die Union hat nicht einfach nur eine Wahl verloren. Die Union hat sich selbst verloren. Sie weiß, wo sie herkommt. Aber sie weiß nicht, wo sie hin will. Sie besitzt derzeit keine präzise Vorstellung von dem, wofür sie in Deutschland gebraucht wird. Der Kompass wackelt, die Nadel spinnt. Und Mutti antwortet nicht mehr.
Auf Sicht fahren! Das war das Letzte, was man von ihr hörte. Doch vorne ist plötzlich keine Sicht mehr, nur dieser schreckliche Bodennebel. Die Abbruchkante, man ahnt es, kann nicht mehr weit sein.
© dpaFragen von erheblicher Tragweite sind aufgerufen: Soll die CDU wieder eine bodenständige, eine konservative und vielleicht auch langweilige Partei werden oder muss sie künftig wie eine Eventagentur für politisches Entertainment funktionieren, die das Publikum mit ihren Geistesblitzen elektrisiert?
Muss die Partei mit dem C im Namen erneut die Tuchfühlung zur Kirche und den Landfrauen suchen oder sieht ihr neues Zuhause aus wie das Schlafzimmer von Lothar Matthäus, wo immer eine neue Attraktion durch die Betten tobt?
© dpaDarf bei ihren Parteitagen weiterhin die Nationalhymne gespielt und Nackensteak gegrillt werden oder ist es höchste Zeit auf Ed Sheeran und Falafel umzusteigen? Die Kohlroulade gibt's dann – als Akt des stillen Widerstands – heimlich zuhause.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Abstieg der Union
Wahlergebnis der Union, in Prozent
„Konservatismus ist die Bewegung des Bewahrens“, sagt der konservative Historiker Prof. Andreas Rödder und macht die Angelegenheit damit nicht einfacher: Wieviel Bewegung verträgt das Bewahren?
Oder politisch praktisch gesprochen: Soll man die moralische Überhöhung auf Seiten der Linken überbieten oder bekämpfen? Ist der Leistungsgedanke noch zentral oder macht man sich damit in der Home-Office-Gesellschaft, in der der Flughafen von Palma bald häufiger angesteuert wird als die Firmenzentrale, nur unnötig unbeliebt?
Spricht der tapfere CDU-Funktionär auch künftig, wie ihm der Schnabel gewachsen ist oder übt er heimlich vorm Badezimmer-Spiegel das Sprechen mit Gendersternchen? Klaus Kleber könnte dabei Hilfestellung leisten.
© imagoZumindest die Frage, ob die CDU reaktionär werden soll, darf als historisch beantwortet gelten. Rechts an der Wand hat die AfD bereits ihre Zelte aufgestellt, in Rufnähe campiert die NPD. Diese Weiden sind – das hat der Wahlsonntag gezeigt – keineswegs saftig grün, sondern sie schimmern bräunlich. Eine Volkspartei der Mitte wird hier keine neue Nahrung finden.
Als Regierungspartei hatte man es leicht: Man konnte die Sinnsuche durch demonstrative Geschäftigkeit ersetzen. Immer drängte die Zeit. Die multiplen Krisen der Gegenwart halfen bei der Verdrängungsarbeit. Irgendwas musste im Auftrag der Kanzlerin immer abgeräumt werden, die Themen der SPD, der Merz und die Wirtschaftsunion oder einfach nur die von ihr selbst verordnete Osterruhe. Das ist ja das Tückische an den Routinen der Erstarrung, das die Erstarrten sie nie als Erstarrung empfinden.
© imagoDas „Denken ohne Geländer“, von dem Hannah Arendt sprach, kam gänzlich aus der Mode. Die CDU war zum Schluss der Merkel-Jahre nur noch eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren einziger Geschäftszweck der Machterhalt war. Die Limousinen fuhren vor und fuhren wieder weg, nur damit sie anschließend wieder vorfahren konnten.
Die Rendite der CDU fiel, die inhaltlichen Reserven wurden aufgelöst, die Abteilung Forschung und Entwicklung hat man aus Gründen geistiger Erschöpfung irgendwann geschlossen. Das Konrad-Adenauer-Haus steht geistig abgerockt am Rande des Berliner Tiergartens. Die Lichter brennen bis abends spät. Aber es leuchtet nichts.
© imagoFazit: In dieser Situation die alten Spiele mit neuen Figuren zu spielen, wird die Not nicht beenden, nur verschärfen. Die einfache Frage lautet: Wer führt? Aber die bedeutsame Frage ist: Wer folgt eigentlich?
Bereits morgen wollen SPD, Grüne und FDP sondieren. „Wir haben den Vorschlag eines Gesprächs mit der SPD angenommen“, kommentierte FDP-Parteichef Christian Lindner die Entscheidung. Jamaika sei dennoch weiterhin eine „tragfähige Option“.
Das sieht CSU-Chef Markus Söder wohl anders. Er wertet die Dreier-Sondierung als „De-facto-Absage an Jamaika“.
Auch Alexander Dobrindt scheint die Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung aufgegeben zu haben. Der CSU-Landesgruppenchef sagte gestern in Berlin:
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass wir in dieser Legislaturperiode als Oppositionsfraktionen arbeiten müssen.
Einer, der die Hoffnung auf eine CDU-Beteiligung nicht aufgibt, ist Armin Laschet. „Wir haben signalisiert, wir stehen auch zu weiteren Gesprächen bereit“, sagte der NRW-Ministerpräsident vor den Kameras der Journalisten.
Facebook steht weiter unter Druck. Die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen sagte am Dienstag vor dem US-Senat aus und untermauerte ihren Vorwurf, dass der Konzern den eigenen Profit über alles stelle. Hasserfüllte Inhalte würden das Engagement der User erhöhen und daher vom Algorithmus bevorzugt. So wird die polariserte Gesellschaft zum Geschäftsmodell.
Sowohl Demokraten als auch Republikaner liebäugeln nun mit einer strengeren Regulierung des sozialen Netzwerks. Auch das Wort von der „Zerschlagung“ macht die Runde. Mit dem Blogger, Bestsellerautor und Internet-Unternehmer Sascha Lobo meldet sich im heutigen Morning Briefing-Podcast ein ausgewiesener Experte zu Wort.
Er sagt über die von Facebook verwendeten Algorithmen:
© imagoIch sage nicht ‚Um Gottes Willen, die bösen Algorithmen‘. Trotzdem glaube ich, dass wir aufpassen müssen, dass Facebook nicht anfängt, öffentliche Gefühle zu kontrollieren. Das ist eine Gefahr und der müssen wir entgegenwirken.
Neben dem Algorithmus würden diese Gefühle durch die Nutzer selbst verstärkt. Dazu verwendet er den Begriff „Like-Nadel“:
Durch die Like-Nadel fangen Nutzer an, solche Inhalte zu posten, von denen sie erwarten, dass sie besonders viele Interaktionen hervorrufen. Das ist deswegen interessant, weil dadurch die Plattformen nicht nur durch ihre Algorithmen steuern, was wer sieht, sondern sogar indirekt steuern, was wer einstellt.
Dass Plattformen durch die Politik stärker reguliert werden sollten, das befürwortet auch Sascha Lobo:
Die EU hat bisher nicht rausgefunden, wie Plattformen richtig reguliert werden können. Das ist eine Katastrophe. Wir brauchen eine neue Form von Plattformregulierung.
Denn:
Plattformen wie Google und Facebook funktionieren nach anderen Regeln als herkömmliche Unternehmen. Da kann man nicht mehr mit Instrumenten aus dem 19. Jahrhundert versuchen, den Markt wieder geradezubiegen. Wir müssen dringend herausfinden, wie das funktioniert.
Von der Idee einer Zerschlagung hält er dennoch nichts:
Zerschlagung ist aus meiner Sicht ein Möchtegern-Argument von denjenigen, denen auch der Kapitalismus insgesamt zu viel, zu anstrengend und zu komisch ist.
Dahinter stünde „die Schadenfreude, dass man den bösen Tech-Konzernen irgendwie einen reindrückt.“
Fazit: Wer heute Morgen nicht nur einen Gefühlsverstärker sucht, sondern eine Extra-Dosis Nachdenklichkeit, ist bei Sascha Lobo gut aufgehoben. Ausgerechnet der Experte für das Neue tut etwas sehr Altmodisches: Er denkt noch selber.
Der im Schlussakkord gescheiterte Afghanistan-Einsatz hat den deutschen Steuerzahler viel Geld gekostet: Die Bundesregierung beziffert die Ausgaben für die Laufzeit der 20-jährigen Besatzungszeit auf mehr als 17,3 Milliarden Euro.
Der größte Posten entfiel dabei auf das Militär. „Für die Beteiligung der Bundeswehr an den Einsätzen wurden von 2001 bis zum 31. August 2021 insgesamt rund 12,3 Milliarden Euro an einsatzbedingten Zusatzausgaben geleistet“, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion.
Eine Infografik mit dem Titel: Afghanistan: Die Kosten der Bundeswehr
Kosten für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan von 2001 bis 2020 pro Jahr, in Millionen Euro
Das Auswärtige Amt gab rund 2,48 Milliarden Euro für sogenannte projektbezogene Personal- und Sachkosten aus.
Das Entwicklungsministerium stellte binnen 20 Jahren rund 2,46 Milliarden Euro in Afghanistan zur Verfügung.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gab in zwei Jahrzehnten 33 Millionen Euro aus.
Zu den Ausgaben des BNDs in Afghanistan wurden hingegen keine Angaben gemacht, da sie als geheim eingestuft wurden.
Eine Infografik mit dem Titel: Dow Jones vs. Lockheed Martin
Kursverlauf der Aktie von Lockheed Martin und des Dow Jones seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes im Oktober 2001, indexiert in Prozent
Eine Infografik mit dem Titel: Dow Jones vs. Boeing
Kursverlauf der Boeing-Aktie und des Dow Jones seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes im Oktober 2001, indexiert in Prozent
Fazit: Die Freiheit wurde am Hindukusch letztlich nicht verteidigt. Das Geld ist dennoch weg. Die Politik der militärischen Interventionen hat vor allem den amerikanischen Rüstungskonzernen genutzt.
Der japanische Technologie-Investor Softbank zwingt die Aktie der Deutschen Telekom in den Sinkflug: Am vergangenen Handelstag haben die Wertpapiere des Bonner Unternehmens mehr als fünf Prozentpunkte eingebüßt. Grund dafür ist ein gemeinsames Kurssicherungsgeschäft mit der US-Investmentbank Goldman Sachs, in dessen Rahmen Terminkontrakte für 90 Millionen Telekom-Aktien im Wert von 1,54 Milliarden zum Kauf angeboten wurden.
Eine Infografik mit dem Titel: Telekom: Der Softbank-Rutsch
Kursverlauf der Aktie der Deutschen Telekom seit dem 29. September 2021, in Euro
Die Aktien sind Teil eines Deals zwischen der Deutschen Telekom und Softbank. Softbank reduzierte seine Anteile an Telekom-Tochter T-Mobile US, wodurch die Deutsche Telekom ihre Anteile an T-Mobile US wiederum aufstocken konnte. Im Gegenzug erhielt Softbank 225 Millionen Wertpapiere des Bonner Konzerns. Dadurch sind die Japaner mit 4,5 Prozent nach der staatseigenen KfW zum zweitgrößten Anteilseigner der Deutschen Telekom avanciert. Teil des Deals ist eine Verkaufsfrist bis Ende 2024.
Durch eine Vertragsklausel ist es Softbank jedoch erlaubt, die eigenen Telekom-Anteile als Sicherheit für Finanzierungsgeschäfte zu verwenden. Von dieser Klausel hat Softbank in dem gemeinsamen Geschäft mit Goldman Sachs Gebrauch gemacht.
© dpaHinweise auf eine Verstimmung zwischen Telekom-CEO Tim Höttges und Softbank-Boss Masayoshi Son gebe es nicht, sagt unsere Expertin an der Frankfurter Börse, Annette Weisbach:
Softbank hat nicht das Interesse an der Telekom verloren und die strategische Partnerschaft ist auch weiterhin intakt. Weder an der Anteilsstruktur noch an dem Commitment von Softbank, gemeinsame Projekte zu realisieren, hat sich etwas verändert.
Fazit: Dennoch war die Aktion nicht gekonnt. Die Abteilung Investor Relations der Telekom hat den Markt nicht vorbereitet, nur geschockt. Der Kleinanleger will seine Firma nicht lieben. Aber verstehen will er sie schon.
Für Bayer ist es ein Moment zum Aufatmen: In Los Angeles hat der Konzern erstmals einen juristischen Sieg in einem Glyphosat-Prozess eingefahren. Das dortige Gericht hatte entschieden, dass die Krebserkrankung eines minderjährigen Jungen nicht auf den Unkrautvernichter „Roundup“ zurückzuführen sei.
