die zwei Frauen an der Spitze Europas sind mit reichlich Vorschusslorbeeren in ihre jeweiligen Spitzenämter gestartet. „Ursula von der Leyen besitzt die DNA der europäischen Gemeinschaft”, schmeichelte Emmanuel Macron einer Deutschen, die seine Kandidatin geworden war.
Dieser Lorbeer ist verdorrt; die Jubelarie verstummt. Ursula von der Leyen und Christine Lagarde können mit ihrer Bilanz derzeit nicht überzeugen. Weltweit wächst der Zweifel an der Führungsfähigkeit in Brüssel und in Frankfurt.
1. Die europäische Corona-Politik darf als gescheitert gelten. Die absolute Zahl der täglichen Neuinfektionen liegt im Wochenschnitt derzeit höher als in den USA. Auch bei der 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner liegt der Kontinent Europa auf dem ersten Platz.
Eine Infografik mit dem Titel: Corona: Europa vorn
7-Tage-Inzidenz nach Weltregionen seit März 2020
2. Die gemeinsam verfolgten Klimaschutzziele von EU und EZB sind moralisch ehrenwert, aber politisch naiv und ökonomisch verhängnisvoll. Mit einseitigen Steuern, Auflagen und Zielquoten werden europäische Schlüsselindustrien gegenüber dem globalen Wettbewerb benachteiligt. Die Welt hat gerade erst beim Weltklimagipfel in Glasgow gezeigt, dass sie nicht bereit ist, dem europäischen Vorbild zu folgen. Der Klimaschutz kommt, aber deutlich langsamer.
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Unter den europäischen Wirtschaftsführern werden Kritik und Sorge um bedrohte Arbeitsplätze lauter. Vor allem das EU-Programm „Fit for 55“ sorgt für Verärgerung. Ryanair-Chef Michael O’Leary verliert, wenn es um Frans Timmermans, EU-Kommissionsvizepräsident und Kommissar für Klimaschutz, geht, die Contenance:
Das Letzte, was wir brauchen, sind verdammte Holländer, die uns sagen, wir sollen mehr Steuern bezahlen.
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Wolfgang Reitzle, noch bis März kommenden Jahres Aufsichtsratsvorsitzender der Linde plc, sprach sich beim FDP-Parteitag im September gegen einen europäischen Alleingang aus:
Das Klima retten wir entweder global oder gar nicht.
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VDA-Präsidentin Hildegard Müller:
Mit dem für 2035 vorgesehenen Flottengrenzwert von null Gramm schlägt die EU-Kommission faktisch ein Verbot von Verbrennungsmotoren vor. Die Auswirkungen für die Arbeitsplätze in diesem Bereich werden erheblich sein.
3. Die Geldpolitik der EZB stößt erstmals auch im Lager der internationalen Investoren auf Skepsis bis Unverständnis. Aus marktfremden Gründen – zum Beispiel dem, Italien und andere Südstaaten mit niedrigen Zinsen weiter finanzieren zu wollen – kommt es zu unrealistischen Inflationsprognosen. Das Neue: Aus diesen Inflationsprognosen leitet sich eine Zinspolitik ab, denen die Märkte keinen Glauben mehr schenken.
Sowohl die Inflationserwartungen als auch die Zinserwartungen der Marktteilnehmer fallen erstmals deutlich höher aus: Das marktbasierte Barometer für Inflationserwartungen der Eurozone „Five-Year, Five-Year-Forward“ – die Inflationsrate, die die Märkte in fünf Jahren für fünf Jahre erwarten – liegt mit knapp zwei Prozent auf einem Sieben-Jahres-Hoch. Der Markt fühlt sich vom scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann („perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick verlieren“) besser verstanden als von Lagarde und ihrem Hofstaat.
Eine Infografik mit dem Titel: Inflationserwartung des Marktes
Marktbasierte Inflationserwartung* in der Eurozone, in Prozent
Wer sehen will, der sieht ja, was weltweit los ist. Lieferprobleme, Chipmangel und steigende Rohstoffpreise haben in den USA zu einer Inflation von 6,2 und in Deutschland von 4,5 Prozent geführt, die gar nicht so schnell verschwinden kann wie Lagarde behauptet.
Eine Infografik mit dem Titel: Inflation: Deutschland vs. USA
Steigerung des Verbraucherpreisindex gegenüber Vorjahresmonat in Deutschland und den USA seit Oktober 2020, in Prozent
Fazit: Das offizielle Europa – das gern von „europäischen Werten“ spricht und damit seine moralische Überlegenheit gegenüber Chinesen und Amerikanern auszudrücken pflegt – sollte das vertrauliche Selbstgespräch suchen. Schon die ständige Redensart der beiden Spitzenfrauen von „Ich glaube…“und „We believe” verrät einen idealistischen Politikansatz, der in der Welt der Realpolitik zerschellen wird. Genau aus diesem Grunde riet Friedrich Nietzsche vom politischen Wunschdenken ab:
Das Bedürfnis nach Glaube ist der größte Hemmschuh der Wahrhaftigkeit.
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Carsten Spohr ist der Corona-Held unter den Dax-Kapitänen. Mit der Rückzahlung aller Staatshilfen an das Finanzministerium hat der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Lufthansa Wort gehalten. Nun wird nach einem abgestimmten Plan auch der Staatsanteil an der Fluggesellschaft von 14,09 Prozent auf 0,0 Prozent zurückgeführt.
Eine Infografik mit dem Titel: Krisengewinner Lufthansa
Die weltweit größten Airlines nach Umsatz 2020, in Milliarden US-Dollar
Doch wie geht es nach der erfolgreichen Rettung mit der Airline weiter? Im Morning Briefing Podcast erörtern wir alle für die Lufthansa – die in 2020 die größte Fluggesellschaft der Welt war – relevanten Fragen:
© Anne Hufnagl
Wie will der Konzern seine durch die Pandemie bedingten Schulden in Höhe von 10 Milliarden Euro bedienen?
Von welchen Prognosen über das künftige Verhalten von Geschäftsreisenden geht der Vorstand im Zeitalter von Zoom und Skype aus?
Wie wirken sich die geplanten Umweltauflagen der EU auf die Bilanz aus? Was hält Spohr von Flugzeugen, die mit Wasserstoff betrieben werden?
Der erleichtert wirkende Konzernchef sagte an Bord der PioneerOne:
Der Überlebenskampf als solcher liegt hinter uns. Das Geld ist wieder beim Staat.
Eine Infografik mit dem Titel: Die Ära Spohr
Konzernergebnis und Umsatzerlöse von Lufthansa seit 2008, Angaben in Milliarden Euro
Vor allem das globale Frachtgeschäft entwickelt sich derzeit prächtig, weshalb im dritten Quartal bereits ein kleiner Konzerngewinn ausgewiesen wurde:
Schon jetzt haben wir eine Milliarde Gewinn im Frachtbereich erzielt. Ohne die Börsenaufsicht nervös zu machen, darf ich verraten: Es wird noch mehr. Und: Das ist nicht nur in diesem Jahr so.
Der Grund für diese Prognose liegt in den Lieferschwierigkeiten der anderen Verkehrsträger:
Wir sehen auch für die nächsten Jahre in der Verlässlichkeit der Logistikketten, zum Beispiel auf der Seeseite, große Schwächen. Diese Schwächen helfen uns.
Hinzu komme das durch die Pandemie veränderte Konsumverhalten. Der Aufstieg des E-Commerce spiele der Lufthansa in die Karten:
Wenn wir Dinge im Internet sehen, wollen wir nicht mehr zwei Wochen warten bis das Schiff angelegt hat. Dieses Konsumverhalten wird sich so schnell nicht zurückdrehen lassen.
Über die von der EU geplanten Steuern und Auflagen für den Klimaschutz, die gerade die Luftfahrt in hohem Maße betreffen würden, sieht er naturgemäß kritisch, vor allem deshalb, weil sie nur die europäischen Airlines treffen und dadurch die außereuropäischen Anbieter bevorzugen:
Wir in Europa belasten einseitig mit dem Luftverkehr eine der Branchen, in der wir noch führend sind. Die Wettbewerber, die ihr Drehkreuz dann hinter der EU-Grenze in Istanbul oder in Dubai betreiben, freuen sich über dieses Konjunkturprogramm aus Brüssel.
Die Umwelt dürfte von dieser Brüsseler Klimapolitik dennoch nicht profitieren:
Auf einmal werden Umwege über diese Drehkreuze materiell günstiger und zugleich aber - in CO2 gemessen - teurer für die Umwelt. Das kann Brüssel nicht wollen.
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Die Mehrkosten von Co-2-Steuer und anderen geplanten Maßnahmen taxiert die Lufthansa bis 2035 auf 15 bis 20 Milliarden Euro, was im Grunde den Todesstoß für die Profitabilität der Firma bedeuten würde.
Vor Covid hatten wir mit zwei bis drei Milliarden Gewinn die besten Jahre für das Unternehmen, mit dem höchsten absoluten Gewinn. Wenn Sie das den neuen Belastungen gegenüberstellen, bleibt nichts mehr übrig.
So weit das Worst-Case-Szenario. Wenn es ihm dagegen gelingt, die EU-Kommission von ihren Plänen abzuhalten und der bald wieder stark wachsende Flugverkehr auf eine verschlankte Lufthansa trifft, dann sieht Spohr ein Best Case Szenario für die Mitarbeiter und die Investoren:
Ich glaube, dass wir die Chance haben, profitabler zu sein, als wir es in den besten Jahren der Lufthansa waren.
Fazit: Hier spricht ein Mann, der es vom Pilot zum Chef von Europas größter Fluggesellschaft geschafft hat. Er lobt die Politik für ihre Rettungspolitik und warnt vor der ökologischen Übertreibung. Die Klimaaktivisten müssen Carsten Spohr nicht zustimmen. Aber zuhören sollten sie ihm schon.
Auch über das Wochenende hat sich die Corona-Lage weiter zugespitzt. Hier die aktuellen Entwicklungen am Montagmorgen:
Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter: Gestern meldete das RKI 33.498 Neuinfektionen, damit stieg die bundesweite Inzidenz auf 289. Vor einer Woche lag sie noch bei 191,5. Seit Beginn der Pandemie gab es mehr als fünf Millionen bestätigte Corona-Infektionen in Deutschland.
Die Zahl der an und mit Corona Verstorbenen stieg auf 97.672.
Eine Woche nachdem Österreich eine flächendeckende 2G-Regel eingeführt hat, werden die Regeln für Ungeimpfte weiter verschärft. Ab heute gilt ein landesweiter Lockdown für Ungeimpfte. Diese dürfen das Haus nur noch in dringenden Fällen verlassen. Verstöße werden mit bis zu 1.450 Euro Strafe geahndet.
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Hubertus Heil möchte die Homeoffice-Pflicht wieder einführen. Der Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums sieht eine grundlegende Homeoffice-Pflicht vor. Für das Arbeiten am Arbeitsplatz in zwingend notwendigen Fällen soll es eine 3G-Regel geben. Der Gesetzentwurf wird nun in den Fraktionen der Ampel-Koalition besprochen.
Robert Habeck und Karl Lauterbach sprechen sich für eine Ausweitung der 3G-Regel im Zugverkehr aus.
Michael Kretschmer warnt vor der vierten Welle:
Wir stehen erst am Anfang eines harten Winters: Die Welle, die wir vor uns haben, wird alle bisherigen Wellen in den Schatten stellen.
Folgende Termine könnten in der kommenden Woche für Sie wichtig sein:
Montag:
Mit seiner Unterschrift setzt US-Präsident Joe Biden das kürzlich vom Kongress beschlossene Gesetzespaket zur Modernisierung der Infrastruktur der Vereinigten Staaten in Kraft. Über die nächsten Jahre sollen rund 550 Milliarden US-Dollar (476 Milliarden Euro) investiert werden.
Um 19:00 tagt der Kreisvorstand der CDU Hochsauerland in einer digitalen Sitzung. Geplant ist die Nominierung von Friedrich Merz für den Vorsitz der Bundespartei.
Dienstag:
In der Nacht auf Dienstag kommen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staatspräsident Xi Jinping zu einem virtuellen Treffen zusammen.
Um 8:00 Uhr tagt in Österreich der Immunitätsausschuss des Parlaments zur Aufhebung der Immunität von Ex-Kanzler Sebastian Kurz.
Mittwoch:
Am Mittwoch gibt es die Quartalszahlen des Chipherstellers NVIDIA.
Zudem eröffnet Deutschlands größte Kunstmesse Art Cologne nach zweijähriger Pause ihre Tore.
In Berlin ehrt Bundespräsident Steinmeier mit dem Deutschen Zukunftspreis Einzelpersonen oder Gruppen für eine hervorragende technische, ingenieur- oder naturwissenschaftliche Innovation. Der Preis ist mit 250.000 Euro dotiert.
Donnerstag:
Am Donnerstag gewährt Thyssenkrupp einen Einblick in seine aktuellen Bilanzzahlen.
Fünf Vogelarten kämpfen um den Titel „Vogel des Jahres 2022“. Bis zum Donnerstag läuft noch eine virtuelle Abstimmung.
Freitag:
Ein Highlight im Terminkalender des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder: In Nürnberg eröffnet er ein Bratwurstmuseum. Damit wird Nürnberg endlich konkurrenzfähig gegenüber dem Land Thüringen. Denn dort existiert bereits eines.
© Anne Hufnagl
Seit über 50 Jahren steht Peter Maffay auf der Bühne. Der Musiker ist ein Symbol für den deutschsprachigen Rock’n’Roll. Mit seinem Album „So weit“ landete er im September zum 20. Mal auf Platz Eins der deutschen Album Charts. Das ist Weltrekord! Kein anderer Musiker hat irgendwo auf der Welt mehr Nummer Eins Alben platzieren können als Peter Maffay.
Steppenwolf aus dem Jahr 1979 war übrigens das erste Nummer Eins Album in der Siegerserie. Es wurde 1,6 Millionen Mal verkauft, seinerzeit ein Verkaufsrekord.
Peter Maffay ist für viele seiner Fans nicht nur Sänger, Gitarrist und Produzent, sondern auch eine Art Hausphilosoph. Er kann die Höhen und Tiefen des Lebens nicht verhindern, aber erklären. Erst durch die Erklärung werden Niederlagen erträglicher. Oder um es in den Worten von Peter Maffay zu sagen:
Stark ist, wer mehr Träume hat, als die Realität zerstören kann.
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in die neue Woche, trotz aller Zumutungen von Wind, Wetter und Corona.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr