Kommt die Dracula-Wirtschaft?

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Guten Morgen,

Zeiten der Krise bedeuten eine Hochkonjunktur für die Untergangspropheten aller Nationen. Professor Nouriel Roubini mit seiner Firma Roubini Global Economics LLC ist gewissermaßen der Marktführer im Segment Apokalypse. Im aktuellen „Spiegel“ sagt er eine Graf-Dracula-Wirtschaft voraus, die vor allem vom Blut der Konjunkturpakete und der Geldschöpfung der Notenbanken lebt. Roubini prophezeit ein düsteres Jahrzehnt:

Ich fürchte, die 2020er-Jahre werden geprägt sein von Verderben und Desaster.

 © imago

Eine schnelle Erholung der Weltwirtschaft, so sie denn kommt, werde nicht aufgrund einer ökonomischen Vitalität erfolgen, sondern aufgrund staatlicher Geldinjektionen:

Natürlich werden wir in der zweiten Jahreshälfte einen Aufschwung sehen. Nur wird es kein echter sein, sondern eine Sinnestäuschung.

Den von Arbeitslosigkeit Betroffenen macht er wenig Hoffnung auf eine nachhaltige Erholung:

Allein in den USA haben sich mehr als 40 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet. Viele glauben, dass es ebenso rasch wieder aufwärtsgehen wird, aber das ist ein Trugschluss.

Nur die ganz Großen werden überleben, prognostiziert er:

Ich schätze, dass hier in New York so ziemliches jedes Restaurant schließen muss, aber McDonald's wird überleben.

 © dpa

Fazit: Man kann nur hoffen, das am Ende von Rezession und Pandemie der Pessimist nicht als der große Realist vor uns steht. Die Dracula-Wirtschaft bekämpft man nicht mit Knoblauch und Kruzifix, sondern mit Innovation und Zuversicht.

Eine Volkswirtschaft kann nur dann als gesund bezeichnet werden, wenn Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht sowie Wirtschaftswachstum miteinander in einem balancierten Verhältnis stehen. Dieses „Magische Viereck“ fand 1967 Eingang in das Grundgesetz. Im sogenannten Stabilitätsgesetz heißt es:

Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.

Im Prinzip müsste das unter dem Eindruck des deutschen Konjunktureinbruchs von 1966/67 formulierte Gesetz heute neu verfasst werden. Die ökologische Komponente, das heißt die Vitalität und Beständigkeit der natürlichen Umwelt markiert einen ebenso unverzichtbaren Grundpfeiler für die Wohlstandspolitik wie auch der Zustand der Volksgesundheit.

 © dpa

Die Angst vor der zweiten Welle zeigt die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von medizinischen Fragen. Die Politik hat ihre Hilfsprogramme gestartet. Die Wirtschaft versucht den Wiederaufstieg. Aber beide können nur dann Erfolg haben, wenn das Virus in seinem Wachstum begrenzt wird. Hier die Fakten einer Pandemie, die in Deutschland unter Kontrolle scheint, aber keineswegs weltweit:

► Die OECD spricht von der „schwersten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg“.

► Berechnungen der Internationalen Arbeiterorganisation ILO zufolge sind 81 Prozent der weltweit rund 3,3 Milliarden arbeitenden Menschen von der Pandemie betroffen – entweder durch Kurzarbeit oder den Verlust ihres Arbeitsplatzes.

 © dpa

► Der Hilfsorganisation Oxfam zufolge könnte das Virus eine halbe Milliarde Menschen in die Armut treiben.

► Noch immer gibt es jeden Tag neue Todesfälle. In Brasilien beispielsweise gibt es aktuell fast jede Minute einen Corona-Toten. Weltweit sind seit Februar über 430.000 Menschen an dem Virus gestorben:

Eine Infografik mit dem Titel: Die tödlichen Folgen der Pandemie

Corona-Todesfälle weltweit

► Deutschland ist gut durch die Krise gekommen. Trotzdem bleibt die Lage angespannt: Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, liegt weiterhin knapp über der kritischen Marke von 1,0 bei 1,05. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel etwa einen weiteren Menschen ansteckt. Fast 9000 Corona-Tote hat Deutschland zu beklagen.

Eine Infografik mit dem Titel: Die tödlichen Folgen der Pandemie

Corona-Todesfälle in Deutschland

► Wie gefährlich das Virus immer noch ist, zeigt sich in Schweden, das im Kampf gegen die Pandemie einen Sonderweg mit mehr Freizügigkeit gegangen ist. Angesichts seiner weiterhin hohen Corona-Zahlen wird das Land von seinen skandinavischen Nachbarn zunehmend isoliert. Bislang sind in Schweden mit seinen etwa zehn Millionen Einwohnern rund 4870 Menschen mit Covid-19-Erkrankung gestorben. Das sind mehr als viermal so viele Todesfälle wie im restlichen Skandinavien zusammen.

 © dpa

Fazit: Stimmung und Fakten passen derzeit nicht zusammen.

 © dpa

Die Regierung kämpft auch in Gesprächen mit den großen Handelsketten darum, dass die für das kommende Halbjahr geplante Mehrwertsteuersenkung tatsächlich an den Verbraucher weitergereicht wird. Doch genau dieses Weiterreichen basiert ausschließlich auf Freiwilligkeit. Viele Gastronomen und Einzelhändler denken gar nicht daran – und auch viele Dienstleister begreifen diese Mehrwertsteuersenkung als Ausgleich für entgangene Gewinne.

So erreichte mich das Schreiben eines Dienstleisters, in dem um Verständnis für die Nichtweitergabe der Mehrwertsteuersenkung geworben wird:

Wir bitten Sie, den bisherigen Betrag der Mehrwertsteuer auch ab Juli 2020 in unveränderter Höhe weiter zu zahlen. Wir benötigen diesen Betrag, um die Mehrkosten, die durch den erhöhten Hygienebedarf entstehen, zu finanzieren. Wir danken im Voraus für Ihr Verständnis.

Fazit: So sieht es aus, wenn politische Theorie auf wirtschaftliche Praxis trifft.

 © dpa

Die Kritiker der milliardenschweren Konjunkturprogramme werden lauter. Professor Rainer Kirchdörfer, gelernter Industriekaufmann, Steuerrechtler und Vorstand in der Stiftung Familienunternehmen, ist einer von ihnen. Die inhabergeführten Unternehmen, die in seinem Verbund versammelt sind, bilden das Fundament der Wirtschaft, sie stellen 90 Prozent aller Unternehmen, bieten 58 Prozent aller Beschäftigten einen Job und sind für 52 Prozent aller Umsätze der deutschen Wirtschaft verantwortlich. Kirchdörfer sagt:

Die Mehrwertsteuersenkung kommt nicht nur den öffentlichen Kassen mit 20 Milliarden Euro teuer zu stehen, sondern auch die Unternehmen, die die Steueränderung umsetzen müssen. Weil auch jeder kleine Einkauf vorübergehend steuerlich begünstigt wird, ist der bürokratische Aufwand enorm.

Steueränderungen, die nur wenige Monate wirken, verpuffen erfahrungsgemäß leicht.

Ihm fehlen die langfristigen Wirkungen der Maßnahmen:

Woran es zurzeit mangelt, ist Zuversicht. Schon deshalb besteht die Gefahr, dass die Mehrwertsteuersenkung vor allem die Sparquote erhöht. Mit Kurzfristdenken erreichen wir keinen Stimmungsumschwung.

Den ganzen Beitrag, der auch Vorschläge für eine wirkungsvolle Steuerpolitik in der Krise enthält, lesen Sie auf www.thepioneer.de.

 © Anne Hufnagl

Durch die Unruhen in den USA erlebt auch Deutschland eine Diskussion über Alltagsrassismus. Mit Diana Kinnert habe ich an Bord der Pioneer One über ihre Eindrücke und Einschätzungen zu diesem Thema gesprochen. Diana Kinnert ist CDU-Mitglied, Unternehmerin, Publizistin und Botschafterin eines urbanen Lebensgefühls, das in der Union noch gar keine Botschafter besitzt. Sie sagt:

Mit 16, 17 Jahren bin ich in die CDU eingetreten, also eine sehr homogene, alte und weiße Partei. Da falle ich auf. Da bin ich oft gering geschätzt worden. Die Frage war für mich immer: Liegt es an der etwas dunkleren Hautfarbe? Liegt es daran, dass ich jung bin? Liegt es daran, dass ich Frau bin? Liegt es daran, dass ich irgendwie immer eine Freundin hatte statt einem Freund? Es gibt verschiedene Attribute, die sich marginalisierend auswirken. Und ich wusste natürlich nie genau, worauf sich welche Geringschätzung bezieht.

Das Schimpfen über den „alten, weißen Mann“ habe sich in Deutschland zum Volkssport entwickelt. Sie sagt:

Ich glaube, dass es in verschiedenen aktuellen Machtstrukturen eine Dominanz von weißen, alten Männern gibt. Das bedeutet aber nicht, dass ich sie mir zum Feindbild nehme, sondern es zeigt, dass viele andere Gruppen unterrepräsentiert sind.

Mir ist wichtig, dass die aktuellen Dominanzakteure einladend und offen sind. Genauso wichtig ist mir, dass sich marginalisierte Gruppen offensiv bereit erklären, mitmachen zu wollen.

 © Ben Salomo

Die amerikanische Ursünde ist die Sklaverei. Die deutsche Ursünde ist der Holocaust. Über beides habe ich mit dem Rapper Ben Salomo gesprochen.

Er erinnert sich an seine erste Begegnung mit dem deutschen Antisemitismus:

Ich hatte einen Freund in Berlin-Schöneberg. Zwei Jahre haben wir wirklich alles miteinander unternommen, uns immer nach der Schule getroffen. Irgendwann fragte er mich dann: Joni, was bist du? Ich antwortete: Naja, ich bin Jude, ich komme aus Israel. Als wir uns am nächsten Tag getroffen haben, kam er dann mit zwei älteren Jungs an, die waren so 14, 15. Zu dritt wollten sie mich dann verprügeln. Von dem Moment an war unsere Freundschaft beendet.

Er mahnt die Regierung:

Stefan B., der Attentäter von Halle, hat ein antisemitisches Weltbild, er meint, die Juden würden die Welt regieren, und er leugnet den Holocaust. Wie soll er denn begreifen, dass sein Antisemitismus und seine Holocaust-Leugnung falsch ist, wenn unsere Bundesregierung einem Regime wie dem Iran, das offen von Endlösung spricht und auch den Holocaust leugnet, den roten Teppich hier in Deutschland ausrollt? Das ist eine Einladung für neuen Antisemitismus und Anschläge.

Fazit: Beide Gespräche, das mit Diana Kinnert und das mit Ben Salomo, bieten ihre jeweils eigene Perspektive auf das Thema. Prädikat: Verstörend und daher wertvoll.

 © dpa

Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wurden im Dezember 2019 in ihre Ämter gewählt. Damals war Bundesfinanzminister Olaf Scholz der große Verlierer. Zufrieden mit dieser Lösung ist bei den Sozialdemokraten offenbar kaum jemand. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des Berliner Instituts Wahlkreisprognose unter 1012 SPD Mitgliedern:

Eine Infografik mit dem Titel: SPD-Basis will Scholz

Umfrage unter Parteimitgliedern, wer nächster Kanzlerkandidat* werden sollte, in Prozent

Auf die Frage, wer die nächste Kanzlerkandidatur übernehmen soll, hat die Basis eine klare Präferenz: 57 Prozent sprechen sich für Scholz aus. Mit großem Abstand folgt Franziska Giffey (16,5 Prozent) auf Platz zwei. Für Esken und Walter-Borjans entschieden sich drei beziehungsweise zwei Prozent. Im Grunde annulliert die Parteibasis damit ihre Entscheidung vom vergangenen Jahr.

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Folge

Er gilt als der nette, lustige Mann von der CSU. Doch nun steht Entwicklungsminister Gerd Müller eine Affäre um Vetternwirtschaft ins Haus, wie meine Kollegen vom Hauptstadt-Newsletter herausgefunden haben. Der Minister soll eine nette Vertraute zur Referatsleiterin Öffentlichkeitsarbeit befördert haben, der Personalrat ist auf der Barrikade.

Auf die üblichen Qualifikationen und das Bewerbungsverfahren habe Müller verzichtet, so der Vorwurf. Die „Operation Abendsonne“ hat im Ministerium von Müller offenbar schon eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl begonnen.

 © dpa

Rainer Langhans und Uschi Obermaier waren das schillerndste Paar der Außerparlamentarischen Opposition. Am Freitag feiert Langhans seinen 80. Geburtstag. Dem „Spiegel“ sagte die 68er-Ikone:

Ich gehe den Weg der Selbstrevolutionierung, und je älter ich vermeintlich werde, desto jünger fühle ich mich. Im Moment bin ich vielleicht zwölf. Zugleich übe ich jeden Tag ein bisschen das Sterben. Ich strebe immer jünger werdend auf das Jenseits zu.

Ich wünsche uns allen einen ähnlichen Verjüngungsprozess und einen harmonischen Start in diese neue Woche. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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