Joe Kaeser: Ein Nachruf

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Guten Morgen,

es ist keineswegs verfrüht, heute Morgen den Nachruf auf Joe Kaeser zu verfassen. Einer der großen Männer der deutschen Wirtschaft ist an sein Ende gekommen. Sein Vertrag läuft noch, aber seine Autorität ist erloschen. Er wird der Marke Siemens, die in ihren besten Tagen für Pioniergeist stand, keinen Dienst mehr erweisen können.

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In den herkömmlichen Kategorien der Wirtschaftsgeschichte darf man Kaeser als einen erfolgreichen Manager bezeichnen: Er war geschäftstüchtig und weltgewandt. Der Jet der Bundeskanzlerin war sein zweites Zuhause. Er verkaufte in Asien und Amerika Kraftwerke und Eisenbahnen wie die Schausteller auf dem Jahrmarkt ihre Rubbellose. Den Aktionären füllte er so die Taschen, auch wenn die Wertentwicklung der Siemens-Aktie mit dem Anstieg des Dax nicht mithalten konnte.

Eine Infografik mit dem Titel: Zickzackkurs an der Börse

Kursentwicklungen von Siemens, Dax und EuroStoxx 50 seit Amtsantritt von Konzernchef Joe Kaeser

Die Tragik des Joe Kaeser aber beginnt jenseits der Bilanz. Nach Ansicht einer neuen Bürgerbewegung, die weit über den Schülerprotest „Fridays for Future“ hinausreicht, verhält er sich ökologisch rücksichtslos, sozial unempfindlich und kommunikativ stolpert er mit seinen Tweets durchs digitale Neuland. Er findet seit Tagen nicht den richtigen Ton, um den Dialog mit einer unruhig gewordenen Gesellschaft noch führen zu können.

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Das unmoralische Angebot an Luisa Neubauer, Sprecherin der Klimaschutzbewegung, in den Aufsichtsrat der künftigen Siemens Energy AG einzuziehen, und der Vorstandsbeschluss zur Unterstützung eines Mega-Kohleminenprojekts in Australien, das die Konkurrenz von Alstom und Hitachi Rail zuvor abgelehnt hatte, weisen ihn als Mann von vorgestern aus. Den moralischen Grundsätzen eines Werner von Siemens kann er damit nicht genügen. Dieser sagte bereits 1884:

Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht.

Die wertvollste Ressource, die ein Unternehmenschef besitzt, damals wie heute, ist die Glaubwürdigkeit. In der Abendsonne der Ära Kaeser kam es hier zur großen Verpuffung.

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Falls der Aufsichtsrat, dem auch Nathalie von Siemens angehört, die Glaubwürdigkeitsdepots des Traditionskonzerns aufladen möchte, bleibt dem Gremium nichts anderes übrig, als einen Neuanfang zu wagen. Es geht dabei nicht nur um Joe Kaeser. Es geht um die Anerkennung einer fundamentalen Erkenntnis: Wir erleben die Demokratisierung der Demokratie, nicht nur bei Siemens. Geschäftsmodelle müssen heute der Gesellschaft zur Ratifizierung vorgelegt werden, nicht mehr nur dem Aufsichtsrat. Die Atomindustrie weiß, wovon hier die Rede ist. Ihre Akzeptanz war in Deutschland erloschen, noch bevor die gesetzlichen Laufzeiten der Kraftwerke sich dem anpassten. Kanzlerin Angela Merkel war beim Atomausstieg nur die Notarin einer Gesellschaft, die nach Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima auf Abschaltung und Demontage der deutschen Nuklearindustrie bestand.

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Es geht hier nicht darum, ob der Atomausstieg sachlich geboten war. Es ist jetzt nicht wichtig, ob die Angst der Bürger vor genveränderten Nahrungsmitteln gerechtfertigt ist. Es ist unerheblich, ob die Casino-Mentalität der Investmentbanker wirklich die Weltfinanzkrise ausgelöst hat. Es geht um die Anerkennung eines demokratischen Prinzips, das seinen Aktionsradius fortwährend von der Politik in die Wirtschaft expandiert. Albert Camus: „Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt.“ Im Unterschied zu den Revolutionären vorangegangener Jahrhunderte, die Barrikaden in Brand steckten und Dynamit in den Taschen trugen, sind die neuen Aufständischen gesittet und höflich. Banken werden nicht gestürmt, nur reguliert. Den Fabriken der Atomwirtschaft drohte keine Sprengung, nur die Abschaltung. Der Siemens-Chef muss nicht die Guillotine fürchten, nur die Nicht-Verlängerung seines Vertrages. Und das für ihn Beruhigende: Am Ende fließt kein Blut, nur Geld. „Fridays for Future“ hat gestern in zwölf Städten gegen den Siemens-Konzern protestiert. Sie haben diesmal die Eltern auf ihrer Seite – zumindest wenn es um Kaeser geht, der dabei helfen will, ausgerechnet im brennenden Australien ein weiteres Kohlekraftwerk zu installieren. Damit hat er es geschafft, dem bisher abstrakten Aufbegehren „gegen den Klimawandel“ ein Gesicht zu geben.

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Joe Kaeser dachte, er sei die Vorhut der Gesellschaft, und ist nun die tragische letzte Kompanie. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung sind aufgeworfen, nicht nur bei Siemens: Wie passt das Versprechen von Nachhaltigkeit zum notwendigen Gewinnstreben einer Unternehmung? Muss ein Konzern heute nicht nur Aufträge akquirieren, sondern auch Aufträge ablehnen? Wenn es Manager gibt, die sich um „Business to Consumer“ und “Business to Business“ kümmern, braucht es nicht auch jemanden, der etwas von „Business to Society“ versteht? Wer an dieser Stelle der 172-jährigen Siemens-Geschichte keine Fragen hat, ist selbst schuld. Die Familie des Gründers, die in Zurückgezogenheit lebt, muss einmal mehr in jenes Unternehmen, das ihren Namen trägt, investieren – nicht Geld, nur Mut. Oder um es mit George Bernard Shaw zu sagen: „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.“

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In Thüringen gibt es auch knapp 100 Tage nach der Landtagswahl keine Regierung. Der Chef der Landes-CDU, Mike Mohring, stellt der geplanten Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen immerhin eine Mehrheit für bestimmte Projekte in Aussicht. Das Verbot der Bundes-CDU, keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, würde er gerne aushebeln:

Wenn alle diese neue Rolle verstehen und aufnehmen, dann kann man in diesem Landtag trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse etwas Gutes für dieses Land erreichen.

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Bei der Landtagswahl wurde die Linkspartei erstmals in Deutschland stärkste Kraft, doch mit den bisherigen Partnern SPD und Grünen allein reicht es nicht. Eine Minderheitsregierung scheiterte bisher am Widerstand aus dem Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer machte gestern erste Lockerungsübungen:

Wenn es sinnvolle Projekte gibt, die gut für Thüringen sind, dann ist es vertretbar darüber zu reden, ob es dafür parlamentarische Mehrheiten gibt.

Eine Infografik mit dem Titel: Unklare Machtverhältnisse

Ergebnis der Landtagswahl 2019 in Thüringen mit Sitzverteilung (in Klammern)

Fazit: So sehen Gewissenskonflikte aus. Verweigern sich die Konservativen der Linkspartei, wirken sie verstockt und unmodern. Folgen sie der Linkspartei, wirken sie überflüssig.

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Es ist ein Schreckensszenario: In der deutschen Autobranche könnten Hunderttausende Jobs in Gefahr sein, falls die Schlüsselindustrie den Anschluss an das Elektro-Zeitalter verpasst. In einem Bericht der Kommission Nationale Plattform Zukunft der Mobilität heißt es, dass in einem Extremszenario bis zu 410.000 Arbeitsplätze in Gefahr seien. Wir hatten gestern darüber berichtet. Der Verband der Automobilindustrie widerspricht dem Horrorbericht der Kommission: Die Lobbyorganisation hofft, der Umstieg von Verbrenner- auf Elektroautos könnte mit einem Abbau von nur 88.000 Stellen bis zum Jahr 2030 verbunden sein. VDA-Geschäftsführer Kurt-Christian Scheel setzt auf neue Jobs in der Batteriefertigung und auf die Qualifizierung der heutigen Bauer von Verbrennungsmotoren, „damit negative Arbeitsplatzeffekte möglichst gering gehalten werden können.“

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Papst Benedikt XVI. hält die Rolle als „Papa emeritus“, als Spaziergänger in den vatikanischen Gärten, offenbar nicht mehr aus. Mit seiner Äußerung über die unauflösliche Verbindung von Priesteramt und Zölibat fällt er Papst Franziskus in den Rücken. Der Reformer im Vatikan hatte eigentlich einen sanften Öffnungskurs angedacht. Er brachte die Idee ins Spiel, dass auch verheiratete, erprobte Männer – sogenannte Viri probati – unter bestimmten Bedingungen Priester werden sollten. 2017 im Interview mit der „Zeit“ sagte er: „Wir müssen darüber nachdenken, ob ,Viri probati’ eine Möglichkeit sind. Zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden.“ Benedikt hält in einem gemeinsam mit Kurienkardinal Robert Sarah veröffentlichten Buch jetzt dagegen: Das katholische Priestertum sei ohne sexuelle Enthaltsamkeit nicht denkbar, der Zölibat dürfe nicht durch eine Art Zweiklassensystem von Priestern entwertet werden: „Der Zölibat wird sogar zur Grundvoraussetzung dafür, dass unsere Annäherung an Gott die Grundlage unseres Lebens bleibt.“ Wir lernen: Zwei Päpste sind einer zu viel.

Ein Mal im Jahr stellt der Versicherer Axa zusammen mit dem Thinktank Eurasia Group, für den Ex-Außenminister Sigmar Gabriel und der Politologe Ian Bremmer arbeiten, den Global Risks Report vor. Im heutigen Morning Briefing Podcast spreche ich mit dem Auftraggeber des Reports, Axa-Deutschland-Chef Alexander Vollert, der sich hauptberuflich nur mit Risiken beschäftigt. Wir sprechen über lauter schreckliche Dinge: Krebs, Verkehrstote und Extremwetter. Doch die Botschaft dieses Gesprächs könnte versöhnlicher kaum sein: Wir fürchten uns zumeist vor dem Falschen. Lassen Sie sich überraschen - und beruhigen. Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
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