die Regierung hat sich im Irrgarten ihrer eigenen Corona-Politik verlaufen. Man könnte meinen, Franz Kafka verfasste das Drehbuch für diesen Ausflug ins Surreale.
Der Corona-Test (nicht älter als 48 Stunden) ist der Passierschein auf der beschwerlichen Reise von einem Risikogebiet ins nächste. Überall lauert die Infektionsgefahr, vor allem im Zapfhahn der Gasthäuser, weshalb hier nur ein striktes Schankverbot hilft. Auch in den frisch bezogenen Betten von MotelOne und Marriott toben offenbar lustvoll die Viren, weshalb ein Beherbergungsverbot zwingend scheint. Nur mit Schaudern erinnert man sich an jene verrückte Zeit, als die Menschen zum Geburtstag gemeinsam auf einen Kuchen pusteten, um danach die Stücke zu verteilen.
© dpaWer seine soziale Kompetenz unter Beweis stellen will, begibt sich heute beim ersten Herbsthusten unverzüglich in Selbst-Quarantäne. Ein Anruf beim Arbeitsamt genügt, um die lebensbejahende Transferzahlung auszulösen. Der Retterstaat hat die Spendierhosen angezogen; der Gürtel wurde im ersten Loch eingerastet.
Mit ordnender Hand mischen sich jetzt die Gerichte in das Tollhaus des Politischen ein. Gestern wurde das Beherbergungsverbot erst in Baden-Württemberg und Sachsen, später auch in Niedersachsen von den Gerichten für unrechtmäßig erklärt. In Baden-Württemberg sah der Verwaltungsgerichtshof das Gesetz als Einschnitt in das Grundrecht auf Freizügigkeit an. Auch „CSU-Virenbezwinger Markus Söder“ (Sascha Lobo) muss das Beherbergungsverbot nun mit Blick auf das Urteil im Nachbarland überprüfen.
Wichtige Funktionäre des medizinisch industriellen Komplexes gehen mittlerweile auf Distanz zu einem Staat, der dabei ist, übergriffig zu werden. Der Chef des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, warnt vor einer Überlastung der Praxen und spricht von Ressourcenverschwendung, weil sich plötzlich jeder Urlauber den Corona-Test besorgen muss. Knappe Testkapazitäten würden verschwendet, kritisiert auch Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung:
Das ist schon fast grober Unfug.
Eine Infografik mit dem Titel: Corona-Fälle der letzten 7 Tage
Bestätigte Neuinfektionen je 100.000 Einwohner der vergangenen sieben Tage in den Landkreisen und kreisfreien Städten
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sekundiert im Deutschlandfunk:
Ich halte das für vollkommen realitätsfremd.
Es müsste doch möglich sein, sagt ein genervter Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt, „zu einer viel differenzierteren Betrachtungsweise des Infektionsgeschehens“ zu kommen.
Doch Angela Merkel und ihre politischen Berater wollen, auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise, die der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier als „Staatsversagen“ gebrandmarkt hat, keinen zweiten Kontrollverlust erleiden. Corona ist gewissermaßen das politische Rückrundenspiel.
Im Bundeskabinett und auch unter den Ministerpräsidenten findet sich derzeit kein einziger, der zum Perspektivwechsel ermuntert. Wie in Trance raunt man sich gegenseitig den R-Faktor und die Inzidenzwerte zu. Der Selbstzweifel, der durchaus eine Quelle des Fortschritts sein kann, bleibt bei diesen Coronarunden im Hause Merkel ausgesperrt. Heinrich Heine:
Das ist schön bei den Deutschen: Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht.
Dazu passt: Gesundheitsminister Jens Spahn plant massive Einschränkungen für Reisende, die aus ausländischen Risikogebieten zurückkommen. Diese müssen Angaben zu den besuchten Orten und möglichen Kontaktpersonen machen, Reiseunternehmen sollen Daten an die Behörden rausrücken. Und wer in Risikogebiete reist, obwohl es nicht notwendig ist, soll den Anspruch auf Lohnfortzahlung verlieren. So steht es im Entwurf für ein „Drittes Bevölkerungsschutzgesetz“, das der Minister nun in die regierungsinterne Abstimmung gegeben hat.
Außerdem haben die Kollegen im Hauptstadt-Team einen neuen Streit in der Koalition recherchiert. Das längst ausverhandelte Lobbyregister wird von der SPD wieder aufgeschnürt.
Das aktuelle Briefing lesen Sie hier.
Heute Nacht konnten die US-Amerikaner wählen - zwischen Präsident Donald Trump auf NBC und seinem Herausforderer Joe Biden bei ABC. Der eine betrat in Miami die Bühne, der andere im rund 2000 Kilometer entfernten Philadelphia.
Auch bei diesem ungewöhnlichen Fernduell wurde wieder reichlich Gift verspritzt.
Eine Infografik mit dem Titel: Biden behauptet Vorsprung
Wer sollte die Präsidentschaftswahl 2020 gewinnen? Durchschnittliche Werte von nationalen US-Umfragen, in Prozent
Als die Moderatorin Savannah Guthrie Trump fragte, ob er ausländischen Banken Geld schulde, sagte er:
Nicht dass ich wüsste.
Ich schulde diesen finsteren Leuten kein Geld.
Auf die Frage, ob er einen Retweet von Verschwörungstheorien für falsch halte, sagte Trump:
Das können die Leute für sich entscheiden.
Die Moderatorin Guthrie reagierte:
Das verstehe ich nicht. Sie sind der Präsident und nicht der verrückte Onkel von irgendjemandem.
Biden über Trump:
Er hat riesige Chancen verpasst und sagt immer wieder Dinge, die nicht wahr sind.
Fazit: Der amtierende Präsident wirkt angezählt. Sein Optimismus ist bemüht. Seine schlechte Laune kann er kaum mehr verbergen. Er zielt auf alles und jeden - die Banken, die Ärzte und die Medien - und trifft doch immer wieder nur sich selbst.
In der neuen Episode unseres Podcasts „Race to the White House“ befassen sich der Ex-Obama-Campaigner Julius van de Laar und ThePioneer-Vizechefredakteur Gordon Repinski mit dem dunklen Teil der US-Präsidentschaftswahlen; jenem Teil, in dem getrickst, behindert und betrogen wird: Es geht um die Registrierung von Wählern, den Zuschnitt von Wahlbezirken und Unsauberkeiten bei der Briefwahl. Eine Anleitung, wie Sie als Pioneer den Podcast in Ihrer Podcast-App hören können, finden Sie hier.
Am 4. Dezember will die CDU einen neuen Vorsitzenden wählen. Die drei Bewerber für den Vorsitz, Laschet, Merz und Röttgen, werden morgen bei der Jungen Union auf jenen Bretter stehen, die ihre Welt bedeuten.
Das ganze ist als Mitmach-Theater choreografiert, weshalb die JU-Mitglieder Fragen aus vier Komplexen stellen dürfen: Bildung, Digitales, Nachhaltigkeit und Moderne Volkspartei.
Die „Pitch“ genannte Veranstaltung wird digital sein: Die JU-Mitglieder sind per Videokonferenz auf einer großen LED-Wand zugeschaltet. Das Treffen soll mit jeweils fünfminütigen Statements beginnen. Die Reihenfolge wird vor Ort ausgelost. Am Ende darf dann die JU-Mitgliederbefragung zum CDU-Parteivorsitz starten, die insgesamt zwei Wochen dauert. Abstimmen könnte man im Internet-Zeitalter zwar unverzüglich und digital. Doch eine gute Intrige braucht Zeit und funktioniert am besten analog.
Über seine Erwartung spricht JU-Chef Tilman Kuban im Morning Briefing Podcast mit „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld und ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker.
Bei der SPD hat die Kanzlerkandidaten-Wahl schon stattgefunden. Jetzt beginnt das Grummeln. Denn seither rutscht die Partei nur tiefer ins Umfrageloch. Aktuell steht die Partei bei 15 Prozent. Der Ex-Manager der Schröder-Wahlkämpfe und spätere Staatssekretär Matthias Machnig zieht eine erste Scholz-Bilanz und erläutert, welche Voraussetzungen eine erfolgreiche Kandidatur benötigt:
Der Positionierung der Partei muss die Kandidatur folgen und nicht umgekehrt.
Seine Analyse gibt es hier.
Die Pandemie ist der größte Beschleuniger der Digitalisierung. Auch die Deutschen haben begonnen, die Weiten der virtuellen Welt zu besiedeln. Das Streaming von Daten und persönlicher Kommunikation erlebt eine Hochphase.
Walt Disney kann die Zeichen der Zeit lesen: Die Pandemie hat Disneys Entertainment-Imperium (Vergnügungsparks, Kinos, Merchandising-Geschäfte) lahmgelegt, jüngst erst wurde die Entlassung von 28.000 Mitarbeitern angekündigt. Deshalb will sich Disney nun stärker auf den boomenden Streaming-Markt konzentrieren.
Eine Infografik mit dem Titel: Beliebter Streamingdienst
Weltweite Disney+Abonnenten, in Millionen
In der Musikindustrie ist das Streaming zum Standard geworden. CDs kauft kaum jemand mehr, Vinylplatten sind ein Fall für Liebhaber. Apple und Spotify sind die neuen Musikfirmen. Wie lukrativ der digitalisierte Musikmarkt geworden ist, zeigt die K-Pop-Band BTS. Das Plattenlabel der südkoreanischen Boygroup Big Hit Entertainment feierte soeben den größten Börsengang des Landes.
Zum Börsendebüt wurde die Aktie mit 200 Euro bewertet, das Doppelte des Ausgabepreises. Der Marktwert stieg in der Spitze auf acht Milliarden Euro.
© dpaDa alle sieben Bandmitglieder Anteile an Big Hit Entertainment besitzen, konnten sie durch den Börsengang Millionen verdienen. CEO Bang Si-Hyuk, zu 43 Prozent am Label beteiligt, wurde Milliardär.
Gestern ging es im Morning Briefing um die größer werdende Not der Flughäfen in der Pandemie: So meldete Fraport, der Betreiber des Frankfurter Flughafens, für die ersten neun Monate 2020 ein Minus von 70,2 Prozent bei den Passagierzahlen. Nun die nächste Hiobsbotschaft für die Branche: Europas größter Billigflieger Ryanair streicht seinen Winterflugplan wegen der verschärften Reisebeschränkungen in der Corona-Krise weiter zusammen:
Von November bis März werde Ryanair voraussichtlich nur rund 40 Prozent der Flüge vom vergangenen Winter anbieten. Bisher hatte das Management noch rund 60 Prozent der alten Normalität angepeilt.
Für das laufende Geschäftsjahr bis Ende März rechnet Konzernchef Michael O'Leary nur noch mit rund 38 Millionen Fluggästen. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte Ryanair samt ihren Töchtern fast 149 Millionen Passagiere befördert.
Derzeit bleiben in den Flugzeugen auch deutlich mehr Sitze leer. Ryanair erwartet derzeit eine Auslastung von etwa 70 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte sie bei 95 Prozent gelegen.
Das Beste zum Schluss: Die Geigerin Anne-Sophie Mutter gibt sich einen Ruck und würde gern Politikerin werden. Sie empfindet die aktuelle Situation der Künstler in Deutschland als „absolut katastrophal“.
Die Politik der Corona-Hilfen für Musiker ist einfach nicht zu Ende gedacht.
Deshalb würde sie gern Gutes für die nunmehr leidenden Kolleginnen und Kollegen bewirken wollen. Auch zur Übernahme politischer Verantwortung sei sie jetzt bereit, sagte die Künstlerin im Gespräch mit Klassik Radio:
Vor Corona hätte ich das strikt abgelehnt. Jetzt würde ich mit größter Begeisterung ein politisches Amt annehmen wollen, damit ich mit meinem Insiderwissen der Kultur helfen kann.
Anmerkung: Die Frau im Bundeskanzleramt sollte diese Bewerbung nicht als Kritik, sondern als Chance begreifen. Wäre ihre anderthalb Jahrzehnte währende Amtszeit eine Oper, fehlt jetzt ohnehin noch das Grande Finale. Die Streicher bitte!
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr