Laschet ante portas: sein Exit-Plan

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Guten Morgen,

der Opposition im Deutschen Bundestag sind die Füße eingeschlafen, was für Angela Merkel einen höchst praktischen Vorteil bietet. Die Bundeskanzlerin kann ihre Shutdown-Politik ohne Gemurmel durchsetzen.

Das Land begeht erstmals seit der Reichsgründung von 1871 das Osterfest unter Quarantäne; Gottesdienst, Cafébesuch und das Betreten von Spielplatz und Sportanlage sind bei Strafe verboten. Auch nach Ostern müssen die meisten Produktionsbetriebe und Einzelhandelsgeschäfte geschlossen bleiben. Angela Merkels Politik der Kontaktsperre besitzt bis heute kein Verfallsdatum. Das Licht am Ende des Tunnels hat sie bis heute nicht angezündet.

Letzteres ruft nun Armin Laschet auf den Plan. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, der sich CDU-intern um die Merkel-Nachfolge bewirbt, nutzt das Zögern der Kanzlerin für einen kalkulierten Anschlag auf ihre Autorität. „Denkverbote nützen niemandem“, sagt er im heutigen „Handelsblatt“.

Ob Armin Laschet die gewürfelten Fake-Zitate des Lasch-O-Mat wohl auch lustig findet? © dpa

Anders als Merkel, die am liebsten jetzt gar nicht über eine Wiedereröffnung der Volkswirtschaft sprechen möchte, auch um die Befolgung der eigenen Vorgaben nicht zu gefährden, zettelt Laschet genau diese Diskussion jetzt an:

► Angefeuert von seinem eigenen „Expertenrat Corona“ – dem der langjährige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo Di Fabio, Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft, die Unternehmerin Nicola Leibinger-Kammüller und Christiane Woopen, Humanmedizinerin und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates angehören – plädiert Laschet dafür, über eine Lockerung des Shutdowns genau jetzt nachzudenken.

► Im Gestus der Osterliturgie will er vor den Feiertagen ein Zeichen setzen: „Wir alle brauchen doch die Hoffnung und den Ausblick.“

Merkels Hinhaltetaktik hält er auch mit Blick auf die Wirtschaft, die mit Zielstrebigkeit in die größte Rezession der Nachkriegszeitzusteuert, für gefährlich:

Wir brauchen einen klaren Fahrplan, durch den das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder ins Laufen kommt.

► Laschet nennt konkrete Beispiele, an welchen Stellen wirtschaftliche Normalität zuerst zurückkehren sollte:

In den Bäckereien erleben wir bereits, wie das Geschäft mit den richtigen Abstandsregeln weiter betrieben werden kann. Warum soll das nicht für kleine Einzelhandelsgeschäfte insgesamt gelten?

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► Konkret denken Laschet und sein Rat an die vielen kleinen Restaurants und Cafés mit Außengastronomie. Durch strenge Vorschriften für Desinfektion und den richtigen Abstand zu den anderen Tischen glaubt man, das gesundheitliche Risiko minimieren zu können, ohne die wirtschaftliche Prosperität zu riskieren.

► In einem weiteren Schritt könnten auch Kitas und Schulen wieder öffnen, ihre Lehrzeiten auf vor- und nachmittags verteilen, um die Anzahl der Schüler in einem Raum zu reduzieren. Berufstätige Eltern sollen so ebenfalls wieder zur Normalität zurückkehren können.

► Auch für die Autoindustrie, dem Herzstück der hiesigen Industriegesellschaft, würde Laschet gerne die Verkaufsstellen öffnen, die zu einem riesigen Rückstau der Nachfrage und zur Verstopfung im Auslieferungslager geführt haben:

In Autohäusern gibt es normalerweise keine Massenaufläufe von Kunden. Hier könnte man auch unter Einhaltung der Abstandsregeln Kunden in die Geschäfte lassen.

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Es geht ihm nicht allein um den Autohandel, sondern um das Hochfahren der Automobilproduktion, die in Deutschland samt ihrer Zulieferbetriebe noch immer über 830.000 Menschen beschäftigt:

Wenn wir die Autohäuser wieder öffnen, ist das auch ein Anreiz für die Industrie, die Produktion wieder aufzunehmen.

Hendrik Streeck © dpa

In Laschets Anti-Merkel-Strategie spielt ein Mediziner eine ganz besondere Rolle: Es ist der Bonner Virologe Hendrik Streeck, ebenfalls Mitglied im „Expertenrat Corona“, der sich bewusst als Gegenspieler des von Merkel bevorzugten Robert-Koch-Instituts in Szene setzt.

Streeck untersucht derzeit im Auftrag der NRW-Landesregierung, wie sich das Coronavirus im besonders betroffenen Kreis Heinsbergausgebreitet hat. Heute um 10.30 Uhr wird er erste Zwischenergebnisse vorstellen.

Dabei wird Streeck keine Exitstrategie vorlegen, aber er wird mit seinen Forschungsergebnissen Hinweise für eine Öffnung geben, die wie ein Puzzleteil zur Laschet Strategie passen. Streeck liefert gewissermaßen die gesundheitspolitischen Vorprodukte, die der Kanzlerkandidat in spe dann in seiner Montagehalle zu einem Exit-Plan verschraubt. Zumindest diese Lieferkette steht.

Der Hintergrund für Laschets österliche Offensive ist keine medizinische, sondern eine politische Lagebeurteilung. Laschet glaubt – wie übrigens auch Gesundheitsminister Jens Spahn –, dass der Geduldsvorrat im Lande allmählich schwindet.

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Unter der Überschrift „Der Unmut wächst“ berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ heute Morgen von mittlerweile 80 Klagen gegen die diversen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen der Regierung. In dem Text der Zeitung heißt es:

Zudem ist es die Kleinlichkeit, welche die Menschen aufregt: In Berlin die verbotene Flucht aus der Enge der Stadt in die Zweitwohnung in Brandenburg, in Frankfurt das Verbot des Sonnenbadens im Park. Furore hat auch ein Tweet der Münchner Polizei gemacht: ,Nein, ein Buch auf einer Bank lesen ist nicht erlaubt.‘

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Laschet – der bislang nicht als politischer Hasardeur aufgefallen ist – weiß also Volkes Stimmung hinter sich. In etlichen Nachbarländern – das kommt für ihn dazu – zeichnet sich längst der Wechsel zu einer vorsichtigen Wiedereröffnung ab:

► Ab dem 14. April will Österreichs Kanzler Sebastian Kurz unter Achtung der Abstandsregelung zunächst kleine Geschäfte sowie Bau- und Gartenmärkte wieder öffnen. Ab dem 1. Mai ist die Öffnung aller Geschäfte, Einkaufszentren und Handwerksbetriebe geplant, etwa zwei Wochen später sollen auch Hotellerie und Gastronomie wieder anlaufen.

► In Tschechien werden sportliche Tätigkeiten wie Tennisspielen oder Golfen wieder erlaubt, Hobbyfach-, Baumärkte, Eisenwarenhandel und Fahrradwerkstätten dürfen ihren Betrieb wieder aufnehmen. Der von der Bevölkerung zu zahlende Preis ist bereits gelebte Praxis: Hygienemaßnahmen wie Abstands- und Desinfektionsregeln werden verschärft.

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Dänemark startet eine „erste vorsichtige Phase“ der Lockerung. Ab dem 15. April sollen Krippen und Kindergärten sowie Schulen bis zur fünften Klasse wieder öffnen.

Fazit: Die nur kurze Herrschaft der Virologen ist beendet. Es gilt wieder das Primat der Politik.

Der bisher schon fintenreiche Kampf um die Nachfolge im Bundeskanzleramt ist damit um eine Episode reicher. Armin Laschet ist nicht Merkels Verräter, wohl aber der ungläubige Thomas unter den Merkelianern. Als getreuer Gefolgsmann zog er mit ihr einst von Parteitag zu Parteitag, um ihr nun im Schlussakkord die letzte Ehrerbietung zu verweigern.

Merkels Verlangen nach alttestamentarischer Loyalität ( „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“) kann und darf Laschet jetzt nicht mehr befriedigen. Ihre Auferstehung würde das Ende seiner Ambition bedeuten. Er will jetzt nicht mit ihr ins Himmelreich, sondern an ihrer Stelle ins Bundeskanzleramt. Das erlösende Schlusswort seiner Kampagne lautet daher nicht „Amen“, sondern Exit.

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Die Ausbreitung des Coronavirus verschärft auch die Situation in den griechischen Flüchtlingslagern. Das überfüllte Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos hat sich zum Brennpunkt der politischen Diskussion entwickelt.

Dort sitzen 20.000 Flüchtlinge auf engstem Raum in einem Camp, das eigentlich für 3000 Menschen konzipiert ist. In dem Lager kommt ein Wasserhahn auf 1300 Personen, Seife zum Händewaschen ist nicht erhältlich, 170 Personen teilen sich laut Angaben der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ eine Toilette.

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Mittlerweile fordern nicht nur Ärzte eine sofortige Evakuierung des Lagers, auch Deutschlands Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) appelliert, die unzumutbaren Zustände in den Flüchtlingslagern auf Lesbos zu beenden. Über das Camp, das der Minister im Oktober 2018 besucht hatte, sagt er:

Es ist eine Schande! Solche Zustände gibt es in keinem Flüchtlingscamp in Afrika.

50 Kinder aus dem Lager sollen in der kommenden Woche in Deutschland ankommen. Ursprünglich hatte sich der Koalitionsausschuss darauf verständigt, 300 bis 450 Kinder aufzunehmen. Warum jetzt nur 50?

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Das hat meine neue Kollegin Alev Doğan den migrationspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, gefragt, der an der Entscheidung zur Aufnahme der Kinder mitgearbeitet hatte:

Auf einem langen Weg muss man den ersten Schritt gehen, und den gehen wir jetzt mit diesen 50. Und bei mir überwiegt tatsächlich eher die Erleichterung, dass wir es vor Ostern noch geschafft haben, zu dieser Entscheidung zu kommen.

Wir müssen weiter daran arbeiten, diese Lager zu evakuieren und dort für ordentliche, menschenrechtlich anständige Bedingungen zu sorgen. Und ich kann Ihnen nicht sagen, ob ich hoffe, dass es in einem Monat abgeschlossen ist, denn ich bin der Auffassung, dass das schon vor zwei Monaten alles hätte erledigt sein müssen, wenn man sich die Dringlichkeit der Lage vor Augen führt.

Alev Doğan ist seit 1. April als Chefreporterin in unserem Team. Zuvor war sie Politikredakteurin der „Rheinischen Post“. Ihr Interview im heutigen Morning Briefing ist gewissermaßen Ihr Willkommensgruß. Wir grüßen freudig zurück: Willkommen an Bord, gutes Gelingen Alev!

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Bernie Sanders steigt aus dem Präsidentschaftsrennen der US-Demokraten aus – einen Tag nach der jüngsten Vorwahl im US-Bundesstaat Wisconsin. Der linke Senator macht damit den Weg frei für eine Kandidatur von Ex-Vizepräsident Joe Biden.

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Sanders sagte in einer Live-Schalte vor seinen Anhängern, es sei eine „schwierige und schmerzhafte“ Entscheidung gewesen:

Wenn ich glauben würde, wir hätten einen machbaren Weg zur Nominierung, würde ich die Kampagne sicherlich fortsetzen, aber dieser ist einfach nicht da.

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Erstens: Die „Opec+“-Runde will über die aktuell schwierige Lage auf dem Energie- und Ölmarkt beraten. Das Treffen findet in Form einer Videokonferenz statt. Ziel des Treffens ist die Stabilisierung des zuletzt stark schwankenden Ölpreises.

Zweitens: Die Finanzminister der Eurogruppe und der übrigen EU-Staaten haben sich am Mittwoch noch nicht auf ein milliardenschweres europäisches Rettungspaket für angeschlagene Staaten, Unternehmen und Arbeitnehmer in der Corona-Krise einigen können. Heute wird weiter verhandelt.

Drittens: Das Statistische Bundesamt stellt heute die Exportzahlenfür den Februar vor.

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Viertens: Inmitten der aktuellen Gesundheitskrise werden heute erste Erntehelfer nach Deutschland eingeflogen. Es kommen Arbeiter mit Sonderflügen der Lufthansa-Tochter Eurowings – bislang sind zwei Landungen am Flughafen Düsseldorf sowie eine am Flughafen Berlin-Schönefeld bestätigt. Die Helfer werden unter anderem dringend für die Spargelernte gebraucht.

Fünftens: Begleitet von strengen Schutzmaßnahmen starten heute um 10.05 Uhr drei Raumfahrer zur Internationalen Raumstation ISS. Die Sojus-Rakete mit dem Nasa-Astronauten Christopher Cassidy sowie den beiden Russen Anatoli Iwanischin und Iwan Wagner an Bord soll vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan abheben.

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In der neuen Folge unseres Podcast-Zyklus „Der achte Tag“ spricht zu uns Matthias Politycki. Für den Schriftsteller, der gerade erst einen neuen Roman („Das kann uns keiner nehmen“) vorgelegt hat, enthüllt Corona eine Krise hinter der Krise:

Die Generalkrise der westlichen Gesellschaften besteht in ihrem entfesselten Individualismus oder noch schlimmer in ihrem entfesselten Egoismus.

Sein Wunsch:

Vielleicht erwächst in dieser Zeit ein neues Verständnis von Verantwortung.

Hören Sie diese kritische Stimme eines Kosmopoliten – direkt auf unserer Homepage , bei Spotify und Deezer sowie bei Apple Podcasts .

Im Morning Briefing Podcast begrüßt Sie in dieser Woche meine Kollegin Chelsea Spieker. Heute geht es um folgende Themen:

► Gute Nachrichten aus dem Corona-Hotspot Heinsberg: Die Zahl der Neuinfektionen scheint zu sinken. Wir sprechen mit dem CDU-Bundestagsabgeordneten Wilfried Oellers über seine Heimat.

► Unsere Börsenreporterin in New York Sophie Schimansky schaut auf eine Branche, die gerade in der aktuellen Krise floriert: die Gaming-Industrie.

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in diese österlichen Tage. Möge im Laufe des heutigen Gründonnerstags die Gelassenheit Einzug in unser Leben halten. Auf die Wiederauferstehung, auch die der Zuversicht, müssen wir noch ein paar Tage warten.

Herzlich grüßt Sie Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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