Der Poker um die Gaspipeline

Putins Pipeline: 7 Fragen, 7 Antworten

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Guten Morgen,

das Wort des Jahres ist schon jetzt Nord Stream 2. Vom amerikanischen Präsidenten bis zum deutschen Kanzler sprechen alle über diese Pipeline, die bislang zwar als Angstvokabel funktioniert, aber nicht als Gasleitung. Denn auf den Rohren ist der Pfropfen drauf.

Damit die Debatte nicht zur Verhärtung von Ressentiments führt, sondern auf der Basis von Fakten geführt werden kann, hier die sieben entscheidenden Antworten auf die sieben wichtigsten Fragen:

1. Wo genau verläuft diese Pipeline und wie teuer war das Projekt?

Die Pipeline beginnt in Russland in einem kleinen Dorf namens Ust-Luga, das knapp 2200 Einwohner beherbergt und in der Lugabucht der Ostsee liegt. Von dort aus verläuft sie 1230 Kilometer über den Boden der Ostsee nach Deutschland, wo sie in Lubmin, einer Gemeinde im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns, endet.

Eine Infografik mit dem Titel: Pipeline-Pärchen

Verlauf von Nord Stream und Nord Stream 2

Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich laut der Nord Stream 2 AG auf rund 9,5 Milliarden Euro.

2. Wem gehört Nordstream 2, also wer sitzt wirtschaftlich wirklich am Schalthebel der Macht?

Um die Pipeline Nord Stream 2 zu planen, zu bauen und zu betreiben, wurde 2016 die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG gegründet. Der Firmensitz befindet sich in Zug in der Schweiz. Die Unternehmensanteile werden von der Gazprom international projects LLC, einer 100 prozentigen Tochtergesellschaft der PAO Gazprom, gehalten. Im Klartext: Nord Stream 2 ist eine lupenreine Putin-Veranstaltung.

Allerdings: Im April 2017 unterzeichnete die Nord Stream 2 AG mit fünf europäischen Energieunternehmen Finanzierungsvereinbarungen zum Projekt der Pipeline Nord Stream 2. Siehe dazu auch Frage 3.

3. Wer sind die beabsichtigten Abnehmer des russischen Gases in Deutschland?

Die Abnehmer sind zugleich die oben erwähnten Finanzinvestoren. Es handelt sich um die französische Firma ENGIE, die britisch-niederländische Royal Dutch Shell, die österreichische OMV, sowie die deutschen Energiefirmen Uniper und Wintershall DEA, eine BASF-Tochter. Diese fünf europäischen Unternehmen übernehmen einen Teil der Projekt-Finanzierung und tragen mit ihrer Abnahme des Gases zugleich zur Refinanzierung des Investments bei.

4. Verdient unser ehemaliger Bundeskanzler Gerhard Schröder an den Gaslieferungen, falls es wirklich zu Gaslieferungen aus Russland kommt?

Er ist nicht direkt an Umsatz und Gewinn der Betreibergesellschaft beteiligt. Aber: Gerhard Schröder ist Aufsichtsrat beim russischen Energiekonzern Rosneft und Vorsitzender des Aktionärsausschusses bei Nord Stream, der Betreibergesellschaft der beiden Pipelines. Seine Aufgabe ist es vor allem, die Interessen der Investoren aus verschiedenen Ländern auszubalancieren. Dafür bekommt er eine Aufwandsentschädigung. Die fließt auch dann, wenn Nord Stream 2 aus politischen Gründen nicht in Betrieb geht. Anteile an der Pipeline oder eine Exekutivfunktion in der Betreibergesellschaft besitzt er nicht. Er ist ein Lobbyist des Projektes, aber kein direkter Profiteur.

5. Wie sieht das große Bild aus: Wie groß ist die Energieabhängigkeit von Russland heute und wie würde sich die Situation durch die neue Pipeline verändern?

Eine Infografik mit dem Titel: Woher kommt das Rohöl in Deutschland?

Verteilung der Rohölbezugsquellen Deutschlands im Jahr 2020, in Prozent

Eine Infografik mit dem Titel: Woher kommt das Erdgas in Deutschland?

Verteilung der Erdgasbezugsquellen Deutschlands im Jahr 2020, in Prozent

Bereits heute stammen 42 Prozent des deutschen Rohöls und 55,2 Prozent des deutschen Erdgases aus Russland. Die Transportkapazität durch die Ostsee verdoppelt sich durch Nord Stream 2 von heute 55 auf dann 110 Milliarden Kubikmeter jährlich. Das bedeutet: Auch wenn ein Teil des zusätzlichen Gases in die übrige EU strömt, wird die Energieabhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft steigen.

6. Wer sind die entschiedenen Gegner und wer die leidenschaftlichen Befürworter des Projektes?

Annalena Baerbock © imago

Zur Fraktion der Nord Stream 2-Gegner gehören die amerikanischen Republikaner, die NATO und die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Der Republikaner Ted Cruz sprach im US-Senat Klartext:

Am Ende dieser Debatte wird jeder entscheiden müssen, dieser Pipeline durch verbindliche Sanktionen endgültig ein Ende zu setzen. Unsere ukrainischen Verbündeten schreien danach, dass wir dies tun.

Der Antrag scheiterte knapp: 55 Senatoren votierten dafür, es fehlten 5 Stimmen.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig © dpa

Die größten Befürworter des Projektes befinden sich in Russland und in Deutschland. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sagt:

Ich hoffe auf ein zügiges, rechtsstaatliches Verfahren, damit die Leitung in Betrieb gehen kann.

Auch Gerhard Schröder, Kevin Kühnert und Ralf Stegner sind für den Lieferbeginn von Nord Stream 2.

7. Der deutsche Bundeskanzler hat bei der Inbetriebnahme oder dem Verbot von Nordstream 2 ein entscheidendes Wort mitzureden. Aber wo genau steht Olaf Scholz?

Zunächst war Nord Stream 2 für den Bundeskanzler ein rein „privatwirtschaftliches Vorhaben”, über das „ganz unpolitisch” entschieden werden müsse. Das sagte er am 16. Dezember.

Olaf Scholz © dpa

Unter dem Druck der Öffentlichkeit und unter dem Eindruck des russischen Truppenaufmarsches an der Ostgrenze der Ukraine hat Scholz einen rhetorischen Wandel vollzogen, der nicht mit einem Sinneswandel verwechselt werden darf. Er sagt:

Klar ist, dass es hohe Kosten haben wird und alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt.

Das klingt nach einer Absage an Nord Stream 2, ist es aber nicht. Scholz sagt im Gegenteil, solange es keinen Einmarsch der Russen gibt, sollte Nord Stream 2 nicht boykottiert werden.

Fazit: Es gibt in dieser Frage zwei Schlussfolgerungen, die man beide mit guten Gründen ziehen kann.

Schlussfolgerung 1: Die Politisierung aller Wirtschaftsprojekte vernichtet Wohlstand und schafft dennoch keinen Frieden. Autokraten werden durch Wirtschaftssanktionen nicht gestoppt, sondern stimuliert.

Schlussfolgerung 2: Ohne spürbare wirtschaftliche Folgen wird es bei Putin keine Verhaltensänderung geben. Die Freiheit wird nicht am Hindukusch, wohl aber in der Ostsee verteidigt.

Antoine de Saint-Exupéry, der Erfinder des kleinen Prinzen und der Entdecker märchenhafter Halb- und Zwischenwahrheiten, konnte Putin nicht kennen. Aber er rät uns, den Begriff Wahrheit im Plural zu denken: „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“

Der kleine Prinz © Antoine de Saint-Exupéry

Ampel nimmt Energiepreise ins Visier

Das EEG gilt als Strompreistreiber. Nun denkt die Ampel an eine vorzeitige Abschaffung.

Briefing lesen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker Gordon Repinski .

Briefing

Antony Blinken © imago

Der amerikanische Außenminister Antony Blinken befindet sich auf Europareise. Sein erster Besuch galt am Mittwoch dem ukrainischen Präsidenten. Diesem versicherte er, dass es „keine Entscheidungen über die Ukraine ohne die Ukraine” geben werde. Über die Lage an der ukrainischen Grenze zeigte er sich stark besorgt und betonte:

Wir wissen, dass es Pläne gibt, die Streitkräfte in kürzester Zeit noch weiter aufzustocken.

Nächster Stopp für Blinken: Berlin. Dort traf er im Auswärtigen Amt die deutsche Außenministerin. Blinken nutze die Gelegenheit, um deutliche Drohungen in Richtung Moskau auszusprechen: Jegliche Aggression gegen die Ukraine werde eine „schnelle, ernsthafte und gemeinsame Antwort" provozieren. Die USA seien weiterhin gegen eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2, da dies die Ukraine als Transitland von Erdgas weiter schwächen würde.

 © dpa

Wer behaupte, die Lieferung von Waffen durch Großbritannien und die USA würde zu einer weiteren Eskalation beitragen, stelle die Welt auf den Kopf. Dies sei nur eine „Antwort auf die Aggression von Russland”.

Heute trifft Blinken seinen russischen Amtskollegen in Genf, um über die Ukraine zu reden. Ohne Europa. Ohne die Ukraine.

Hendrik Streeck © dpa

Das Infektionsgeschehen in Deutschland läuft auf Hochtouren. Die 7-Tage-Inzidenz lag gestern bei 638,8 und das RKI meldete 133.536 Neuinfektionen an einem Tag. Die Regierung und das RKI warnen vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Hendrik Streeck, Virologe und Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung, sagt im heutigen Morning Briefing Podcast im Gespräch mit Rasmus Buchsteiner:

Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahlen weiter nach oben gehen und die Fallzahlen steigen.

Klick auf Kachel führt zur Podcast-Folge

Aber:

Von einer Überlastung des Gesundheitswesens sind wir gegenwärtig weit entfernt.

Wir haben keinen Anstieg auf den normalen Stationen oder im intensiven medizinischen Bereich, sodass man keine weiteren Maßnahmen treffen muss.

Er rät nicht zur Panik, sondern zur Vorsicht:

Jeder muss für sich selber schauen, wie er seine Kontakte reduziert, wenn er dem Virus entweichen will.

Eine Impfpflicht lehnt er aus folgenden Gründen ab:

Die Pocken konnten wir durch eine Impfpflicht ausrotten, weltweit. Die Masern sind theoretisch ausrottbar und wir haben solche Phänomene wie Herdenimmunität. Daher ist es sinnvoll, dort eine Impfpflicht zu haben. Bei einem Virus, wo wir nur eine gesunde Immunität aufbauen, also das Virus sich trotzdem weiter verbreiten wird, macht in meinen Augen eine Impfpflicht keinen Sinn. Zusätzlich können wir gar nicht sagen, was für Varianten noch kommen und wie dann die Schutzdauer und Schutzwirkung der Impfung in der Zukunft sein wird.

Fazit: Professor Hendrik Streeck hat Mut – auch den zur Komplexität.

 © dpa

Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Coronapolitik der neuen Regierung steigt. In der aktuellen Cosmo-Studie der Universität Erfurt, die seit Beginn der Pandemie 1010 Personen demoskopisch begleitet, ist das Vertrauen in die Politik der neuen Bundesregierung dramatisch gesunken.

  • Der Anteil derer, die der Regierung (eher) vertrauen, ist im Vergleich zur Vorerhebung um 11.6 Prozentpunkte eingebrochen und liegt bei 27 Prozent.

Vor allem die 2G-Plus-Regel trifft im Alltag auf Verunsicherung und Unverständnis. Dass neuerdings doppelt Geimpfte auch mit Maske und Abstand nicht mehr in Restaurants sitzen oder am Kulturleben teilnehmen dürfen, wirkt verstörend.

Jens Spahn © dpa

Noch im August sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn, dass „geimpft sein einen positiven Unterschied machen muss”.

Die Erst- und Zweitimpfung gebe Sicherheit, warb Kanzlerin Angela Merkel in ihrem letzten Video-Podcast.

Nun ist alles anders. Plötzlich wird der Booster zur Pflicht und die alleinige Erst- und Zweitimpfung entwertet den Impfstatus. Plötzlich sind – laut dieser Definition – nur noch 48,9 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft.

Mein Kollege Michael Bröcker kommentiert:

Die Impf-Politik widerspricht dem wichtigsten Leitbild jeder politischen Maßnahme: der Nachvollziehbarkeit. Doppelt Geimpfte, die sich an alle Regeln halten und der Politik brav gefolgt sind, werden plötzlich wie Impf-Muffel behandelt und vom Freizeitleben und in einigen Ländern sogar vom Breitensport ausgeschlossen. Das geht nicht.

Diese erratische Corona-Politik treibt selbst die Vernünftigen kopfschüttelnd in die Arme der Unvernünftigen. Die Politik hat die erste Impfkampagne zu spät begonnen und zunächst nur halbherzig in Angriff genommen. Aus falsch verstandener politischer Korrektheit wurden jene Wohnquartiere ignoriert, die aus sozialen und kulturellen Gründen das Impfen ablehnten. Nun hechelt die Politik seit Monaten der Impflücke hinterher, während in manchen europäischen Ländern die Post-Corona-Zeit begonnen hat.

Die doppelt geimpfte Mitte des Landes muss nun die Opfer bringen, die eine zögerliche und unsichere Pandemie-Politik mit sich gebracht hat.

Mein Wunsch an die Politik? Die beste Maßnahme der am Montag erneut tagenden Bund-Länder-Runde wäre: nichts mehr zu beschließen.

Jim Rakete © dpa

Die erste gute Idee seines Lebens war die eigene Umbenennung. Als aus Günther schließlich Jim geworden war, stand einer Karriere im Showgeschäft nichts mehr entgegen.

Als Jim Rakete eroberte der Fotograf und Musikmanager zunächst den deutschen Popadel – Nina Hagen, Nena, Spliff, Interzone, Sternhagel und Die Ärzte – bevor er sich dem internationalen Sternenhimmel zuwandte.

Schließlich hatte er viele der Götter und Halbgötter des Gewerbes vor der Kamera – Quentin Tarantino, Helen Mirren, Natalie Portman oder Christoph Waltz: Jim Rakete gehörte seit den achtziger Jahren zu den erfolgreichsten Fotografen Deutschlands.

Mit ihm hat The Pioneer-Chefreporterin Alev Doğan in ihrem Gesellschaftspodcast „Der 8. Tag“ über Erfolg gesprochen. Dabei stellt sich heraus, dass der Bildkünstler keinen Kontoauszug seiner Klientel braucht, um ihren Erfolg taxieren zu können. Die Gesichtszüge und die Gesten erzählen ihm mehr.

Und eine sprachliche Neuschöpfung hat er auch zu bieten. Rakete spricht vom „Darstellungserfolg“: „Das ist derjenige Erfolg, der entsteht, wenn eine Person so tut, als sei sie erfolgreich, und damit erfolgreich ist.“

Günter Grass © Jim RaketeJürgen Vogel © Jim RaketeGerhard Schröder © Jim RaketeNatalie Portman © Jim Rakete

Ich wünsche Ihnen einen kraftvollen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste,

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

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