Interview mit Sebastian Kurz

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

die politischen Aufgeregtheiten haben sich sechs Tage nach dem großen EU-Gipfel nicht verzogen. Denn: Das Europaparlament, das mit Vorliebe das Geld anderer Menschen ausgibt, hatte sich mehr erhofft. Am Donnerstag debattierten die Abgeordneten deshalb über eine Resolution, die es in sich hat: Das Parlament „stimmt der politischen Einigung über den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 in seiner derzeitigen Fassung nicht zu“, heißt es im Entwurf. Es ist die offene Drohung mit dem Veto.

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz hatte mithilfe des niederländischen Premierministers Mark Rutte, des schwedischen Ministepräsidenten Stefan Löfven und der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen durchgesetzt, dass aus den ursprünglichen 500 nun 390 Milliarden Euro an direkten Zuschüssen wurden. Als Wortführer der „frugalen Vier“, zu denen sich schließlich noch die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin gesellte, drängte er auf einen deutlich schmaleren Coronafonds, und forderte Macron und Merkel so heraus. Nun muss er darum kämpfen, dass dem Macron-Lager nicht doch noch der Einstieg in die permanente Schuldenunion gelingt. Im Gespräch mit dem Morning Briefing Podcast sagt er:

Wir werden keiner Schuldenunion zustimmen. Für uns war die Bedingung unserer Zustimmung zu diesem Projekt stets, dass es zeitlich befristet und einmalig ist. Alles andere wäre aus meiner Sicht ein absolut falscher Weg.

Eine Infografik mit dem Titel: Europas Schuldenstaaten

Staatsverschuldung in Relation zum BIP, in Prozent

Als Gegenpol zu dieser Position und damit als Propagandisten der Schuldenunion benennt er den französischen Präsidenten:

Ich weiß, dass Emmanuel Macron und andere intensivst für diesen Weg werben. Aber ich glaube nicht, dass er am Ende des Tages für mehr Wohlstand und Wachstum sorgen würde. Sondern zu einer immer weiteren Verschuldung und zu immer weniger Konsequenzen für Staaten, die ihre Budgets nicht unter Kontrolle haben.

Eine Infografik mit dem Titel: Europas Schuldenkönige

Länder mit der höchsten Staatsverschuldung in der EU, in Relation zum BIP

Unsere Argumentation während des ganzen Gipfels war, dass das noch immer eine riesige Menge an Geld ist. Das war auch das, was uns an der Debatte gestört hat. Dass viele so getan haben, als wäre das eine Kleinigkeit oder alles unter 500 Milliarden viel zu wenig. Aus unserer Perspektive ist das sehr viel Geld. Es ist so viel, dass sich manche Staaten schwertun werden, das überhaupt zu absorbieren.

Macron hatte sich auf dem Gipfel über die Rhetorik des österreichischen Kanzlers erregt gezeigt. Kurz zeigt augenzwinkernd Verständnis:

Natürlich wäre es für einen französischen Präsidenten angenehmer, dass wenn er nach Brüssel reist, dort eins zu eins passiert, was er sich ausgedacht oder zumindest mit Deutschland besprochen hat. Dass man das als lästig empfindet, dass noch andere Staaten mitreden wollen, kann ich emotional nachvollziehen.

 © dpa

Die Kanzlerin sah er als seine Gegenspielerin, nicht aber den deutschen Steuerzahler:

Wir waren bei diesen Verhandlungen nicht immer auf der gleichen Seite. Ich glaube aber, dass vieles von dem, was wir vertreten, durchaus im Interesse des deutschen Steuerzahlers ist und von der deutschen Politik eigentlich immer in ähnlicher Art und Weise vertreten wurde.

Es ist sicherlich nicht negativ für den deutschen Steuerzahler, wenn die Budgets, die in Richtung Süden Europas fließen, nicht ins Unendliche wachsen.

Fazit: Der österreichische Bundeskanzler ist aus der Rolle des alpinen Kleinstaatlers in die eines europäischen Wortführers geschlüpft. Seine Sparsamkeit ist nicht links und nicht rechts, sondern vernünftig. Das klingt wie eine Belobigung und ist doch nur eine Beschreibung. Der Bund der Steuerzahler sollte überlegen, Kurz die goldene Ehrenplakette auszuhändigen – mit einer Laudatio von Angela Merkel.

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Da hilft heute Morgen nur eine extra Portion Tapferkeit: Die zweite Welle der Corona Infektionen ist in vollem Gange. Von überall kommt sie angerauscht, aus Brasilien, aus Spanien und aus den Vereinigten Staaten von Amerika sowieso. Das sind die bitteren Zahlen der vergangenen Tage:

 © Saul Loeb/AFP

► In den USA jagt ein Negativrekord den nächsten. Trauriger Höhepunkt ist bisher der 24. Juli: An diesem Tag meldeten die Gesundheitsbehörden 74.360 Neuinfektionen. Mittlerweile ist auch Trumps nationaler Sicherheitsberater Robert O’Brien positiv auf das Virus getestet worden. Immologe Anthony Fauci, der Trump in der Coronakrise berät:

Ich wäre nicht überrascht, wenn wir 100.000 pro Tag erreichen.

 © dpa

► In Spanien schnellen die Zahlen ebenfalls wieder in die Höhe. Am 20. Juli wurden 4581 neue Coronafälle gemeldet. In den folgenden Tagen sind die Zahlen zwar deutlich gesunken, aber die Lage bleibt angespannt. König Felipe VI. sagte bei der Trauerfeier für die Coronatoten Mitte Juli:

Diese Krise hat unser Land und unsere Gesellschaft auf die Probe gestellt. Aber wir haben auch das Wertekorsett von Tausenden von Mitbürgern gesehen, die ihre Kraft und ihre Arbeit in den Dienst der Gemeinschaft stellen.

 © dpa

► In den vergangenen sieben Tagen sind beim Robert Koch-Institut (RKI) 3786 neue Corona-Meldungen aus den Gesundheitsämtern bundesweit eingetroffen. Das war ein Drittel mehr als in der Woche davor. Allein am vergangenen Donnerstag kamen 815 neue Fälle hinzu. Vergleichbare Tageswerte gab es zuletzt während des Corona-Ausbruchs beim Fleischkonzern Tönnies Mitte Juni. Markus Söder gestern:

Wir machen uns große Sorgen um den Urlaub. Meine Sorge ist nicht, dass es ein großes Ischgl gibt, sondern, dass es viele Mini-Ischgls geben wird.

Auch der Kanzleramtschef Helge Braun schätzt die Lage kritisch ein:

Wenn wir jetzt im Sommer aufgrund unseres Freizeit- und Reiseverhaltens zu einem höheren Grundlevel an Infektionen kommen, wird es uns im Herbst umso schwieriger Fallen, die Situation im Griff zu behalten.

Eine Infografik mit dem Titel: Zweite Welle in vollem Gang

Entwicklung der Corona-Neuinfektionen weltweit seit Anfang Januar

Das Ganze bedeutet für unser Land Folgendes:

1. Es wird, auch ökonomisch, keine schnelle Rückkehr zur alten Normalität geben. Die Industrieauslastung ist zwar von 70 auf 74 Prozent gestiegen, liegt damit aber weiterhin unter dem langjährigen Mittel von rund 85 Prozent. Auch die staatlichen Schuldenprogramme können den Patienten nicht schmerzfrei stellen.

2. Die Rückkehr zur Normalität lässt sich nicht erzwingen. Deshalb sind die Restriktionen für Urlaubsheimkehrer und Geschäftsreisende notwendig. Und deshalb sind auch die Ausnahmeregelungen, die der Staat für das enge Sitzen in der Bahn und im Flugzeug genehmigt hat, ein Granatenfehler. Der öffentliche Transport wird so zum Corona-Förderprogramm, weil das teuflische Virus nichts mehr liebt als Nähe. Um das zu erkennen, muss man kein Virologe sein.

3. Die Regierung sollte – wenn der deutsche Wohlstand (und damit auch das Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme) nicht vorsätzlich riskiert werden soll – ihr Verhalten ändern – und von reaktiv und restriktiv auf kreativ umschalten. Das Kulturleben, die Bildung, alle öffentlichen Dienstleistungen brauchen einen Digitalisierungsschub, der dauerhaft hilft, Geschäftsmodelle zu retten und gleichzeitig Infektionsketten zu unterbrechen. Die Corona-App macht noch keinen Sommer.

 © imago

4. Das Exportmodell Deutschland muss überdacht werden. Deutschland braucht in einer Welt der vernetzten Risiken wahrscheinlich wieder einen höheren heimischen Wertschöpfungsanteil. Ein solcher Masterplan, der auch die Rückverlagerung von Produktionsanlagen beinhalten kann, bedeutet keine Absage an die Globalisierung, wohl aber eine Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Das derzeitige deutsche Geschäftsmodell erfüllt auf keinen Fall die Bedingungen einer Antifragilität wie sie der Philosoph Nassim Taleb („Der schwarze Schwan“) fordert:

Antifragilität hat die einzigartige Eigenschaft, uns in die Lage zu versetzen, mit dem Unbekannten umzugehen – ohne es zu verstehen.

Sein Fazit wäre auch das meinige:

Alles, was nicht antifragil ist, wird verschwinden.

 © dpa

Rund zwei Monate nach dem Rücktritt von Richard Grenell als US-Botschafter in Berlin, hat Präsident Donald Trump einen neuen Kandidaten für das bislang vakante Amt vorgestellt.

Vorbehaltlich der Bestätigung durch den US-Senat soll der ehemalige Heeresoffizier Douglas Macgregor nach Berlin entsandt werden. Der pensionierte Oberst tritt unter anderem als Kommentator für Fox News auf. Der amerikanische Präsident schickt uns damit einen Geldeintreiber vorbei, der das vor langer Zeit von Deutschland versprochene erhöhte Militärbudget einfordern wird. Die Botschaft des Botschafters lautet: Trump bleibt Trump.

Die Deutsche Post hat ein Gefühl für Timing. Ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt, wo viele Menschen Urlaub, Privatleben und den Arbeitsalltag zu Hause verbringen, kommt das Unternehmen aus Bonn mit einer Nachricht, die wie aus der Vor-Corona-Welt zu stammen scheint.

Eine Infografik mit dem Titel: Sinkende Nachfrage

Anzahl der lizenzpflichtigen Briefsendungen durch Postdienstleister in Deutschland, in Milliarden

In Zukunft wird ausgewählten Privatkunden vorab per E-Mail mitgeteilt, welchen Brief sie im Laufe des Tages erhalten.

Die Empfänger bekommen per E-Mail ein Foto des Briefumschlags zugeschickt. Der Dienst ist kostenlos und soll den 34 Millionen Nutzern von E-Mail-Adressen bei GMX und Web.de zur Verfügung stehen. Die E-Mail, also der Nachfolger des Briefes, wird so zum Vorboten des Briefes ernannt. Derjenige im Postvorstand, der sich diese Paradoxie hat einfallen lassen, verdient den Karnevalsorden „Wider den tierischen Ernst“. Oder um mit Paulchen Panther zu fragen: Wer hat an der Uhr gedreht?

 © Cinetext Bildarchiv

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in den Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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