Jens Spahn im Sperrfeuer

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Guten Morgen,

der umstrittene Impfstoff AstraZeneca darf in Europa wieder gespritzt werden. Damit stehen Jens Spahn und das Paul-Ehrlich-Institut, auf deren Expertise sich der Minister beim verordneten Impfstopp berufen hatte, als Verlierer da.

Ihre Befürchtung, von dem Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers gehe eine nicht verantwortbare und statistisch auffällige Gefährdung aus, hat sich nicht bewahrheitet. Zwar hatten sich ein halbes Dutzend EU-Staaten zum vorübergehenden Stopp entschieden, aber namhafte Wissenschaftler und prominente Politiker – darunter Markus Söder, Karl Lauterbach und Sebastian Kurz – setzten sich von Jens Spahn ab.

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) entschied gestern Abend um 17:00 Uhr, dass der Nutzen die Risiken überwiege. Die Chefin der EMA Emer Cooke sagte gestern:

Wir sind zu einem klaren und wissenschaftlich fundierten Urteil gekommen: Dieses Vakzin ist sicher und wirksam.

Jens Spahn © dpa

Jens Spahn kleinlaut:

Das gemeinsame Ziel von Bund und Ländern ist es, dass schon morgen wieder mit Impfungen mit AstraZeneca in Deutschland begonnen werden kann.

Das ursprüngliche Kalkül des Ministers, die Öffentlichkeit möge ihn als besonders weitsichtigen und sensibel agierenden Politiker wahrnehmen, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Seine Gegner rekrutieren sich nunmehr aus drei unterschiedlichen Fraktionen:

Fraktion eins betrachtet Jens Spahn als Hasenfuß des Corona-Kabinetts, weil eine vergleichsweise mikroskopische Abweichung bei den Nebenwirkungen ihn zur Vollbremsung veranlasste. Auch die Tatsache, dass er dafür die Rückendeckung der Kanzlerin einholte, gilt als Ausweis einer Absicherungskultur, die das Prädikat ‚zupackend‛ nicht verdient.

Fraktion zwei wirft ihm vor, nicht evidenzbasiert zu handeln. Zu dieser Fraktion gehören vor allem Experten wie Prof. Christian Drosten und Prof. Karl Lauterbach, die von Spahn eine Abwägung zwischen den gemeldeten drei Fällen von tödlich verlaufenen Gehirnthrombosen und den Tausenden von Toten erwartet hätten, die eine ins Rutschen geratene Impfkampagne über den Verlauf der Zeit bedeuten wird.

Christian Drosten © dpa

Christian Drosten urteilte hart und eindeutig:

Eine natürliche Infektion mit diesem Virus ist immer um hundertfache Werte schlimmer.

Auch Karl Lauterbach war klipp und klar:

Ich hätte den Impfstopp nicht verhängt.

Fraktion drei sieht Spahns Achterbahnpolitik – erst das Werben für AstraZeneca, dann das Verbot, erst die Idee im CDU-Präsidium „positive Narrative“ zu verbreiten und dann die Negativnachricht – als Ausweis seiner Spielernatur. Er habe mit der Entscheidung als fürsorglich handelnder Politiker Sympathiepunkte im Volk sammeln wollen, in Wahrheit jedoch weder dem Land noch sich einen Dienst erwiesen.

Fazit: Corona schädigt nicht nur die Atem-, sondern auch die Karrierewege.

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Sebastian Kurz war gestern in Berlin. In der österreichischen Botschaft traf er „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, die ihn für den Morning Briefing Podcast interviewte.

In dem Gespräch erläuterte der österreichische Bundeskanzler seine Kritik an der europäischen Impfpolitik, die er für zu bürokratisch hält, und begründete seine Strategie einer engen Partnerschaft mit dem Impf-Weltmeister Israel.

Israel ist das erste Land, das seine Bevölkerung durchgeimpft hat und insofern glauben wir, dass gerade Israel hier einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Daher auch diese engere Kooperation über die Grenzen der Europäischen Union hinaus.

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Wir sollten uns nicht nur auf die Europäische Union verlassen. Ich glaube, dass der Kampf gegen eine Pandemie keine Grenzen kennen sollte.

Die Zulassungsprozesse in der EMA waren aus meiner Sicht zu lang und zu bürokratisch, wodurch Staaten wie Großbritannien oder die USA einen Vorsprung herausholen konnten.

Fazit: Hier spricht nicht die Stimme des Populismus, sondern die Stimme der Vernunft. Die Kooperation mit Israel weist Sebastian Kurz nicht als Nationalisten, sondern als Globalisten aus. Oder anders gesagt: Österreich wird so regiert, wie Deutschland es sich erträumt.

Armin Laschet © dpa

In den 15 CDU-Landesverbänden ist die Entscheidung gefallen. Armin Laschet wird sich die Kanzlerkandidatur nicht nehmen lassen müssen – und auch nicht dürfen. Eine exklusive Umfrage unseres Hauptstadt-Teams unter 30 hochrangigen CDU-Amtsträgern hat ergeben, dass die Laschet-Mehrheit in der CDU eine absolute ist.

Der unterlegene Kandidat für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz, hat sich unterdessen in der Vorstandssitzung der Mittelstandsunion, einst sein Fanclub, kritisch über die zu brave Reaktion des neuen CDU-Chefs am Tag nach den Wahlniederlagen geäußert. Friedrich Merz, so der Tenor von Friedrich Merz, hätte als Parteichef auf Attacke umgeschaltet.

In dem Wahlkampf für ein Bundestagsmandat im Hochsauerlandkreis wünscht sich Merz übrigens keine Unterstützung aus der Bundesregierung, wie Teilnehmer der Sitzung ihn zitieren. Das Protokoll eines bemerkenswerten Abends lesen Sie in unserem Newsletter „Hauptstadt – Das Briefing.

Für die CDU ist die K-Frage beantwortet

Trotz Umfrageschwäche wird Armin Laschet wohl Kanzlerkandidat. Eine Umfrage in der CDU.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Joe Biden © dpa

Der amerikanische Präsident Joe Biden hat den ersten schweren Fehler seiner noch jungen Amtszeit begangen. Ohne Anlass und ohne Belege titulierte er sein russisches Gegenüber als Mörder. Umgehend wurde der russische US-Botschafter Anatoli Antonow nach Moskau geordert. Putins Sprecher Dmitri Peskow zur Entgleisung Bidens: „So etwas hat es in der Geschichte noch nicht gegeben“.

Der Mann irrt sich. Auch Helmut Kohl leistete sich am Ende seiner ersten Amtszeit einen schweren außenpolitischen Patzer. Gegenüber dem US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ plauderte er, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Er sagte:

Gorbatschow ist ein moderner kommunistischer Führer. Der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber versteht was von PR. Der Goebbels verstand auch was von PR.

Hans-Dietrich Genscher, Michail Gorbatschow, Helmut Kohl © dpa

Nach allerlei außenpolitischer Turbulenz entschuldigte sich Kohl und suchte später Michail Gorbatschows Nähe. Ohne die Großzügigkeit des Kremls wäre das Verhältnis ruiniert gewesen. So aber fanden die beiden zueinander – und verabredeten später die deutsche Einheit. Das dazugehörige Stichwort im Geschichtsbuch: Strickjacken-Diplomatie.

 © dpa

Der Dax verzeichnete in den vergangenen neun Handelstagen sieben neue Höchststände – und überstieg gestern erstmals die 14.800 Punkte. Die Investoren setzen auf die exportstarke deutsche Industrie und rechnen damit, dass auch hierzulande fleißig geimpft wird.

Vor gut einem Jahr, am 18. März 2020, hatte der Dax durch die Corona-Krise mit dem niedrigsten Wert seit 2013 geschlossen: 8441,71 Punkte verzeichnete damals der Leitindex. Jetzt, ein Jahr später, leidet Deutschland noch immer unter dem Virus, doch die Finanzmärkte malen ein anderes Bild: Sie verkaufen die Zukunft, die in ihrer Vorstellung eine Zukunft ohne Corona sein wird. Drei Dax-Unternehmen stechen heraus – zwei Gewinner und ein Verlierer:

Ola Källenius © dpa
  • Der Stuttgarter Autokonzern Daimler führt die Liste der Dax-Unternehmen in Sachen Wachstum an. Über 225 Prozent hat die Aktie des Autobauers seit dem Pandemie-Tief zugelegt. Bezogen auf die Gewinne im laufenden Jahr kommt die Daimler-Aktie auf etwa das Neunfache des erwarteten Gewinns je Aktie.

  • Auch der Halbleiter-Hersteller Infineon hat stark profitiert. Um 223 Prozent stieg die Infineon-Aktie im vergangenen Jahr, doch Experten raten zur Vorsicht: Die Aktien von Infineon sind rund 32-mal so teuer, wie der prognostizierte Gewinn je Aktie.

  • Beiersdorf steht als einziges Unternehmen im deutschen Aktienindex schlecht da – die Aktie hat seit dem März-Tief knapp drei Prozent verloren. Zur Strafe musste der Konsumgüterkonzern den DAX vor einigen Wochen verlassen. Gründe für den Rückfall waren unter anderem fehlende Innovationen und ein träges Management.

Eine Infografik mit dem Titel: Die DAX-Rallye

Veränderung der DAX-Aktien seit dem 18. März 2020, in Prozent

 © dpa

Fast sechs Millionen Deutsche nutzen Twitter mindestens ein Mal pro Monat. 80 Prozent aller Entscheidungsträger, Abgeordnete und Minister, Gewerkschaftsfunktionäre und Verbandspräsidenten, tummeln sich auf dem Kurznachrichtendienst. Deshalb verbreiten inzwischen auch Hunderte von Vorstandschefs dort ihre Botschaften. Twitter ist gewissermaßen die Hauspost der Deutschland AG.

Eine bisher unveröffentlichte Studie der Münchner CEO-Beratung Keynote hat die Präsenz der Dax-Chefs bei Twitter untersucht. Demnach sind der ehemalige Siemens-Chef Joe Kaeser und der aktuelle Volkswagen-CEO Herbert Diess die Mananger mit der größten Präsenz auf dem Kurznachrichtendienst. Kaeser wurde 2020 in insgesamt 7.732 deutschsprachigen Tweets genannt, auf Diess entfielen 6.171 Meldungen.

Herbert Diess © Anne Hufnagl

An dritter Stelle folgt Lufthansa-Chef Carsten Spohr (1.176 Nennungen), danach Daimler-Vorstandschef Ola Källenius (1.131 Tweets) und schließlich auf Platz fünf Eventim-CEO Klaus-Peter Schulenberg mit 1.069 Tweets. Kenner ahnen, mit welch kreativem Großaufwand die Social Media Teams hier in die Schlacht um das öffentliche Erscheinungsbild ihrer Chefs ziehen.

Die Kurznachricht, die im Netz am meisten geteilt und gelikt wurde ist ein Tweet von Airbus-Chef Guillaume Faury. Der postete am 23. März 2020 eine versöhnliche Botschaft: Es war ein Bild von einem in Toulouse landenden Airbus A330 mit zwei Millionen Schutzmasken an Bord. Safety sells.

Esther Bejarano © dpa

Esther Bejarano überlebte, weil die Herrscher im Vernichtungslager von Auschwitz zwar nicht das Leben ihrer Insassen, aber die Musik liebten. Die heute 96-jährige Jüdin spielte im Mädchenorchester des Konzentrationslagers Akkordeon und entkam so dem Tod durch Vergasung.

Ihre Erlebnisse hat die heute in Hamburg wohnende Frau meinen Kollegen Jagoda Marinić und Michael Bröcker in unserem Podcast „Überstunde“ geschildert. In dem Format – ein Gast, ein Thema, eine Stunde – spricht sie über das Wegschauen der Nachbarn, als ihre Eltern vom NS-Staat abtransportiert wurden.

Sie spricht auch über den alltäglichen Tod im Konzentrationslager und die schmerzhafte Rückkehr nach Deutschland in den 1970er Jahren. Sie glaubt den Deutschen, dass das „Nie wieder“ ein Fundament dieser aufgeklärten und erwachsenen Demokratie geworden ist.

Aber ob es wirklich nie wieder so etwas gibt, ich weiß es nicht. Es gibt auch heute Nazis.

Esther Bejarano © dpa

Die junge Generation aber mache ihr Hoffnung, sagt sie:

Ich bin zuversichtlich, weil ich sehe, dass diese jungen Leute sehr aufgeschlossen sind. Sie wollen wissen, was damals geschah.

Dieses bedrückende und zugleich berührende Gespräch verdient Ihre Aufmerksamkeit: Geschichte kann man nicht nur verstehen. Man muss sie fühlen.

Flugtaxi-Konzept des Herstellers Lilium © dpa

Die Investoren der Start-up-Welt setzen auf Flugtaxis als neues Beförderungsmittel für die Kurzstrecke. Die mit 1,1 Milliarden Dollar größte Investition tätigte die US-Fluggesellschaft United Airlines, die auf das Flugtaxi-StartUp Archer Aviation setzt.

Auch Toyota und die Volkswagen Group China betätigen sich als First Mover, auch wenn hier bisher keine Investitionssummen bekannt sind. Das deutsche Start-up Lilium – an dem der Investor Frank Thelen beteiligt ist – geht davon aus, bereits 2025 die ersten Fluggeräte liefern zu können.

Die Unternehmensberatung Roland Berger prognostiziert für 2050 einen 90 Milliarden Dollar Umsatz für die neu entstehende Taxibranche in der Luft. Andere Beobachter sind noch optimistischer und rechnen mit Umsätzen von über 400 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Eine traditionelle Airline wie die Lufthansa setzte vor der Pandemie 36,4 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2019 um.

Eine Infografik mit dem Titel: Hoch hinaus

Höhe der Gesamtinvestitionen in Flugtaxi-Start-ups weltweit bis März 2021, in Mio. US-Dollar

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Stephen Brown © Martin Pilette / POLITICO

Stephen Brown, der Chefredakteur von „POLITICO“ Europe, ist gestern überraschend gestorben. Schmerzen in der Brust. Krankenhaus. Herzinfarkt. Er war ein Jahr jünger als ich, 57 Jahre. Sein Tod berührt nicht nur, er schmerzt – auch deshalb, weil seine und unsere Mission, „POLITICO“ und ThePioneer, eng miteinander verbunden sind. Politisch und publizistisch. Aber auch menschlich.

Stephen Brown war ein Triple-A-Journalist, der nicht bestechlich war, auch nicht durch Nähe. Der unverkennbare Niedergang der Traditionsmedien hat ihn nicht melancholisch gestimmt, sondern mutig gemacht. Er war ein Mann der Chancen, ein Ertüchtiger und Inspirator, der unser zunächst noch kleines Pioneer-Team auf das Herzlichste in Brüssel empfing.

 © POLITICO

Sein Credo eines neuen, unabhängigen Journalismus wurde auch das unsrige: Es ging ihm um journalistische Präzision. Um organisierte Neugier. Um einen Dialog auf Augenhöhe, auch mit den Leserinnen und Lesern, den Hörern und Hörerinnen. Zwei Dinge besorgten uns beide in gleicher Weise: Der Verlust der politischen Mitte, über den wir auch im Morning Briefing Podcast miteinander sprachen. Und auch die Neigung vieler Kollegen, Ernsthaftigkeit mit Alarmismus zu verwechseln, behagte ihm nicht.

Dass Stephen zuweilen ein hoffnungsloser Illusionist sein konnte, erkennt man schon daran, dass der Brite von seinem Brüsseler Team zur Amtseinführung allen Ernstes das verlangte, was viele Journalisten für eine Krankheit halten: Humor.

Wir sind heute Morgen in Gedanken bei Stephens Frau und den zwei noch jungen Kindern des Verstorbenen. Euer Daddy war ein leidenschaftlicher Freigeist, das möchte ich ihnen zurufen, ein wirkliches Unikat. He was quite a character! We will miss him.

Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in das heute beginnende Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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