Iran schlägt zurück

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Guten Morgen,

die bürgerlich-ökologische Koalition in Österreich bedeutet ein Wetterleuchten für Deutschland. Die Verabredung im Nachbarland zeigt nicht nur: Eine solche Paarung ist möglich. Sie zeigt auch: Es gibt eine Alternative zum Leben unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Dieser zwischen Kanzler Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler geschlossene Koalitionsvertrag folgt – anders als die GroKo – den Regeln einer modernen Ehe: Jeder gewährt dem anderen maximale Freiheit. Das bedeutet: Die Grünen dürfen grün und die Schwarzen schwarz sein, ohne das der andere dauernd Schnappatmung bekommt.

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Die Handschrift der Grünen wird im Ziel der Klimaneutralität bis 2040 deutlich. Das Aus für Öl- und Kohleheizungen kommt schon bis 2035. In zehn Jahren soll der Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammen. Ein Milliardenpaket für den Nah- und Regionalverkehr kommt hinzu. Die Grünen werden in einem neuen „Superministerium“ für Umwelt und Verkehr die Umsetzung ihrer Träume selber managen.

Eine Infografik mit dem Titel: Comeback der ÖVP

Ergebnisse der Nationalratswahlen in Österreich seit 1945, in Prozent

Die ÖVP wiederum darf mit grüner Billigung den „konsequenten Kampf gegen die illegale Migration und den politischen Islam“ führen. Für Schülerinnen unter 14 Jahren gilt künftig ein Kopftuchverbot. Die ursprünglich von der FPÖ eingebrachte Idee der vorbeugenden Sicherheitshaft für Gefährder wird Wirklichkeit, obwohl die Rechtspartei gar nicht mehr regiert. Bisher galt diese Sicherheitshaft bei den Grünen als „menschenrechtsfeindliches Treiben“ – und als verfassungswidrig.

Eine Infografik mit dem Titel: Aus der Außerparlamentarischen Opposition in die Regierung

Wahlergebnisse der Grünen bei Nationalratswahlen in Österreich, in Prozent

Pikant, aber wahr: Sollte das in der Flüchtlingspolitik Vereinbarte den Konservativen nicht ausreichen, haben sich die Parteien auf eine Art Seitensprung-Klausel geeinigt. „Bei besonderen Herausforderungen“ dürfen sie sich Mehrheiten außerhalb der Koalition suchen. Sebastian Kurz kann also für härtere Maßnahmen auf Tuchfühlung mit den Rechten gehen, ohne die Koalition zu riskieren. Wir lernen: Die bisher in Deutschland geltende Logik von Koalitionsverträgen – jeder zerstört die inhaltlichen Ideen des anderen bis zur Unkenntlichkeit – lässt sich brechen.

Kann das funktionieren? Warum schaffte es Sebastian Kurz nach dem Scheitern seiner ÖVP-FPÖ-Koalition, politisch stärker abzuschneiden als vorher? Und: Was denkt die Wirtschaft über diese neue Regierung?

Darüber spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Hannes Ametsreiter. Er ist Geschäftsführer des Mobilfunkanbieters Vodafone Deutschland und Österreicher, genauer gesagt: Salzburger. In der Koalition aus ÖVP und Grünen sieht er eine Blaupause für Veränderung, die er sich auch für Deutschland wünscht:

Die ÖVP als klassische Wirtschaftspartei verbindet sich mit den Klima-Agenden und Nachhaltigkeitsideen, die eine grüne Partei vertritt. Ich glaube, das kann – eine Garantie hat man nie – ein Projekt werden, das wirklich zukunftsweisend wird.

Dieses Experiment ist nicht ganz so neu für Österreich, sondern das gab es schon in den Bundesländern. Und es hat dort funktioniert.

Ich glaube, auch Deutschland braucht einen Change, braucht Veränderung.

Wir sollten achtgeben auf den Generationenkonflikt, weil heute sehr viele Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel was die Pensionen betrifft, die zulasten der Jungen gehen. Eine ähnliche Situation gibt es bei den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Fazit: Veränderung scheint machbar. Das deutsche Gegenwartsleiden an einer Regierung der eingeschlafenen Füße ist heilbar. Von den österreichischen Grünen und der ÖVP können wir lernen: Der eigene Schatten ist dafür da, dass man ihn überspringt.

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Auch Berlin sendet Signale der Modernisierungswilligkeit. Die Installation eines Ministeriums für Digitalisierung soll nach dem Willen von Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder in Berlin Wirklichkeit werden. Schon seit Wochen sind die beiden darüber im Gespräch. Berater aus dem Umfeld der bayrischen Staatskanzlei und der Bundestagsfraktion arbeiten zu. Angela Merkel blockiert nicht, aber bleibt skeptisch.

Gerne würden AKK und Markus Söder aus den bestehenden Ministerien der GroKo die digitalen Aufgabenfelder in einem neuen Ministerium bündeln – AKK am liebsten unter der Leitung von Kanzleramtsminister Helge Braun. Die jetzige Staatsministerin für Digitalisierung, Dorothee Bär, würde diesen Planspielen zufolge ihre Position behalten, aber eben nicht zur Ministerin aufsteigen. Einziger Haken: Die Union braucht dafür die Zustimmung der SPD, die im Moment nicht willig ist, den Konservativen ein solches Zukunftsministerium zu gönnen.

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Auch die von Markus Söder angestoßene Diskussion um eine Erneuerung und Verjüngung der Regierung beschäftigt weiter die Gemüter. Die CDU-Vorsitzende unterstützt das Ansinnen einer Verjüngung und Dynamisierung der Regierung. Sie sieht für sich einen neuen Gestaltungsspielraum, was für drei der alteingesessenen Ministerinnen und Minister keine frohe Botschaft ist.

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► Wackelkandidat Nummer eins ist Peter Altmaier. Auch innerhalb der Union wirft man ihm vor, im Umgang mit dem deutschen Mittelstand kein Fingerspitzengefühl entwickelt zu haben. Diese Kernklientel der Union lehnt ihn mehr oder minder ab. Seine politische Magie ist in der Schlussphase der Ära Angela Merkel erloschen. Sein Kalkül, die Saarländerin AKK werde ihrem Landsmann Altmaier, der noch dazu so fleißig für sie getrommelt hatte, nicht den Stuhl vor die Tür setzen, dürfte nicht aufgehen. In der Politik gibt es keine Freundschaften, nur Interessen.

Bildungsministerin Anja Karliczek © ThePioneer

► Wackelkandidatin Nummer zwei ist Bildungsministerin Anja Karliczek. Hier lautet der Vorwurf: extreme Farblosigkeit bei fortgesetzter Ideenarmut. Das einzige Mal, dass sie als Ministerin für bundesweite Schlagzeilen sorgte, war ausgerechnet der unappetitliche Vergabeprozess für eine Batteriefabrik, die sie raffiniert nach Münster, in die Nähe ihres Wahlkreises, bugsierte. Danach legte sie sich wieder schlafen.

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► Wackelkandidat Nummer drei ist Kabinett-Oldie Horst Seehofer, für den man „einen Abschied in Ehren“ vorbereitet, wie es in Parteikreisen heißt. Spätestens mit der Wahl von Markus Söder zum CSU-Chef und dem verlorenen Machtkampf mit Angela Merkel ist Seehofer in der Bundespolitik das, was die Amerikaner einen ‘man without balls’ nennen. Alle wissen es. Jetzt muss es nur noch einer Horst Seehofer sagen.

Grün ist nicht nur eine Parteifarbe. Grün ist mittlerweile auch eine Denkschule. Und der Meisterschüler dieser Philosophie ist der US-Ökonom Jeremy Rifkin. Meine Kollegin Chelsea Spieker aus New York hat ihn getroffen. In ihrem Podcast „The Americans“ spricht sie mit ihm über die Idee einer von fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle befreiten Volkswirtschaft.

Im heutigen Morning Briefing Podcast hören wir Auszüge aus dem Gespräch, die visionär anmuten und gerade deshalb realistisch sind. Er sagt:

Die industrielle Revolution des 20. Jahrhunderts und die Infrastruktur, die wir geschaffen haben, sterben.

Wir dürfen innerhalb von 20 Jahren keine fossilen Brennstoffe mehr verwenden. Das ist eine monumentale Aufgabe.

Rifkin setzt alle Hoffnung auf die junge Generation, die begriffen hätte, dass es so wie bislang nicht weitergehen kann:

Die jungen Menschen lernen, dass alles, was sie tun, tatsächlich in Echtzeit das Leben aller anderen beeinflusst. Dies ist die Lektion und der Silberstreifen.

Auch deshalb bleibt der Amerikaner optimistisch:

Es wird ein hauchdünner Weg sein. Ihn zu begehen ist möglich, aber erfordert eine Mobilisierung des menschlichen Geistes.

Das gesamte 40-minütige Gespräch hören Sie in der neuen Folge von „The Americans“. Diese gibt es unter www.the-americans.com und über alle großen Podcast-Kanäle wie Apple, Spotify oder Deezer. Enjoy listening!

Stellen Sie sich vor: Es herrscht Krieg und keiner schaut mehr hin. So ungefähr stellt sich die Lage in Syrien dar. Seit dem Jahr 2011 tobt dort ein blutiger Bürgerkrieg, Millionen Menschen flohen oder wurden vertrieben, Hunderttausende starben.

Baschar al-Assad und Wladimir Putin © dpa

Neben Machthaber Baschar al-Assad ist der russische Präsident Wladimir Putin einer der entscheidenden Akteure in dem Konflikt. Nun hat der Kremlchef erstmals die syrische Hauptstadt Damaskus besucht – und dort Assad getroffen.

Mit Moskaus Hilfe konnten Assads Anhänger mittlerweile wieder rund zwei Drittel des Landes unter Kontrolle bekommen. Russische Kampfjets fliegen regelmäßig Angriffe gegen die Gegner des Regimes. Putin fuhr durch die Straßen von Damaskus, um mit dem Gestus des Imperators festzustellen: Es sei mit bloßem Auge zu sehen, dass das „friedliche Leben wiederhergestellt ist“.

Heute Nacht haben mehr als ein Dutzend iranische Boden-Boden Raketen amerikanische Stellungen bei Erbil im Norden des Irak sowie den Luftwaffenstützpunkt Ain al-Assad im Zentrum des Landes angegriffen. Offenbar kam es durch eine frühzeitige Warnung nicht zu größeren Opfern, denn Donald Trump twitterte unverzüglich:

All is well! Missiles launched from Iran at two military bases located in Iraq. Assessment of casualties & damages taking place now. So far, so good!

Auch die iranische Seite macht deutlich, dass es sich um eine eher symbolische Vergeltungsmaßnahme gehandelt habe. Der iranische Außenminister schrieb, ebenfalls auf Twitter:

Iran took & concluded proportionate measures in self-defense under Article 51 of UN Charter targeting base from which cowardly armed attack against our citizens & senior officials were launched. We do not seek escalation or war.

Fazit: Nach allem, was nach der Ermordung ihres Generals durch eine amerikanische Drohne zu erwarten war, wäre das die harmloseste Reaktion des Iran. Die Welt hat in Nahost zwar den Frieden verloren, aber womöglich nicht den Verstand.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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