Der Unkrautvernichter enthält den umstrittenen Wirkstoff Glyphosat, der, laut Bayer, bei richtiger Anwendung sicher sei. Die Mutter von Ezra Clark hatte Mitte September Klage eingereicht und die Erkrankung ihres Sohnes am sogenannten Burkitt-Lymphom, einer seltenen und besonders aggressiven Krebsart, auf den Wirkstoff geschoben.
Der Konzern äußerte „großes Mitgefühl“ für die Angehörigen des Jungen, bekräftigte aber auch, dass die Geschworenen die „wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Fall sorgfältig abgewogen“ hätten und „Glyphosat nicht die Ursache der Krankheit“ sei.
Im VW-Werk in Wolfsburg regiert die Eile. Früher als geplant – so fordert es der Betriebsrat – soll das Stammwerk für die Energiewende umgerüstet und die neuen ID-Modelle vor Ort produziert werden. Derzeit werden vor allem die Verbrenner Golf und Tiguan gebaut, die Elektromodelle ID.3 und ID.4 kommen aus Zwickau.
Der Grund für die Eile: Das geschichtsträchtige Werk ist nicht ausgelastet und die Belegschaft wird unruhig. 2020 sei man auf weniger als eine halbe Millionen Fahrzeuge gekommen, dieses Jahr würden es nochmal weniger werden. Das wäre im zweiten Jahr in Folge ein in der Nachkriegszeit historisches Produktionstief.
Noch Mitte 2018 hatte man sich die Produktion von einer Million Fahrzeuge in Wolfsburg als Ziel gesetzt. Konzernbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo erklärt:
Auch bereinigt um die aktuellen Negativfaktoren Corona und Halbleitermangel sind wir von diesen gemeinsam verabredeten Plänen weit entfernt.
Erst für 2026 war der Produktionsstart eines neuen Elektro-Flaggschiffs in Wolfsburg vorgesehen. Die Betriebsräte wollen jetzt schon für 2024 ein E-Modell in ihr Stammwerk holen. Sie ahnen: Die Zukunft ist elektrisch oder gar nicht.
Ausgerechnet der seit längerem schon auf dem Wiener Zentralfriedhof begrabene Ludwig van Beethoven sorgt dieser Tage für Schlagzeilen – und das gleich doppelt. Zum einen geht es um Beethovens Herkunft. Um die ist eine Debatte entbrannt ist, weil Schlagersänger Roberto Blanco („Der Puppenspieler von Mexiko“) in einem Youtube-Video die Vermutung aufstellt, dass Beethoven dunkelhäutig gewesen sein könnte. Der Sänger fordert den Bürgermeister von Wien auf, Beethoven auszugraben und dann untersuchen zu lassen. Der Schlagersänger ist überzeugt:
Ich wette, dass Beethoven mir ähnlicher gesehen hat als Ihnen, Herr Bürgermeister!
Geht es nach Roberto Blanco sollten mittels eines Gen-Tests die afrikanischen Wurzeln des Jahrhundertgenies bestätigt werden. Viele zeitgenössische Porträts zeigen Beethoven nämlich auffällig braun- bzw. fast dunkelhäutig. Die Vorfahren von Beethoven stammen aus den Niederlanden und wegen der Kolonien in Übersee könnte es durchaus sein, dass der Komponist afrikanische Vorfahren hatte – obwohl er in Bonn geboren wurde.
© imagoMit seiner Vermutung steht Blanco nicht alleine da. „Es gibt mehrere Dokumente, die darauf hinweisen, dass er zu Lebzeiten dunkle Haut gehabt hatte, und sich deutlich von der Wiener Durchschnittsbevölkerung abhob“, sagte der Historiker und Genealoge Dr. Ralf Jahn dem „Stern“.
Was die Freunde von Beethoven mehr als dessen ohnehin verblichene Hautfarbe interessieren dürfte: Die zehnte Sinfonie des Genies wurde mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz vollendet. Ab dem 8. Oktober ist das Stück auf CD erhältlich, am 9. Oktober wird das Opus, das der Komponist vor seinem Tod nicht mehr vollenden konnte, in Bonn vom Beethoven-Orchester uraufgeführt.
© imagoAn dem doppelten Trubel um seine Person dürfte Beethoven Gefallen gefunden haben. Denn der Komponist war kein Meister der Bescheidenheit. Gegenüber dem Musik-Mäzen, Fürst Karl Lichnowsky, wurde er 1806 deutlicher als deutlich:
Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt's nur einen.
Fazit: Das war nicht taktvoll, aber faktisch richtig. Manchmal ist selbst die Wahrheit nicht politisch korrekt.
Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr