Kein V-Szenario: Wirtschaftsweise als Regierungspropagandisten

Teilen
Merken

Guten Morgen,

in Zeiten der Pandemie werden Politiker und Ökonomen von patriotischen Gefühlen durchflutet, die nur leider zur Folge haben, dass man dem Bürger nicht mehr die Wahrheit sagt. Man will motivieren und stimulieren. Die Wissenschaftlichkeit wird suspendiert, die Wirklichkeit so lange kuratiert und redigiert bis sie leuchtet wie eine Christbaumkerze.

 © dpa

Lars Feld, Chef der Wirtschaftsweisen, weiß wie das funktioniert. Nach einem Gespräch mit CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagte er: „Das wahrscheinlichste Szenario aus Sicht des Sachverständigenrates ist im Moment ein V-Szenario.“ Feld und Altmaier sind einander parteipolitisch zugetan: Feld ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des CDU-Wirtschaftsrates.

 © dpa

Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, kann ebenfalls vor Optimismus kaum an sich halten: „Wir unterstellen ein V-Szenario – also einen drastischen Einbruch in den ersten beiden Quartalen, auf den ein schneller Aufschwung folgt.“

Diese Prognosen waren zu keinem Zeitpunkt wissenschaftlich fundiert. Derzeit werden sie durch die täglich eintreffenden Wirtschaftsdaten widerlegt. Die unbequeme Wahrheit ist diese: Deutschland steht vor einer zähen Rezession mit Kostensenkungsprogrammen, Arbeitsplatzabbau und Produktionsstilllegungen, die aufgrund der globalen Rückkoppelungen durch kein nationales Konjunkturprogramm verhindert werden kann.

► „Made in Germany“ ist derzeit vielerorts auf der Welt ein Ladenhüter. Die deutschen Exporte sanken im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 31,1 Prozent auf 75,7 Milliarden Euro. „Der Exporteinbruch im April ist an Dramatik kaum zu überbieten“, so Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages.

Eine Infografik mit dem Titel: Beispielloser Einbruch in der Krise

Deutscher Export gegenüber dem Vorjahresmonat, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Pandemie lähmt deutschen Außenhandel

Wert der Warenausfuhren, in Milliarden Euro

► Bei den Unternehmen stehen die Zeichen nicht auf Erholung, sondern auf Schrumpfkur. Die Lufthansa will ihre Belegschaft in den kommenden Jahren um 20.000 Mitarbeiter stutzen.

► Die Autoindustrie hält sich mit Ankündigungen noch zurück. Die Betonung liegt auf noch. Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der Automobilbranche droht ein Abbau von 100.000 Stellen. Auch die Ereignisse in der Führung von VW sind das Wetterleuchten von Verteilungskämpfen, die zunächst im Aufsichtsrat und bald schon an der Werkbank ausgetragen werden.

► Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag schätzt, dass 35 Prozent der Industriebetriebe in den kommenden Monaten Stellen abbauen werden. Diese Effekte setzen sich von der Industrie zu den Dienstleistern bis in den Einzelhandel fort.

► Die Regierung baut mit dem Kurzarbeitergeld eine Brücke, sagen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und auch der Ökonom Felbermayr. Doch für viele wird diese Brücke ins Niemandsland der Arbeitslosigkeit führen. Die Betriebe werden unter keinen Umständen alle Kurzarbeiter wieder zurücknehmen können. Wolfgang Reitzle, Aufsichtsratschef der Linde Group, spricht die unbequeme Wahrheit aus, zu der die Politik sich nicht durchringen kann:

 © imago

Ich kenne keine größere Firma, die diese Krise nicht nutzt, um ein sogenanntes Rightsizing vorzunehmen. Alle müssen jetzt versuchen, den Break-even zu senken, also Fixkosten abzubauen.

Auch die Unternehmen, die bisher sehr vorsichtig und sozial verträglich versucht haben, die Kostenstruktur zu verbessern, machen das krisenbedingt jetzt mit einem harten Schnitt. Deshalb wird es nun eine Konsolidierungsphase geben müssen – und keinen V-Aufschwung.

Fazit: Tiefe und Länge der jetzt begonnenen Rezession sind schwer prognostizierbar. Aber eine schnelle Rückkehr zur Vor-Corona-Welt, soviel steht fest, wird es nicht geben können.

 © dpa

In Wolfsburg bebt weiterhin die Erde. VW-Konzernchef Herbert Diess gibt die Führung der Hauptmarke in der größten Autogruppe der Welt ab. Alle Beobachter gehen davon aus, dass dies der Anfang vom Ende der Ära Herbert Diess sein wird. Im Geschäftsjahr 2019 hatte der CEO noch ein Rekordergenis von 14 Milliarden Euro Nettogewinn präsentieren können.

Stefan Menzel und Martin Murphy schreiben im „Handelsblatt“:

Herbert Diess dürfte jetzt nur noch VW-Chef auf Abruf sein. Dass die Aufseher entgegen ihrer ursprünglichen Überlegung überhaupt an dem 61-Jährigen festhalten, hat auch mit den drängenden Problemen des Konzerns zu tun.

Simon Hage vom „Spiegel“ bilanziert:

Diess’ Vertrag als Konzernchef läuft formal noch bis Frühjahr 2023. Eine vorzeitige Verlängerung hat das Aufsichtsratspräsidium kürzlich abgelehnt. Schon jetzt gibt es intern Planspiele, wer ihm nachfolgen könnte, womöglich auch schon vor Ablauf der Amtsperiode.

Olaf Preuß fasst in der „Welt“ zusammen:

Diess gilt als Kostenkiller, aber nicht als Patriarch, der das Reich der ,Golfsburger‘ zusammenhalten kann.

Carsten Germis zieht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein düsteres Fazit:

Deutschlands größter Autohersteller Volkswagen lässt sich nicht ändern.

 © Marco Urban

Opposition ist Mist. Als Franz Müntefering, damals SPD-Chef, diesen Satz sagte, war an Corona nicht zu denken. Doch in der Krise bewahrheitet sich dieser Spruch – zumindest, wenn Politiker auf die Umfragen der Opposition schauen. Die Merkel-CDU fliegt hoch. Für die Opposition ist in den Corona-Monaten wenig zu holen.

Die Grünen versuchen es nun mit konstruktiv kritischer Opposition, wie sie es nennen. Dazu gehört ein digitaler Familien- und Bildungsgipfel, den Parteichefin Annalena Baerbock für heute einberufen hat. Dort wird sie mit Experten über die Öffnung von Kitas und Schulen nach den Sommerferien beraten. Über das, was kommt, und das, was bleibt.

Annalena Baerbock ist studierte Völkerrechtlerin mit Abschluss an der London School of Economics. Sie war an Bord der Pioneer One und hat mit ThePioneer-Chefredakteur Michael Bröcker gesprochen – über Opposition in Zeiten der Pandemie.

 © Marco Urban

Wir haben eine Ausnahmesituation, in der dieses Land und diese Gesellschaft steckt. Das ist aus meiner Sicht keine Zeit für Reflexe. Wir haben am Anfang sehr deutlich gesagt: jetzt schnell gemeinsam handeln. Aber da, wo Dinge nicht gut gelaufen sind, sagen wir das auch. Für mich war das vor allem die Kinder- und Familienpolitik.

Ihre Strategie in der Opposition:

Kritisch konstruktiv würde ich das nennen. Kritisch da, wo es nicht läuft, aber konstruktiv.

Über die Arbeit der Regierung sagt sie:

Im Nachhinein sind alle schlauer. Niemand wusste, was genau wie passiert. Eine vernünftige Evaluation ist jetzt wichtig. Es ist politisch nicht falsch, Fehler zu machen, weil ansonsten traut man sich ja gar nichts zu. Was aber fatal wäre, Fehler zwei Mal zu machen.

Dabei meint sie die medizinische Vorbereitung auf die Pandemie:

Den Shutdown haben wir ja gemacht, weil wir phasenweise keine Schutzkleidung hatten, die eigentlich vorrätig hätten sein müssen.

Fazit: Diese Frau will erkennbar mehr als Presseerklärungen verfassen und auf bessere Zeiten warten. Ehrgeiz trifft Talent.

 © dpa

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat vor dem Bundesverfassungsgericht eine rechtliche Schlappe erlitten.

► Die AfD hatte geklagt, dass ein Interview, in dem Seehofer das Verhalten der AfD-Bundestagsfraktion als „staatszersetzend“ bezeichnet hatte, zwei Wochen lang auf der Internetseite des Ministeriums zu lesen war. Er nutze damit staatliche Ressourcen zur Verbreitung einer parteipolitischen Aussage, so der Vorwurf.

 © dpa

► Die Richter in Karlsruhe gaben den Klägern recht und urteilten, dass Seehofer durch die Veröffentlichung auf der Internetseite seines Ministeriums die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt habe. In dem Urteil heißt es:

Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten.

Die Folgen des Urteils sind minimalinvasiv: Als „staatszersetzend“ darf Seehofer die AfD weiterhin bezeichnen – diese Aussage aber nicht mehr mit den Ressourcen seines Ministeriums verbreiten.

 © imago

Die Ein-Mann-Opposition Sigmar Gabriel hat seiner Partei wieder einmal die Leviten gelesen – deutlich im Ton, berechtigt in der Sache. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte der ehemalige SPD-Chef und Wirtschaftsminister:

Das Konjunkturprogramm wird zwar in seiner gewaltigen Höhe vom sozialdemokratischen Finanzminister verantwortet, es ist aber wenig konturiert und ähnelt eher einem Kessel Buntes.

Sechs Monate die Mehrwertsteuer zu senken dürfte eher keine allzu große Wirkung haben – und einmalig 300 Euro für Familien mit einem Kind vermutlich auch nicht. Wähler lassen sich ohnehin nicht kaufen.

Die Menschen wollen ja nicht vom finanziellen Beatmungsgerät des Sozialstaates leben, sondern von ihren eigenen Leistungen.

 © dpa

Gestern Abend amerikanischer Zeit nahmen Hunderte geladener Gäste in Houston (Bundesstaat Texas) Abschied von George Floyd. Die Trauerfeier war auch eine politische Demonstration. So prangerte der Bürgerrechtler Al Sharpton die Ungleichbehandlung von Afroamerikanern an – und erhob Vorwürfe gegen Präsident Donald Trump:

Er hat China wegen der Menschenrechte angegriffen. Was ist mit dem Menschenrecht von George Floyd?

 © dpa

Bis wir wissen, dass der Preis für ein schwarzes Leben derselbe ist wie der Preis für ein weißes Leben, werden wir diese Situationen immer und immer wieder erleben.

Die Demokraten konnten der Versuchung nicht widerstehen, die Trauerfeier für den Präsidentenwahlkampf zu nutzen. Ihr Bewerber Joe Biden war per Video zugeschaltet.

 © imago

Die Allbright-Stiftung hat sich das Top-Management der 100 größten deutschen Familienunternehmen – also von Henkel, Otto, Aldi, Haribo und Co. – einmal ganz genau angesehen. Konkret geht es in einer jetzt vorgelegten Studie um den Anteil von Frauen und Männern. Ein Beispiel: Bei Bosch (siehe Foto) sitzen lediglich Männer in der Geschäftsführung und keine einzige Frau. Der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der Familienunternehmen ist demnach mit 6,9 Prozent spektakulär – und zwar spektakulär niedrig. Zum Vergleich: Bei den Dax-Unternehmen sind immerhin 15 Prozent aller Vorstände Frauen.

Reflektiert das die gesellschaftliche Verantwortung und die Wertorientierung der Familienunternehmen? Wohl kaum. Die Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung, Wiebke Ankersen, unterhält sich im Morning Briefing Podcast mit meiner Kollegin Alev Doğan über die Ursachen dieser Diskriminierung und über Wege zu einem besseren Miteinander. Ankersen sagt:

Es ist inzwischen gut dokumentiert, dass gemischte Führungsteams mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund, mit unterschiedlichen Blickwinkeln eine bessere Entscheidungsfindung führen.

 © ThePioneer

Erstens. Innenminister Horst Seehofer unterrichtet das Kabinett über die neuen Regeln für die Einreise aus anderen EU-Staaten. Die Reisewarnung für 160 Länder wird bis 31. August verlängert.

Zweitens. Fast dreieinhalb Jahrzehnte nach dem Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme wollen die Ermittler heute ihren Entschluss zu einer möglichen Anklage bekanntgeben.

Drittens. Mehr als sechs Jahre nach der Aufdeckung eines Bierkartells durch das Bundeskartellamt beschäftigt der Fall noch einmal die Justiz. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt über die Einsprüche der drei Kölsch-Brauereien Früh, Gaffel und Erzquell.

Viertens. 108 Tage nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg wählen die Abgeordneten einen neuen Bürgermeister. Für seine Bestätigung ist Amtsinhaber Peter Tschentscher auf die Stimmen seiner SPD und des grünen Koalitionspartners angewiesen.

Fünftens. Außenminister Heiko Maas reist heute nach Israel, um mit der neuen Regierung über die geplante Annexion besetzter Palästinensergebiete zu sprechen. Auf den sonst üblichen Besuch bei der palästinensischen Regierung in Ramallah verzichtet Maas unter Verweis auf die „erschwerten Bedingungen“ wegen der Pandemie. Das nennt man Corona-Diplomatie.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing