derweil gefühlt 90 Prozent der Menschheit und 100 Prozent der Regierungspolitiker sich mit Corona beschäftigen, wird im Silicon Valley eine exterritoriale Zukunft gebaut, die noch zu unseren Lebzeiten die Gegenwart stark verändern wird. Und zwar unsere Art zu lernen, unsere Art zu arbeiten, unsere Art zu kommunizieren. Auch unsere Art, Geschäfte zu machen.
Es geht um nichts Geringeres als die Besiedlung eines neuen Planeten, nur dass dieser Planet in der dritten Dimension liegen wird, also in den virtuellen Weiten des Internets. Nach dem realen Universum entsteht hier – gewissermaßen als Nachbildung der Erde - das Metaversum, auf englisch: the Metaverse.
Doch diese Nachbildung – also die in die Dreidimensionalität exportierte Existenz von Klassenzimmer, Büro, Konzertsaal, Museum, Parlament und Urlaubsparadies – ist eine Nachbildung, die über das bisherige Internet weit hinausgeht. Das World Wide Web funktionierte bisher als große Tauschbörse für Texte, Fotos und Videos. Der Betrachter war Zuschauer. In der nächsten Entwicklungsstufe wird er selbst in das Internet hinein katapultiert. Er wird vom Zuschauer zum Mitbewohner. Mark Zuckerberg sagt:
Du schaust nicht mehr auf das Internet. Du bist drin. Du wirst Teil dieser Erfahrung. Das neue am Metaverse ist das Präsenzgefühl.
Wer das Ganze als Spielerei von Internet-Milliardären abtut, unterschätzt die politischen und ökonomischen Möglichkeiten:
© dpaDie Schulklasse wird im Metaverse auch bei Unwetter und Pandemie zusammenkommen und unterrichtet werden. Sie besitzt automatisch Zugang zu allen Bildern, Karten und Filmen der Menschheit – auch wenn die Schule bisher weder Bibliothek noch Kinosaal besaß.
Die Tickets für das Rolling Stones Konzert werden auch an jene verkauft, die körperlich gar nicht im New Yorker Madison Square Garden sein können, aber trotzdem mitrocken (und bezahlen) wollen.
Das anonymisierte Arbeiten im Home Office hat dann ein Ende, weil sich die lieben Kollegen nun im neuen, virtuellen Konferenzraum treffen. Das Arbeiten in der dritten Dimension wird so selbstverständlich sein wie heute das Telefonat oder die Video-Konferenz.
Im Metaverse verschmelzen alle Shops zu einem Giga-Store, wo der eigene Avatar – also das Abbild der eigenen Körperlichkeit – den Anzug und das Sommerkleid anprobieren kann, ohne dass man selbst sich aus- und umziehen muss.
In der globalen Wirtschaft hat sich bereits ein Strom der Investitionen in Bewegung gesetzt, der täglich anschwillt. Microsoft ist unter den Großinvestoren, aber auch Apple, Intel, Nike Inc. und Verizon.
Die Banken haben eigene Metaverse ETFs emittiert, von denen auch der technologisch wenig gebildete Anleger profitieren kann. Der „Meta ETF" hält Beteiligungen an rund 40 Aktien.
Die Immobilienbranche kauft und verkauft bereits für Millionenbeträge einzelne virtuelle Häuser. Die Webseite Non.Fungible.com dokumentiert diese Landnahme. „Das ist wie ein Grundstück in Manhattan kaufen, nur eben ein Grundstück vor 250 Jahren”, sagt Andrew Miguel, CEO der Firma Tokens.com.
© imago © Noemi Mihalovici
In diesen virtuellen Häusern kann man sich mit echten Freunden treffen, Voraussetzung ist lediglich der Besitz einer VR-Brille. Die Miniaturisierung der Brillen – die heute noch ähnlich wuchtig aussehen wie die ersten Mobiltelefone – hat bereits begonnen.
© imagoDer Facebook-Gründer hat Facebook kürzlich in Meta Platforms Inc. umbenannt, um den Mitarbeitern und der Kundschaft seine Ambition zu dokumentieren. Er will bei dieser Besiedlung des Neulandes eine führende Rolle spielen. Es geht um Geld, um sehr viel Geld. Das Metaverse werde in absehbarer Zeit 10 bis 20 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen, also ein Trillionengeschäft sein, prophezeit Matthew Balls, der Venture Kapitalist der Firma Roundhill Financial Inc. und einer der Evangelisten der neuen Welt.
Fazit: Ich dachte, diese Neuvermessung der Welt könnte Sie interessieren. Wir müssen nicht jede Verrücktheit aus dem Silicon Valley beklatschen. Aber kennen sollten wir sie schon. Albert Einstein wusste auch warum:
Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn ich gedenke in ihr zu leben.
© Anne Hufnagl
Israel kommt nicht zur Ruhe: Der Iran macht mit neuen Drohgebärden auf sich aufmerksam. Und im Inland sorgen Terrorattacken durch Palästinenser für Unruhe. Ein tragisches Beispiel: Erst kürzlich schoss ein palästinensischer Zivilist im Herzen Jerusalems auf Zivilisten. Ein Opfer verstarb.
Über Israel im Zeichen diverser Konflikte, deren Erleben als israelische Bürgerin und die Antworten der Sieben-Parteien-Koalition unter Premierminister Naftali Bennett spreche ich im heutigen Morning-Briefing Podcast mit Melody Sucharewicz.
Melody Sucharewicz wurde in München geboren und ist die Tochter des aus Polen stammenden Politologieprofessors und Kommunikationspsychologen Leo Sucharewicz. Nach ihrem Abitur wanderte sie 1999 nach Israel aus. Von 2006 bis 2007 war sie Sonderbotschafterin ihres neuen Heimatlandes und beriet anschließend den heutigen israelischen Verteidigungsminister Benny Gantz.
© Anne HufnaglIn der vergangenen Woche ist sie nach Deutschland gekommen, um Politiker der Ampel-Koalition zu treffen – darunter auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Zudem stattete sie unserem ThePioneer-Team auf dem Redaktionsschiff einen Besuch ab. Ihre Mission: Aufklärung über das, was im Nahen Osten wirklich geschieht.
Über die aktuellen Geschehnisse in Israel sagt sie:
Manche reden gerade von einer erneuten Terrorwelle.
Unter den Attentätern seien auffällig viele sehr junge Frauen:
Selbstmordattentäterinnen haben oft einen sehr komplizierten familiären Hintergrund. Um sich selber vor dem Tod zu schützen und die Ehre der Familie wieder zu etablieren, greifen sie aus Verzweiflung zum Messer.
Schuld an der Radikalisierung der Jugend trage die PLO:
Es ist eine Tragödie, was die palästinensische Führung mit der eigenen Jugend tut. Die Hetze, die Feindbilder, dieser Todeskult. Lieber als Märtyrer zu sterben als ein wundervolles Leben und eine eigene Familie zu erleben.
Dabei würden viele Israelis den Palästinensern einen eigenen Staat wünschen:
Ich glaube, dass die meisten Menschen in Israel den Palästinensern ihren eigenen Staat wünschen.
Solange die palästinensische Führung durch interne Rivalitäten geprägt sei, komme die auch im Ampel Koalitionsvertrag präferierte Zwei-Staaten-Lösung nicht in Betracht:
Eine Zwei-Staaten-Lösung ist momentan illusorisch.
Nach der Ernennung von Volker Wissing zum Bundesminister für Digitales und Verkehr suchte die FDP einen neuen Generalsekretär. Gestern schlug FDP-Chef Christian Lindner seiner Partei Bijan Djir-Sarai für dieses Amt vor.
Der 45-Jährige war zuletzt Außenexperte der FDP-Bundestagsfraktion und stand als solcher im Schatten des Talkshow erprobten Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Er ist Vorsitzender der wichtigen NRW-Landesgruppe, aus der auch Lindner stammt. Djir-Sarai kommt aus Teheran und kam auf Betreiben der Eltern mit elf Jahren zu seinem Onkel in Grevenbroich, der ihm eine bessere Lebensperspektive ermöglichen sollte.
Das Vorhaben der Eltern gelang. Der Neuankömmling fasste Fuß, studierte schließlich Betriebswirtschaftslehre an der Uni Köln. 1996 trat er in die Partei ein und wurde 2009 erstmals in den Bundestag gewählt. Sein Top-Thema bisher: Die Menschenrechte. Er engagiert sich für politische Gefangene in Syrien und Weißrußland und verkörpert damit das Freiheitsideal der FDP. Den bisher coolsten Satz seiner politischen Karriere sprach er gestern anlässlich seiner Nominierung:
Sie merken es an meinem Namen und auch an meinem Akzent. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen.
Nach dem missglückten Rückzug der US-Armee aus Kabul droht nun die zweite politische Niederlage für Joe Biden: Der eigene Mehrheitsführer der Demokraten, Joe Manchin, entzieht dem US-Präsidenten im Senat die Gefolgschaft. Er möchte sein Corona-Unterstützungspaket, den „Build Back Better”-Plan in Höhe von 700 Milliarden US-Dollar nicht mittragen und sagt:
Ich habe alles Menschenmögliche versucht. Ich kann es einfach nicht. Dies ist ein Nein.
Der Plan sieht unter anderem vor, dass Eltern Anspruch auf einen Kitaplatz bekommen und die Kosten für Medikamente wie Insulin drastisch gesenkt werden. Außerdem umfasst er milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz.
Der Grund für seine Ablehnung: Manchin ist ein fiskalisch konservativer Politiker, der lieber in Rüstung als in weitere Sozialleistungen investieren möchte:
Meine demokratischen Kollegen in Washington sind entschlossen, unsere Gesellschaft so dramatisch zu verändern, dass das Land den Gefahren, die es zu gewärtigen hat, noch schutzloser ausgeliefert ist.
Eine Infografik mit dem Titel: Biden: Die Jugend ist enttäuscht
Präsident Bidens Zustimmungswerte in 2021 nach Altersklassen, in Prozent
Dieser Liebesentzug trifft den Präsidenten zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Auch die Kernzielgruppe der Demokraten hat ihm das Vertrauen entzogen.
Fazit: An eine Wiederwahl von Joe Biden ist derzeit nicht zu denken.
Die aktuelle Corona-Lage am Morgen:
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist weiterhin rückläufig. Gestern lag sie bei 316. Die Hospitalisierungsrate hat sich im Tagesvergleich von 4,8 auf 4,7 reduziert. Das entspricht derzeit rund 3.930 Klinikaufnahmen pro Woche.
Eine Infografik mit dem Titel: Dresden: Corona-Spitzenreiter
7-Tage-Inzidenz ausgewählter Großstädte in Deutschland
Die EU-Arzneimittelbehörde EMA hat den Corona-Impfstoff des US-Herstellers Novavax abgesegnet. Es ist der fünfte in der EU zugelassene Corona-Impfstoff und der erste, der nicht auf der mRNA- oder Vektor-, sondern auf einer herkömmlichen Technologie basiert. Somit gilt er als Alternative für Impfskeptiker. Laut Studien hat er eine Wirksamkeit von 90 Prozent.
Derweil zeigt der Moderna-Booster in Labortests eine hohe Wirksamkeit gegen die Omikron-Variante: Nach Angaben des Unternehmens würde eine Boosterimpfung den Omikron-neutralisierenden Antikörperspiegel im Vergleich zu zweifach-Geimpften um das 37-Fache im Vergleich erhöhen.
Heute treffen sich Bund und Länder erneut zu Corona-Beratungen: Als Reaktion auf die Omikron-Variante sind auch Einschränkungen für Geimpfte geplant. So sollen ab dem 28. Dezember unter Geimpften nur noch Treffen zwischen maximal zehn Teilnehmern möglich sein. Dies geht aus einer Beschlussvorlage hervor.
Das Hongkonger Parlament wurde auch in der Vergangenheit nicht frei gewählt. Doch bei der jetzigen Wahl galten Einschränkungen wie nie zuvor: Nach den neuen Regeln durften erstmals nur noch „Patrioten" antreten. Das Parlament wird von bisher 70 auf 90 Sitze vergrößert – doch nur noch 20 statt bisher 35 Abgeordnete werden direkt gewählt. Die meisten Sitze sind vorab für Vertreter von Peking-freundlichen Interessengruppen reserviert.
Das neue Wahlgesetz sieht für Aufrufe zum Wahlboykott und die Abgabe ungültiger Stimmen bis zu drei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 200.000 Hongkong-Dollar (rund 22.800 Euro) vor.
Fazit: Von den Versprechungen bei der britischen Übergabe des ehemaligen Kronkolonie Hongkong an die Volksrepublik China ist nichts geblieben. Der Wortbruch gehört zur KP wie die Fliege zur Kuh.
Einer der umstrittensten Verleger der Nachkriegszeit ist gestern im Alter von 91 Jahren gestorben: Klaus Wagenbach. Er verlegte Ingeborg Bachmann, Günter Grass, Wolf Biermann und die radikalen Reden des jungen Martin Walser.
1949 begann er eine Lehre beim damals noch vereinten Verlag Suhrkamp/Fischer. Schnell wurde Kafka seine großen Leidenschaft: Er promovierte über den Autor und verfasste darauf aufbauend eine Biographie über den Schriftsteller, die er 1958 publizierte.
1964 gründete er in West-Berlin seinen eigenen Verlag – immer auf der Suche nach Lesern, die bereit waren, sich einer gedanklichen Anstrengung auszusetzen. 1994 schrieb er sorgenvoll:
Vorerst bleibt ungewiss, ob der wilde Leser nur kurzfristige Lösungen sucht – die ,Ratgeberliteratur‘ spricht eher dafür – oder ob da langfristige Phantasien am Werk sind, der Versuch, etwas von dem zurückzugewinnen, was früher einmal die allseits gebildete Persönlichkeit genannt wurde. Für sich selbst mehr zu erfahren, als von den Massenmedien zu erfahren ist.
Wagenbach ging. Aber „die wilden Leser“, von denen er sprach, sind geblieben. Es ist an der Zeit, dass wir den Kulturpessimismus der Linken durch einen neuen Kulturrealismus ersetzen. Oder um mit der großen Schriftstellerin Pearl S. Buck zu sprechen:
Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.
Ich wünsche Ihnen einen selbstbewussten Start in den Tag. Bleiben Sie mir gewogen. Es grüßt Sie auch das Herzlichste,
Ihr