Coalition Harmonists

Ampel: Mehr Konflikt wagen! Scholz in Polen

Teilen
Merken

Guten Morgen,

die Partner der Großen Koalition legten Wert darauf, sich nicht zu mögen oder – falls dem doch so war – sich dabei nicht coram publico erwischen zu lassen. Es sei ein Zweckbündnis, keine Liebesheirat, hieß es allenthalben.

Ganz anders stellt sich der Gefühlshaushalt der Ampel-Koalitionäre dar. Hier versichern sich die Beteiligten mehrmals am Tag, wie gern sie einander leiden können. Wie die jungen Katzen gehen sich die Partner um die Beine. Der Robert lobt den Christian, der Christian den Olaf. Und der kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Es finden sich neue Freunde, die SPD, die Grünen und die FDP“, sagte er beim Parteitag:

Da wächst was zusammen, was zusammenpasst.

Christian Lindner © imago

Doch im Ausreichen dieser Ergebenheitsadressen drückt sich ein grobes Missverständnis aus. Der FDP-Wähler hat Christian Lindner nicht gewählt, damit er mit Robert Habeck kuschelt. Man hat ihn auch nicht gewählt, damit er sinnlos mit dem grünen Wirtschaftsminister zankt. Lindner wurde gewählt, damit er die Interessen derer vertritt, die sich durch Habeck nicht vertreten fühlen. Zur Erinnerung: 40,3 Millionen von 47 Millionen Wählern haben die Grünen nicht gewählt.

Annalena Baerbock © picture alliance

Das Gleiche gilt für die anderen Beteiligten auch. Die Wähler der Grünen haben Annalena Baerbock nicht gewählt, damit sie klingt wie ihr Amtsvorgänger Heiko Maas. Sonst hätten sie auch SPD wählen können. Haben sie aber nicht: Es gibt derzeit mehr ungeimpfte Erwachsene 13,74 Millionen – als Scholz-Wähler, 12,2 Millionen.

Die Unterschiede zwischen den Parteien – und darauf kommt es hier an – beruhen nicht auf persönlichen Animositäten. Sie beruhen auf Interessenunterschieden. Die Wähler der SPD haben einen anderen Staat vor Augen als die Wähler der FDP.

Für Sozialdemokraten ist der Staat nicht die Bedrohung, sondern die Rettung. Für sie soll er nicht schlank und dezent sein; sie wünschen sich ihn markant und mit Muskeln bepackt. Dass er diese Muskeln den beim FDP-Wähler abgezapften Eiweiß-Proteinen verdankt, stört sie nicht im Geringsten. Im Gegenteil.

Hier soll nicht Partei ergriffen werden für die einen oder die anderen. Hier soll nur an das Prinzip der bundesdeutschen Konfliktdemokratie erinnert werden. Der Kern vom Kern unseres Parlamentarismus ist die Mehrheitsentscheidung. Nicht damit Konsens möglich wird, sondern damit Führung möglich wird.

Olaf Scholz © dpa

Demokratie lebt – anders als uns die Ampel derzeit glauben machen will – eben nicht vom Konsens. Demokratie lebt vom Dualismus zwischen Kontroverse und Konsens. Der Konsens steht am Ende, nicht am Beginn, weshalb von der neuen Regierung eine kluge, eine ernsthafte, eine an der Sache orientierte Kontroverse erwartet werden muss – schon aus Respekt – um das Lieblingswort des neuen Kanzlers zu zitieren – vor den unterschiedlichen Interessen dieser Gesellschaft.

Es sind Fragen von hoher ökonomischer und ethischer Bedeutung, die jetzt zur Entscheidung drängen:

Wie lässt sich wirklich beides retten – das Klima und unser Wohlstand?

Welchen Stellenwert erhält künftig das Tierwohl; und welche Rolle spielt dann der Bauer, der heute ein Agrar-Unternehmer ist?

Ist das russische Gas zum Heizen da oder zum Drohen?

Exportieren wir nach China weiter Autos oder demnächst auch unsere Idee von Menschenrechten?

Schauen wir zu wie die Bildungsnation erodiert und der Sozialstaat die Volkswirtschaft überfordert oder organisiert jemand ernsthaft die Umverteilung von Geld und Chancen?

Wird der Staatshaushalt jetzt saniert oder beginnt hinterm Tresorraum des Finanzministers das Reich der Schattenhaushalte?

Das Bild des Busses, also die berühmte Politikeraussage, dass alle Bürger „mitgenommen werden müssen“, ist schief. Der Bus, der alle mitnimmt, der also auch auf die letzte Schlafmütze wartet, wird niemals pünktlich die Schule, die Firma oder auch nur die nächste Busstation erreichen. Der Bus, der alle mitnimmt, ist der Bus der stillsteht.

Den drei beteiligten Parteien sei also geraten, sich nicht bis zur Unkenntlichkeit lieb zu haben. Der Wähler will Unterschiede sehen, hören und spüren. Es geht – das ist die Idee hinter der Mehrheitsentscheidung – um das Ermöglichen von politischer Führung.

Alle bedeutsamen Entscheidungen der Bundesrepublik sind im Konflikt getroffen worden, nicht im Konsens. Die Westbindung. Die Ostaussöhnung. Die Nato-Nachrüstung. Die Agenda 2010. Und auch die ökologische Frage wurde in den achtziger und neunziger Jahren nicht im Konsens, sondern im gesellschaftlichen Konflikt auf die Tagesordnung der Republik gesetzt.

Fazit: Die neuen Koalitionäre müssen aufpassen, dass ihre Harmoniesehnsucht dem Publikum nicht als Denkfaulheit erscheint. Nur Reibung erzeugt Energie. Oder um es mit Paul Satre ins Ironische zu wenden: ins Ironische zu wenden:

Wenn zwei Philosophen zusammentreffen, ist es am vernünftigsten, wenn sie zueinander bloß ‚Guten Morgen’ sagen.

Politische Koordiantenverschiebung in Frankreich: Der Mitte-Links-Präsident Emmanuel Macron bekommt im Rennen um die Präsidentschaftswahl im April kommenden Jahres Konkurrenz von drei Kandidaten deutlich rechts der Mitte, die ihm eine zweite Amtszeit unmöglich machen könnten:

Valérie Pécresse © imago

  • An der Spitze der französischen Umfragen steht derzeit Valérie Pécresse. Die Kandidatin der konservativen „Les Républicains” sagt über sich selbst, sie sei zu „zwei Drittel Merkel”. Bei ihrem ersten großen Wahlkampfauftritt klang sie jedoch etwas anders als die Ex-Kanzlerin. Sie sprach sich dafür aus, die „unkontrollierte Einwanderung“ zu stoppen, die Ghettos zu zerschlagen und die Sicherheit wiederherzustellen. Sie wolle den Franzosen ihren Nationalstolz zurückgeben, Frankreich in fünf Jahren wieder aufrichten und innerhalb von zehn zur führenden Macht in Europa machen. Sie werde eine „Kriegsherrin“ sein, wann immer Frankreich bedroht werde.

  • Weiter rechts wartet Éric Zemmour. Der Journalist und Buchautor gilt als französischer Donald Trump. Bisher kannte man ihn aus diversen TV-Formaten – nun will er vom TV-Studio in den Präsidentenpalast umziehen. Zemmour will nicht weniger als „Frankreich vor den Barbaren retten“ – so nennt er praktizierende Muslime. „Unbegleitete Minderjährige haben nichts bei uns zu suchen, sie sind Diebe, sie sind Mörder, sie sind Vergewaltiger.” Ihre häufig muslimischen Vornamen will er ihnen verbieten, alle sollen französische Vornamen wählen.

  • Das Schreckgespenst aller Pro-Europäer, Marine Le Pen, hat sich verzockt. Ihr Mitte-Rechts Kurs und die damit verbundene verbale Entschärfung reduziert ihren Anteil am Potenzial der Protestwähler. Sie rangiert derzeit am unteren Ende der Umfragen.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Über die drei Kandidaten spreche ich im heutigen Morning-Briefing Podcast mit der Auslandskorrespondentin des ORF in Paris, Cornelia Primosch. Für ihre Tätigkeit wurde sie im Jahr 2019 als „Außenpolitik-Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Sie sagt:

Man hat schon fast ein bisschen Mitleid mit allen, die links der Mitte sind. Die Kandidaten von den Sozialdemokraten, den Grünen und den Linksextremen spielen keine Rolle.

Éric Zemmour © AFP

Vor allem Éric Zemmour würde Begeisterungsstürme auslösen. “Der Mann ist so etwas wie ein Talkshow Möbel”, sagt sie:

Er spricht immer von tausend Jahren. Unter ihm soll Frankreich wieder zu seiner ursprünglichen Größe zurückkehren.

Jean-Marie Le Pen © imago

Zudem sei er ein Freund von Jean-Marie Le Pen, dem Vater von Marine Le Pen und Gründer des mittlerweile umbenannten Front National. Dieser sage über Éric Zemmour:

Im Prinzip haben wir beide genau dieselben Positionen. Eric Zemmour muss sich allerdings nie vorwerfen lassen, Rassist oder gar Faschist zu sein: Weil er Jude ist.

Fazit: Gefahr erkannt, bedeutet in diesem Fall nicht Gefahr gebannt. Auch deshalb hat sich Emmanuel Macron noch gar nicht dazu geäußert, ob er ein zweites mal antritt. Sein Zaudern ist die Antriebsenergie der anderen.

Klick aufs Bild führt zum Geschenkabo © 

Xi Jinping, Präsident von China © dpa

Innenpolitisch plädieren vor allem die Grünen, aber auch die FDP, für eine härtere Gangart gegenüber China und werden darin von deutschen Wirtschaftsverbänden unterstützt. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass die Volksrepublik für die Exportnation Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner ist (95,9 Mrd. Euro), knapp hinter den USA. Und aus keinem anderen Land importiert Deutschland so viele Waren wie aus China (116,3 Mrd. Euro).

Eine Infografik mit dem Titel: China: Wichtigster Handelspartner

Deutsche Exporte und Importe nach Handelspartnern 2020, in Milliarden Euro

Dennoch ändert sich der Ton bei den Verbänden deutlich:

„China verschärft seinen Kurs so, dass Deutschland und Europa darauf reagieren müssen“, sagt Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Familienunternehmen. Und auch der BDI wünscht sich einen „klareren und selbstbewussteren Kurs“ gegenüber dem Land, wie es der dafür zuständige Geschäftsführer Wolfgang Niedermark formuliert – auch auf die Gefahr hin, dass es zu wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen komme.

„Wer in China Geschäfte macht, ist überproportional hohen politischen Risiken ausgesetzt“, so Niedermark. Deshalb fordert der BDI die Politik dazu auf, die Position der EU gegenüber dem „systemischen Wettbewerber“ China zu stärken.

Fazit: Wer Wirtschaft allein mit Profitmaximierung übersetzt, tut den deutschen Firmen Unrecht. Sie akzeptieren das Primat der Politik nicht nur. Sie fordern es.

Aktienchart © imago
Angriff von außen

Die SPD besetzt mehrere zentrale außenpolitische Posten mit Politikern, die Attacke beherrschen.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Der Aktienmarkt gewinnt in Deutschland an Beliebtheit. 2020 waren 17,5 Prozent der Bürger hierzulande in Aktien, Fonds oder ETFs investiert – 2019 nur 15,2 Prozent. Doch im internationalen Vergleich schneidet Deutschland damit noch immer nicht großartig ab. Im Handelsblatt-Interview hält Thomas Book, Vorstandsmitglied der Deutsche Börse AG, dem Land den Spiegel vor:

Eine Infografik mit dem Titel: Aktienmarkt: Im Aufwärtstrend

Anteil der Aktiensparer (Aktien, Fonds oder ETFs) an der Bevölkerung (über 14 Jahre) in Deutschland seit 1997, in Prozent

  • Sowohl in den USA als auch in Schweden läge die Quote der Aktiensparer über 50 Prozent. Das sei „gerade in Zeiten von negativen Zinsen und steigenden Inflationsraten besorgniserregend“, da Kleinanleger „mittel- bis langfristig einen Wohlstandsverlust erleiden“ würden.

Eine Infografik mit dem Titel: Amerika vorn

Quote der Aktiensparer in Deutschland im Vergleich zu den USA 2020, in Prozent

  • Vor allem im Vergleich zu den astronomischen Börsenbewertungen der USA stehe der deutsche aber auch der europäische Aktienmarkt klein da. Das sei vor allem auf den starken Technologiesektor zurückzuführen, der „auch in anderen Branchen für höhere Bewertungen“ sorge.

  • Deutschland erlebt einen relativen Abstieg: Nur noch zwei deutsche Mitstreiter seien in der Liste der 100 wertvollsten Unternehmen heute vertreten. Anfang des Jahrtausends seien es noch fünf gewesen.

Das Paradebeispiel liefert BioNTech: Obwohl die Erfindung des Corona-Impfstoffs sich im rheinland-pfälzischen Mainz ereignete, entschied man sich für einen Börsengang in den USA. Das liege am weniger entwickelten Kapitalmarkt hierzulande, der nicht so flexibel sei wie anderswo. Bisher orientiere „sich das deutsche Aktienrecht zu sehr an Konzernen, die langsam und organisch wachsen – und nicht an disruptiven Wachstumsfirmen“. Thomas Book mahnt:

Bei den späten Finanzierungsrunden von Start-ups in Deutschland kommt das Kapital heute zu 80 Prozent von ausländischen Investoren. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Firmen im Ausland an die Börse gehen und dort verstärkt investieren.

Fazit: Wer es wissen will, der kann es wissen: Die deutsche Aktienkultur ist derzeit nicht wettbewerbsfähig. Der Staat ist kein Möglichmacher, sondern ein großer Verhinderer.

 © ThePioneer

Folgende Termine könnten für Sie in dieser Woche wichtig werden:

Montag

Beim Treffen der EU-Außenminister in Brüssel lernt Annalena Baerbock ihre europäischen Kollegen kennen. Die angespannte Lage zwischen Russland und der Ukraine steht auf der Tagesordnung.

Dienstag

Joe Biden hat die Politikwissenschaftlerin Amy Gutmann im Sommer als neue US-Botschafterin in Deutschland nominiert. Der Senat muss die Personalie jedoch noch absegnen. Dazu wird sich Gutmann heute einer Anhörung stellen.

Olaf Scholz © Anne Hufnagl

Mittwoch

Olaf Scholz hält seine erste Regierungserklärung im Bundestag.

Donnerstag

Das Jahr 2021 war Krisenreich und für Journalisten in aller Welt kein leichtes: Am Donnerstag veröffentlicht die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ die Jahresbilanz zur Pressefreiheit.

Zudem tagt der EZB-Rat: Erwartet wird eine Reaktion auf die steigenden Inflationsraten im Euro-Raum.

Papst Franziskus © dpa

Freitag

Papst Franziskus feiert seinen 85. Geburtstag.

Illustration von Alexander Selkirk © imago

Manchmal versteckt sich das Glück im Unglück: So wies der Steuermann der Cinque Ports, Alexander Selkirk, seinen Kapitän und die Mannschaft darauf hin, dass ihr Schiff den nächsten Hafen wohl nicht mehr erreichen würde. Das Schiff war von Holzwürmern zerfressen. Die Kameraden wollten diese Hiobsbotschaft jedoch nicht wahr haben.

Es kam zum Diskurs, der mit einem Streit endete. Schließlich wurde Alexander Selkirk von seiner Mannschaft auf der einsamen Karibikinsel Isla Mas A Tierra ausgesetzt. Sein Leben war von einem Gewehr, einem Kochtopf, einer Bibel und einer Flasche Rum abhängig, die man ihm großzügig mitgab.

Derweil das Schicksal mit den Mannschaftskollegen kurzen Prozess machte - die Holzwürmer brauchten nur noch wenige Tage, um die Cinque Ports zum Kentern zu bringen – schaffte es der einsame Steuermann zu einer Süßwasserquelle, an der sich auch die auf der Insel beheimateten Ziegen bedienten. So überlebte er ganze vier Jahre und vier Monate in Einsamkeit. Erst dann wurde er von britischen Piraten entdeckt und schließlich nach Hause gebracht.

Daniel Defoe © imago

Die schon damals sensationslüsternen britischen Medien stürzten sich auf den Heimkehrer und machten ihn „Star”. Der Schriftsteller Daniel Defoe beschloss daraufhin, aus dieser Sensationsgeschichte einen Roman zu komponieren. Dessen Helden kennen wir heute alle: Robinson Crusoe.

Der echte Robinson Crusoe, jener Alexander Selkirk, starb heute vor 300 Jahren. Doch in unserer Erinnerung lebt er weiter. Seinem literarischen Schöpfer verdanken wir ein reichhaltiges Werk an lebensbejahenden Aphorismen. Sein Robinson war ein Prediger der Zuversicht:

Die Angst vor der Gefahr ist 10.000 mal gefährlicher als die Gefahr selbst.

Ich wünsche Ihnen einen optimistischen Start in diese neue Woche. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing