Alev Doğan erzählt Karven von ihren eigenen Erfahrungen mit Sexismus und Machtmissbrauch am Arbeitsplatz. Und sie berichtet auch von ihrem anfänglichen Wegschauen, das sie noch heute beschämt:
Ich habe erlebt, wie andere Frauen belästigt wurden. Und da habe ich damals – nicht wissend was zu tun – auch weggeguckt. Und dafür schäme ich mich heute noch. Ich habe weggeguckt und gedacht: Gott sei Dank nicht ich, diesmal ist jemand anderes dran.
Fazit: Eine mutige Frau kämpft einen notwendigen Kampf. Wer ihre Petition lesen und unterstützen möchte: Hier geht's zu #TheLouderVoices.
Urlaub im eigenen Land: Das ist nicht nur eine Lehre aus der Corona-Krise, sondern das rät auch der Reiseführer „Lonely Planet“. In jedem Jahr empfiehlt der Reiseführer die zehn „Best in Travel“-Städte.
Der Gewinner in Europa 2021: Freiburg im Breisgau. Die 230.000-Einwohner-Stadt am südwestlichen Ende des Schwarzwalds konnte sich gegen die großen internationalen Reiseziele durchsetzen. Hinter Auckland in Neuseeland und Taipeh in Taiwan wird Freiburg im Breisgau von „Lonely Planet“ zum weltweit drittbesten Ziel für einen Städtetrip erkoren.
© imagoAugenscheinlich „erfüllt Freiburg alle Klischees deutscher Beschaulichkeit“, hinter der Fassade warte jedoch eine der „jugendlichsten, entspanntesten und nachhaltigsten“ Städte der Republik, so der Reiseführer.
© dpaChristian Streich, Trainerlegende des Bundesligisten SC Freiburg, kann sich freuen über die Platzierung: Auch er steht mit seiner Mannschaft auf Platz drei der Tabelle. Doch trotz Höhenflug übt er die härtest denkbare Kritik an seiner Stadt:
Es isch nit alles Friede, Freude, Eierkuchen. Au nit in Freiburg.
Ich wünsche Ihnen einen glücklichen Start in das Wochenende. Vielleicht kann ich mit dem Sonderpodcast der Philosophin Svenja Flaßpöhler zum Thema „Sensibilität“ einen Beitrag zum Gelingen leisten. Wir hören uns morgen früh um 9.00 Uhr.
© dpaEs grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr