die Kritik an Banalisierung und Polarisierung der Medien trifft immer nur die Algorithmen von Mark Zuckerberg, aber nie die Voreinstellungen in unserem eigenen Kopf. Dabei braucht der deutsche Journalismus keine Künstliche Intelligenz, um Kritik in Wut und Wut in noch mehr Wut zu verwandeln. Wir haben ja uns selbst.
Die Latte für einen Journalismus, der sich als vierte Gewalt versteht, liegt hoch – so hoch, dass viele Journalisten mühelos darunter herstolzieren. Im Umgang mit dem strauchelnden Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet feiern etliche Zeitungen und Radiosender ein Festival der Niedertracht.
Der Mann, dessen rheinische Frohnatur eben noch gefiel und dessen Fähigkeit zum Bau politischer Brücken gestern noch begrüßt wurde, ist durchgefallen. Seit dem Wahlsonntag wird nachgetreten.
Auch der „Spiegel“, der für jede Minderheit eine erhöhte Sprachsensibilität einfordert, zeigt im Umgang mit der kleinsten Minderheit im Lande, der Gruppe der gescheiterten Kanzlerkandidaten, eine erhöhte Gnadenlosigkeit. Als AfD-Mann Alexander Gauland einst empfahl, die Integrationsbeauftragte der Regierung, Aydan Özoguz, in Anatolien zu „entsorgen“, nannte der „Spiegel“ das – zurecht – eine „unsägliche Attacke“, weil hier eine Politikerin „entmenschlicht“ werde.
© dpaIm Fall Laschet ist diese Entmenschlichung aus „Spiegel“-Sicht nicht nur erlaubt, sondern geboten. Wenn nicht noch ein Wunder geschehe, schreibt das Magazin, werde „der Pattex-CDU-Vorsitzende Armin Laschet von den eigenen Leuten entsorgt“. Die „NZZ“, die große bürgerliche Tageszeitung aus der Schweiz, stört sich an dieser Doppelmoral. Das Blatt flüchtet in die Ironie:
Würde man die Spiegel-Redaktion zu der Wortwahl befragen, müsste man sich vermutlich auf eine längere Erörterung über die Unterschiede zwischen der Entsorgung von Politikern mit und ohne Migrationshintergrund einstellen.
Aber es ist ja eben nicht der „Spiegel“ allein:
Die „Süddeutsche Zeitung“ will bei Armin Laschet einen „Mangel an Selbstachtung“ beobachtet haben, nur weil der Mann dem redaktionellen Rat zum sofortigen Rücktritt nicht gefolgt ist.
„Wird außer der Kritik, dem Spott, mit dem er überzogen wird, irgendetwas von ihm bleiben?”, fragt scheinheilig die „FAZ“. „Klein, dick – und Meister der Nullsätze“ schlagzeilt „Cicero“.
Für die „Rheinische Post“ hat Laschet „jedes Vertrauen verspielt“, weshalb die „Zeit“ ihm rät:
Ist gut jetzt.
Ausgerechnet jene Medien, die sonst gegen die polarisierte Gesellschaft anschreiben und die Existenz der mit Hass gefüllten Filterblasen beklagen, nehmen sich offenbar am Blogger Rezo ein Vorbild. Der hatte schon im Wahlkampf unterhalb der Gürtellinie gegen Armin Laschet ausgeteilt:
© dpaDer will Kanzler werden. Das tut körperlich weh, wie dumm das ist.
Nach dem Wahlabend dann entzog der „Stern“ dem CDU-Politiker gewissermaßen die bürgerlichen Anstandsrechte und duzte ihn einen ganzen Artikel lang:
Lieber Armin, liebe CDU/CSU, noch nie in meinem Leben habe ich euch gewählt (und werde es wohl auch nie tun), dennoch habe ich eine große Bitte: Geht. Bitte. Lasst uns und dieses Land endlich frei.
Und weil Laschet auch diesem Rat nicht folgte und stattdessen die Chancen einer Jamaika-Koalition sondiert, wurde der „Stern“ drastisch:
Mehr Erniedrigung ging wirklich nicht, warum tust du dir so etwas an?
