das war wieder einer jener Tage, die man später als historisch bezeichnen wird: ► US-Präsident Donald Trump spricht im Weißen Haus nicht über amerikanische Großartigkeit, sondern über den Tod in Amerika. Die Anzahl derer, die in den nächsten Monaten am Coronavirus sterben könnten, taxiert in seinem Beisein die Ärztin Deborah Birx auf bis zu 240.000 Menschen. Das entspricht rund der vierfachen Zahl der im Vietnamkrieg getöteten US-Soldaten.
© imago► Kanzlerin Angela Merkel wandte sich aus ihrer häuslichen Quarantäne mit einer düsteren Audiobotschaft an das Volk. Eine Lockerung der Kontaktsperre sei nicht angemessen; die Bürger sollen während der Osterfeiertage zu Hause bleiben, auf Verwandtschaftsbesuche verzichten, sowie überhaupt alle menschlichen Kontakte auf ein Minimum reduzieren: „Eine Pandemie kennt keine Feiertage.“
► Erstmals macht der Gesundheitsminister von den Ermächtigungen Gebrauch, die das neue Infektionsschutzgesetz ihm einräumt. Flüge aus der Islamischen Republik Iran nach Deutschland sind ab sofort untersagt. „Wir können Flüge aus diesem Hochrisikogebiet nicht zulassen“, sagt Jens Spahn. Deutschland ist gegenüber der Welt nahezu luftdicht abgeschlossen. Von den 763 Flugzeugen der Lufthansa sind rund 700 am Boden.
© Marco UrbanAm Nachmittag dieses denkwürdigen Tages treffe ich Spahn in seinem Ministerium für unser Podcast-Interview . Die nahezu zweistündige Schaltkonferenz mit der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten liegt hinter ihm, der Video-Austausch mit den Landesgesundheitsministern wird gleich beginnen. Der 39-Jährige wirkt müde und konzentriert zugleich. Er ist besorgt und klar, kämpferisch und demütig. Das einst Nassforsche des Aufsteigers ist einer neuen Nachdenklichkeit gewichen. Er spürt die Wucht einer globalen Pandemie, die nicht zur Begrenztheit seiner politischen Mittel passen will. Als ihm das Wort „demütig“ zur Beschreibung seiner Seelenlage angeboten wird, weist er es nicht von sich, sondern greift zu:
© Marco UrbanZu sehen, worauf wir hier in Deutschland aufbauen können: Testkapazitäten, Intensivbetten, Fachkräfte, die wirtschaftliche sowie die Haushaltslage, die Unternehmen im Land, ob klein oder groß, die mit anpacken, aber auch die Konzerne. Das macht mich dankbar, aber auch demütig
Er kann jetzt unmöglich triumphieren. Das bei Politikern übliche Eigenlob spart er sich für bessere Tage, von denen er nur hoffen kann, dass sie kommen. Er meidet die Festlegung, will nicht spekulieren, schon gar nicht darüber, wann die Normalität in unser Leben zurückkehrt. Sein Gefühl sagt ihm:
Der schwerere Teil kommt noch.
Die geteilte Macht mit den Ministerpräsidenten zehrt einerseits an den Kräften, andererseits nimmt sie ihm Last von seinen Schultern. Der Föderalismus ist jetzt nicht sein Gegner, sondern die Hand, die ihm hilft:
Es zeigt sich jetzt die ganze Kraft des Föderalismus. Ja, es dauert manchmal zwei, drei Tage, bis die Linie gefunden ist. Aber wenn sie gefunden ist, dann ist 16 Mal etwas umzusetzen plus Bund deutlich effizienter, deutlich stärker und kraftvoller, als wenn das alles aus Berlin passierte.
Eine Infografik mit dem Titel: Corona in Deutschland 02.04.2020
Bestätigte Infizierungen und Tote nach Bundesländern
Natürlich ist es ihm – der im Jahr 1995 als Teenager in die Junge Union eintrat – nicht ganz geheuer in welchem Tempo und mit welcher Radikalität die Bürgerrechte eingeschränkt und zum Teil aufgehoben wurden. Das Recht am Eigentum, für jeden Unionschristen ein Sakrileg, wurde für Hunderttausende Ferienhausbesitzer, Gaststätteninhaber, Einzelhändler, Konzertveranstalter und Produktionsbetriebe suspendiert. Niemand darf demonstrieren, weil keiner sich versammeln darf. Er sagt, wie zu sich selbst:
© Marco UrbanIch habe, wie viele Bürger auch, erst einmal ein paar Tage gebraucht, um zu verarbeiten, was da gerade passiert. Es gibt eine Einschränkung der Religionsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Bewegungsfreiheit, der Gewerbefreiheit und der Lehrfreiheit an den Universitäten. Das sind die größten Einschränkungen der Freiheitsrechte in der Geschichte der Bundesrepublik.
Er beklagt diese Einschränkungen, um sie im nächsten Atemzug zu verteidigen:
Sie sind jetzt nötig gewesen, um diese Dynamik herauszunehmen und den Ausbruch der Infektion und die Verbreitung des Virus zu verlangsamen
Beim Versammlungsverbot – das in ganz Deutschland gilt – würde er gern eine Ausnahme zulassen:
Ich bin ein sehr engagierter Anhänger und Verfechter der Idee, dass die letzte Veranstaltung größerer Art in Deutschland, die auf jeden Fall stattfinden sollte, die Sitzung des Bundestages ist. Das ist etwas anderes als ein Fußballspiel oder eine Messe.
Die Ausgangslage im Kampf gegen das Virus sei schwierig, aber keineswegs hoffnungslos, auch deshalb nicht, weil man die Vorwarnzeit in Deutschland genutzt habe:
© imagoWir haben derzeit rund 10.000 freie Intensivbetten und damit doppelt so viele wie Italien insgesamt an Intensivbetten besitzt. Bei uns liegen jetzt 1100, 1200 Patienten auf Intensivstationen wegen Covid. Aber wir sehen auch, dass es jetzt mehr werden jeden Tag. Das meinte ich mit der Ruhe vor dem Sturm. Wie heftig der Sturm wird? Das kann jetzt noch keiner sagen.
Werden wir New Yorker Zustände erleben, wo die Kühlwagen die Leichen abtransportieren, will ich von ihm wissen. Er zögert:
© Marco UrbanIch bin grundsätzlich zuversichtlich, einfach weil wir uns so gut vorbereiten konnten wie wenige andere Länder. Kann ich Ihnen versprechen, dass es ganz sicher nicht so wird wie in Bergamo und New York? Nein, das kann ich nicht.
Noch immer fehlt es überall im Land an Atemschutzmasken, auch weil das Beschaffungswesen der Bundeswehr sich als bürokratisch und nicht effizient erwies. In der Zwischenzeit hat der Minister, mithilfe der deutschen Konzerne, viele davon sind groß im Asiengeschäft engagiert, 20 Millionen Masken organisiert, die er derzeit verteilen lässt:
© imagoDer Markt ist ja wirklich verrückt. In China und Asien, da wo die Produktion im Moment schwerpunktmäßig stattfindet, herrscht Goldgräberstimmung. Da gehen die Ausschläge hoch und runter, aus Cent-Produkten sind 4-, 5- oder 6-Euro-Produkte geworden. Aber so ist es, wenn auf der ganzen Welt die Nachfrage steigt.“
Nur zu gern würde er die modernen Methoden der Datenanalyse nutzen, ähnlich wie in Südkorea:
© Marco UrbanDas Handy-Tracking könnte helfen, viele Ressourcen zu schonen, um Kontakte nachzuvollziehen. Damit kriegt man sehr schnell das Feuerchen der Infektion ausgetreten.
Ist er bei sich, in diesen Tagen? Verspürt er den brennenden Ehrgeiz auf mehr Verantwortung oder ist er womöglich froh, jetzt nicht auf dem Stuhl des Bundeskanzlers zu sitzen?
Der schwerere Teil in dieser Krise kommt noch. Insofern bin ich jetzt erst einmal damit beschäftigt. Ich bin bei mir. Es ist eine herausfordernde Zeit. Das schon. Aber ich sehe die Chance, einen Unterschied zu machen.
Fazit: Derzeit ist kein Fazit möglich. Geschichte wird gemacht. Der Minister kämpft, auch darum, dass dieses Kapitel nicht das düsterste unserer Nachkriegsgeschichte wird.
Vor wenigen Tagen war der Epidemiologe Prof. Alexander Kekulé zu Gast im Morning Briefing Podcast . Nach dem Gespräch wollte ich von den Hörerinnen und Hörern wissen, welche Fragen sie bedrücken, welche Themen im Umgang mit dem Coronavirus für Sie von Interesse sind. Die Flut der Fragen fiel beeindruckend aus.
© imagoSo wollte ein Hörer beispielsweise wissen, ob das Virus durch den Regen in den Organismus geraten kann. Kekulé:
Draußen, kann man ganz allgemein sagen, ist man fast sicher vor diesem Virus.
Das Virus wird inaktiviert durch Regen, es wird durch ihn weggespült und durch verschiedene Substanzen, die einfach in der Natur immer da sind. Von irgendwelchen Pflanzensäften bis zu Verunreinigungen werden diese Viren gebunden
Über das viel diskutierte Tracking der Menschen durch anonyme Handydaten, mit denen Bewegungsströme gemessen und analysiert werden sollen, sagt der Virologe:
Da sag ich klipp und klar als Infektionsepidemiologe: Wir brauchen kein Handy-Tracking, das ist nicht notwendig. Es wird immer wieder behauptet, es sei ein Erfolgsmodell in Südkorea gewesen. Ich kenne keine einzige Publikation, die das belegt hat.
Auch auf die Frage, wie es sich in Coronazeiten mit der Erotik verhält oder verhalten sollte, hat der Forscher eine Antwort:
Umarme nur denjenigen, mit dem du Viren austauschen willst.
Ab 11 Uhr steht für Sie das 45-minütige Gespräch mit Prof. Kekulé als Corona-Sonderpodcast bereit.
Erstens: Nach zwei Jahre andauernden Verhandlungen ist die Fusion der Telekom-Tochter T-Mobile US mit dem Rivalen Sprint nun endlich beschlossene Sache. Die Vereinigung bringt den dritt- mit dem viertgrößten US-Mobilfunkanbieter zusammen. Die rund 140 Millionen Kunden der neuen Firma werden von der Börse mit etwa 110 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung bewertet. Erstmals entsteht in Amerika ein Gigant, der sich in deutscher Hand befindet. Das schmückt – und verpflichtet. Zweitens: Der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof hat beim Amtsgericht Essen ein Schutzschirmverfahren beantragt. Dem ohnehin bereits angeschlagenen Unternehmen machen die Umsatzausfälle infolge der Corona-Pandemie zusätzlich zu schaffen. Das Schutzschirmverfahren bewahrt das Unternehmen vor einem Zugriff der Gläubiger. Der staatliche Schutzschirm wirkt hier wie eine Panzersperre.
© dpaDrittens: Der Adidas-Konzern wollte für einige seiner wegen der Corona-Pandemie geschlossenen Geschäfte ab April keine Miete mehr zahlen – die Empörung war groß, zu groß. In einem offenen Brief hat sich der Sportartikelhersteller nun entschuldigt und seine Entscheidung revidiert. Die Miete für April wurde bereits überwiesen. Kasper Rorsted hat bewiesen, dass er beides kann: Sturm und Rückwärtsgang. Viertens: Die Bundesregierung will Start-ups mit insgesamt zwei Milliarden Euro unterstützen. Mit dem Geld solle die Wagniskapitalfinanzierung erweitert werden. Der Hilfsfonds ist eine erste Tranche aus dem ohnehin geplanten Zehn-Milliarden-Euro-Zukunftsfonds der Förderbank KfW. Man könnte meinen, irgendwo in Frankfurt steht ein Dukatenesel. Fünftens: Die Nato-Außenminister beraten um 15 Uhr über eine bessere Zusammenarbeit des Militärbündnisses in der Coronavirus-Krise. Erstmals in der 70-jährigen Nato-Geschichte kommen Außenminister Heiko Maas und seine Kollegen in einer Videokonferenz zusammen.
Demonstrationsverbot für alle, Berufsverbot für viele – und an der Einführung des Handy-Trackings wird gearbeitet. Die staatlichen Maßnahmen gegen das Coronavirus greifen tief in die Freiheits- und Eigentumsrechte ein, was bisher von den meisten Bürgern akzeptiert wird. Aber wie geht es nach der Krise weiter? Wird das Land wieder zur Normalität zurückkehren? Oder ist das, was wir gerade erleben, bereits die neue Normalität? Unser Podcast-Zyklus „Der achte Tag“ will Orientierung bieten und Sinn stiften. Menschen mit verschiedensten Lebenserfahrungen und Zukunftsvisionen kommen zu Wort. „Der achte Tag“ ist auch ein Tag der Vielfalt. In der neuen Folge spricht Prof. Heribert Prantl zu uns, Kolumnist und Autor der „Süddeutschen Zeitung“. In seinem Vorleben war der vielfach preisgekrönte Journalist bereits Richter und Staatsanwalt. Er plädiert leidenschaftlich dafür, die Gesundheit nicht gegen die Freiheit auszuspielen:
Angst achtet nicht auf Verhältnismäßigkeit, nicht auf das, was den Rechtsstaat auszeichnet.
Man muss nicht nur entschlossen gegen das Virus kämpfen, sondern auch gegen eine Stimmung, die die Grund- und Bürgerrechte in Krisenzeiten als Ballast, Bürde oder als Luxus betrachtet
Die einschneidenden Maßnahmen, die jetzt erlassen worden sind, stützen sich auf eine Rechtsgrundlage, die mickrig ist, das Infektionsschutzgesetz. Bis vor wenigen Wochen hat dieses Gesetz kaum ein Mensch gekannt.
Es darf nicht so weit kommen, dass jeder, der die Worte Freiheitsrechte und Bürgerrechte in den Mund nimmt, schief angeschaut wird
Hören Sie dieses Plädoyer für die Freiheit – direkt auf unserer Homepage , bei Spotify und Deezer sowie bei Apple Podcasts .
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in diesen Tag.
Es grüßt Sie herzlichst Ihr