die Union hat nicht einfach nur eine Bundestagswahl verloren. Die Union hat die Orientierung verloren. Sie weiß derzeit nicht, wo vorne und wo hinten ist.
Sie weiß, wo sie herkommt. Aber sie weiß nicht, wo sie hin will. Sie besitzt keine präzise Vorstellung von jenem Ort, an dem sie siedeln möchte, nachdem der Wähler sie aus dem Palast der Macht – den man bei uns Bundeskanzleramt nennt – vertrieben hat.
Alle Navigationsversuche der drei zur Auswahl stehenden Kandidaten für den Parteivorsitz wirken fahrig. Friedrich Merz will nach Rechts, aber nicht so richtig. Norbert Röttgen will in die Mitte und dann auch nach oben, da wo es hell und geistig wird. Helge Braun steht wie der letzte Prätorianer der Angela Merkel vor der Glut einer Ära, deren letzte Bestimmung die Verglühung ist.
Eine Infografik mit dem Titel: Union: Die Abgänge
Abgewanderte Wähler der Union bei der Bundestagswahl 2021
Die CDU hat ihren Erstwohnsitz, die Macht, verloren. Und ihren Zweitwohnsitz, da wo die Werte und Wünsche und auch die Visionen zu Hause sind, hat sie in den letzten Jahren kaum mehr besucht. Nach dem Auszug von Heiner Geißler, Kurt Biedenkopf und Norbert Lammert hat hier keiner mehr gelebt, gedacht, gefühlt. Das Mobiliar ist runtergerockt. Die Bibliothek verstaubt. In einem der hinteren Flure hängt ein Ölgemälde von Ludwig Erhard. Bonner Barock.
„Konservatismus ist die Bewegung des Bewahrens“, sagt der konservative Historiker Prof. Andreas Rödder und liefert damit die Regieanweisung für die neuerlichen Dehnübungen des Friedrich Merz. Der will die Erstarrung der Union, die immer auch seine ist, überwinden.
Eine Infografik mit dem Titel: CDU: Der Mitgliederschwund
Anzahl der Parteimitglieder der CDU seit 1990
Doch kann das funktionieren? Der Mann, der mitten hinein in die Adenauerzeit geboren wurde und in dessen Teenagertagen der deutsche Schlager mit Chris Roberts („Die Maschen der Mädchen“) und Michael Holm („Barfuß im Regen“) seine Triumphe feierte, ist kein Mann der Moderne. Er ist ein Überlebender. Oder um es mit Nicolas Gomez Davila zu sagen:
Auch Mentalitäten sind Reiche, die zusammenbrechen.
Das ist ja das Vertrackte in diesem Fall: Nichts an Friedrich Merz ist falsch. Aber ist er deshalb schon der Richtige?
Zumindest die Frage, ob die CDU reaktionär werden soll, darf als historisch beantwortet gelten. Rechts in der Parteienlandschaft hat die AfD bereits ihr Wigwam aufgestellt, in Rufnähe campiert die NPD. Diese Weiden sind – das hat die Bundestagswahl gezeigt – keineswegs saftig grün, sondern schimmern bräunlich. Eine Volkspartei der Mitte wird hier keine neue Nahrung finden. Das hat auch Friedrich Merz mittlerweile eingesehen.
„Die Forderung, die CDU müsse wieder konservativer werden, scheint bei einigen meiner Parteifreunde eine Art Pawlowschen Reflex auszulösen und kommt angesichts des Verlustes von 1,53 Millionen Wählern an die SPD und 920.000 an die Grünen einem erweiterten politischen Suizid gleich“, sagt Dennis Radtke. Er sitzt für die CDU im Europaparlament und gehört zu ihrem christlich-sozialen Flügel.
© CDA-NRWEr zitiert – gewissermaßen als seinen Kronzeugen – die Konrad-Adenauer-Stiftung und deren Studie „Vermessung der Wählerschaft vor der Bundestagswahl 2021“. Demnach ist für die größer werdende Gruppe der Wechselwähler die soziale Frage entscheidend. Ein scharfkantiges konservatives Profil schrecke sie ab, was für eine CDU unter Merz bedeutet: Vorsicht Verletzungsgefahr.
Doch genau da, wo der Sozialflügel der CDU hinziehen möchte, da wohnt jetzt Olaf Scholz. Er hat die Wahl mit dem Versprechen eines erhöhten Mindestlohns und einer stabilen Rente gewonnen. Seinen heimlichen Wahlslogan hat er bei Konrad Adenauer geklaut: keine Experimente.
Eine Infografik mit dem Titel: Der Abstieg der Union
Wahlergebnis der Union, in Prozent
Im Haus von Olaf Scholz steht für moderate Christdemokraten allzeit das Gästeappartement bereit. Gleich im Eingangsbereich, damit es auch jeder sieht, hat der Hausherr einen kleinen Schrein für die heilige Angela gebaut, die bis gestern seine Chefin war und jetzt seine Säulenheilige ist. Kein CDU-Vorsitzender kann ihn links überholen, ohne dass ihm rechts der Mitte die Wähler von der Fahne gehen.
Also wohin, CDU?
Der Partei von Helmut Kohl und Angela Merkel braust der Kopf. Wo immer sie anklopft, weist man ihr die Tür. Sie kann nur noch auf eine Wiederholung des Weihnachtsmärchens hoffen, wo sich auch für Maria und Josef irgendwo auf freiem Feld schließlich eine Stallung fand.
Denn in der Tat haftet der Geburt des neuen CDU-Vorsitzenden diesmal etwas Biblisches an, denn die bisherigen Eltern eines jeden CDU-Chefs, die Funktionäre, sind diesmal an der Zeugung nicht beteiligt. Das politische Gegenstück zur Jungfrauengeburt ist die Mitgliederbefragung. Es soll eine von Intrigen unbefleckte Empfängnis garantieren.
© imago
Freitag um 14:00 Uhr ist Bescherung. Dann wird ein neuer CDU-Vorsitzender in der Krippe liegen, Fleisch vom Fleische der Christenunion. Oder um noch einmal den konservativen kolumbianischen Essayisten Nicolas Gomez Davila zu zitieren:
Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, dass er sich findet.
Favorit auf den Posten des neuen CDU-Chefs und damit inoffizieller Oppositionsführer in diesem Land ist Friedrich Merz. Doch was würde er mit der Partei anfangen, sollte er an diesem Freitag die Basis hinter sich versammeln können?
Meine Kollegen Michael Bröcker und Stefan Lischka haben – begleitet von unserer Fotografin Anne Hufnagl – den 66-jährigen Juristen aus dem Sauerland gestern in seinem Bundestagsbüro im Jakob-Kaiser-Haus besucht, um Antworten zu finden auf die wichtigen Fragen:
Wie konservativ ist Merz wirklich?
Dem zentralen Verdikt seiner Kritiker, er sei ein Mann von gestern, widerspricht er gleich zu Beginn:
Das Interessante ist, dass das an keiner Stelle mit irgendeinem konkreten Thema verbunden wird, sondern dass das immer für sich alleine als Behauptung im Raum stehen bleibt.
Es folgt ein kleiner Modernisierungs-Test des CDU-Kandidaten. War der Ausstieg aus der Kernenergie richtig?
Der Ausstieg aus der Kernenergie war zumindest in der Reihenfolge falsch. Wir steigen zu viel aus, und diskutieren zu wenig, wo wir einsteigen.
Hätten Sie der Ehe für alle im Bundestag zugestimmt?
Ich hätte der Sache zugestimmt, aber den Wunsch damit verbunden, dass das nicht auf einem abendlichen Empfang einer Boulevardzeitung verkündet, sondern im Bundestag ausführlich diskutiert wird.
Ist die Schuldenbremse angesichts der Mini-Zinsen und des hohen Investitionsstaus ein Relikt alter Zeiten?
Sie ist aus guten Gründen gerade für schwierige Zeiten in das Grundgesetz aufgenommen worden und sollte da bleiben.
Sind Sie ein Neoliberaler?
Im alten Verständnis des Begriffes, dass es eben nicht die Marktradikalen sind, sondern diejenigen, die die soziale Marktwirtschaft erfunden haben, hätte ich gesagt: Ich bin einer. Aber so wie er heute missbraucht und verfremdet wurde, mache ich ihn mir nicht mehr zu eigen.
Hat die CDU die soziale Flanke vernachlässigt?
© Anne HufnaglWir haben in einer ganzen Reihe von Themen keine befriedigenden Antworten gegeben und alle Entscheidungen zu spät getroffen.
Brauchen wir mehr Zuwanderung?
Wir sind ein Einwanderungsland und müssen das bleiben - mit geordnetem Zugang in den Arbeitsmarkt und möglichst wenig Zuwanderung in die Sozialsysteme.
Michael Bröcker und Friedrich Merz haben auch noch über Klimaschutz, Aktienkultur und das Wahlalter ab 16 Jahren gesprochen.
Ob Friedrich Merz den Modernitäts-Test bestanden hat? Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.
Ein Best-of des Gesprächs hören Sie im Morning Briefing Podcast. Das gesamte Gespräch können Sie auf ThePioneer.de oder in ihrer Pioneer Podcast App hören.
Bei einem Herzinfarkt zählt jede Sekunde. Doch idealerweise werden Verengungen in den Blutgefäßen bereits frühzeitig festgestellt. Nach über zwanzig Jahren Forschung ist es einem Team der Siemens Healthineers gelungen einen Computertomographen für Aufnahmen in HD-Qualität zu entwickeln. Das quantenzählende CT liefert gestochen scharfe 3D-Bilder unserer Organe, Knochen und Blutgefäße.
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Die erste Regierungserklärung des neuen Kanzlers war als große Rede konzipiert und komponiert:
Zunächst war da der würdige Dank an die Vorgängerin, die jetzt als Dr. Angela Merkel angesprochen wird. Sie habe „der Bundesrepublik Deutschland 16 Jahre lang in eindrucksvoller Weise als Bundeskanzlerin gedient, jederzeit orientiert an der Sache und an den Tatsachen, stets völlig uneitel und ohne Allüren, immer mit Mut und mit Klugheit, mit Pragmatismus und mit Umsicht.” Scholz überhöht sie, auch um sich zu erhöhen. Die Botschaft: Der Politiker Scholz hat sich in den Staatsmann gleichen namens verwandelt.
© dpa
Der Kanzler bemüht den historischen Superlativ als er die Dekarbonisierung bis 2045 ankündigt: „Damit liegt vor uns die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens hundert Jahren.” Das ist nur dann richtig, wenn man die Transformation von der Agrar- zur Industriegesellschaft, den Wiederaufbau einer Trümmerlandschaft nach dem 2. Weltkrieg zur größten Volkswirtschaft Europas und die Integration der DDR-Planwirtschaft in die bundesdeutsche Marktwirtschaft als Fußnoten der Geschichte betrachtet. Wir sollten gnädig sein: Scholz ist Jurist, kein Historiker.
Und er gibt dem Steuerzahler zu verstehen, dass seine Mission nicht billig wird, auch wenn er die Worte Steuererhöhung, Kreditaufnahme und Schattenhaushalt vermeidet:
Damit die Transformation unseres Landes gelingt, wird die Bundesregierung in den kommenden vier Jahren viele Milliarden Euro einsetzen müssen. Dafür werden wir den verfassungsgemäß zulässigen Spielraum nutzen.
Fazit: Scholz hat eine solide Rede gehalten, kein Oratorium abgeliefert. Die Antrittsrede eines jeden neuen Regierungschefs ist der in Worte gefasste Wille. Sie beschreibt eine Ambition, noch nicht deren Erfüllung.
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Großer Vertrauensbeweis für Tim Höttges. Sein Arbeitsvertrag wird vom Aufsichtsrat vorzeitig um fünf Jahre verlängert. Und: Sein Kollege und Bruder im Geiste Frank Appel von der Deutschen Post DHL – auch ein Globalist und Reformer – wird neuer Aufsichtsratschef der Deutschen Telekom. Die alte Deutschland AG – hier verkörpert durch Prof. Dr. Ulrich Lehner – geht in Rente.
Doch die Erwartungshaltung an Höttges hat der Aufsichtsrat auch deutlich adressiert: Bilateral und in den vorbereitenden Sitzungen. Die Telekom ist ein Unternehmen, das nicht nur in Amerika reüssieren dürfe, sondern verstärkt auch in Deutschland und Europa:
In der Realität glänzt vor allem der amerikanische Markt: „Die Deutsche Telekom ist so abhängig wie nie zuvor von ihrer US-Tochter T-Mobile”, urteilte das Handelsblatt nach Vorlage der Quartalszahlen für Q3.
Die US-Tochter T-Mobile erwirtschaftet gemeinhin rund 60 Prozent des bereinigten Ebitda. Das bedeutet: Die Cash-Cow der Bonner Firma grast irgendwo zwischen Florida und Cape Cod.
Eine Infografik mit dem Titel: USA: Höhere Zahlungsbereitschaft
Durchschnittlicher monatlicher Umsatz pro Mobilfunkkunde, in Euro
Der Grund: Am amerikanischen Kunden lässt es sich besser verdienen. Der durchschnittliche monatliche Umsatz je Mobilfunkkunde in den USA liegt mit 47,71 Euro über doppelt so hoch wie die 19,54 Euro in Deutschland. Auch Westeuropa als Ganzes hinkt mit 23,64 Euro hinterher, wie aus einer Analyse von GSMA Intelligence für das dritte Quartal 2021 hervorgeht.
Dadurch lässt sich auch in den amerikanischen Netzausbau mehr investieren: In den USA werden durch die Mobilfunkbetreiber 214 Euro pro Kopf in Netze investiert, in Europa sind es lediglich 95 Euro.
Die Marktkapitalisierung offenbart die Problematik im europäischen Markt, der in Wahrheit eben kein europäischer Markt ist. Mit einer Bewertung von 145 Milliarden US-Dollar ist das amerikanische Tochterunternehmen T-Mobile US wertvoller als die Deutsche Telekom und BMW zusammen. Auch British Telecom und Orange erzielen nur Börsenwerte von 21,49 und 27,2 Milliarden Dollar, die im globalen Maßstab niedlich sind.
Eine Infografik mit dem Titel: Wertmehrung vs. Wertvernichtung
Marktkapitalisierung der Telekommunikations-Märkte der USA und Europas seit 2010, indexiert in Prozent
Fazit: Die Mission des Tim Höttges wird keine leichte sein. Das vereinte Europa, von dem die Politiker gerne sprechen, gibt es für ihn nicht. Regulierung und nationalstaatliche Parzelierung fressen die Renditen, die Invesitionsbudgets und am Ende womöglich die Idee von Europa.
Die US-Notenbank Federal Reserve hat gestern den Anfang vom Ende der Geldflutungspolitik angekündigt. Sie wird das Tempo reduzieren mit dem sie ihr Anleihe- und Aktienkaufprogramm platziert, und die Käufe ab Januar um 30 Milliarden Dollar pro Monat zurückfahren. Damit würde die Marktstimulierung mehrere Monate früher als noch im November angekündigt auslaufen.
Konkret bedeutet das für die Fed, Ende März 2022 die Kaufprogramme gänzlich einzustellen. Damit stehe einer Erhöhung des Leitzinses nichts mehr im Wege: Für 2022 erwarten die Notenbanker drei Erhöhungen, für 2023 sind drei weitere Erhöhungen vorgesehen, gefolgt von zweien im Jahr 2024. Seit dem 16. März 2020 liegt der Leitzins zwischen null und 0,25 Prozent.
Im Pioneer „Investment Briefing“ erwarten Sie weitere Details: Unsere Börsen-Reporterinnen Annette Weisbach und Anne Schwedt blicken heute morgen genauer auf die Fed-Entscheidung und die Reaktion der Kapitalmärkte.
Königin Elisabeth II. und Prinzessin Margaret, Soraya von Persien, Marlene Dietrich und Rita Hayworth hatten eines gemeinsam: Allesamt kauften sie ihre Kleider in der Avenue Montaigne in Paris bei Christian Dior. Vor 75 Jahren eröffnete dieser sein erstes Atelier – wo sich noch heute der Flagshipstore seiner Weltmarke befindet.
Schon die erste Modekollektion, die Dior am 12. Februar 1947 in Paris vorstellte, wurde ein großer Erfolg. Nach langen, grauen Kriegsjahren lieferte der damals 42-Jährige das, was als „New Look“ gefeiert wurde – weg von den männlichen, militärischen und funktionalen Anzügen hin zu langen Kleidern, fließenden Kurven und weichen Schultern. Christian Dior brachte Weiblichkeit und Freude zurück in ein vom Krieg zermürbtes Europa. Zumindest in den bürgerlichen Salons wurde wieder getanzt.
© imagoDior hatte zunächst gar nicht vor, in der Modebranche zu arbeiten. Nach seiner Kindheit in der kleinen Normandie-Stadt Granville betrieb er von 1928 bis 1934 eine Kunstgalerie in der französischen Hauptstadt, wo er Objekte von Zeitgenossen wie Salvador Dali oder Christian Bérard sammelte und verkaufte. Erst die Insolvenz seines Vaters in der Weltwirtschaftskrise – der ihm das Dasein als Galerist finanziert hatte – trieb Dior in die Modewelt. Die Krise war seine Chance.
Christian Dior verstarb bereits am 24. Oktober 1957 im Alter von 52 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts. Aber die zehn Jahre aktiver Schaffenszeit reichten aus, um den Grundstein für eine Marke zu legen, die noch heute als Synonym für Pioniergeist, Extravaganz und die Luxusvariante von Leidenschaft gilt. Seine Idee von Mode war nicht Kleidung, sondern Verkleidung. Oder wie er sich ausdrückte:
My dream is to save women from nature.
Ich wünsche Ihnen einen schwungvollen Start in diesen neuen Tag. Bleiben Sie mir gewogen.
Es grüßt Sie auch das Herzlichste
Ihr