alle reden derzeit über die prekäre Lage im Einzelhandel, die Pausentaste im Kulturleben und den Niedergang der Tourismusindustrie. Doch mit Zeitverzögerung hat die Pandemie nun auch den Kern vom Kern der deutschen Industriegesellschaft erreicht. Die Gleichzeitigkeit von Virus-Befall, wackeligen Lieferketten und digitaler Disruption macht den 3,8 Millionen Beschäftigten der Metallindustrie spürbar zu schaffen:
Nur noch ein Drittel der Industrie-Belegschaften ist am Arbeitsplatz; derweil befindet sich ein weiteres Drittel im Homeoffice und ein Drittel in Kurzarbeit. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW hat seine erst wenige Tage alte Konjunkturprognose für 2021 deutlich gesenkt.
Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust ist allgegenwärtig, 71 Prozent der 250.000 Beschäftigten einer IG-Metall-Mitgliederbefragung sehen verstärkte Zukunftsängste in der Belegschaft.
Wichtige Schlüsselfirmen der Industrie wie der Autozulieferer Conti, der Stahlriese ThyssenKrupp und der Werftenverbund stecken in ernsten Schwierigkeiten, die auch nach dem Ende des Lockdowns nicht geringer sein werden.
Infolge der Vier-Prozent-Lohnforderung der IG Metall und dem Ruf der Arbeitgeber nach doppelter Nullrunde wittern die Scharfmacher beider Seiten Morgenluft. Gestern begann die Tarifrunde 2021.
Auch bei VW, dem weltgrößten Automobilhersteller, herrscht kein Friede, sondern allenfalls ein Waffenstillstand. Am 28. Januar endet im Konzern die Friedenspflicht.
Im Gespräch mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann, der auch dem VW-Aufsichtsrat angehört, erörtere ich im Morning Briefing Podcast die zugespitzte Situation. Über die Gründe für die Angst vor dem Jobverlust unter den Gewerkschaftsmitgliedern sagt der Gewerkschaftsboss:
Dieses Amalgam von Rezession, von Unsicherheit über die Perspektive des eigenen Arbeitsplatzes im Kontext der Transformation, das trägt dazu bei, dass die Angst um den Arbeitsplatz sichtbar gestiegen ist.
Diese Unsicherheit sei kein Naturgesetz, sondern die Folge von Unternehmenslenkern, die managen, aber nicht führen:
Viele Unternehmen haben den Knall nicht gehört. Sie wissen nicht, was Transformation für sie bedeutet und besitzen daher auch keine klare Strategie.
Jörg Hofmann wird an dieser Stelle unseres Gesprächs deutlicher als deutlich, auch weil die Mitgliederbefragung der IG Metall hier verstörende Befunde liefert:
Es gibt eine Konstante, die mich verrückt macht. Noch immer besitzt jeder zweite Arbeitgeber aus Sicht der Beschäftigten 0,0 Prozent Strategie bei folgenden Fragen: Wie geht es morgen weiter? Was heißt für mich Digitalisierung? Was heißt für mich Dekarbonisierung? Was bedeutet beides für meine Produkte und meine Prozessen?
Eine Infografik mit dem Titel: Betriebe in der Pflicht
Angabe der IG Metal-Mitglieder über Betriebsinformationen zu Zukunftsaussichten und künftigen Strategien, in Prozent
Für den Gewerkschaftschef ist eine Vier-Tage-Woche mit einem weitgehenden Lohnausgleich eine Antwort auf die Disruption in der Arbeitswelt:
Unser Arbeitsmarkt wird in den nächsten Jahren stark geprägt sein von der Frage: ,Wie kann ich Fachkräfte nach vorne sichern?’ Deswegen gibt es ein beidseitiges Interesse Beschäftigung zu halten. Die Vier-Tage-Woche ist erst einmal ein Mittel des Haltens, ein Mittel, des auch sozial verträglichen Haltens, wenn es mit einem Entgelt-Ausgleich zumindest in Teilen kombiniert wird.
Als Erste-Hilfe-Maßnahme will er seinen Vorschlag nicht verstanden wissen:
Ich würde mehr darin sehen. Es ist eine Option, um sich zu überlegen: Kann eine Gesellschaft, in der der Austausch von Kapital und Arbeit einen neuen Schub bekommen hat, den Anteil der notwendigen Arbeit weiter reduzieren und den Menschen mehr Freiräume geben?
Über den am Montagabend geschlossenen Burgfrieden bei Volkswagen sagt das VW-Aufsichtsratsmitglied:
© dpaDie Konflikte dort drehen sich um die Frage: Erkenne ich Mitbestimmung, erkenne ich Partizipation als eine Produktivkraft an, auf die ich nicht verzichten kann? Oder meine ich, dass der Standpunkt des Ich-bin-der-Herr-im Hause das geeignete Führungsmodell in einem Unternehmen von morgen darstellt?
Er erwartet vom Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess eine Verhaltensänderung:
Kulturelle Missverständnisse lassen sich nicht über Papier erledigen. Also gibt es eine neue Chance, diese Fragen positiv anzugehen.
Fazit: Der Gewerkschaftsboss leuchtet die Schwachstellen der Industriegesellschaft aus, auch die auf der Chefetage. Prädikat: schonungslos.
Kurz nach dem VW-Aufsichtsrat haben die Aktionäre gesprochen: Sie sind glücklich, dass Konzernchef Herbert Diess weitermachen darf. Er birgt für sie das Versprechen, dass VW doch noch eine normale Firma werden könnte. So gesehen sind die aktuellen Kurssteigerungen eine Wette auf die Zukunft – auf seine Zukunft.
Eine Infografik mit dem Titel: Börse will Herbert Diess
Kursentwicklung der VW-Aktie seit dem 08.12.2020, in Euro
Auch für die Jugend entwickelt sich die Pandemie zu einer die Generation prägenden Veranstaltung.
© dpaHeute beginnen die vorgezogenen Weihnachtsferien für alle Schülerinnen und Schüler. Unklar ist, wie unter den Bedingungen des zweiten Lockdowns, dessen Ende nicht absehbar ist, das Zentralabitur stattfinden kann, das einen Lehrstoff voraussetzt, der gar nicht gelehrt wurde.
Der Ausbildungsmarkt zieht sich zusammen wie ein verkrampfter Magen. Derzeit werden elf Prozent weniger Ausbildungsplätze angeboten als 2019.
Studenten und solche, die es noch werden wollen, haben derzeit keinerlei Chancen, ihre Traumuniversitäten und die dazugehörigen Städte zu besuchen – weder im Inland noch im Ausland. Der Studienbeginn wird für viele zum Blinddate.
Mit der Schulsprecherin Clara Sandstedt vom Gymnasium Bremen Vegesack habe ich über die Situation gesprochen.
Sie beklagt die mangelhaften Abiturvorbereitungen seitens der Länder:
© PrivatKeiner sagt uns etwas dazu. Niemand befasst sich wirklich damit. Das ist sehr frustrierend für mich als Schülerin.
Bei vielen Mitschülern löst das Ängste aus:
© dpaJe näher das Abitur rückt, desto mehr Angst bekommen meine Mitschüler.
Die Arbeit der Politiker beurteilt sie fair und kritisch zugleich. Einerseits hat sie Respekt vor deren schwieriger Aufgabe. Andererseits:
Ich habe das Gefühl, dass sie gar nicht wissen, was sie tun. Da werden zum Teil willkürlich Entscheidungen getroffen, die ich nicht nachvollziehen kann, die manchmal auch keinen Sinn ergeben.
Fazit: Schülermund tut Wahrheit kund.
Die Zulassung eines Corona-Impfstoffs scheint näher zu rücken. Die Lage am heutigen Morgen:
Die Zahl der verzeichneten Todesfälle ist sprunghaft gestiegen und hat einen neuen Höchststand erreicht. Binnen eines Tages übermittelten die Gesundheitsämter dem Robert-Koch-Institut (RKI) 952 neue Todesfälle. Außerdem sind 27.728 Neuinfektionen verzeichnet worden.
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA kündigte an, sie werde am 21. Dezember ihr Gutachten über die Zulassung des Impfstoffs von Pfizer und Biontech vorlegen – acht Tage früher als ursprünglich geplant.
Zuvor hatte RKI-Präsident Lothar Wieler erneut den Alarmknopf betätigt:
© dpaDie Lage ist so ernst wie sie noch nie war in dieser Pandemie.
Der Handel befürchtet kurz vor Weihnachten das Schlimmste. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Stefan Genth rechnet in den Monaten November und Dezember nur noch mit Umsätzen von insgesamt knapp 98 Milliarden Euro, sieben Prozent weniger als im Vorjahr.
Adidas-CEO Kasper Rorsted lässt den Verkauf seiner Marke Reebok prüfen. Der Vorstand hält sich alle Möglichkeiten offen:
Mögliche strategische Alternativen schließen sowohl einen Verkauf von Reebok als auch den Verbleib im Unternehmen ein.
Die Entscheidung wird am 10. März 2021 verkündet, wenn die neue Strategie präsentiert wird.
Anlass der Prüfung sind die seit Jahren stagnierenden Verkäufe von Reebok, die mit der Marke Adidas nicht mithalten können. Während sich die Umsatzerlöse von Adidas seit 2006 mehr als verdoppelt haben, von knapp 10 Milliarden auf 23,7 Milliarden Euro im Jahr 2019, sind sie bei Reebok seit dem Erwerb 2006 von 1,98 Milliarden auf 1,75 Milliarden Euro in 2019 geschrumpft. Der damals 3,1 Milliarden Euro teure Zukauf fiel in die Amtszeit von Rorsteds Vorgänger Herbert Hainer. Der glaubte, eine Trophäe erworben zu haben. Doch was da glänzte, war kein Gold, sondern Weißblech.
Das politische Jahr 2020 war anders, aufreibend, oft nervenzerfetzend, von der Corona-Politik dominiert. Doch welcher Politiker hat seine Arbeit besonders gut erledigt, konnte viel bewegen, das eigene Politikfeld besonders kreativ gestalten? Wir suchen die Politiker des Jahres in zwölf Kategorien. Wenn Sie Zeit und Lust haben, wählen Sie mit: Jetzt und bis zum 18.12.
US-Präsident Donald Trump hat es jetzt schriftlich. Die Wahlleute aus den einzelnen US-Bundesstaaten bescheinigten Joe Biden den Sieg. Die politische Realität hält sechs Wochen nach der Abstimmung am 3. November Einzug in die Hauptstadt Washington, D.C.:
Auch der führende Republikaner im US-Senat Mitch McConnell hat Bidens Sieg nun anerkannt:
Das Wahlleutegremium hat gesprochen.
Russlands Präsident Wladimir Putin und Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda gratulierten ebenfalls umgehend. Der Kreml-Chef schrieb, ungeachtet aller Differenzen könnten Russland und die USA gemeinsam zur Lösung vieler Fragen und Herausforderungen in der Welt beitragen.
Und Trump? Der teilte noch während der laufenden Abstimmung der Wahlleute auf Twitter mit, dass Justizminister William Barr – bis vor wenigen Tagen ein enger Verbündeter Trumps – seinen Rücktritt eingereicht habe. Barrs Fehler: Er fand keine Beweise für massiven Wahlbetrug.
Führungswechsel bei Eon: Nach mehr als einem Jahrzehnt tritt Johannes Teyssen von der Spitze des Energiekonzerns zurück und übergibt das Amt an Leonhard Birnbaum. Der 53-Jährige betreute zuvor hauptsächlich die Übernahme und Integration von Innogy, einem früheren Konkurrenten.
© dpaDas dürfte auch in den kommenden Jahren eines seiner großen Projekte bleiben: Er muss die Integration von Innogy abschließen und neue Wachstumschancen in der grünen Energiewelt erschließen. Neben Birnbaum berief der Aufsichtsrat auch eine Frau in den Vorstand: Victoria Ossadnik übernimmt das neue Ressort Digitalisierung. Die 52-Jährige hatte zuvor bei Microsoft gearbeitet.
Eine Infografik mit dem Titel: Ära Johannes Teyssen
Kursentwicklung der Eon-Aktie während der Amtszeit von Johannes Teyssen als Vorstandsvorsitzender, in Euro
Die Ära Teyssen glich für Mitarbeiter und Aktionäre der ehemaligen VEBA einer Achterbahn. Im Beifahrersitz saß Angela Merkel, die dem Vorstandschef mit ihrem abrupten Ausstieg aus der Atomenergie ungeniert ins Lenkrad griff. Der Energiekonzern mit seiner alten Führungskultur und tradiertem Geschäftsmodell raste in Richtung Abhang.
Teyssen transformierte Eon von einem traditionellen Energieerzeuger zu einem Unternehmen, das aus der Erzeugung ausstieg und nun zu 100 Prozent ein Versorger ist – mit den Sparten Netz und Vertrieb. Eon betreibt heute Strom- und Gasleitungen von 1,5 Millionen Kilometer Länge. Teyssen bewies damit, dass es auch für Traditionskonzerne ein Leben nach dem Tod gibt.
Die Hannoveraner Marktkirche darf nun doch ein von Altkanzler Gerhard Schröder gestiftetes Kirchenfenster einbauen. Das zuständige Landgericht erlaubte jetzt die Installation des 13 Meter hohen und von Markus Lüpertz entworfenen Kunstwerks.
© dpaDamit wiesen die Richter eine Klage des Architekten-Erben Georg Bissen ab. Sein Stiefvater Dieter Oesterlen (1911-1994) hatte die im Krieg zerstörte spätgotische Kirche nach 1946 wiederaufgebaut und neu gestaltet. Das Gericht bewertete das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und die Religionsfreiheit höher als das Urheberrecht des Architekten. Bissen verwaltet die Urheberrechte am Werk von Oesterlen.
Er hatte gegen den Einbau des Buntglasfensters mit Motiven zur Reformation geklagt, weil es aus seiner Sicht nicht in die mittelalterliche Kirche passe und deren schlichtes Erscheinungsbild zu stark verändere.
Das Reformationsfenster zeigt eine große weiße Figur, die Martin Luther darstellen soll, und fünf schwarze Fliegen, die für das Böse und die Vergänglichkeit stehen. Wer abergläubisch ist, könnte meinen, der große Wilde der Gegenwartskunst habe hier die Dämonen der Pandemie vorweggenommen und im Kirchenschiff verewigt. Diese Annahme ist zynisch und könnte gerade deshalb den Kläger milde stimmen: Denn Aberglaube und Verschwörungstheorie passen perfekt zum Mittelalter.
© dpaIch wünsche Ihnen einen humorvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das herzlichste
Ihr