Land der Rettungsschirme

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Guten Morgen,

das Wort des Jahres 2020 ist Rettungsschirm. Wurde er in der Euro-Krise über gefährdeten Staaten aufgespannt, bekommen nun viele Branchen und nicht wenige Einzelunternehmen ihren eigenen Rettungsschirm. Eine ganze Rettungsschirm-Familie ist entstanden, sodass man neudeutsch auch von einem Franchise-System sprechen könnte.

► Der Rettungsschirm für die Kommunen ist für rund 25 Milliarden Euro ausgelegt. Der Bund will sich an den Hartz-IV-Kosten beteiligen, die ausbleibenden Gewerbesteuereinnahmen kompensieren, den Bus- und Bahnverkehr fördern, Kitas ausbauen und Sportstätten sanieren. Der Retterstaat zeigt, was er kann.

► Verkehrsminister Andreas Scheuer will einen Rettungsschirm über der Deutsche Bahn spannen. Das Volumen soll zwischen 6,9 und 8,4 Milliarden Euro betragen als Ausgleich für leere Züge, denen leere Kassen folgen. Außerdem soll in Abstimmung mit dem Haushaltsausschuss des Bundestags die Verschuldungsgrenze von derzeit rund 25 Milliarden Euro ausgeweitet werden. Die Privatisierung der Bahn ist nunmehr ein Projekt auf Wiedervorlage – für das 22. Jahrhundert.

 © dpa

► Gesundheitsminister Jens Spahn will das Gesundheitswesen vor einer finanziellen Schieflage retten. Sein Rettungsschirm sieht eine Kompensation für Krankenhausbetten vor, die infolge der Corona-Pandemie leer blieben. Auch Gelder für die Schutzausrüstung und den Klinikbau sind geplant. Kostenpunkt: bis zu 10 Milliarden Euro.

► Der größte Rettungsschirm ist der sogenannte Wirtschaftsstabilisierungsfonds: Rund 100 Milliarden Euro stehen für die direkte Staatsrettung von Unternehmen zur Verfügung, weitere 400 Milliarden können in Form von Krediten gewährt werden. Hauptprofiteur ist bislang die Lufthansa, die sich mit neun Milliarden Euro aus diesem Fonds bedienen darf.

Eine Infografik mit dem Titel: Milliarden für die Lufthansa

Börsenwert gegenüber der Summe des Rettungspakets, in Milliarden Euro

Auch der Reiseveranstalter Tui hat bereits ein Hilfsdarlehen von 1,8 Milliarden Euro erhalten.

Künstler, Techniker, Maskenbildner, Kameraleute und freiberufliche Journalisten dürfen sich über einen „kulturellen Rettungsschirm“ in Höhe von 200 Millionen Euro freuen, den die CSU über Bayern gespannt hat. Dazu kommt ein weiterer Rettungsschirm in Höhe von 50 Millionen Euro, der 700 kleinere und mittlere Theater sowie 260 Kinos durch die Krise retten soll. Wer noch keinen Schirm hat, möge sich in der Staatskanzlei melden.

Auszubildende dürfen bundesweit auf eine Ausbildungsprämie von 2000 bis 3000 Euro hoffen, der zwar nicht auf ihr Bankkonto gezahlt wird, aber ihren Ausbildungsplatz retten könnte. Kleine und mittelständische Unternehmen sollen durch den Azubi-Rettungsschirm motiviert werden, ihre Lehrstellenzahl zu halten oder sogar zu erhöhen. Kostenpunkt: rund 280 Millionen Euro.

Eine Infografik mit dem Titel: Gelöste Schuldenbremse

Entwicklung der Staatsverschuldung Deutschlands in Relation zum BIP mit Prognose für 2020, in Prozent

Fazit: Ein Land unterm Rettungsschirm. Der Staat schirmt uns ab, wobei der Preis für diese Corona-Sonderkollektion später von niemand anderem als dem Beschützten bezahlt wird. Wir lernen: Alles kann man heutzutage kaufen, auch eine Wohlstandsillusion.

 © dpa

Normalerweise ist der Staat ein Experte für Verlustgeschäfte. Das beweist zum Beispiel der Einstieg bei der Commerzbank: Im Jahr 2007 hatte das Geldinstitut einen Börsenwert von fast 25 Milliarden Euro, heute sind es noch rund 5,2 Milliarden Euro, also gerade einmal 21,1 Prozent des ursprünglichen Wertes.

Eine Infografik mit dem Titel: Geschrumpfte Commerzbank

Börsenwert der Commerzbank zu ihrem Höchststand 2007 und heute, in Milliarden Euro

Der geplante Einstieg bei der Tübinger Biotechfirma Curevac hingegen könnte gut angelegtes Geld sein. Schließlich handelt es sich um ein Unternehmen, das einer der großen Profiteure der Pandemie ist.

300 Millionen Euro will der Bund über die staatseigene Förderbank KfW in das Unternehmen investieren. Im Gegenzug erhält er 23 Prozent der Anteile und erwirbt damit eine Minderheitsbeteiligung.

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► Curevac gilt als verheißungsvoller Hersteller von Impfstoffen. Ein aktueller Corona-Prototyp basiert auf einer sogenannten Boten-RNA, die den Bauplan für ein Eiweiß des Corona-Virus in den Körper schleust. Die Forscher hoffen, dass der Impfstoff ohne Kühlkette funktioniert und sich damit auch als Kandidat für ärmere Länder qualifiziert.

► Mitte März kursierten Gerüchte, das Weiße Haus habe an Curevac Interesse. US-Präsident Donald Trump wolle sich so den Impfstoff, an dem Curevac forscht, sichern. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es zwar nie. Aber Altmaier versprach schon damals im Morning Briefing Podcast : „Germany is not for sale.“

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Die asiatischen Staaten, allen voran China, sind Europa bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie mehrere Wochen voraus. Entsprechend ist die Erholung der chinesischen Wirtschaft der wichtigste Frühindikator für das, was uns in Europa bei Eintritt einer zweiten Welle droht. Diese scheint nun über Peking hinwegzufegen.

Nach dem Ausbruch auf einem Großmarkt stehen nun mehr als 20 Wohnblöcke unter Quarantäne. An einen V-förmigen Aufschwung, wie er zunächst auch für China prophezeit wurde, glauben nur noch Zweckoptimisten.

► Laut Daten des nationalen Statistikamtes sind die Einzelhandelsumsätze als Zeichen einer schwachen Inlandsnachfrage deutlicher als erwartet im Mai um 2,8 Prozent zurückgegangen.

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► Ausgaben für Immobilien, Infrastruktur und Investitionsgüter fielen in den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 um 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist noch schlechter als der Medianwert einer Bloomberg-Umfrage unter Analysten, die ein Minus von sechs Prozent prognostiziert hatte.

► Der Erzeugerpreisindex fiel im Mai im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 Prozent, so die Daten des nationalen Statistikamtes des Landes. Das war schärfer als der Rückgang von 3,3 Prozent, den die von Reuters befragten Ökonomen erwartet hatten.

Shaun Roache, Chefökonom für den asiatisch-pazifischen Raumes bei S&P Global Ratings sagt:

Die bisherigen Erfahrungen Chinas deuten darauf hin, dass es für die Weltwirtschaft ein harter Rückweg sein wird.

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Die Deutsche Bahn ist von der Corona-Krise hart getroffen worden – wie jedes andere Reiseunternehmen auch. Zeitweise brach das Fahrgastaufkommen um 90 Prozent ein, die Bahn fuhr trotzdem weiter. Meine Kollegen Michael Bröcker und Rasmus Buchsteiner haben Ronald Pofalla eingeladen, um sich mit dem DB-Vorstandsmitglied über Reisen in Zeiten der Pandemie zu unterhalten.

Die Bahn ist nicht erst seit der Corona-Krise ein Sanierungsfall. Kaputte Züge und marode Brücken sorgten bei vielen Menschen in den vergangenen Jahren für Frust – und werden es voraussichtlich wieder tun, sobald die Kundenzahlen ansteigen. Pofalla will gegensteuern:

Wir haben uns vorgenommen, 2000 Eisenbahnbrücken bis Ende des Jahrzehnts zu erneuern und zu ersetzen. Für dieses Gewerk werden wir bis Ende dieses Jahrzehnts neun Milliarden Euro investieren. Und wir haben uns vorgenommen, in diesem Jahr 12,2 Milliarden Euro im vorhandenen Netz in der Infrastruktur zu verbauen.

Am heutigen Dienstag will die Bundesregierung bei einem zweiten „Mobilfunkgipfel“ ihre Pläne zum Schließen von Funklöchern voranbringen.

Eine Infografik mit dem Titel: Deutschlands Funkloch-Atlas

Häufigste Netztechnologie in der jeweiligen Region

Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, sagt im Morning Briefing Podcast :

Wo wir Tempo aufnehmen müssen, ist die sogenannte Graue-Flecken-Förderung. In Gebieten, die schon versorgt sind, aber jetzt die nächste Stufe anpeilen, nämlich den Sprung in die Gigabit-Gesellschaft, brauche ich erst eine Notifizierung auf europäischer Ebene. Da streiten wir jetzt seit acht Monaten. Ich möchte, dass das schneller geht.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf der Pioneer One mit Michael Bröcker und Rasmus Buchsteiner. © Anne Hufnagl

Natürlich haben wir Ausbaubedarf vor allem im ländlichen Raum. Natürlich brauchen wir Angebote von den Anbietern. Was jetzt neu dazukommt, ist, dass wir dort, wo wirklich ein weißer Fleck ist, mit der Mobilfunk-Infrastruktur-Gesellschaft eine staatliche Firma gründen.

Der Staat geht in diese weißen Flecken jetzt mit einer Förderung rein, die wir am ersten ,Mobilfunkgipfel‘ vereinbart haben und jetzt mit 1,1 Milliarden versehen. Dazu kommt, dass der Koalitionsausschuss noch fünf Milliarden draufgelegt hat.

Fazit: Viel hilft viel. Wenn die Pläne der Regierung aufgehen, gehört das Wort „Funkloch“ schon bald ins Lexikon der verstorbenen Worte.

Die Lobby-Vorwürfe gegen CDU-Nachwuchsstar Philipp Amthor haben ein Nachspiel im Bundestag. Die Parlamentsverwaltung prüft nun, ob der 27-Jährige falsche Angaben zu seinem Engagement beim Start-up Augustus Intelligence gemacht hat. Warum die Affäre dazu führen könnte, dass Amthor nun doch nicht Chef der CDU in Mecklenburg-Vorpommern wird, lesen Sie in unserem Hauptstadt-Newsletter .

Klick aufs Bild führt zur aktuellen Folge © ThePioneer

Erstens. US-Präsident Donald Trump hat heute Nacht seine Pläne für einen teilweisen Abzug der in Deutschland stationierten US-Soldaten bestätigt. Der Nato-Partner komme seinen Verpflichtungen nicht nach, sagte Trump, deshalb werde er die Zahl der US-Soldaten von derzeit 34.500 auf 25.000 reduzieren.

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Zweitens. Der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke beginnt in Frankfurt. Vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts muss sich der 46-jährige Stephan E. aus Kassel verantworten.

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Drittens. Im Kampf gegen das Coronavirus startet die lange geplante staatliche Warn-App für Smartphones. Die Anwendung im Auftrag des Bundes soll freiwillig sein und das Nachverfolgen von Infektionen erleichtern.

Viertens. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe beschäftigt sich erneut mit dem „Recht auf Vergessen“ im Internet. Verhandelt werden gleich zwei Klagen gegen Google.

Fünftens. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs wirft Tesla „irreführende Werbung“ vor. Der Elektroauto-Hersteller wirbt für das Fahrerassistenzsystem seines „Model 3 mit Aussagen wie „Autopilot inklusive“ und „Volles Potenzial für autonomes Fahren“. Die Wettbewerbszentrale hat den US-Autobauer vor dem Landgericht München auf Unterlassung verklagt.

Melania Trump gilt als First Lady, die im Hintergrund ihres polarisierenden Mannes steht. Öffentlich äußert sich die 50-Jährige nur selten, politische Ambitionen werden ihr nicht nachgesagt. Auch mehr als drei Jahre nach Beginn von Trumps Amtszeit ist sie der Öffentlichkeit ein Rätsel geblieben.

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An der Enträtselung versucht sich jetzt die Autorin Mary Jordan – eine mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Reporterin der „Washington Post“. In ihrer Biografie: „The Art of Her Deal: The Untold Story of Melania Trump“ skizziert sie eine Präsidentengattin, die sich nicht nur auf Schönheit, sondern auch auf Verschlagenheit versteht.

Nach dem Wahlsieg ihres Ehemannes soll Melania Trump ihren Ehevertrag mit Donald neu verhandelt haben. Mary Jordan schreibt:

Melania wollte einen schriftlichen Nachweis dafür, dass Barron in Bezug auf seine finanziellen Möglichkeiten und die spätere Erbschaft den drei ältesten Kindern von Trump gleichgestellt sein würde.

 © dpa

Fazit: Alle Politiker, die mit Donald Trump zu tun haben, sollten dieses Buch lesen. Es ist offiziell ihre Biografie, aber in Wahrheit seine Gebrauchsanweisung.

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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