Machtpoker in der Union

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Guten Morgen,

in der deutschen Hauptstadt ist einer jener magischen Momente der Politik zu beobachten, die physikalisch nicht zu erklären sind. Mit dem Sieg der SPD-Linken bei der Mitgliederbefragung wurden – wie von Geisterhand – auch die Karten der Unionsspitze neu gemischt.

Das Blatt von Angela Merkel hat an Wert verloren. Sie ist noch immer das Ass ihrer Partei und damit die wertvollste Karte im Spiel der Konservativen. Aber ihre Autorität hat gelitten. Ihr Stellvertreter, der sozialdemokratische Vizekanzler, wurde von den eigenen Anhängern zur Lusche erklärt. Olaf Scholz sticht nicht mehr. Sie wird ihn bald ablegen müssen.

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Annegret Kramp-Karrenbauer hat noch immer kein großartiges, aber zumindest ein besseres Blatt als vorher auf der Hand. Sie ist die Frau, auf die es jetzt ankommt. Sie muss in den nächsten Wochen hart spielen – notfalls auch gegen die Kanzlerin. Keine Nachverhandlungen. Keine Kompromisse. Und im Fall der Fälle auch das: keine Fortsetzung der Großen Koalition.

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Friedrich Merz ist der Herz-Bube im Spiel, zumindest für die Traditionsbataillone der Union. Ob er zum Einsatz kommt – etwa als Finanzminister einer CDU-geführten Minderheitsregierung – entscheiden andere. Solange bleibt seine Karte in der Hinterhand.

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Armin Laschet ist König oder zumindest Königsmacher. Der einflussreiche NRW-Ministerpräsident und CDU-Landeschef stellt auf jedem Parteitag fast ein Drittel der Delegierten und wird diesen Trumpf früher oder später auch ausspielen. Allerdings sei vor Übermut gewarnt: Aus eigener Kraft kann er das Spiel beeinflussen, aber nicht gewinnen.

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Für Jens Spahn kommt diese Partie zu früh. Sein Doppelspiel – tagsüber Merkels Minister, abends AKKs Rivale – ist riskant und braucht dringend mächtige Mitspieler. Er hat zwar die Junge Union und die Mittelstandsunion auf seiner Seite, was aber im besten Falle für den Fraktionsvorsitz reicht. In der Kanzlerfrage darf er nicht überreizen. Sonst ist er raus.

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Der Joker im Spiel heißt Markus Söder. Die neu gewonnene Popularität des Ministerpräsidenten ist groß, aber ist sie wirklich groß genug? Erst wenn es zum Patt kommt, beispielsweise weil die anderen sich gegenseitig blockieren, gewinnt die bayerische Karte an Bedeutung. Womöglich wird sie erst in der nächsten Runde ausgespielt.

Fazit: Der Machtpoker in der Union hat begonnen, wenn auch nach höchst eigenwilligen Regeln. Das Publikum denkt: Die Kontrahenten belauern sich. Doch die Wahrheit ist: Sie tauschen unterm Tisch die Karten.

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Alle sprechen über den Koalitionsvertrag, der nicht nachverhandelt werden dürfe. Kevin Kühnert hat ihn gelesen. Er sagt:

Im Koalitionsvertrag steht eine spannende, dreizeilige Passage, in der steht: Wir werden eine Halbzeitbilanz ziehen, und wenn sich die Rahmenbedingungen verändern, muss es die Möglichkeit geben, neue Verabredungen zu treffen.

Und tatsächlich! Auf Seite 18 heißt es:

Zur Mitte der Wahlperiode Bestandsaufnahme des Koalitionsvertrages und Entscheidung, welche neuen Vorhaben vereinbart werden müssen.

Die Mitte der Wahlperiode ist genau jetzt erreicht. Und die neuen Vorhaben der SPD stehen auch schon fest: ein wuchtiges Investitionsprogramm, neue Schulden und ein Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro.

Doch nirgendwo steht, dass die Union diese Forderungen erfüllen muss. Alles kann, nichts muss. Die Union ist, auch wenn einige das anders sehen, die Partnerin der SPD, nicht ihre Gespielin.

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Die Mühlen der Gerichte in Griechenland mahlen in Zeitlupe. In einer rund 20 Jahre zurückliegenden Schmiergeldaffäre hat ein Athener Gericht frühere Manager von Siemens nun zu hohen Haftstrafen verurteilt – darunter befindet sich auch der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer.

Zehn der ursprünglich 63 Mitbeschuldigten sind bereits tot, was wahrscheinlich die eleganteste Art war, sich der Justiz zu entziehen. Der 78-jährige von Pierer hat sich für die klassische Variante entschieden – und kündigte gestern an, Berufung einzulegen.

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Mit seiner Bereitschaft, Geld in Deutschland zu investieren, schwimmt Tesla-Chef Elon Musk gegen den Strom. Laut einer Befragung von 100 US-Unternehmen durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG verliert unser Land an Attraktivität:

► Gaben 2017 noch 47 Prozent der US-Firmen an, in den kommenden drei Jahren mindestens zehn Millionen Euro in Deutschland investieren zu wollen, bestätigten diese Absicht jetzt nur noch 24 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Investitionsbereitschaft sinkt

Zusage von US-Unternehmen, in den kommenden drei Jahren mehr als zehn Millionen Euro investieren zu wollen, in Prozent

► Für jedes zweite US-Unternehmen bewegt sich Deutschland mit seinen Steuern und Abgaben im EU-Vergleich im Mittelfeld, 21 Prozent sehen Deutschland auf den hinteren fünf oder sogar auf dem letzten Platz.

► Hinsichtlich der Infrastruktur äußern sich 60 Prozent der befragten Unternehmen zufrieden – vor zwei Jahren waren es noch 72 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Amerikas Big Player in Deutschland

Die zehn umsatzstärksten US-Unternehmen in Deutschland im Jahr 2018, in Milliarden Euro

Fazit: Die befragten Manager sind nicht links und nicht rechts, nur realistisch. Der Parteienstaat, der für die Investitionsbedingungen hierzulande zuständig ist, sollte diese Abstimmung ernstnehmen. Zumal es sich auch um eine Abstimmung mit den Füßen handelt.

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Bei dem heute beginnenden Nato-Gipfel in London geht es auch um die Kriegsführung der Zukunft, also die Furcht vor einem Angriff aus dem Netz. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies bereits auf die große Gefahr durch solche Attacken für die Energieversorgung, den Finanzsektor und demokratische Institutionen hin:

Sie können so viel Schaden anrichten und Menschenleben kosten wie andere Angriffe.

Eine Folge: Das Verteidigungsbündnis beschloss, dass auch Cyberattacken den Bündnisfall auslösen können. Über solche Attacken spreche ich im Morning Briefing Podcast mit Prof. Dr. Christoph Meinel, einem der führenden Experten des Landes. Der wissenschaftliche Direktor und Geschäftsführer des Hasso-Plattner-Instituts sagt:

Um die Stromversorgung oder die Gasversorgung zu kappen, reichen heute Cybersecurity-Angriffe über die Computersysteme. Da braucht man keinen Waffeneinsatz und keine Armee hinschicken.

Solche Angriffe kann man auch hybrid ausführen: Zunächst gibt es einen Terroranschlag, dann legt man die Kommunikationsinfrastruktur lahm. Es gibt dann keine Hilfe – und das erzeugt das größte Chaos, das man sich vorstellen kann.

Die Staaten sind in dieser digitalen Welt gar nicht mehr die Souveräne.

Fazit: Die Nato hat in den nächsten Tagen die Chance zu beweisen, dass sie nicht hirntot, sondern lebendig ist. Apropos hirntot: Der französische Präsident bekam heute Nacht die Quittung für seine vorwitzige Bemerkung über den Zustand der Nato. Die US-Regierung kündigte einen erhöhten Zoll auf französische Produkte wie Champagner an. Trump beherrscht die asymmetrische Kriegsführung - notfalls auch innerhalb der Nato.

Das Bundesfamilienministerium hat erst kürzlich die jährliche Studie zur Partnerschaftsgewalt vorgelegt. Demnach wurden allein im vergangenen Jahr 114.000 Frauen Opfer einer von ihrem Partner oder ihrem Ex-Partner ausgeübten Gewalt.

Die im engsten persönlichen Umfeld begangenen Straftaten reichen von sexueller Nötigung über Vergewaltigung bis zum Mord. Doch so präzise die Studie die Zahl der Gewalttaten beschreibt, so unscharf wird das Zahlenwerk, wenn es um kulturelle, religiöse oder ethnische Hintergründe geht. Das kritisiert die in Istanbul geborene Publizistin und Frauenrechtlerin Necla Kelek.

Ein Drittel der männlichen Täter besitzt keine deutsche Staatsangehörigkeit, was bei einem Ausländeranteil von zwölf Prozent in Deutschland ein überproportionaler Anteil ausländischer Täter wäre. Im Morning Briefing Podcast erklärt die in Hamburg promovierte Soziologin (Doktorarbeit: „Islam im Alltag“), die von sich selbst sagt, „muslimisch sozialisiert, aber nicht religiös“ zu sein, meinem Kollegen Michael Bröcker den Zusammenhang. Mit den Flüchtlingsströmen habe man Gewaltbereitschaft „importiert“, so Kelek. Ihre Schlussfolgerung:

Unsere Gesellschaft muss begreifen: Der Islam ist nicht einfach eine spirituelle Religion, gleichgesetzt mit der katholischen oder evangelischen Kirche, sondern der Islam kann als ein Gesellschaftssystem gelebt werden. Das müssen wir unbedingt verhindern.

Warum steigen die Zahlen seit 2015, seitdem wir eine sehr, sehr große Gruppe geflüchteter Menschen, beispielsweise aus dem Orient und aus Nordafrika haben. Diese Zusammenhänge werden überhaupt nicht hergestellt.

Derweil die Familienministerin bei der Vorstellung der Studie den politisch korrekten Satz sprach, Partnerschaftsgewalt komme in allen sozialen Schichten und allen ethnischen Gruppen vor, wird diese Soziologin deutlicher. Ihre Stimme verdient es, gehört zu werden. Sie ist so politisch unkorrekt wie die Wirklichkeit.

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Der Name der Gruppe „World War Zero“ ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Da die demokratischen Präsidentschaftsbewerber kaum an die Popularitätswerte von Donald Trump heranreichen, versucht jetzt ein prominentes Bündnis aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft, den Zeitgeist gegen den Präsidenten zu mobilisieren.

Der ehemalige demokratische Außenminister John Kerry hatte die Idee, für die er Ex-Präsident Bill Clinton, den republikanischen Ex-Finanzminister Henry Paulson, die Obama-Beraterin Susan Rice, Schauspieler Leonardo DiCaprio und Arnold Schwarzenegger sowie den Musiker Sting gewinnen konnte. Die „World War Zero“-Initiatoren scheuen nicht den großen Vergleich:

Wir vereinen unwahrscheinliche Verbündete mit einer gemeinsamen Mission: Beenden wir die Klimakrise mit derselben Mobilisierung, die uns auch geholfen hat, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.

Die nur notdürftig als Anti-Trump-Initiative getarnte Truppe will in den Vorwahlkampf der Parteien eingreifen. Heute nennt man solche Initiativen NGO, früher Vorfeldorganisation. Es gilt das subversive Motto: Wenn man schon die Erderwärmung nicht verhindern kann, dann wenigstens eine zweite Amtszeit von Donald Trump.

Ich wünsche Ihnen einen beschwingten Start in den neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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