Markus Söder im Interview

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 © ThePioneer

Guten Morgen,

das Labor für das spannendste politische Experiment in Deutschland ist der blau-weiße Stammtisch. Versuchsanordnung: Die DNA des Konservatismus soll neu programmiert werden. Studienleiter ist Markus Söder. Der CSU-Chef will die traditionsversessene und männerdominierte Partei jünger, hipper, weiblicher, digitaler machen. Sein Code: Klimaschutz, Artenvielfalt, Online-Voting, Frauenquote. Söder drängelt, prescht vor und treibt seine Partei an, dass die Bierkrüge auf den Holztischen nur so wackeln. Man könnte meinen, er wolle die Strauß’sche Abgrenzungslogik nach rechts in das gegensätzliche Spektrum transferieren: Links von Markus Söder darf es nur noch die SPD geben – jedenfalls nicht die Grünen. Die CSU-Basis vertraut Markus Söder – 91,3 Prozent der Delegierten auf dem Parteitag bestätigten ihn im Amt –, aber die Mitglieder folgen nicht blind. Die 40-prozentige Frauenquote auf Kreisebene wurde kassiert. Der Bundestagsabgeordnete Max Straubinger fasste die Rebellion der Basis in Worte:

Ich mag nicht ständig mit dem Rechenschieber ausrechnen müssen, wie wir die Quoten erfüllen. Ich will Politik machen.

Söder spürt: So einfach lässt sich die CSU nicht umpolen. Die genetischen Erbinformationen sind widerstandsfähig: ► Unter den im Bundestag vertretenen Parteien hat die CSU mit der AfD den höchsten Männeranteil. 79,3 Prozent der CSU-Mitglieder sind männlich, bei der AfD sind es 83 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Je konservativer, desto männlicher

Anteil der männlichen Mitglieder der im Bundestag vertretenen Parteien, in Prozent

► Fast jedes zweite CSU-Mitglied ist älter als 66 Jahre, fast ein Drittel ist immer noch älter als 71. Zum Vergleich: Die Grünen-Mitglieder sind im Schnitt 49 Jahre alt, nur sechs Prozent sind älter als 71 Jahre.

► Innerhalb der Wählerschaft sieht es nicht anders aus: Bei den Landtagswahlen in Bayern 2018 verlor die CSU unter den jungen Menschen die meisten Stimmenanteile – bei den 18- bis 24-Jährigen wie auch bei den 25- bis 34-Jährigen musste Söders Partei einen Verlust von jeweils zwölf Prozentpunkten hinnehmen.

► Mit 29 Prozent sammelten die Grünen bei der Europawahl im Mai mehr als doppelt so viele Wähler unter 30 Jahre ein wie die Union.

Aber was sagt der Parteivorsitzende dazu? Im Morning Briefing Podcast erklärt er, warum die Reformen für ihn alternativlos seien und sich die CSU veränderten Realitäten stellen müsse. Er zielt in die eigenen Reihen, wenn er sagt:

Ein Zurück in alte Zeiten kann man sich wünschen, aber das hat wenig Sinn. Wer nichts verändert, wird sehen, dass nichts so bleibt, wie man es sich wünscht.

Der Parteichef, das macht er selbstkritisch deutlich, muss sich dabei in einer Tugend üben, mit der er nicht übermäßig gesegnet ist: Geduld.

Die CSU ist ein großer Tanker. Man reißt nicht einfach das Ruder herum, sondern muss es einsteuern.

Seine Politik der Veränderung sieht Söder damit ganz in der Tradition seines großen Idols Franz Josef Strauß:

Konservativ sein heißt, an der Spitze des Fortschritts zu stehen, nicht ganz hinten.

Und wer schon die CSU-Ikone Strauß zitiert, kommt auch an der Bundespolitik nicht vorbei. Söder kokettiert mit seinem „Traumjob“ als bayerischer Ministerpräsident, weiß aber auch:

Der reale politische Entscheidungsort für Deutschland ist natürlich in Berlin. Und wenn man am Ende für sein Land und für seine Bürger was erreichen will, dann muss man auch auf dem Platz spielen, auf dem solche Spiele stattfinden.

Zur Großen Koalition hat der Ministerpräsident selbstverständlich auch eine Haltung. Wenn keine Stabilität gewährleistet werden könne, dann müsse gelten:

Keine Angst vor demokratischen Prozessen!

Er meint damit: Neuwahlen sind dann unvermeidlich.

Die Plätze auf der Regierungsbank werden im Herbst neu vergeben. © dpa

Die Große Koalition will Anfang November Bilanz ihrer bisherigen Arbeit ziehen. Darauf einigten sich die Spitzen des Regierungsbündnisses bei einem Treffen des Koalitionsausschusses. Ihre Halbzeitbilanz wollen CDU, CSU und SPD also erst nach der Landtagswahl in Thüringen an diesem Sonntag vorstellen. So soll es erst gar nicht zu einer Wählerenttäuschung kommen. Ein weiteres Ergebnis: Die Klimagesetze sollen bis Ende des Jahres in Kraft treten. Noch keine Entscheidung gibt es dagegen bei der geplanten Grundrente.

 © dpa

Am Samstag sah es so aus, als hätte Boris Johnson verloren. Dabei könnte der britische Premierminister heute Nachmittag – zumindest aus seiner Sicht – endlich seinen historischen Sieg einfahren. Denn: Das britische Unterhaus hat den Brexit-Deal zwischen Johnson und Brüssel nicht verworfen, sondern nur vertagt. Die Abgeordneten wollten das Abkommen erst lesen, vielleicht sogar verstehen, bevor sie votieren. Schon am Nachmittag könnte eine erneute Abstimmung im Unterhaus dazu führen, dass die Ausstiegspapiere doch noch fristgerecht zum 31. Oktober in Brüssel abgegeben werden. Der britische Außenminister Dominic Raab betonte gegenüber der BBC, man habe jetzt „genügend Stimmen“ für den Deal zusammen. Boris Johnson sollte niemand unterschätzen. Sein großes Vorbild ist bekanntermaßen Winston Churchill. Der war auch erst später ein Literaturnobelpreisträger, Visionär und großer Staatsmann. Den jungen Churchill beschrieb Sebastian Haffner in seiner lesenswerten Biografie als draufgängerischen Husarenleutnant, der „wie eine zusammengepresste, plötzlich entriegelte Feder vorwärts schnellte“. Und nur wer diese ungestüme Phase verstehe, könne den späten Churchill begreifen.

Mark Page hat vor drei Jahren gegen den Brexit votiert und verloren. Der 52-Jährige ist Tory-Mitglied, lebt in Berlin und London und beriet als Großbritannien-Chef der US-Beratungsfirma A.T. Kearney mehrere konservative britische Ministerpräsidenten. Im Wahlkampf unterstützte Page Johnsons Rivalen Rory Stewart. Im Morning Briefing Podcast begründet Page, warum Johnson doch durchkommen könnte.

Boris Johnson inszeniert – und er inszeniert in Richtung verschiedener Zielgruppen: Brüssel, moderate Tories und extreme Brexiteers. Das hat er fast, bis auf ein paar Hinterbänkler, hinbekommen. Es ist wahrscheinlich, dass dieses Abkommen doch durch das Parlament geht.

Eine Infografik mit dem Titel: "Made in Germany" in der Krise

Wachstum des deutschen Außenhandels gegenüber Vorjahr, in Milliarden Euro und Prozent

Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Vertrauenskrise. Das belegen nicht nur die aktuellen Exportzahlen, sondern auch das „Trust Barometer“, eine Studie des renommierten US-Marktforschungsunternehmens Edelman, aus der die „Welt am Sonntag“ zitiert. Die drei zentralen Ergebnisse:

► In den Industrieländern bewerten nur noch 44 Prozent der befragten Personen deutsche Unternehmen positiv. Im Vergleich zum Vorjahr sackte das Ansehen der so exportorientierten deutschen Wirtschaft damit um 15 Prozentpunkte ab – so viel wie nie zuvor.

► Die Skandale mancher deutscher Vorzeigeunternehmen, etwa des Autobauers VW oder der Deutschen Bank, haben diesen Imageschaden maßgeblich befeuert.

► Besonders kritisch schauen die US-amerikanischen Kunden auf Deutschland. Nur noch 38 Prozent der rund 1000 Befragten haben eine positive Einstellung zur deutschen Wirtschaft angegeben.

Fazit: Das Qualitätssiegel „Made in Germany“ hat keine Bestandsgarantie. Seine Gültigkeit wird stets von den Kunden der Weltwirtschaft überprüft. Auch dort gilt, was im Privatleben Praxis ist: Es dauert Jahre, um Vertrauen aufzubauen, aber nur Minuten, um es zu zerstören.

Roland Berger  © imago

Eigentlich sollte heute Abend im Jüdischen Museum in Berlin der Roland-Berger-Preis für Menschenwürde an den polnischen Bürgerrechtler und Verfassungsjuristen Adam Bodnar verliehen werden. Doch Bodnar sagte seine Teilnahme ab, die Preisverleihung fällt aus. Nachvollziehbar, denn weder der Ort noch der Veranstalter scheinen gerade den richtigen Rahmen für ein Fest des Miteinanders zu bieten. Wie das „Handelsblatt“ aufgedeckt hat, muss Deutschlands berühmtester Unternehmensberater Roland Berger mit 81 Jahren seine Familiengeschichte neu aufarbeiten. Es geht um seinen Vater Georg Berger und dessen Rolle im Dritten Reich. Sohn Roland hatte ihn immer als Kämpfer gegen die Nazis dargestellt. Er sei zwar der NSDAP beigetreten, habe die Partei aber 1938 wieder verlassen – aus Protest. Über seinen Vater sprach er 2012 noch in höchsten Tönen:

Bis heute ist mein Vater für mich ein moralisches Vorbild. Er steht für Anstand und Mut.

An anderer Stelle berichtete er von einer Festnahme des Vaters durch die Gestapo. Doch Georg Berger war kein Opfer, sondern Profiteur des Regimes. Er soll sogar Finanzchef der Hitlerjugend gewesen sein. 1937 ernannte ihn Hitler zum Ministerialrat. Er wohnte in einer Villa, die zuvor Juden gehört hatte und die beschlagnahmt wurde. Das „Handelsblatt“ hat Roland Berger mit der unbequemen Recherche konfrontiert. Der habe entsetzt reagiert, er spricht von einem „tragischen Selbstbetrug“. Zwei renommierte Historiker sollen nun die Geschichte des Vaters aufklären. Ein notwendiger Schritt. Roland Berger trägt keine persönliche Schuld. Aber er trägt die gesellschaftliche Verantwortung, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

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Deutschland und die Olympischen Sommerspiele? Das weckt keine guten Erinnerungen.

► Das Nazi-Fest 1936 in Berlin gilt bis heute als Inbegriff einer von politischen Hasardeuren für üble Zwecke missbrauchten Veranstaltung.

► 36 Jahre später machte das live in alle Welt übertragene Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft München zum Tatort.

► Spätere Bewerbungen scheiterten an dilettantischen Planern oder störrischen Bürgern. Oder an beiden. 2032 soll alles anders werden: „Rhein Ruhr City“ heißt das Projekt von Sportmanager Michael Mronz, der mit Unterstützung von Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet und 14 Städten die Sommerspiele nach Deutschland holen will. Ihre Vision hat Willi Daume, der langjährige Chef des Nationalen Olympischen Komitees, schon in den 70er-Jahren formuliert: „weg von Gigantismus, weg von Pathos“. Mronz will dies durch sparsame und nachhaltige Spiele mit Leben füllen. Ein Beispiel: 90 Prozent der Spielstätten existieren bereits und müssen nicht erst mit Steuerzahlergeld gebaut werden. Heute Abend sind Laschet und Mronz auf Werbetour in der Hauptstadt. Viel Überzeugungsarbeit müssen sie nicht mehr leisten. Das Nationale Olympische Komitee hat sich dem Vernehmen nach bereits für Nordrhein-Westfalen und gegen Berlin als deutschen Bewerber entschieden. Auch Sportminister Horst Seehofer hat sich intern auf Rhein-Ruhr festgelegt. Nachvollziehbar wäre es. Wer nicht einmal einen Flughafen an den Start bringt, hat sich für das weltgrößte Sportevent schon disqualifiziert. Ein Olympiamärchen in Deutschland ist uns jedenfalls zu wünschen. Die Welt zu Gast bei Freunden. Kommen Sie gut in die neue Woche. Herzlichst Ihr Michael Bröcker Chefredakteur Media Pioneer (in Vertretung für Gabor Steingart)

Pioneer Editor, Gründungs-Chefredakteur The Pioneer
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