Totgesagte leben länger: Das gilt auch für Öl und Gas. Allein die Ankündigung der neuen Außenministerin Annalena Baerbock, Nord Stream 2 würde erstmal nicht in Betrieb genommen, hat den europäischen Gaspreis gestern um fast zehn Prozent steigen lassen. Die Gas-Importeure konnten ihr Glück kaum fassen.
Auch die Banken, die jetzt fleißig nachhaltige Investments verkaufen, sind groß im Geschäft mit der Vergangenheit: Die Ölkonzerne, die Fracking-Unternehmen und die Kohle-Verstromer können sich auf die Wall Street verlassen:
© imagoJPMorgan Chase & Co. ist der führende Emittent von Anleihen für Öl-, Gas- und Kohleunternehmen. In den vergangenen Wochen, seit die Bank im Oktober der globalen Allianz zur Erreichung von Netto-Null-Emissionen im Finanzbereich beigetreten ist, hat sie etwa 2,5 Milliarden Dollar an Anleihen für Unternehmen wie Gazprom und die Erdöl-Fördergesellschaft Continental Resources gezeichnet.
Wells Fargo, die laut Bloomberg von allen Banken die meisten Kredite an Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe vergibt, ist auf dem Weg, dieses Jahr die Kreditsumme an diesen Sektor im Vergleich zum Vorjahr zu verdoppeln. Es lebe der Klimatod!
Eine Infografik mit dem Titel: Profit mit fossiler Energie
Die größten Emittenten von Anleihen und Krediten an die fossile Energiewirtschaft 2021, in Milliarden US-Dollar
Insgesamt haben die von den Wall-Street-Banken geführten Konsortien den Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft im Jahr 2021 bei der Emission von Anleihen im Wert von fast 250 Milliarden Dollar geholfen – was der durchschnittlichen jährlichen Mittelbeschaffung der Branche seit 2016 entspricht. Kein Rückgang nirgends.
Auch die kalifornischen Rentenfonds gehören zu den größten Investoren in die fossile Energiewirtschaft. Insgesamt 42,8 Milliarden Dollar des Portfolios der zwei größten Fonds entfallen auf den Sektor mit den Klimakiller-Firmen. Und das in einem Bundesstaat, der sich selbst zu den Pionieren der Klimaneutralität zählt.
Die Ratingagentur Moody’s schätzt, dass Banken, Versicherer und Vermögensverwalter in den 20 größten Volkswirtschaften der Welt immer noch rund 22 Billionen Dollar in kohlenstoffintensiven Branchen investiert haben. Das eben ist die Vergangenheit, die nicht vergeht.
Fazit: Die Banken sind nicht die Verursacher der Problematik. Sie sind die Notare einer Gegenwart, die nicht halb so progressiv ist wie die Versprechen der Politik. Oder anders gesagt: Die Wirklichkeit ist politisch unkorrekt.
Der europäische Emissionshandel beschleunigt womöglich nicht die Dekarbonisierung, sondern die Abwanderung von Firmen. Am liebsten in solche Gegenden, wo man Schmutzfinken mit Handschlag begrüßt. Unter Experten spricht man von „Carbon Leakage“.
© imagoDas Weltklima lässt sich dadurch nicht retten: Deshalb plädiert Hans Jürgen Kerkhoff, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, für eine Entlastung besonders energieintensiver Betriebe in Deutschland bei den Emissionszertifikaten und den Stromkosten. Der Preis pro Tonne CO2 hatte im September erstmals die Marke von 60 Euro erreicht, mittlerweile liegt er bei über 80 Euro. Das schade vor allem der Wettbewerbsfähigkeit und bremse die Transformation hin zur Klimaneutralität, sagt Kerkhoff.
Eine Infografik mit dem Titel: CO2-Preis steigt
Preis für emittierte Treibhausgase (CO2-Äquivalente), in Euro je Tonne
Jörg Rothermel, Experte des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) springt ihm zur Seite. Er plädierte auf Anfrage der FAZ für größere Anstrengungen der neuen Bundesregierung, sich für einen globalen CO2-Preis einzusetzen. Falls dies nicht gelinge, müsse zumindest eine Lösung im Rahmen der G7- oder G20-Staaten für mehr Wettbewerbsfähigkeit sorgen.
Die zwei wichtigsten Gründe für den rasanten Preisanstieg:
Die Industrie wird mit weniger kostenlosen Zertifikaten versorgt. Somit kämpfen mehr Unternehmen in Auktionen um die begrenzten Zertifikate.
Zum anderen wird durch die wirtschaftliche Erholung nach den diversen Lockdowns wieder mehr CO2 produziert.
Fazit: Wer den Klimaschutz nicht global denkt, denkt gar nicht.
© imago
Dr. Jens Ehrhardt ist einer der größten bankenunabhängigen Vermögensverwalter Europas, der im Kundenauftrag hohe zweistellige Milliardenbeträge anlegt. Gestartet ist der heute 79-Jährige als Journalist. Als ihn viele Leser fragten, ob er nicht von der Information zur Aktion übergehen wolle und ihr Vermögen verwalten bzw. vermehren wolle, gründete er 1974 die Dr. Jens Ehrhardt Vermögensverwaltung, die seit 2008 DJE Kapital AG heißt.
Außerdem gehört er dem Aufsichtsrat der Media Pioneer Publishing AG an, die unter anderem diesen Newsletter herausgibt. Mit Dr. Ehrhardt habe ich für den Morning Briefing Podcast über die Perspektiven der globalen Finanzmärkte gesprochen.
Auf die Frage, wie es eigentlich sein könne, dass die Börsenindizes in Deutschland und den USA trotz Corona immer neue Rekorde vermelden, sagt er:
Die Börse boomt nicht trotz, sondern wegen Corona. Ohne Corona hätten die Notenbanken nicht diese gigantischen Mengen an Liquidität in den Markt gegeben.
Eine Infografik mit dem Titel: Aufstieg nach der Krise
Kursverlauf des Nasdaq 100, Dax und Dow Jones seit Januar 2020, indexiert in Prozent
Die möglichen Folgen des von der FED angekündigten Taperings schätzt er so ein:
Der Liquiditätszustrom würde verebben und das würde einen negativen Einfluss auf die Börse haben. Aber: Ich denke nicht, dass das Ganze so dramatisch negativ sein würde, wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
Auf die Frage, ob der enorme Kursanstieg, insbesondere bei den Technologiewerten, sich auch im neuen Jahr fortsetzt, sagt er:
Wegen der Niedrigzinspolitik fehlt es an Anlagealternativen zu renditestarken Aktien.
Eines sieht er im nächsten Jahr auf keinen Fall: einen Börsencrash:
Die Notenbanken können unbegrenzt Geld drucken und deshalb können sie jeden Crash mit neu gedrucktem Geld auffangen. Und: Das werden sie auch weiterhin tun.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Inflationsgeschichte
Inflationsrate im Euroraum, jährliche Veränderung in Prozent
Auch in diesem Jahr freuen wir uns, wenn Sie mit uns die Rangliste der deutschen Politik bestimmen:
Wer hat am meisten überzeugt, wer ragte heraus in einem politisch turbulenten Jahr?
Darüber haben auch meine Kollegen ThePioneer Chefredakteur Michael Bröcker und Vize-Chefredakteur Gordon Repinski diskutiert:
Bis zum 19. Dezember können Sie hier abstimmen.
Der neue Kanzler hatte sich einiges an Freundlichkeiten für den ersten Besuch in Polen vorgenommen. Als Olaf Scholz am Sonntag in Warschau landete, schien er die Konfliktthemen wenigstens nicht öffentlich ansprechen zu wollen – stattdessen betonte er Gemeinsamkeiten der wechselhaften Nachbarschaft.
Und selbst offensichtliche Streitthemen wie die um die Ostseepipeline Nord Stream 2 moderierte Scholz auf erträgliches Maß herunter: Sein Credo – bald werde man wegen der Energiewende ohnehin kein Gas mehr benötigen.
Sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki war da weniger diplomatisch. Am liebsten solle man das Projekt sofort stoppen, sagte er. Es wirkte fast wie eine Düpierung des Gastes aus Berlin, berichtet mein Kollege Gordon Repinski, der Scholz nach Warschau begleitet hat.
© dpaUnd die Katerstimmung setzt sich am Tag danach fort: Kaum sind die Außenministerin und der Kanzler abgereist, wird deutlich, dass Polen nicht viel von den deutschen Positionen hält. Morawiecki bezeichnete die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP festgehaltenen Pläne zu einer stärkeren Föderalisierung der EU als „Gleichschaltung und Gleichmacherei".
Fazit: Europa ist manchmal nur ein anderes Wort für Schmerztherapie.
© imago
Die stellvertretende Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang gab gestern morgen auf Twitter bekannt, dass sie sich offiziell um den Parteivorsitz der Grünen bewirbt.
© dpaIn den letzten Jahren haben wir daran gearbeitet, die Partei zu öffnen und Politik für die ganze Gesellschaft zu machen. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen.
Die 27-Jährige aus Baden-Württemberg bewirbt sich nach dem Außenpolitiker Omid Nouripour, der seine Kandidatur bereits Anfang Dezember erklärt hatte. Am 28. und 29. Januar wählen die Grünen auf einem virtuellen Parteitag ihre neue Führung.
China lebt – auch in Stuttgart. Die Daimler AG ist nicht nur schwäbisch, sondern zu 20 Prozent bereits chinesisch. Die neuen Besitzverhältnisse an dem Konzern wurden im Zuge der Abspaltung des Daimler-Truckgeschäfts bekannt.
So hat der chinesische Staatskonzern BAIC erstmals seine Anteile offengelegt. Diese übersteigen das bisher Vermutete um nahezu das Doppelte: Der chinesische Joint-Venture-Partner ist mit 9,98 Prozent der Anteile der größte Einzelaktionär. Dicht gefolgt wird er von Li Shufu, dem Gründer des chinesischen Autokonzerns Geely, der auf 9,7 Prozent kommt.
© dpaDaimler-Chef Ola Källenius hieß die Partner aus Fernost herzlich willkommen. Er sagte:
Wir freuen uns über das Engagement aller langfristig orientierten Aktionäre, die unsere Strategie unterstützen.
Was man so sagt, wenn man spürt, dass man allmählich fremdbestimmt wird.
Heute vor 110 Jahren erreichte der Norweger Roald Amundsen mit seinem Team als Erster den geographischen Südpol. Erst fünf Wochen danach schaffte es sein Konkurrent, der tragische Held Robert Falcon Scott aus Großbritannien.
Aber die Geschichte ist mehr als nur das Drama zwischen zwei Abenteurern und dem Ringen zwischen Mensch und Natur. Sie enthält eine Parabel, die von der Ineffektivität handelt, die man zuweilen erreicht, wenn man besonders effektiv sein möchte.
Der Brite Scott war ein Offizier der Marine. Seine Mission wurde von privaten Vereinigungen wie der Königlich Geographischen Gesellschaft finanziert, aber auch vom Staat gefördert. Es gab viele Sponsoren und schon damals galt das Sprichwort: Zu viele Köche verderben den Brei.
Die Expedition zum Südpol geriet zum Mammutprojekt: 19 mandschurische Ponys, die eigentlich aus Asien stammten und deshalb mit dem ewigen Eis nicht vertraut waren, konnten der Mission keinen Dienst erweisen. Aber die Pferde waren der Stolz der Armee. Über 30 Hunde waren auch dabei – deutlich zu wenig. Der norwegische Wettbewerber hatte fast doppelt so viele dabei. Drei Motorschlitten hatte man auch in Richtung Südpol verlagert. Doch diese frühen Verbrennungsmotoren taugten noch nicht viel, schon gar nicht bei den extremen Temperaturen der Antarktis.
Scott und seine Mannschaft verloren die Pferde, die Motorschlitten, die Hunde – und schließlich ihr Leben.
© imagoDer Norweger Amundsen war auch deshalb siegreich, weil er das heutige Management-Prinzip KISS verfolgte: Keep it simple and stupid. Fünf Männer, vier Schlitten und 54 Hunde. Tiere, die ausgedient hatten – auch das gehört zur Wahrheit dazu -, wurden von den Pionieren verzehrt. Amundsen und seine Männer gewannen das Wettrennen. Zur Belohnung rauchten sie Zigarren im ewigen Eis.
Die Briten hingegen starben den Kältetod in der weißen Hölle des Südpols. Expeditionsführer Scott schied am 29. März 1912 auf dem Ross-Schelfeis aus dem Leben. Bis zum Schluss, auch das mag uns als Gleichung dienen, waren er und sein Team zur Fehleranalyse nicht bereit. Das vermeidbare Ableben verherrlichte Scott in seinem Tagebuch als Heldentod:
I have done this to show what an Englishman can do.
Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in diesen neuen Tag. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr