Pandemie nationaler Tragik: Wo steckt Scholz?

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Guten Morgen,

in Zeiten der Harmlosigkeit hätte man von einem Schildbürgerstreich gesprochen. Doch im Angesicht steigender Infektions- und Todeszahlen ist der Bundestagsbeschluss der Ampelkoalitionäre, „die epidemische Lage von nationaler Tragweite“ für beendet zu erklären, die Unterlassung einer Hilfeleistung und der Start eines Covid-Förderprogramms.

Eine Infografik mit dem Titel: Todesfälle: Erneuter Anstieg

Täglich gemeldete Todesfälle mit dem Coronavirus (COVID-19) in Deutschland seit März 2020

Die Entscheidung des Bundestages – zu der Olaf Scholz sein Plazet gab – ist nicht evidenzbasiert, sondern parteipolitisch motiviert. Man will ein Zeichen des Aufbruchs und der zurück gewonnenen Freiheit senden. Man glaubt, sich von Angela Merkel und dem RKI distanzieren zu müssen. Noch bevor Olaf Scholz ins Bundeskanzleramt übersiedelt, hat er im Wolkenkuckucksheim sein Quartier bezogen.

Richard von Weizsäcker © dpa

Unwillkürlich kommt einem der ehemalige Bundespräsident von Weizsäcker mit seinem Urteil über die Entscheidungsmechanismen der Politik in den Sinn:

Nach meiner Überzeugung ist unser Parteienstaat von beidem geprägt, machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der politischen Führungsaufgabe.

Denn in Wahrheit erlebt Deutschland in diesen Herbsttagen eine epidemische Lage von nationaler Tragik. Hier die unbequemen Fakten:

Lothar Wieler  © dpa

  • Der Glaube, die Zweifachimpfung sei der Königsweg aus der Pandemie, entpuppt sich als gefährliche Illusion. Immer häufiger kommt es zu Impfdurchbrüchen. Laut einer Studie der schwedischen Universität Umeå sinkt in allen Altersgruppen die Wirksamkeit des BioNTech-Impfstoffes nach sieben Monaten auf 23 Prozent.

Eine Infografik mit dem Titel: Impfung: Wirksamkeit schwindet

Wirksamkeit der Impfung gegen Corona, in Prozent

  • Zu spät hat das deutsche Gesundheitssystem mit der Booster-Impfung begonnen. Nur sechs Prozent der Bevölkerung sind dreifach geimpft und damit halbwegs winterfest.

Maskenpflicht in den Schulen © dpa

  • Die Maskenpflicht in den Schulen wurde abgeschafft. Die Impfzentren hat man weitgehend geschlossen. Inmitten der Pandemie schaltet der Staat auf Normalbetrieb. Die Mahnungen des RKI-Präsidenten („Wir befinden uns in einer Notlage“) werden von Scholz und seiner neuen Koalition vorsätzlich überhört. Dabei heißt es in einer RKI-Analyse vom 22. September 2021 klipp und klar:

Die Vorstellung des Erreichens einer Herdenimmunität mit dem Ziel einer Elimination oder sogar Eradikation des Virus ist nicht realistisch.

Eine Infografik mit dem Titel: Infektionen: Der Rekordbrecher

Täglich gemeldete Neuinfektionen mit dem Coronavirus (COVID-19) in Deutschland seit März 2020

  • In Wahrheit erleben wir eine fortgesetzte globale Zirkulation des Virus. Es mutiert auf seiner Reise munter vor sich hin. Die aggressive Deltavariante hat sich nach Alpha, Beta und Gamma auch in Deutschland durchgesetzt. Sie sorgt dafür, dass die Intensivstationen wieder gut gefüllt sind.

  • An den Flughäfen gibt es eine Rückkehr zur Normalität bei der keineswegs die Impfausweise oder gar die Testergebnisse von den Reisenden verlangt werden. Auch nicht bei Auslandsreisen. Als Gründe für eine kontinuierliche Zirkulation von Sars-CoV-2 nennt die RKI-Analyse „erneute Infektionsimporte aus dem Ausland und nachfolgende Etablierung von Transmissionsketten im Inland”.

Karl Lauterbach © dpa

  • Der geimpfte Teil der Bevölkerung wiegt sich in falscher Sicherheit und wird so zum Wirtstier der COVID-19 Viren. Bereits Mitte Dezember werde die Kapazitätsobergrenze der Intensivstationen überschritten, sagt Professor Karl Lauterbach.

  • Den Deutschen steht erneut ein Weihnachtsfest mit Todesfolge bevor. Prof. Lothar Wieler sagt:

0,8 Prozent der Infizierten werden sterben. Das steht fest. Daran ist nichts mehr zu ändern. Das sind jeden Tag 400 Menschen.

Fazit: Der Staat verweigert seinen Bürgern die maximal mögliche Schutzfunktion – und der neue Kanzler lässt es geschehen. Olaf Scholz taktiert, aber er führt nicht. Er moderiert, wo Wegweisung von ihm erwartet wird. Er ist nicht der Fels in der Brandung, sondern der Kieselstein, der mit dem Strom den Berg hinuntersaust.

Olaf Scholz © SZ Magazin

Jens Stoltenberg © dpa

Hoher Besuch heute Morgen auf der PioneerOne: Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein gebürtiger Norweger, wird zu einem Gespräch auf unserem Medienschiff erwartet. Er wird sich den kritischen Fragen von Pioneer-Vize Gordon Repinski und weiteren Hauptstadtjournalisten stellen:

Wie geht es weiter mit der NATO nach ihrem Scheitern in Afghanistan?

Alexander Lukaschenko © dpa

Wie blickt er auf das aggressive Vorgehen von Diktator Lukaschenko an der polnisch-weißrussischen Grenze?

Und lässt sich das Verhältnis zu Wladimir Putin, der in der Ukraine weiterhin militärisch mitmischt, noch deeskalieren?

Wollen Sie bei diesem Top-Event, das von der Deutsch-Atlantischen Gesellschaft und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik organisiert wird, dabei sein? Über einen Live-Stream können Sie das Gespräch und die Tagung „Agenda 2030 - eine transatlantische Agenda für die Zukunft“ bei uns an Bord verfolgen.

 © Anne Hufnagl

Hendrik Wüst © picture alliance

Hendrik Wüst ist frisch vereidigt als neuer Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) absolvierte er gestern seinen ersten Auftritt auf Bundesebene. Heute Morgen schildert er im Morning Briefing Podcast seine Sicht auf die aktuelle Corona-Lage und die Beschlüsse:

Viele hundert Menschen werden sterben. Wir können daran heute nichts mehr ändern.

Dass die Ampel gestern die epidemische Notlage für beendet erklärt, kann er in keinster Weise nachvollziehen:

Wir haben eine epidemische Lage nationaler Tragweite und der Bundestag beschließt das Gegenteil.

Trotzdem wird die CDU im Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Seine Begründung:

Die Politik ist in der Lage, einig zu kommunizieren.

Pflegeheim © Imago

Die Entscheidung, eine Impfpflicht für Berufsgruppen in Alten- und Pflegeheime einzuführen, verteidigt er:

Ich habe bis heute nicht verstanden, dass jemand sich mit seinem ganzen Leben der Pflege, dem Gesundheitsschutz anderer verschreibt, aber in dieser Situation sich nicht impfen lässt.

Sein selbstbewusstes Fazit: „Hier spricht Team Verantwortung.“

So will die Ampel das Gesundheitssystem umkrempeln

Drogen, Prävention, Kliniken, Pflege - so will die Ampel das Gesundheitssystem umbauen.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Stephan Lamby © dpa

Er ist einer der profiliertesten politischen Filmemacher der Republik und Träger des Deutschen Fernsehpreises: TV-Journalist Stephan Lamby hat mit seinen Polit-Dokumentationen Geschichte geschrieben (u.a. Nervöse Republik, Schäuble, Bimbes), jetzt hat er den Machtwechsel des ablaufenden Jahres verfilmt (Wege zur Macht, ARD) und in einem lesenswerten Insider-Buch festgehalten.

Beim Live-Podcast “Der 8. Tag” stellt der 62-jährige Bonner sein neues Buch vor und bespricht mit ThePioneer-Chefreporterin Alev Doğan und SPD-Vize Kevin Kühnert den Berliner Machtwechsel nach 16 Jahren Angela Merkel. Und um den schmalen Grat zwischen journalistischer Nähe und Distanz, Authentizität und Inszenierung geht es dabei auch.

Stallarbeiter von Thyssen Krupp © dpa

Der Vorsatz ist löblich: Thyssen-Krupp will sich im kommenden Jahr neu aufstellen und die Zukunft traditionsträchtiger Geschäftseinheiten neu definieren. Konkret geht es um den Bau von Marineschiffen und Wasserstoffanlagen, aber auch um das nur noch schwächlich pulsierende Herz des Konzerns: die Stahlsparte.

Vorstandsvorsitzende der Thyssen-Krupp Martina Merz © dpa

Zwar überraschte Vorstandschefin Martina Merz – die auf verschlungenen Pfaden den Weg von der Spitze des Aufsichtsrates an die Spitze des Managements fand – gestern mit der Ankündigung von Milliardengewinnen für das erst im Oktober angelaufene Geschäftsjahr 2021/2022. Diese führt sie auf die diesmal stark gestiegene und ansonsten stark schwankende Stahlnachfrage zurück.

Klaus Keysberg © imago

Die Abspaltung der Stahlsparte wurde seit der Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999 regelmäßig debattiert, doch nie vollzogen. Das soll sich nun ändern: Laut Finanzchef Klaus Keysberg visiert der Konzern eine gesonderte Notierung der Sparte an der Börse an, bei der die Altaktionäre des Gesamtkonzerns am neuen Unternehmen beteiligt werden.

Und Martina Merz? Da sie kaum einer lobt, tut sie es halt selbst:

Nach gut zwei Jahren intensiver Transformation können wir heute sagen: Die Trendwende ist erkennbar, es geht in die richtige Richtung bei Thyssen-Krupp.

Das Copyright für diesen erbaulichen Satz muss sie sich mit ihren Vorgängern Gerhard Cromme, Ekkehard Schultz, Heinrich Hiesinger und Guido Kerkhoff teilen.

Prof. Hans-Werner Sinn © imago

Die Inflationsentwicklung in Deutschland besorgt ihn: Prof. Hans-Werner Sinn äußert sich im Gespräch mit dem Handelsblatt zu den Ursachen der Geldentwertung und begründet, warum wir womöglich nicht das Ende, sondern den Beginn einer Entwicklung sehen:

Die EZB hat staatliche Papiere im Volumen von vier Billionen Euro angekauft und die Zentralbankgeldmenge in den vergangenen 13 Krisenjahren bald doppelt so schnell anwachsen lassen wie die Fed. Der Geldüberhang beträgt fast fünf Billionen Euro. Die Gefahr ist, dass dieser Geldüberhang irgendwann Güter sucht, die es nicht gibt. Die Folge wäre eine große Inflation.

Doch die beschleunigte Geldentwertung sei nur eine der Nebenwirkungen der EZB-Politik. Die andere:

Indem die EZB die Schuldpapiere der Staaten mit frischem Geld kauft, stolpert Europa von einem Schuldenexzess zum nächsten.

Bill Gates © dpa

Der Unterschied zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Volkswirtschaft lässt sich anhand von zwei Unternehmen erzählen, die fast im selben Jahr gegründet wurden. Deutschlands größte Softwareschmiede, SAP, startete 1972 als Anbieter von Lohnabrechnungs- und Buchführungs-Software. Drei Jahre später begann Bill Gates mit dem Verkauf einer Softwareanwendung zur Bedienung von Computern.

Zum richtigen Zeitpunkt starteten beide in vergleichbarer Ausgangslage und schaffen es bis heute, erfolgreich zu sein. Doch damit enden die Ähnlichkeiten.

SAP-Chef Christian Klein © dpa

SAP etablierte sich als Marktführer im Bereich der Unternehmenssoftware und versucht diese Position durch einen Wechsel auf ein Abo-basiertes Preismodell zu verteidigen. Mit dem gleichen Produkt und neuem Geschäftsmodell möchte das SAP-Team somit auch in Zukunft weiterhin erfolgreich wirtschaften. Die Firma steht für Gründlichkeit, Stabilität und strategische Langeweile.

Eine Infografik mit dem Titel: Mitarbeiterzahl: Microsoft vorn

Entwicklung der Mitarbeiterzahl bei Microsoft und SAP seit Gründung

Die Microsoft-Mannschaft hat hingegen Vitalität bewiesen und ist mit unweit mehr Mitarbeitern als SAP immer wieder in neue Geschäftsbereiche vorgedrungen. Die Firma hat sich mehrfach neu erfunden: 2001 gelang Microsoft durch die Etablierung von Computern in den heimischen Büros der Sprung an die Spitze der wertvollsten Unternehmen der Welt. Anfang dieses Monats konnte das Unternehmen diesen Coup wiederholen – dem florierenden Software- und Cloud-Geschäft sei Dank. An der Börse ist Microsoft heute mit 2,56 Billionen Dollar gut 16-mal so wertvoll wie der 170 Milliarden schwere deutsche Konkurrent.

Eine Infografik mit dem Titel: Aktienkurs: Microsoft zieht davon

Aktienkurs von Microsoft und SAP, in US-Dollar

Ein Grund für die vergleichsweise wachstumsfeindliche und eher innovationsscheue SAP-Kultur ist Übervater und Mitgründer Hasso Plattner. Der Mann war sich, kaum zu Geld gekommen, selbst genug. Das Verhältnis zum legendären SAP-Vorstandsvorsitzenden Bill McDermott aus den USA, der dem Konzern eine aggressive Wachstumsagenda verpasste, kühlte ab. McDermott ging und übernahm im Oktober 2019 die Führung des deutlich kleineren Konkurrenten ServiceNow. Das erst 2004 gegründete Unternehmen beschäftigt nur rund 12.000 Mitarbeiter im Vergleich zu den 105.000 SAP-Mitarbeitern.

Hasso Plattner © dpa

Die Börse traut ServiceNow mehr zu als SAP. Die Firma war zu McDermotts Amtsübernahme rund 45 Milliarden Dollar wert, mittlerweile sind es 135 Milliarden. In Kürze könnte der Amerikaner seinen einstigen deutschen Arbeitgeber überholen. Wenn Hasso Plattner Größe zeigen will, ruft er spätestens dann seinen Ex CEO an, um zu gratulieren.

 © John Spiers / Comedy Wildlife Photography Award

Im wahren Leben geht die Artenvielfalt zurück. In den Medien dagegen feiern unsere Mitbewohner auf dem Planeten immer neue Beliebtheitsrekorde. Jährlich prämieren die „Comedy Wildlife Photography Awards“ die lustigsten Bilder von Eisbär, Giraffe & Co. Das Ziel: Den Schutz der Tierwelt durch Humor voranbringen.

Auch dieses Jahr lädt die Auswahl der Finalisten zum Schmunzeln, aber auch zum Nachdenken ein:

 © Jakub Hodan / Comedy Wildlife Photography Award © Jakub Hodan / Comedy Wildlife Photography Award © Ken Jensen / Comedy Wildlife Photography Award

Jane Goodall kämpft dafür, dass Tiere nicht nur mit Humor, sondern mit Lebenschancen bedacht werden. Die Londoner Verhaltensforscherin begann 1960 damit, das Verhalten von Schimpansen im Gombe-Stream-Nationalpark in Tansania zu untersuchen. Sie gab der Welt einen tiefen Einblick in das Leben der engsten Verwandten des Menschen. Über das Jane-Goodall-Institut setzt sie sich für den Schutz der Habitate von Affen aller Art ein.

Chelsea Spieker und Jane Goodall © Johanna Lohr

2019 traf sich die heute 87-Jährige mit meiner Kollegin Chelsea Spieker. Entstanden ist ein inspirierendes Interview, das heute genauso aktuell klingt wie damals. Vielleicht sogar aktueller, weil dringlicher.

Wir teilen 98,6 Prozent unserer DNA mit Schimpansen. Die Anatomie des Gehirns ist fast identisch. Im Verhalten: Küssen, Umarmen, Händchenhalten, bei der nonverbalen Kommunikation sind wir fast identisch.Männchen, die um die Vorherrschaft konkurrieren, prahlen wie menschliche männliche Politiker.

Das 20-minütige Gespräch haben wir für Sie in Hörspielqualität aufbereitet. Ab Samstag ist es in der Pioneer-Podcast-App und auf ThePioneer.de verfügbar. Ich dachte, das rufe ich Ihnen zum Beginn dieses Herbstwochenendes zu.

Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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