Marktwirtschaft a. D.

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 © The Pioneer

Guten Morgen,

in diesem Wahlkampf hat man das Gefühl, Deutschland möchte nicht nur aus der Kohle, sondern auch aus der Marktwirtschaft aussteigen. Vater Staat dringt mit forschem Schritt in immer neue Lebensbereiche vor. Der freie Markt, jener magische Ort, an dem Angebot und Nachfrage zum beiderseitigen Nutzen zueinander finden sollen, wird nicht länger als magisch empfunden, sondern als teuflisch.

Die Freunde der Marktwirtschaft sind nicht nur in die Defensive, sie sind in einen moralischen Hinterhalt geraten. Selbst in den feinen Salons des städtischen Bürgertums fällt es vielen leichter, Che Guevara oder Karl Marx zu zitieren als Ludwig Erhard.

Ludwig Erhard © imago

1. Die hohen Mieten in den Innenstädten werden von vielen nicht länger als Preissignal akzeptiert, das aus der Knappheit von Neubauprojekten resultiert, sondern werden als Gier der Vermieter interpretiert. Abhilfe wäre durch neue Erschließungsflächen, Eigenheimförderung und eine bauliche Verdichtung in den Innenstädten marktwirtschaftlich leicht zu organisieren. Aber noch leichter scheint es, die Besitzer von Immobilien als neue Volksfeinde zu diffamieren.

Kevin Kühnert, mittlerweile SPD-Vize:

Ich finde nicht, dass es ein legitimes Geschäftsmodell ist, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Konsequent zu Ende gedacht sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.

Eine Infografik mit dem Titel: Die Mietenexplosion

Entwicklung des Mietpreisindex für Deutschland seit 1995, 2015 = Index 100

Eine Infografik mit dem Titel: Die Neubaulücke

Anzahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden in Deutschland

2. In der Energiepolitik hat parteiübergreifend der Plankommissar das Regiment übernommen. Er selbst sieht sich als Weltenretter. Durch gesetzliche Vorgaben will er die energetische Grundlage von Europas größter Volkswirtschaft umbauen. Privathäuser und Industrie betrachtet er als eine Art ökologische Musterhaussiedlung.

Eine Abschätzung der sozialen Folgen fehlt bis heute, die Gefahren einer beschleunigten Deindustrialisierung werden mutwillig in Kauf genommen. Das neue Gravitationszentrum entsteht derzeit in Asien.

Eine Infografik mit dem Titel: Hitparade der Klimasünder

Die acht größten CO2-emittierenden Länder nach Anteil an weltweiten CO2-Emissionen sowie der Rest der Welt 2019, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Kohle: China vorn

Anteil der führenden Länder an der weltweiten Kohleförderung im Jahr 2020, in Prozent

3. Die brutale Gehaltsspreizung auf dem Arbeitsmarkt wird mittlerweile nicht mehr als Alarmsignal einer fehlgeschlagenen Bildungspolitik interpretiert, sondern als Aufforderung an den Sozialstaat zur Ausgleichszahlung. Der prekär Beschäftigte soll nicht durch Qualifikation, Bildung und eigene Anstrengung aus der Lohnfalle befreit werden. Er soll abgefunden werden. Man will ihn nicht mehr fordern und fördern, wie einst unter Agenda-Kanzler Schröder, man will ihn mit einer Extradosis Steuerzahlergeld narkotisieren.

4. Der Konsument wird durch ein dicht gewebtes Netz aus Ge- und Verboten, aus Preisaufschlägen und Preissubventionen in die gewünschte Richtung gestupst. Die Preissignale, die einst als wichtigstes Steuerungsinstrument der Marktwirtschaft galten, werden auf breiter Front politisiert. Der Lehrsatz des Adam Smith – „Es ist nicht die Mildtätigkeit des Metzgers, des Brauers oder des Bäckers, die uns das Abendessen erwarten lässt, sondern es ist die Tatsache, dass die drei nach ihrem eigenen Vorteil trachten.“ – gilt nicht mehr als wahr, sondern als obszön.

Fazit: Das Vertrauen in jenen Mechanismus, der den Eigennutz der Bürger auf freien Märkten in das Gemeinwohl der Gesellschaft verwandelt, ist verloren gegangen. Und die Parteien bekämpfen das Misstrauen nicht, sondern befeuern es. Sie dienen sich dem Bürger als Beschützer vor Armut, Anstrengung und Extremwetter an.

Diese Staatsgläubigkeit geht gut, bis sie schiefgeht. Oder um es mit dem kolumbianischen Essayisten Nicolás Gómez Dávila zu sagen:

Der Mensch reift, wenn er aufhört zu glauben, dass die Politik seine Probleme löst.

Ludwig Erhard portraitiert von Günter Rittner für die Kanzlergalerie © Bundesregierung/Wienke
Olaf Scholz auf dem SZ-Magazin-Cover © Twitter/@pavel

Olaf Scholz führt seinen Wahlkampf nicht als Nachfolger von Brandt, Schmidt oder Schröder, sondern als Erbe von Angela Merkel. Erbschleicher nennen sie ihn deshalb in der Unionsspitze.

Im TV-Triell betonte er die Nähe zur Kanzlerin, sprach von gemeinsamen Wünschen, die er, der Sozialdemokrat, und sie, die CDU-Regierungschefin, angeblich hegen. Merkel ist genervt. Sie weist ihren Vize jetzt zurück:

Wenn man sozusagen sich auf mich beruft, gibt es einen Unterschied: Mit mir als Bundeskanzlerin würde es nie eine Koalition geben, in der die Linke beteiligt ist. Und ob dies von Olaf Scholz so geteilt wird oder nicht, das bleibt offen.

Deshalb sei es so, dass „ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und Olaf Scholz besteht“.

Angela Merkel © dpa

Die Unterstützung der Kanzlerin kann Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet gut gebrauchen. Sein Haus steht in Flammen. Laut einer aktuellen Insa-Umfrage für „Bild“ liegen die Sozialdemokraten derzeit bei 25 Prozent. Die Union erreicht nur noch 20 Prozent.

Klick aufs Bild führt zur Briefing-Page
Das Kanzler-Triell auf RTL © dpa

Von einer „großen Reichweite“ spricht RTL und meint die Einschaltquoten beim ersten Kanzler-Triell. 11,48 Millionen verschiedene Zuschauerinnen und Zuschauer seien mit der Sendung erreicht worden. Doch diese Kennzahl steht für alle, die im besagten Zeitraum bei einem RTL-Angebot eingeschaltet hatten.

Tatsächlich folgten im Schnitt nur 5,05 Millionen RTL-Zuschauer am Sonntagabend dem Polit-Talk. Für den Sender ist das dennoch ein Höchstwert im politischen Programm. Dass der „Tatort“ (7,19 Millionen) besser ankam, liegt nicht an RTL, sondern an Laschet, Scholz und Co. Ihr Auftritt war kein Krimi, sondern ein politisches Kamingespräch mit gelegentlichem Funkenflug. Es glimmerte, aber da loderte nichts.

Tatort © dpa
Anders Indset © imago

„Wir haben die Fähigkeit verloren zu denken“, meint der norwegische Philosoph und Bestsellerautor Anders Indset. In seinem neuen Buch „Das infizierte Denken“ knüpft er an Neil Postmans These von der Mediengesellschaft an, die sich zu Tode amüsiere.

Im Morning Briefing-Podcast erklärt er:

Ich schreibe über die Gesellschaft der Selbstoptimierung und dass wir heute in unserer eigenen Freiheit gefangen sind. Wir sind gezwungen zu konsumieren, wir leben in einer Gesellschaft, wo wir der Ausbeuter und der Ausgebeutete in einem sind.

Über unseren digitalen Konsum sagt er:

Wir sehen eine Headline und transportieren sie weiter als Wissen, ohne sie zu hinterfragen. Wir versuchen aus diesem fatalen Informations-Dschungel eine Wissensgesellschaft zu bauen, aber uns fehlt die Denkpause, die Auseinandersetzung mit dem Wissen, damit wir zum Verstand kommen können.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Sein Lösungsvorschlag:

In der heutigen Welt brauchen wir eine hohe Ambiguitätstoleranz. Das heißt, dass wir mit Widersprüchlichkeiten umgehen können müssen.

Werner Baumann, CEO von Bayer AG © dpa

Werner Baumann ist seit 2016 CEO der Bayer AG, ein Unternehmen mit rund 100.000 Mitarbeitern aus 149 Ländern. In seinem Vortrag beim Wirtschaftsrat der CDU gestern Nachmittag kritisierte er das Klein-Klein des bundesdeutschen Wahlkampfes, hielt ein Plädoyer für die Globalisierung und fordert mehr internationale Kooperation. Hier die Highlights seiner Rede:

Die Tendenzen von Protektionismus und Abschottung laufen der Arbeitsteilung und Vernetzung in der globalen Wirtschaft diametral entgegen. Deshalb sind sie so gefährlich.

Weltoffenheit und weltweiter Handel entsprechen unserer Grundüberzeugung, aber eben auch unserem Geschäftsmodell.

Wir müssen Lieferketten diversifizieren, aber nicht regionalisieren. Und dafür brauchen wir mehr internationale Kooperation und nicht weniger.

Containerhafen Shanghai © dpa

Die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist alternativlos. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie. Und da ist meine Überzeugung: Dekarbonisierung ohne Innovationen führt zu Deindustrialisierung.

Die Arbeitsweise im Führungskreis seines Unternehmens – der 35 Nationalitäten umfasst – sei richtungsweisend für die Deutschland AG:

Es geht nie um den richtigen Pass. Da geht‘s um Zukunft, nicht um Herkunft!

EU-Flagge © dpa

In der Europäischen Union sind mittlerweile über 70 Prozent der Erwachsenen vollständig gegen Corona geimpft. Damit erreichte die EU ihr selbstgestecktes Ziel. Doch die Impfquoten in den einzelnen Ländern unterscheiden sich zum Teil deutlich. Während in Malta bereits 90,3 Prozent der Erwachsenen vollständig immunisiert sind, haben in Bulgarien erst 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung einen vollständigen Impfschutz erhalten.

Eine Infografik mit dem Titel: Ungleichheit beim Impfen

Impfquoten (vollständig geimpft) der EU-Länder, in Prozent

Generalmajor Chris Donahue ist einer von mehr als 775.000 US-Soldaten, die in Afghanistan dienten, und der letzte, der das Land in einer Militärmaschine in Richtung Heimat verließ. Damit endete nach 20 Jahren der längste Militäreinsatz in der amerikanischen Geschichte.

Chris Donahue © dpa

Das hochrangige Taliban-Mitglied Anas Hakkani teilte auf Twitter mit:

Wir schreiben wieder Geschichte. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die USA und die Nato endete heute Abend. Gott ist groß.

Wie groß Gott wirklich ist, wird er nun beweisen müssen. Denn die Zukunft des Landes und seiner Menschen ist völlig ungewiss:

  • Noch immer befinden sich tausende schutzbedürftige Menschen in Afghanistan, darunter auch ausländische Staatsbürger. Außenminister Heiko Maas hofft darauf, dass der Kabuler Flughafen „in einem überschaubaren Zeitraum“ wieder betriebsfähig ist. Insgesamt will Deutschland noch mehr als 40.000 Menschen bei der Ausreise aus Afghanistan unterstützen.

Heiko Maas © dpa
  • Afghanistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Wirtschaft ist fast zur Hälfte von internationalen Geld-Injektionen abhängig. Zudem fallen Dürren und die Corona-Pandemie dem Land zur Last. Schätzungen des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zufolge könnte dies in einer Hungersnot münden, die bis zu 14 Millionen Menschenleben kosten und Millionen in die Flucht treiben würde.

  • Außenminister Heiko Maas geht davon aus, dass die Taliban „in Kürze“ eine neue Regierung vorstellen werden. Doch mit rund 40.000 bis 60.000 Vollzeitkämpfern verfügen die Taliban über nicht genug Kämpfer, um das gesamte Land zu kontrollieren. Dieses Unvermögen bietet den fruchtbaren Boden für andere Terrorgruppen.

Taliban © dpa
Geflüchtete in einem Zeltlager in Italien © dpa

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet mit einer halben Million Afghanen, die bis Ende des Jahres aus dem Land flüchten könnten. Über die Luftbrücke haben allein im August 120.000 Menschen das Land verlassen. Neue Wege werden derzeit an allen Grenzen gesucht.

Nachdem Diplomaten, Militärs und Geheimdienstler abgezogen sind, fehlt es an verlässlichen Informationen über die Lage im Land. Doch ein Blick auf die bisher bekannten Fakten zur Migration legt nahe, dass das Worst-Case-Szenario des UNHCR schon bald überholt sein könnte.

Thomas Rabe © dpa

Bertelsmann hat seine Gewinnprognose für 2021 angehoben. Für das gesamte Jahr erwartet der Konzern ein Ergebnis von knapp zwei Milliarden Euro. Grund dafür ist das gut laufende TV- und Buchgeschäft, das dem Unternehmen für die erste Hälfte des Jahres Rekordzahlen bescherte:

  • Der Konzernumsatz stieg im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 10,7 Prozent auf 8,7 Mrd. Euro.

  • Bertelsmann hat das erste halbe Jahr mit einem operativen Rekordergebnis (Operating EBITDA) von 1,4 Mrd. Euro abgeschlossen. Im Vorjahreszeitraum verbuchte der Konzern nur eine Milliarde Euro.

  • Veräußerungsgewinne, zum Beispiel der Verkauf der Werbetechnologiefirma SpotX in den USA, halfen kräftig mit, die Steigerung beim Betriebsergebnis zu erreichen.

CEO Thomas Rabe, der wie ein Portfolio-Manager agiert, saugt den Honig, den er feilbietet, vor allem aus den geerbten Geschäften von RTL, Random House und Arvato. Eine bedeutende Akquisition oder konzerneigene Innovation ist ihm bisher nicht gelungen. Rabes Qualität: Er optimiert das Optimierte.

 © Bavaria Filmproduktion GmbH / Marco Nagel

Felix Krull, der Hochstapler des Thomas Mann, betritt zum zweiten Mal in seiner literarischen Lebensgeschichte die Leinwand: Morgen kommt „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ unter Regie von Detlev Buck in die deutschen Kinos.

Die Romanvorlage, die Mann 1954 als sein letztes Werk schuf, hat dabei so viel Potential, wie es sich ein Drehbuchautor nur wünschen kann: Sie handelt vom Hotelpagen Felix Krull, dem es zwar an Vermögen und sozialem Status fehlt, doch nicht an der Überzeugung, für Größeres bestimmt zu sein:

Jedenfalls konnte mir nicht verborgen bleiben, dass ich aus edlerem Stoffe gebildet oder wie man zu sagen pflegt, aus feinerem Holz geschnitzt war als meinesgleichen, und ich fürchte dabei durchaus nicht den Vorwurf der Selbstgefälligkeit.

Thomas Mann, 1929 © imago

Die Aussichtslosigkeit eines in Liebesnot geratenen Marquis nutzt er aus und schlüpft in dessen Rolle, um sich in die feineren Kreise hochzumogeln. Das Spiel mit der doppelten Persönlichkeit, der Drang nach sozialem Aufstieg und der selbst verursachten Not, sich der Außenwelt fortan als Genie präsentieren zu müssen, haben fast 70 Jahre nach Veröffentlichung des Buches nichts von ihrer Aktualität verloren: Felix Krull verdankt seinen hochstaplerischen Erfolg nicht nur seinem Charme, sondern auch einer Gesellschaft, die geblendet werden will, die den Schein vor das Sein stellt.

Doch kann ich, ohne euch und mir zu schmeicheln, wohl versichern, dass ich auch im schmucklosen Abendanzug von dem Augenblick an, in dem ich den Salon betrat, nicht nur durch meinen Namen, sondern auch durch die geschmeidige Artigkeit und gesellschaftliche Formbeherrschung, die ihm gemäß sind, mir die einmütige Zuneigung des Hausherrn und seiner Gäste gewann.

Szene aus „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ © dpa

Die Bewertung der Neuverfilmung des Klassikers fällt krass unterschiedlich aus. So empfand der „Spiegel“ „Momente des Fremdschämens“, während die „Süddeutsche Zeitung“ den Streifen als den „Gin Tonic unter den Thomas-Mann-Verfilmungen“ bezeichnet.

Womöglich ist diese unterschiedliche Bewertung nicht im Film selbst, sondern im Auge des Betrachters zu suchen. Thomas Mann:

Phantasie haben heißt nicht, sich etwas auszudenken. Es heißt, sich aus den Dingen etwas zu machen.

Ich wünsche Ihnen einen unbeschwerten Start in den Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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