Diese Raserei gegenüber einem Politiker, dessen größter Makel darin besteht, eine Wahl verloren zu haben, wirft kein gutes Licht auf unseren Berufsstand. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen spricht vom Stichflammen-Spektakel als Teil einer medialen Erregungsindustrie. Die Sucht nach dem schnellen Klick ist keine Besonderheit amerikanischer Internet-Plattformen. Wenn in diesen Tagen ein Finger auf Facebook zeigt, zeigen drei auf uns zurück.
© dpaFazit: Der gute Journalist kritisiert, aber er hasst nicht. Er will verbessern, nicht vernichten. Er sei klug und scharf, aber eben nicht gnadenlos. Seine Waffe soll die Feder sein, nicht das Feuerzeug. Der Stichflammen-Journalismus könnte am Ende vieles in Brand setzen, auch die bürgerliche Gesellschaft wie sie einmal war.
Auch die Welt der Finanzen differenziert sich immer stärker aus. Neben die klassischen Banken sind die Investmentbanken der Wall Street getreten. Und neben denen machen zusehends Private-Equity-Firmen von sich reden. Die leben nicht allein vom Kaufen und Verkaufen der Firmenanteile, sondern in der Hauptsache davon, dass sie die Firmen zwischen Kauf und Verkauf veredeln.
Wie ein Immobilien-Developer entwickeln sie Firmen, schleifen das Geschäftsmodell, organisieren Synergien zu anderen Unternehmen und helfen bei der Besetzung des Managements. Der Mehrwert, der aus dieser Veredelungsarbeit entsteht, erhöht ihren Profit.
Warburg Pincus ist mit einem gemanagten Vermögenswert von 64 Milliarden US-Dollar weltweit eine der größten Firmen der Branche. Der Deutschland-Chef der Firma heißt René Obermann und war einst Telekom-Vorstandsvorsitzender. Heute dient er bei Airbus als Chef des Aufsichtsrates. Der internationale Vorstandsvorsitzende von Warburg Pincus ist Chip Kaye, ein gebürtiger Texaner. Er hat einst in Hongkong gelebt und gearbeitet und ist Partner der Firma, der er seit 1986 angehört. Der Chef des Aufsichtsrates ist der ehemalige Finanzminister der USA, Timothy Geithner.
© dpaZusammen mit René Obermann hat uns Chip Kaye auf der PioneerOne besucht. Gemeinsam mit meiner Kollegin Chelsea Spieker haben wir über das Geschäft der Private-Equity-Industrie und die Wachstumschancen in Asien gesprochen. Das gesamte, knapp 40-minütige Interview mit Chip Kaye hören Sie ab Samstag auf ThePioneer.de oder in unserer Podcast-App. Wichtige Ausschnitte gibt es vorab im Morning Briefing-Podcast:
Was sind für Kaye die wichtigsten Zutaten für ein gutes Investment? Er sagt:
Das wichtigste Credo lautet: ‚Das Wer ist wichtiger als das Was‘. Wir können eine Reihe von Fähigkeiten, Beziehungen und Ressourcen mitbringen, aber mit wem wir eine Partnerschaft eingehen, ist die wichtigste Entscheidung, die wir treffen.
Die chinakritische und in Teilen auch chinafeindliche Politik der US-Regierung empfindet er als wenig hilfreich:
China ist historisch betrachtet eine der spektakulärsten Wirtschaftsgeschichten. Wir sollten alle mehr an Chinas Erfolg interessiert sein, als über Chinas Untergang nachzudenken.
Von der Idee des Decoupling, also der Trennung der Wirtschaftskreisläufe zwischen „dem Westen“ und der Volksrepublik, hält er nicht viel:
© Anne HufnaglDer Grad der wechselseitigen, auch wirtschaftlichen Abhängigkeit zwischen den beiden Ländern ist beachtlich. Daher halte ich den Vergleich mit der Entkopplung im Kalten Krieg nicht für richtig.
Für ihn ist Asien noch immer und für sehr lange Zeit „the place to be“:
Der Hauptgrund, warum ich in diese Märkte investieren sollte, ist das Wachstum. Die Hälfte des weltweiten Wachstums in den letzten zehn Jahren fand in den asiatischen Schwellenländern statt. Das ist es, was die Welt angetrieben hat.
Fazit: Wer die globale Welt des privaten Investments verstehen will, sollte Chip Kaye zuhören. Er versteht die Märkte nicht nur. Er fühlt sie.
Gestern haben CDU und Grüne Sondierungsgespräche geführt. Laut Armin Laschet habe es einen „guten Austausch“ zwischen beiden Parteien gegeben. Über eine mögliche Jamaika-Koalition sagte der CDU-Chef:
Wir glauben, dass ein solches Bündnis eine Breite in der Gesellschaft hat.
Annalena Baerbock bewertete die Gespräche zwischen ihrer Partei und der CDU als „konstruktiv und sachlich.“ Die Grünen kündigten im Anschluss interne Beratungen an.
Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und n-tv keine Jamaika-Koalition. 74 Prozent der 3.000 Befragten raten der CDU zum Gang in die Opposition. Unter den Unionsanhängern sprachen sich 52 Prozent für das Viererbündnis aus CDU, CSU, Grünen und FDP aus.
Laut der gleichen Umfrage votierten 53 Prozent der Befragten für eine Ampelkoalition. Während 52 Prozent für Olaf Scholz als Kanzler stimmten, empfahlen 80 Prozent dem derzeitigen CDU-Chef Laschet, seinen Vorsitz niederzulegen.
Armin Laschet zieht sich aus der NRW-Landespolitik zurück: Hendrik Wüst soll den CDU-Chef als Ministerpräsidenten und Landesvorsitzenden beerben. Laschet schlug gestern Abend dem CDU-Landesvorstand den amtierenden Verkehrsminister als seinen Nachfolger vor. Wüst muss sich nun am 23. Oktober zum Chef der nordrhein-westfälischen CDU und im Anschluss vom Landtag zum Ministerpräsidenten wählen lassen.
Wüst wurde im Jahr 2005 erstmalig in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, im darauffolgenden Jahr stieg er zum Generalsekretär der NRW-CDU auf. Dieses Amt gab der Jurist vier Jahre später allerdings wieder auf, nachdem bekannt geworden war, dass die NRW-CDU ihren Sponsoren angeboten hatte, gegen Geld exklusive Gespräche mit dem Regierungschef oder seinen Ministern zu vermitteln.
© dpaDoch die sogenannte „Sponsoring-Affäre“ führte nicht zum Karriere-Ende. 2017 berief Ministerpräsident Laschet den Ex-Generalsekretär als Verkehrsminister in sein Landeskabinett. Dabei gilt Wüst keineswegs als Laschet-Vertrauter.
Im Portrait von Chefredakteur Michael Bröcker auf ThePioneer.de heißt es über ihn:
Laschet und Wüst? Das waren in der NRW-CDU bisher die Antipoden eines heterogenen und früher oft zerstrittenen Landesverbands. Hier der liberale Rheinländer und Ex-Integrationsminister. Dort der konservative Westfale und Ex-Generalsekretär, der gerne rhetorisch zupackt und keine handfeste Pointe liegen lässt.
Das ganze Portrait finden Sie hier.
Für Mark Zuckerberg war es bisher schon eine schreckliche Woche – und der amerikanische Mittwoch beginnt erst. Der Social-Media-König von Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. musste in den vergangenen Tagen gleich mehrere Tiefschläge wegstecken.
Die ehemalige Mitarbeiterin Frances Haugen wirft dem Konzern vor, Profite über das Wohlergehen der eigenen Nutzer zu stellen und bekräftigte ihre Aussagen gestern vor dem Handelsausschuss des Senats. Senator Richard Blumenthal von den Demokraten bezeichnete das Unternehmen danach als „moralisch bankrott“.
Am Montag waren dann die Dienste der Facebook-Produktfamilie – mit insgesamt gut 2,8 Milliarden Nutzern – rund sechs Stunden offline. Der Grund waren technische Probleme im Netzwerkverkehr zwischen den verschiedenen Facebook-Rechenzentren. Ein Team aus Technikern musste persönlich in eines der Rechenzentren fahren und dort den Reset-Knopf drücken.
Eine Infografik mit dem Titel: Facebook: Milliarden ohne Anschluss
Täglich aktive Nutzer der Facebook-Produktfamilie (Facebook, Instagram, WhatsApp oder Messenger), in Milliarden
Technische und moralische Probleme haben bei einer Firma immer auch ökonomische Auswirkungen: Die Facebook-Aktie verlor während des Ausfalls am Montag rund fünf Prozent – und Mark Zuckerberg damit gut sechs Milliarden Dollar. Der Facebook-Chef steht mit einem Privatvermögen von 119,6 Milliarden Dollar inzwischen nur noch auf Platz sechs der „Forbes“-Liste der reichsten Menschen.
In Amerika sind der Kapitalmarkt und die Altersvorsorge eng miteinander verwoben. Im Tech-Briefing begründen Christoph Keese und Lena Waltle, warum die US-Behörden die Marktdominanz ihrer BigTechs nicht brechen können – ohne die Altersbezüge von Millionen Amerikanern zu gefährden. Neugierige Pioneers abonnieren den Newsletter hier. Und zwar kostenlos.
Deutsche Immobilienkonzerne sind für viele ein Feindbild: Das Geld hart schuftender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fließt in die Kassen der gierigen Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia, die Milliardengewinne machen. Deren Eigentümer kommen vor Lachen kaum in den Schlaf. So der Verdacht.
© dpaIn China wäre die KP froh, wenn Evergrande ein derart florierendes Immobilienunternehmen wäre. Der wackelige Immobilienkonzern besitzt knapp 1,6 Millionen Wohnungen und verfügt über 565 Millionen Quadratmeter – mehr als die Hälfte der Fläche von Berlin – an Bauland. In 22 Städten ist das zweitgrößte Unternehmen der Volksrepublik aktiv. Zum Vergleich: Die Deutsche Wohnen besitzt rund 155.400 Wohnungen und 2.900 Gewerbeimmobilien.
© imagoDoch die futuristisch anmutenden Neubauprojekte symbolisieren Glanz und Elend des chinesischen Aufstiegs. Evergrande investierte neben Wohnbauprojekten auch in E-Autos, Freizeitparks und ist Besitzer des amtierenden chinesischen Fußballmeisters, Guangzhou Evergrande FC. Diesem spendiert das Unternehmen das weltgrößte Fußballstadion in Form einer Lotusblüte, das Ende 2022 fertiggestellt werden soll. Kostenpunkt: 1,7 Milliarden US-Dollar.
© sport1Doch Evergrande ist nach Jahren des Superwachstums mit über 300 Milliarden Dollar verschuldet und besitzt daher den fragwürdigen Titel des am höchsten verschuldeten Immobilienunternehmens der Welt. Und das in einer Zeit, in der die Nachfrage nach Immobilien in China abzuflachen beginnt.
Die chinesische KP und der globale Finanzmarkt schauen besorgt auf die Wackelpartie auf dem Immobilienmarkt. Bis auf Weiteres gilt: Vorsicht Einsturzgefahr. Der Chef des Immobilienkonzerns Hui Ka Yan versucht zu beschwichtigen:
© dpaIch bin fest davon überzeugt, dass Evergrande mit Ihrem Einsatz und Ihrer harten Arbeit aus seinem dunkelsten Moment herauskommen wird.
Belege für diesen Optimismus nennt er nicht. Auch die KP konnte er bisher nicht überzeugen. Der Handel mit der Aktie wurde vorsorglich ausgesetzt. Der Spötter Woody Allen kommt einem in den Sinn:
Männer sind Geschöpfe, die wie Sparbüchsen den größten Lärm machen, wenn am wenigsten in ihnen steckt.
Ich wünsche Ihnen einen herzhaften Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr