es gibt auf dieser Welt einen einzigen Ort, da gibt es weder Lockdown, noch andere Stimmungskiller: die Börse. Dieser mystische Ort verwandelt schlechte Nachrichten von gerissenen Lieferketten, fehlenden Impfstoffvorräten und neuen Inzidenzrekorden mit geradezu systemischer Zuverlässigkeit in ein Kursfeuerwerk. Der Booster der Börse heißt Zuversicht.
Eine Infografik mit dem Titel: Aufstieg nicht zu stoppen?
Kursverlauf der Nasdaq 100, Dax und Dow Jones seit Januar 2021, indexiert in Prozent
Es ist durchaus kein naiver Optimismus, der die Kurse treibt. Hier die sieben Gründe für das Wohlergehen im globalen Casino:
Erstens: An der Börse wird die Zukunft gehandelt, die eine Zukunft nach Covid sein wird. Viele der großen, weltweiten Entwicklungen wie die Biochemie oder die Digitalisierung haben durch Corona sogar einen Beschleunigungsschub erfahren.
© imagoZweitens: Die Firmen liefern Traumrenditen. Vor allem die Plattform-Firmen – die sogenannten Hyper-Scaler – produzieren Gewinne wie der Goldesel die Dukaten. Das wiederum erregt die Investoren: Facebook plus 35 Prozent, Amazon plus 15 Prozent, Alphabet plus 79 Prozent, Apple plus 43 Prozent, Microsoft plus 61 Prozent, Netflix plus 25 Prozent und Nvidia plus 129 Prozent seit Anfang des Jahres.
© imagoDrittens: Die Welt wächst. Es gibt immer mehr Menschen und damit Kunden oder zumindest solche, die es erst noch werden wollen. Allein in diesem Jahr wuchs die Weltbevölkerung um rund 1,2 Prozent, was ein Plus von 94.255.492 Menschen bedeutet. Alle wollen essen, trinken, wohnen. Und anschließend fiebern sie danach, ein Smartphone zu besitzen.
Viertens: Die Geldmenge wächst und dieses Wachstum entlädt sich im Börsensaal. Gegenwärtig ist weltweit so viel Geld unterwegs wie nie zuvor. Laut Forbes verteilt sich die Geldmenge wie folgt (umgerechnet in US-Dollar):
Bargeld: 7,6 Billionen US-Dollar
Sichteinlagen bzw. Giralgeld: 82,8 Billionen US-Dollar
Bitcoin (Virtuelles Geld): 100 Milliarden US-Dollar
Rohstoffe, die als Zahlungsmittel dienen können: 17 Milliarden US-Dollar Silber und 7,7 Billionen US-Dollar Gold
Aktien: etwa 95,2 Billionen US Dollar (2019)
Staatsverschuldung weltweit: etwa 226 Billionen US Dollar
Derivate: etwa 630 Milliarden bis 1,2 Billionen Dollar
Dieses Geld wechselt dann und wann den Aggregatzustand, von fest auf flüssig, von Bitcoin zu Aktie und zurück. Die Börse liebt diese Zirkulation.
Fünftens: Der Staat zahlt die Party. Allein in den G20 pumpten die Notenbanken 2020 knapp neun Billionen Dollar in die Kreisläufe, rund 750 Milliarden Euro davon die EZB. Der geschulte Börsianer weiß, dass er sich auf den Staat als Stimmungsaufheller verlassen kann.
Sechstens: Der Kleinanleger verfolgt das muntere Treiben – und will mitspielen. Da ihn die Banken mit ihren Null- und Negativzinsen fürs Sparen bestrafen, betritt nun auch er todesmutig den Börsensaal. Die Aktienquote liegt mit 17,5 Prozent in Deutschland bereits in der Nähe der Dotcom-Ära: Piccolo für alle
© imagoSiebtens: Früh übt sich. Die Jugend hat das Börsenspektakel als Fortsetzung des Videospiels mit anderen Mitteln für sich entdeckt; die Zahl der Aktionäre im Alter zwischen 14 und 29 Jahren wuchs 2020 um 500.000. Populäre Trading Apps wie Trade Republic, eToro und Scalable Capital ermöglichen das Anlegen von Barmitteln binnen Minuten für sehr wenig Geld. Jugend trainiert für Olympia.
Fazit: Das Börsenspiel geht gut – bis es schief geht. Wann es soweit ist, wissen wir ganz genau. Aber leider erst hinterher. Oder wie André Kostolany zu sagen pflegte:
Zum Börsencrash wird nicht geklingelt.
Die Publizistin, Unternehmerin und Bestsellerautorin Diana Kinnert hat in Großbritannien mitgeholfen, ein Einsamkeitsministerium zu konzipieren, das sich heute darum bemüht, Kontakt zwischen Menschen herzustellen und die Forschung zum Thema Einsamkeit voranzutreiben. In einem Essay für ThePioneer, den wir für den Podcast vertont haben, schreibt sie über Einsamkeit in Zeiten der Pandemie:
© E.HopperDer Standard-Zustand der Menschheit ist die Isolation.
Unsere Gesellschaft heute gleiche dem, was der Maler Edward Hopper bereits vor Jahren in seinen Bildern zum Ausdruck gebracht hat. In der Pandemie erlebte er eine Renaissance seiner Beliebtheit. Kinnert spricht von der Gesellschaft der Zersprengten:
Durchindividualisiert, komplett-personalisiert, zu Tode flexibilisiert, alle beisammen, alle verbunden, aber keiner verbindlich. In die Simultanwelten des Digitalen wird wild und abstrakt hineingesprochen, wild und abstrakt schreit die digitale Welt zurück. Adressaten, Sender, alle unbekannt.
Wir seien alle gleich geschaffen, aber unsere absolute Einzigartigkeit mache uns laut Kinnert dennoch alle zu vereinzelten Individuen. Diese Individuen würden sich nun durch das Digitale in sich selbst zurückziehen:
Sie alle werden zu isolierten Protagonisten. Die modernen lost souls. Und das alles eben nicht in konservativen Pfaden, an kollektiven Orten, sondern in immerzu neuen, durchalgorithmisierten Echokammern unserer Selbst.
Dies schade unserem gesamtgesellschaftlichen Zusammenleben:
Nicht nur Demokratie, sondern Politik selbst, der öffentliche Raum, erübrigt sich, wenn sich in ihm keine Gemeinschaft aufhält.
Aber sie entlässt uns – so kurz vor Weihnachten – nicht in die Tristesse, sondern plädiert leidenschaftlich für eine Reform des gesellschaftlichen Miteinanders:
Wir müssen zurückkehren zu modernen Modellen der Partizipation und des Widerspruchs, zu neuen offenen sozialen Räumen für Gestaltung und Teilhabe.
Den von der Autorin eingesprochenen Essay können Sie heute morgen als Sonderpodcast auf ThePioneer hören. Prädikat: Thought provoking
Die aktuelle Corona-Lage am Morgen:
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist weiterhin rückläufig und lag gestern bei 306,4. Die Hospitalisierungsrate stagniert bei 4,7.
Gestern haben Bund und Länder einen Omikron-Gipfel abgehalten. Die Beschlüsse im Überblick:
- Spätestens ab dem 28. Dezember sind private Zusammenkünfte für Geimpfte und Genesene nur noch mit maximal zehn Personen erlaubt. Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres sind von dieser Regelung ausgenommen.
- Großveranstaltungen wie Fußballspiele dürfen nur noch ohne Publikum stattfinden.
- Clubs und Diskotheken müssen schließen.
- Das nächste Treffen ist auf den 7. Januar terminiert.
© dpaIm Vorfeld des Gipfels hatte das Robert Koch-Institut (RKI) in einem überraschenden Vorstoß „maximale Kontaktbeschränkungen“, die „sofort beginnen“ sollten, gefordert. Olaf Scholz und Karl Lauterbach wiesen den Vorstoß zurück.
In der EU verlieren Impfzertifikate ab dem 1. Februar 2022 ihre Gültigkeit, sofern neun Monate nach der Grundimpfung keine Boosterimpfung vorliegt.
Die Ständige Impfkommission empfiehlt derweil die Boosterimpfung nach drei Monaten statt wie bisher nach sechs Monaten. Die Empfehlung gilt ab sofort für Erwachsene.
Die Corona-Lage weltweit:
In den Vereinigten Staaten ist Omikron mittlerweile vorherrschend. Schätzungen zufolge entfielen rund 73 Prozent der Coronafälle in der vergangenen Woche auf die Virus-Variante.
Brasilien lässt ab sofort nur noch Geimpfte oder Genesene ins Land. Darüber hinaus ist ein negativer Test vorzulegen. Die Impfquote in Brasilien liegt mittlerweile bei 66,22 Prozent, trotz der ablehnenden Haltung von Präsident Bolsonaro.
In Portugal und Spanien hatte man wegen einer hohen Impfquote darauf vertraut, dass die neue Omikron-Welle vorbeigeht. Nun zeichnen sich trotzdem hohe Infektionszahlen ab. Wer gehofft hat, sich im Süden von der hiesigen Corona-Lage erholen zu können, wird enttäuscht.
Premierminister Boris Johnson kann schlechte Nachrichten derzeit nicht gebrauchen. Vielleicht auch deshalb ergreift seine Regierung keine neuen Coronamaßnahmen, trotz 90.000 täglichen Neuinfektionen und der Ausbreitung der Omikronvariante. Stattdessen wolle man "die Daten von jetzt an unter ständiger Beobachtung halten und sie stündlich bewerten“, kündigte Johnson an.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Abwärtstrend seiner Landeswährung vorerst umgekehrt: Innerhalb einer Nacht gewann die Lira die Kursverluste der vergangenen drei Wochen wieder zurück – ein Sprung von knapp 30 Prozent.
Eine Infografik mit dem Titel: Chaotischer Handel
Wechselkurs der türkischen Lira zu US-Dollar seit dem 15. Dezember 2021, in Lira
Der Grund: Erdoğan versicherte den Sparern, ihre Bankeinlagen in Lira vor Wechselkursschwankungen zu schützen. Die Regierung wolle einspringen sobald die damit verbundenen Verluste größer ausfallen als der von der Bank versprochene Sparzins. Jeden Tag würde das Finanzministerium den Zinsgewinn mit dem möglichen Wechselkurs vergleichen und die Differenz dem Kunden direkt auf das eigene Konto gutschreiben.
Eine Infografik mit dem Titel: Wertverfall in der Türkei
Monatliche Inflationsrate in der Türkei gegenüber Vorjahresmonat seit November 2019, in Prozent
Erdoğan, ein entschiedener Gegner hoher Zinssätze, hat in den letzten Monaten eine Reihe von Zinssenkungen angeordnet, obwohl die Inflation weiterhin zweistellig ist. Aus Angst vor weiteren Wertverlusten flüchteten Sparer in harte Währungen wie den Dollar, was die Lira weiter schwächte. Der neue Plan versucht, Sparer zur Lira zurückzuholen und den Teufelskreis zu beenden. Wahrscheinlich hat Erdogan bei Merkel abgekupfert, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Kanzleramt bei laufender Kamera versicherte:
Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.
Dieses Jahr hat die für die umweltfreundliche Stromerzeugung wichtigste Zutat zu oft gefehlt: der Wind. Wie aus vorläufigen Zahlen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hervorgeht, entfielen auf die erneuerbaren Energieträger für 2021 nur 40,9 Prozent der Bruttostromerzeugung, was einem Rückgang von 4,7 Prozent gegenüber 2020 entspricht.
Eine Infografik mit dem Titel: Erneuerbare Energie verliert Anteile
Anteil der Energieträger an der Bruttostromerzeugung in Deutschland im Jahresvergleich, in Prozent
Deutlich zugelegt haben dafür Stein- und Braunkohle. Gemeinsam waren sie in diesem Jahr für 27,9 Prozent der Stromerzeugung verantwortlich, 2020 nur für 23,8 Prozent.
Mit einem Anteil von 20,1 Prozent an der gesamten Stromerzeugung bleibt die Windenergie jedoch weiterhin der wichtigste einzelne Energieträger in Deutschland.
Früher war sein Name in aller Munde und sein Produkt lag unter Millionen Weihnachtsbäumen: Eugen Märklin, der Erfinder der gleichnamigen Miniatur-Eisenbahn, hätte heute seinen 160. Geburtstag gefeiert.
Der Sohn eines Flaschnermeisters kam am 22. Dezember 1861 im schwäbischen Göppingen zur Welt. Zwei Tage zuvor hatten seine Eltern eine kleine Werkstatt eröffnet, in der sie unter anderem Puppenküchen und -kinderwagen herstellten.
Als sein Vater wenige Jahre später bei einem Unfall ums Leben kam, führte die Mutter den Familienbetrieb weiter und übergab ihn schließlich Eugen und seinem jüngeren Bruder Karl. Sie machten aus dem Betrieb die Firma „Gebrüder Märklin“ und feilten an der Produktpalette – schon lange hatten sie sich an dem „Mädchenkram“ der Eltern gestört.
Im Jahre 1891 präsentierten sie den ersten Prototypen einer Modelleisenbahn, damals noch zum Aufziehen und aus grobem Blech. Doch die Resonanz des Publikums stimmte sie hoffnungsfroh. Also entwickelten sie den Prototypen zu einem fertigen Produkt und entwarfen Zubehör, mit dem sich Miniatur-Wunderwelten erschaffen ließen. Ihre Erfindung wurde zu einem Verkaufsschlager: Die Märklin-Eisenbahn war das iPhone der technikbegeisterten Gesellschaft im 20. Jahrhundert.
Doch mit dem Ende der Industriegesellschaft schlug auch der Miniatur-Eisenbahn das Totenglöckchen. Die Firma meldete Konkurs an und wurde – kurzfristig – immer mal wieder gerettet. Nur, dass die Innovation von einst nun als Nostalgie vermarktet werden musste. Ernest Hemingway hat den ewigen Kreislauf vom Werden und Vergehen so beschrieben:
Das Merkwürdige an der Zukunft ist die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.
Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Start in den neuen Tag. Bleiben Sie mir gewogen.
Es grüßt Sie auf das Herzlichste,
Ihr