Investitionslenkung in Europa?

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Guten Morgen,

die Politisierung des europäischen Finanzsystems tritt in die nächste Runde. Am Mittwoch will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der Öffentlichkeit ihren Aktionsplan für einen „Green Deal“ präsentieren. Anschließend tritt das EU-Parlament zu einer Sondersitzung zusammen. Der vom Parlament ausgerufene „Klimanotstand“ duldet keinen Zeitaufschub: ► Rund eine Billion Euro will von der Leyen bis 2030 mobilisieren, um den globalen Temperaturanstieg zu bekämpfen. ► Für ihr Ziel, im Jahr 2050 in einem „klimaneutralen“ Europa zu leben, soll die EU-Bürokratie bis zum Jahr 2022 eine „Taxonomie“ anlegen. Das ist ein Kataster, das Unternehmen in Umweltfreunde und Umweltteufel einteilt. Banken und privaten Geldanlegern soll dieses Verzeichnis beim Investieren als Richtlinie dienen. ► Folgende Umweltziele gilt es für die Firmen und ihre Produkte zu erfüllen, um das Label „grün“ zu bekommen: Anpassung an Klimawandel, Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Abfallvermeidung und Schutz der Ökosysteme.

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Andere Institution, gleiches Denken: Auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde will bei ihrer geplanten Strategieüberprüfung die Instrumente schärfen, mit denen eine Notenbank den Klimawandel verhindern kann. Es gibt Überlegungen innerhalb der EZB, entsprechend dem EU-Kataster die eigene Ankaufpolitik ökologisch auszurichten. Seit dem 1. November steckt die EZB monatlich 20 Milliarden Euro in Wertpapiere und Anleihen. Es gibt Stimmen, die fordern, jene Firmen wieder aus dem Portfolio zu werfen, die CO2 im Übermaß emittieren. Adair Turner, Ex-Chef der britischen Finanzaufsicht, ist einer der Fürsprecher dieser Idee. Er war Teil einer Gruppe von Institutionen und NGOs, die die EZB jüngst aufforderten, Finanzpapiere „mit Bezug zu Kohle“ zu verbannen. In dem Schreiben heißt es:

Die EZB sollte sich unverzüglich dazu verpflichten, kohlenstoffintensive Vermögenswerte schrittweise aus ihren Portfolios zu streichen.

Gegen den neuen Trend, die Industrie gemäß einem ökologischen „grand design“ umzubauen und dafür die kalte Logik der Finanzmärkte zu nutzen, baut sich jedoch Widerstand auf. Der „Spiegel“ berichtet von mehreren EU-Abgeordneten, die sich dem Ansinnen widersetzen: So mahnte CSU-Politiker Markus Ferber, Klimaschutz könne nur „nach demokratischen Regeln“ erreicht werden.

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Im Morning Briefing Podcast bezeichnet der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, den ausgerufenen „Klimanotstand“ als „beklemmend” und als „katastrophale Wortwahl”. Er fügt hinzu:

Im Notstand sind Demokratie und Rechtsstaat auf Sparflamme.

Viele Vorhaben der EU-Kommission hält Toncar „für überambitioniertes und regulatorisches Feintuning“:

Die Politik sollte klare CO2-Reduktionsziele vorgeben, für die technische Umsetzung muss dann die Privatwirtschaft sorgen.

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Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann gehört zu den Skeptikern der europäischen Weltenrettung. Er unterstützt den Gedanken des Klimaschutzes, lehnt aber Markteingriffe der EZB durch ihre Aufkaufprogramme aus ordnungspolitischen Gründen ab. Er sagte kürzlich in einer Rede:

Wie sehr sollen sich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gegen den Klimawandel stellen? Das sind alles politische Fragen, die gewählte Regierungen und Parlamente beantworten müssen. Solche Entscheidungen sollten nicht von Notenbanken getroffen werden, denn dafür sind sie demokratisch überhaupt nicht legitimiert.

Der oberste deutsche Währungshüter rät zur Selbstbescheidung:

Eine Geldpolitik, die explizit umweltpolitische Ziele verfolgt, läuft Gefahr, sich zu übernehmen.

Diese Grundposition teilen viele Notenbanker mit ihm, auch Jerome Powell, der Vorsitzende der Federal Reserve. Vor dem US-Kongress sagte er jetzt:

Klimawandel ist ein wichtiges Thema, aber nicht vornehmlich für die Fed. Das ist die Sache gewählter Amtsträger, nicht unsere.

Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit der Wirtschaftsweisen und Professorin für Finanzmarkt-Ökonomie Isabel Schnabel über die ökologische Ausrichtung der Europäischen Zentralbank. Die 48-Jährige soll nach dem Willen der Bundesregierung in das EZB-Direktorium aufsteigen. Sie sagt:

Ich finde es vollkommen richtig, dass die EZB sich die Frage stellt, welche Rolle sie spielen kann – natürlich immer im Rahmen ihres Mandats. Daran fühlt sich die EZB gebunden, und es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass sie dieses Mandat verletzen möchte.

Einen Blick auf die von der EZB gekauften Anleihen und Aktien würde sie schon gern werfen:

Man muss sich natürlich die Frage stellen, ob man möglicherweise derzeit eine Verzerrung hat in Richtung ,braune Technologien’.

Die „Taxonomie” der EU, also das Kataster für umweltfreundliche Firmen, findet sie eine gute Idee:

Das Bedürfnis ist da, nachhaltig zu investieren. Es gibt da ein Transparenzproblem. Die Anleger wissen gar nicht so genau, was jetzt tatsächlich grün ist. Und da hilft die Politik jetzt nach.

Damit werden natürlich Kapitalströme gelenkt. Aber das ist ja Aufgabe der Politik, das auch zu tun.

Fazit: Die Debatte über Grenzen und Möglichkeiten des Staates ist erneut eröffnet. Die Welt hat sich nicht nur klimatisch aufgeheizt. Mit den Polarkappen schmelzen auch die marktwirtschaftlichen Grundwerte dahin.

 © dpa

Vor ihrem Parteitag am Wochenende hat die SPD gebrüllt wie ein Löwe, um im Angesicht des drohenden Machtverlustes als Bettvorleger im Schlafgemach der Kanzlerin zu landen. Das GroKo-Aus wurde wieder mal vertagt. Der Parteitag beschloss ein entschiedenes Sowohl-als-auch: ► Die Schuldenbremse soll nicht aus dem Grundgesetz gestrichen, wohl aber „in ihrer derzeitigen Form perspektivisch“ überwunden werden. Der Steuerzahlerbund darf beruhigt sein. ► Die Vermögenssteuer soll nicht durchgesetzt, nur mit der Union besprochen werden. Deutschlands Millionäre können weiter ruhig schlafen. ► Den CO2-Preis von zunächst zehn Euro pro Tonne hält die SPD für deutlich zu niedrig. Einen eigenen Vorschlag zur Erhöhung macht der Parteitag vorsichtshalber nicht. Man will weder die Union noch die eigenen Wähler weiter erschrecken. Die Union reagiert entsprechend höflich auf den Parteitag des Koalitionspartners. Kein Poltern nirgends. Alle halten sich an die mit der Kanzlerin abgestimmte Linie: zügig weiterregieren, keine Minderheitsregierung, keine taktischen Spielchen – und falls doch: sich bloß nicht dabei erwischen lassen. Das Scheitern der Großen Koalition muss eindeutig der SPD zuweisbar sein.

Im Morning Briefing Podcast spreche ich mit dem bayerischen Misterpräsidenten und Parteichef der CSU über den Parteitag und seine Einschätzung zum Fortbestehen der Großen Koalition. Markus Söder sagt:

Der Parteitag hat sehr unterschiedliche Signale gesendet. Auf der einen Seite irgendwie ein Ja, auf der anderen Seite eine Menge Fragezeichen. Wobei ich glaube, dass die Fragezeichen eher an die SPD selbst gehen.

Die spannende Frage ist jetzt weniger: Wie werden die weiteren Gespräche zwischen SPD und Union laufen, sondern: Wie laufen die Gespräche der SPD untereinander?

Er reagiert auf die Ideen der SPD keineswegs mit einer schroffen Gesprächsverweigerung:

Es ist zulässig, über Koalitionsausschüsse zu reden, und es ist von jeder Partei auch zulässig, Ideen einzubringen. Aber ein Nachverhandeln, einen neuen Koalitionsvertrag oder sogar eine neue Regierung, die lässt sich sicherlich daraus nicht ableiten.

Er kritisiert die SPD, indem er sich über sie wundert:

Ich wundere mich eigentlich immer wieder, warum man Konzepte und Ideen, die nicht wirklich der Realität entsprechen und auch ehrlicherweise vom Wähler nicht nachgefragt sind, warum man die immer noch mal bringt.

Also läuft alles weiter wie gehabt: Die Regierung regiert, die SPD verliert, und Merkel bleibt Kanzlerin.

 © dpa

Jeff Bezos unterstützt Trumps Chinapolitik: Bei einem Treffen mit US-Militärführern und Rüstungsunternehmern warnte der Amazon-Gründer vor dem technologischen Vormarsch der Chinesen:

Wenn wir uns Gegnern ausgesetzt sehen, die gut im Segment der Innovation sind, müssen wir mehr tun!

Besonders kritisch sieht der Unternehmer den Bereich der Luft- und Raumfahrt, in dem Bezos mit seiner Firma Blue Origin selbst aktiv ist. Der Vorsprung der USA könne schnell wieder aufgeholt werden. Er selbst, so der Amazon-Chef klar, werde seinen Dienst am Land leisten.

Wir unterstützen das Verteidigungsministerium. Dieses Land ist wichtig.

Wir lernen: Jeff Bezos will die knapp 36 Milliarden Dollar, die ihm durch die Scheidung von seiner Frau abhandenkamen, offenbar wieder reinholen. Saftige Militäraufträge des Pentagon könnten dabei hilfreich sein.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschland abgeschlagen

Länder-Ranking nach Wettbewerbsfähigkeit bei Digitalisierung in 2019

In den offiziellen Statistiken der Weltwirtschaft glänzt Deutschland als viertgrößte Ökonomie, doch laut einer Studie der Schweizer Wirtschaftshochschule Lausanne über die digital wettbewerbsfähigsten Länder rangiert Deutschland nur auf Platz 17 (siehe Grafik). Nun verbündet sich eine in der Bundesrepublik bisher einmalige Allianz aus erfahrenen Unternehmern der „old economy“ mit den Köpfen der Digitalszene, um eine neue Gründerzeit zu beginnen. Dazu gehören unter anderem: Roland Berger und Oliver Samwer, Ann-Kristin Achleitner und Klaus Hommels, Brigitte Mohn und Hakan Koç. Ihr Hauptsitz soll beim Bundesverband Deutscher Start-ups verankert werden, der bisher eher ein Schattendasein führt.

 © Eventures

Als Präsident haben sich die Unternehmer auf einen Mann geeinigt, der beide Welten gut kennt. Der 32-jährige Venture-Capital-Investor Christian Miele, Spross der Gütersloher Haushaltsgeräte-Dynastie, soll Gesicht und Botschafter der Mission werden. Der Ur-Urenkel von Carl Miele ist ein digitaler Pionier und ein renommierter Name in der deutschen Start-up-Szene. Familienunternehmen wie Oetker, Porsche, Haniel oder die Otto-Gruppe vertrauen dem ehemaligen Bertelsmann-Manager und heutigem Partner bei Eventures – mit mehr als einer Milliarde Euro Anlagevolumen eine der größten Beteiligungsgesellschaften in Europa – ihr Geld an. Christian Miele wird ab Januar 2020 gemeinsam mit dem Team von Media Pioneer, das auch dieses Morning Briefing herausgibt, einen eigenen Newsletter und Podcast produzieren, den Sie hier kostenlos abonnieren können. Jeweils am ersten Montag des Monats berichtet er über Trends und Technologien in der Start-up-Welt. Uns verbindet das fröhliche Motto von Albert Einstein: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“

Ralf Stegner will für die SPD in den Bundestag.  © imago

Der ehemalige SPD-Parteivize Ralf Stegner wurde Opfer eines Telefonstreiches. Das Angebot des Youtubers Klemens Kilic alias Norbert Walter-Borjans klang verführerisch:

In Rücksprache mit Kevin Kühnert und Karl Lauterbach, die mir ganz klar zu verstehen gegeben haben, dass wir ein deutliches Signal setzen müssen, glaube ich, dass wir die GroKo erhalten müssen – aber gleichzeitig den Vize-Kanzler-Posten mit einer bekannten progressiven Stimme neu besetzen möchten. Mit Saskia im Gespräch haben wir da an Dich gedacht.

Stegner zögerte kurz und antwortete schließlich:

Das ist natürlich sehr überraschend. Da müsste ich einen Moment drüber nachdenken, aber Erfahrungen als Finanzminister habe ich tatsächlich. Und: Vorstellen, kann ich mir das. Ich müsste noch mal mit meiner Frau reden, wie du dir vorstellen kannst, das ist ja klar.

Kilic:

Ich rufe Dich morgen Mittag noch mal an…. wunderbar.

Stegner:

Okay, das ist jetzt sehr überraschend. Ich spreche gleich mit meiner Frau. Insgesamt teile ich deine Einschätzung: Wir müssen einerseits da drinbleiben, aber andererseits klar ein Signal setzen, dass es Veränderungen gibt – aus einer selbstbewussten Partei heraus.

Ralf Stegner hat die Häme, die ihm heute im Netz entgegenschlägt, nicht verdient. Im Grunde handelte der Mann so beherzt, wie es die Arbeitsmarktreform von Gerhard Schröder von allen Arbeitswilligen verlangt: Angebotene Arbeit wird angenommen. Zugreifen, solange das Angebot heiß ist. Nicht ducken, nicht drängeln. Herr Stegner: Alles richtig gemacht. Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in die neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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