Medien: Die Wirklichkeitsillusion

Teilen
Merken

Guten Morgen,

entschließt sich ein braver Bürger eine Zeitung zu kaufen, sollte er nicht länger den halben Mehrwertsteuersatz zahlen (wie für Produkte der Informationsindustrie vorgesehen), sondern eine saftige Vergnügungssteuer entrichten. Denn allzu oft begegnet ihm im Inneren der Zeitung nicht das wahre Leben, sondern eine märchenhafte Wunderwelt.

Diese Wunderwelt gleicht einem ökologischen Musterhaus mit geräumigen Zimmern. Hier leben in wachsender Zahl Veganer und Vegetarier. Die Firma Beyond Meat feiert am Küchentisch ihren Triumph. Das Elektroauto vor der Tür wird nicht beschrieben, es wird zelebriert. Wer sich mit Verbrennungsmotor fortbewegt, hat hier Zutrittsverbot, er gilt den Bewohnern der Wunderwelt als Umweltsau. Für das Flugzeug ist hier schon gedanklich kein Platz. Über der Haustür steht schließlich geschrieben: keine Chance dem Klimakiller.

Diese Welt, und deshalb schreibe ich Ihnen heute Morgen, ist eine Wirklichkeitsillusion. Das wahre Leben echter Menschen, und darum sollte es in Wahlkampfzeiten gehen, sieht anders aus. Das spricht nicht gegen Veganismus, Elektromobilität und den Verzicht auf die Kurzstrecken-Flugreise. Aber wenn gute Politik mit dem Betrachten von Wirklichkeit beginnt, wie der einstige SPD-Chef Franz Müntefering sagte, dann sollten wir in diesen Zeiten nicht romantisch, sondern tapfer sein:

1. Der Fleischkonsum steigt und steigt. Laut den Angaben der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen (FAO) hat sich der weltweite Fleischkonsum seit den sechziger Jahren nahezu verfünffacht. Es handelt sich nicht nur um eine Aufholjagd der Entwicklungsländer, sondern auch die Industriestaaten legen weiter zu: Dort wird sich der jährliche Pro-Kopf-Verzehr, so die Prognose der FAO, von jetzt knapp 85 Kilogramm auf 88 Kilogramm pro Kopf im Jahr 2030 steigern.

Die Wangen der Fleischbarone leuchten rötlich vor Glück: Ihre Gleichung, mehr Wohlstand bedeutet höheren Fleischkonsum, geht weiterhin auf. Beyond Meat machte 2020 weltweit knapp 400 Millionen US-Dollar Umsatz – dafür braucht die US-Fleischindustrie knapp 16 Stunden.

Eine Infografik mit dem Titel: Wachsender Fleischkonsum

Prognostizierter Pro-Kopf-Konsum von Fleisch weltweit nach Ländergruppen, pro Jahr, in Kilogramm pro Kopf

Eine Infografik mit dem Titel: Ewiges Wachstum?

Produktion von Fleisch weltweit, pro Jahr, in Millionen Tonnen Schlachtgewicht

2. Die Elektromobilität ist eine klimapolitische Notwendigkeit. Aber eine Tatsache ist sie deshalb noch lange nicht. Die globalen Automobilkonzerne melden zum Ende des zweiten Quartals in Europa und den USA Milliardengewinne, aber nahezu ausschließlich aus dem Verkauf von Diesel- und Benzinfahrzeugen.

Nur zwei Prozent der verkauften Fahrzeuge in den USA sind elektrisch. Tesla ist ein Börsenstar, der außerhalb der Yuppie-Communities auf den Straßen kaum zu finden ist. Die Umstellung der gesamten Produktion auf E-Autos, wie vom VW-Vorstand beschlossen, bleibt angesichts der realen Kundennachfrage eine riskante (man kann auch sagen: eine mutige) Wette.

Eine Infografik mit dem Titel: USA: Verbrenner First

Prognostizierte Verteilung von Antriebstechnologien bei neuen Fahrzeugen in den USA, in Prozent

3. Der Furor vieler Umweltschützer gegen die Flugindustrie (Luisa Neubauer: „Mir ist bewusst, dass das klimatechnisch total desaströs ist.“) wird von der Kundschaft nicht geteilt. Oder er wird politisch-rhetorisch geteilt, aber praktisch ignoriert. Jedenfalls gehen alle verfügbaren Prognosen von einem steilen Anstieg der Passagierzahlen und Frachtvolumina aus. Das Flugzeug – das in seiner Energieeffizienz ständig verbessert wird – gilt Milliarden Menschen als Inkarnation eines Freiheitsversprechens. Kein Wunder: Die Aktienkurse von Airbus und Boeing gehen wieder steil nach oben.

Eine Infografik mit dem Titel: Reisefieber

Jährliche Wachstumsraten für den Passagierbereich im Luftverkehr von 2019 bis 2039 nach ausgewählten Routen, in Prozent

Airbus SE

Fazit: Die Welt von morgen wird eine andere sein. Aber ihr Anderssein wird durch hysterische Überreiztheit und das Schlagen der Hasstrommel – um hier Begriffe des Schriftstellers Stefan Zweig zu verwenden – nicht befördert, sondern behindert. Der Fortschritt wird erst dann ein realer und nicht nur ein behaupteter sein, wenn Menschen ihn leben (und nicht nur lesen) wollen. Thomas von Aquin:

Für Wunder muss man beten, für Veränderung aber arbeiten.

Hubert Ulrich © dpa

Die Grünen-Wahlkampagne erlebt ihren nächsten Dämpfer. Tatort diesmal: das Saarland. Ursprünglich wollten die Saar-Grünen mit dem ehemaligen Landespartei-Chef Hubert Ulrich auf Listenplatz 1 in die Wahl gehen, nachdem vorher die bis dato amtierende Landesvorsitzende Tina Schöpfer in drei Wahlgängen gescheitert war. Den Vorwurf, dass Ulrich Einfluss auf das Wahlverhalten der Delegierten beim Parteitag genommen hätte, bezeichnete er als „an den Haaren herbeigezogen.“

Das Landesschiedsgericht der Grünen erklärte die Liste aber trotzdem für ungültig und führte zwei Gründe an: Erstens lag ein Verstoß gegen das Frauenstatut der Partei vor, nach dem ungerade Listenplätze mit Frauen besetzt sein müssen. Und zweitens – das wiegt ebenfalls schwer – hätten nachweislich auch Nicht-Stimmberechtigte aus der Grünen Jugend und den Grünen Senioren an der Listenwahl teilgenommen. Offenbar hatte man hier Sympathisanten als Stimmvieh mitgebracht – was Ulrich freilich bestreitet.

Tina Schöpfer © imago

Bei der zweiten Listenwahl – die aufgrund dieser Ungereimtheiten anberaumt wurde – wurden dann vorab Delegierte aus Ulrichs Kreisverband Saarlouis von der Wahl ausgeschlossen. Gegen diesen Ausschluss legten Mitglieder des Kreisverbands wiederum Beschwerde beim Landeswahlausschuss ein, der dann die Ungültigkeit auch der zweiten Liste feststellte. Gestern wurde dies vom staatlichen Bundeswahlausschuss bestätigt, bei dem die Saar-Grünen den Landesentscheid zuvor angefochten hatten.

Somit wird es im Saarland nicht möglich sein, die Zweitstimme den Grünen zu geben. Der potenzielle Verlust von einigen Zehntausend Stimmen im kleinsten Bundesland dürfte sich auf etwa 0,2 Prozentpunkte im bundesweiten Ergebnis addieren. Der Imageschaden kommt hinzu. Aber das sind die Grünen ja derzeit gewohnt.

Robert Habeck bei Sandra Maischberger © WDR/Oliver Ziebe

Alle kämpfen dafür, dass die Entscheidung zur richtigen gemacht wird.

Robert Habeck bei Sandra Maischberger über die Entscheidung der Grünen, Annalena Baerbock und nicht ihn zum Spitzenkandidaten zu ernennen. Das ist vornehm und dennoch deutlich. Habeck erhebt keinen Führungsanspruch, aber begründet ihn.

Klick aufs Bild führt zur Podcast-Page

Die im Dunkeln sieht man nicht. Hinter jedem erfolgreichen Politiker stehen mehrere einflussreiche Berater, die sich um Worte, Kleidung und Gestik ihres Schützlings kümmern. Gerade in der heißen Wahlkampfphase wird nach Möglichkeit nichts dem Zufall überlassen.

Der studierte Politikwissenschaftler Frank Stauss betreibt eine eigene Agentur und berät seit zehn Jahren Olaf Scholz – seit dessen Kampagne für die Bürgerschaftswahl in Hamburg 2011. Im Morning Briefing-Podcast mit „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld beschreibt er die drei Kanzlerkandidaten:

Scholz ist auf jeden Fall konzentriert. Bei Laschet ist es eher fahrig und bei Baerbock fällt mir überinszeniert ein.

Frank Stauss © dpa

Auf die Frage, ob die Grünen und die Union vielleicht die falschen Kandidaten ins Rennen geschickt hätten, antwortet er:

Aber mit Anlauf. In dem letzten Politbarometer ist Merkel auf Platz eins – dann kommen Söder, Scholz und Habeck. Da ist das Problem natürlich, dass weder Söder noch Habeck Kandidaten sind. Sie haben definitiv die falschen Kandidaten nominiert.

Annalena Baerbock © imago

Diese These bestärken derzeit auch die Demoskopen mit neuen Negativ-Befunden zu den Kanzlerkandidaten. Bei einer Kanzler-Direktwahl würden, so berichtet das von Forsa erhobene RTL/ntv-Trendbarometer, derzeit nur 15 Prozent der Befragten für Armin Laschet stimmen, für Annalena Baerbock 18 Prozent und für Scholz immerhin 21 Prozent. Im Deutschlandtrend liegt Scholz sogar mit 35 Prozent vorn, Baerbock mit 16 Prozent auf Platz drei. Armin Laschet würden hier 20 Prozent direkt wählen – das ist aber ein Minus von 8 Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat.

Olaf Scholz © dpa

Bei der Union stellen sich nun viele die bange Frage, ob man womöglich doch den falschen Kandidaten aufs Schild gehoben hat. Denn wäre Markus Söder der Kanzlerkandidat der Union, das zumindest ergab die demoskopische Tiefenbohrung von Forsa-Chef Manfred Güllner, würden 38 Prozent für ihn stimmen.

Wie Armin Laschet gerade seinen Wahlkampf vergeigt

Und: Drei Ansätze, wie er es vielleicht doch noch schaffen kann.

Video ansehen

Veröffentlicht in Hauptstadt – Das Briefing von Michael Bröcker .

Video mit der Laufzeit von

Alev Doğan © Anne Hufnagl

Unser Gesellschaftspodcast „Der 8. Tag“ hat sich in die wohlverdiente Sommerpause verabschiedet. Doch gänzlich ohne Inspiration möchte Sie das Team um Chefreporterin Alev Doğan nicht lassen.

Bis die neue Staffel am 30. August wieder werktäglich startet, werden wir immer freitags eine eigens für den Sommer komponierte Sendung vorstellen: ein Potpourri der besten Achte-Tag-Gespräche zu den Themen Beziehungen, neue Arbeitswelt, Demokratie und Gesundheit.

Wie lieben und leben die Menschen in Deutschland? Welchen Missverständnissen über das Gelingen einer Beziehung unterliegen wir? Und wie viel haben Intimität und Erotik mit Kommunikation und Selbstermächtigung zu tun?

Im ersten Teil der Revue-Folgen sprechen der Wiener Paartherapeut Roland Bösel über Seelenverwandtschaft und sich anziehende Gegensätze, die Sexualberaterin Jana Welch über den Stellenwert der Erotik in Paarbeziehungen und Psychologin und Autorin Stefanie Stahl über Persönlichkeitstypen und ihre Sprachen.

Ein Deep Dive in die Irrungen und Wirrungen unserer menschlichen Beziehungen. Prädikat: erhellend.

Der 8. Tag hautnah: Wie wir lieben und leben

Wie wir lieben und leben! Alev Doğan spricht mit Therapeuten und Psychologen über die Liebe.

Podcast hören

Veröffentlicht in Der 8. Tag von Alev Doğan.

Podcast mit der Laufzeit von

Werner Baumann © dpa

Bayer erhöht seine Prognose für 2021 und erwartet nun ein bereinigtes operatives Ergebnis zwischen 10,6 und 10,9 Milliarden Euro – das sind 100 Millionen mehr als zuvor prognostiziert.

Weiter kündigte der Konzern den Zukauf der US-amerikanischen Biotechfirma Vividion Therapeutics für bis zu zwei Milliarden Dollar an. Der Leverkusener Konzern erhofft sich, das Wissen der US-Firma mit Spezialisierung auf die Identifizierung von Bildungsstellen von krankheitsrelevanten Proteinen in verschiedenen Krankheitsbereichen anwenden zu können. Ende des dritten Quartals soll die Transaktion abgeschlossen sein.

Das Ebitda vor Sondereinflüssen war im zweiten Quartal um 10,6 Prozent auf rund 2,58 Milliarden Euro geschrumpft. Negative Währungseffekte wirkten sich mit 524 Millionen Euro auf den Konzernumsatz aus.

Frank Appel © dpa

Der positive Trend bei der Deutschen Post hält an. Nach dem Corona-Boom profitiert das Logistikunternehmen nun spürbar vom Post-Corona-Aufschwung im Welthandel. Mehr als 50 Prozent des von dem Bonner Unternehmen eingefahrenen Gewinns sind alleine auf die wachsende Express-Division zurückzuführen.

Das Paketgeschäft, das ausgelöst vom Boom im E-Commerce zuvor teilweise um mehr als 20 Prozentpunkte gestiegen war, erreichte erneut einen Umsatzzuwachs von 13,1 Prozentpunkten. Der Konzerngewinn hat sich nach Steuern auf 1,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Für das laufende Geschäftsjahr wird nun ein operativer Gewinn nach Steuern von mehr als sieben Milliarden Euro statt bisher von mehr als 6,7 Milliarden Euro erwartet.

Damit hat das einstige Staatsunternehmen, an dem der Staat über die Kreditanstalt für Wiederaufbau noch immer beteiligt ist, einmal mehr seine Zukunftsfähigkeit bewiesen. Alle Bedenken der Postgewerkschaft gegen den freien Markt wurden von CEO Frank Appel in den nunmehr 13 Jahren an der Konzernspitze widerlegt.

Carsten Spohr, CEO von Lufthansa © dpa

Angesichts steigender Passagierzahlen und halbierter Verluste plant die Lufthansa eine Kapitalerhöhung „möglichst noch vor der Bundestagswahl“, sagte Firmen-Chef Carsten Spohr bei der Vorlage der Halbjahreszahlen. „Der Steuerzahler wird sich freuen, denn er wird wahrscheinlich eine Milliarde daran verdienen“, so der Konzernchef mit Blick auf die Aktienkursentwicklung.

Zur Erinnerung: Der Bund beteiligte sich mit 20 Prozent am Kapital der Lufthansa und zahlte dafür 2,56 Euro je Aktie, was damals 306 Millionen Euro entsprach. Inzwischen liegt der Aktienkurs bei etwa 9,20 Euro. Ein Kursgewinn für den Bund von rund 260 Prozent.

Fazit: Das Glück ist mit den Tüchtigen. Finanzminister Olaf Scholz weiß, wie man finanzielle Einnahmen in politische Erfolge verwandelt.

Kasper Rorsted © dpa

Auch Adidas hat seine Quartalszahlen vorgelegt. Der weltweit zweitgrößte Sportartikelhersteller (hinter Nike) konnte sowohl bei der Umsatzprognose als auch der Gewinnerwartung die Prognosen der Analysten übertreffen: Der Umsatz stieg im zweiten Quartal währungsbereinigt um 55 Prozent auf 5,08 Milliarden Euro.

Der Gewinn betrug 387 Millionen Euro. Das Unternehmen hatte im Vorjahreszeitraum rote Zahlen geschrieben.

Roland Busch © dpa

Siemens konnte unter der Führung von Vorstandschef Roland Busch gestern ebenfalls gute Quartalszahlen vorlegen, weshalb der Konzern zum dritten Mal die Prognose für das laufende Geschäftsjahr anhob. Im Vergleich zum Vorjahresquartal stieg der Umsatz um 21 Prozent auf 16 Milliarden Euro. Ebenfalls im Jahresvergleich hat sich der Nettogewinn von 535 Millionen Euro auf 1,48 Milliarden Euro fast verdreifacht.

Statt zuletzt neun bis elf Prozent erwartet die Konzernführung nun ein Umsatzwachstum von elf bis zwölf Prozent für das laufende Geschäftsjahr. Beim Nettogewinn prognostiziert das Management nun 6,1 bis 6,4 Milliarden Euro statt zuletzt 5,7 bis 6,2 Milliarden Euro.

Gerd Schulte-Hillen © dpa

Der langjährige Chef des Zeitschriftenverlages Gruner + Jahr, Gerd Schulte-Hillen, ist tot. Er starb im Alter von 80 Jahren, wie das Hamburger Medienhaus („Stern“, „Geo“, „Brigitte“, 1/4 vom „Spiegel“) am Donnerstag bestätigte. Schulte-Hillen stand knapp 20 Jahre an der Spitze des Verlags.

Er war das, was man einen Impresario nennt: Laut, humorvoll, bei Bedarf aufbrausend. Und ein Familienmensch war er auch. Ich erinnere mich, wie er ein Interview mit uns „Spiegel“-Leuten unterbrach, um mit seiner Frau zu telefonieren, die überraschend durchgeklingelt hatte. Sein Ratschlag an uns Jüngere:

Behandeln Sie Ihre Frau wie Ihren besten Kunden.

Ich wünsche Ihnen einen partnerschaftlichen Start in das Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste

Ihr

Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer
  1. , Pioneer Editor, Herausgeber The Pioneer

Abonnieren

Abonnieren Sie den Newsletter The Pioneer Briefing